Uranmunition

Ein vergessenes Thema

Obwohl schon lange im Einsatz, kommen die tödlichen Folgen von verschossener Uranmunition erst langsam zum Vorschein. Industrie und Regierungen versuchen das hohe Risiko von abgereicherter Uranmunition zu vertuschen. Auch deutsche Unternehmen sind beteiligt: ein politischer Skandal.

 

Laut US-Veteranen-Vereinigung sind mittlerweile 11.000 US-Sol­datInnen an den Spätfolgen des Golfkrieges Anfang der 1990er Jahre gestorben. Hunderttau­sende leiden an der Krankheit, deren Symptome Abgeschla­genheit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Gliederschmerzen und in schweren Fällen Krampfanfälle sind.

Auch SoldatInnen, die im Bal­kankrieg kämpften, zeigen ähnliche Symptome. Die Rede ist vom Golfkriegs- bzw. Balkansyndrom. Kritische Wissen­schaftlerInnen und ÄrztInnen sind sich bei der Ursache einig: Uranmunition.

Rund 14 Tonnen hochgiftiges Uran sollen in den 1990er Jahren auf dem Balkan verschossen worden sein, wobei der Fo­cus um die Stadt Sarajevo lag. Im Golfkrieg 1991 wurden sogar 320 Tonnen abgereichertes Uran (depleted uranium; DU) verschossen.

Da abgereichertes Uran 1,7-Mal dichter als Blei ist, hat es eine enorme Durchschlagskraft. Als sich westliche Militärstrategen in den 1970er Jahren auf große Panzerschlachten vorbereiteten, suchten sie einen neuen - Panzerknackenden - Rohstoff und fanden ein Abfallprodukt aus der Atomindustrie: abge­reichertes Uran. Schon die Nationalsozialisten forschten an Granaten mit Spitzen aus Uran, das neben der hohen Durchschlagskraft zur Stabilisierung der Flugbahn des Geschosses beiträgt. Die Nazis brachten die Geschosse aber nicht zur Se­rienreife - zudem arbeiteten sie mit Natururan und nicht mit ab­gereichertem Uran.

 

Gefährliches Uran

Natururan besteht zu rund 99 Prozent aus U 238 und zu nur etwa 0,7 Prozent aus dem spaltbaren U 235. Um das Uran in Atomkraftwerken oder Atombomben spalten zu können, muss der U 235-Teil auf bis zu 5 Prozent bzw. auf mindestens 85 Prozent zur Spaltung in Atomwaffen angereichert werden.

Bei der Urananreicherung für zivile Zwecke fallen für jede Tonne angereichertes Uran 5,5 Tonnen abgereichertes Uran an. Beispielsweise verbraucht allein der Reaktorblock B des Atomkraftwerks Biblis in Südhessen jährlich 30 Tonnen angereichertes Uran und verursacht so einen Abfallberg von 165 Tonnen abgereicherten Urans.

Große Mengen lagern z.B. auf dem Gelände der einzigen deutschen Urananreicherungsanla­ge im westfälischen Gronau na­he der Grenze zu den Niederlanden.

Das abgereicherte Uran ist nur schwach radioaktiv, aber hochgiftig. Kommt es mit (Luft-) Feuchtigkeit in Berührung, reagiert es zu Flusssäure - ein paar Tropfen Säure auf die Haut oder im gasförmigen Zustand eingeatmet reichen zum sicheren Tod.

Daher wird das abge­reicherte Uran (chemische Bezeichnung UF6) auch nur als Feststoff in Legierungen mit anderen Metallen (z.B. Titan) und nur um­mantelt für Munition verwendet.

Neben Uranmunition gibt es heute auch Panzerungen mit DU-Kern. So besitzen die von den USA im Irak eingesetzten M1 Abrams-Kampfpanzer eine solche Verbundpanzerung. Dabei wird das giftige Uran zwischen un­giftigeren Metallplatten wie ein Sandwich verbaut. Auch hier ist die enorme Dichte des abge­reicherten Urans der Grund für die Verwendung des gefährlichen Urans.

In der Munition wird das ab­gereicherte Uran als pfeil­för­mi­ge Spitze - ein so genannter Penetrator - auf sein Ziel gefeuert. Mit Uranmu­nition werden meist nur gepanzerte Ziele beschossen, da die Munition keine eigene Explosionsla­dung trägt, sondern seine Energie nur punktuell am Ort des Aufpralls freigibt. Beim Aufprall des Pe­netrators durchschlägt das Urange­schoss die Panzerung - dabei entsteht eine Hitze von 3.000 bis 6.000 °C, die Besatzung des getroffenen Panzers verglüht und die im getroffenen Fahrzeug mitgeführte Munition entzündet sich nach kurzer Verzögerung.

Dass von Uranmunition aber ein ganz anderes Gefährdungspotential ausgeht, fanden US-Militärs schon 1979 auf dem Aberdeen Proving Ground, einem Übungsplatz unweit von Washington, heraus. Nach dem Aufprall eines Uranpenetrators auf eine Panzerung schwebten 70 Prozent des Penetrators als Uranoxid in der Luft.

Das Schwermetall zersplitterte beim Aufprall in winzige Nano-Staubpartikel, die wegen der enormen Hitze oxidierten.1 

Diese Staubpartikel legten sich um das getroffene Ziel.

Die leichten Partikel wurden aber auch vom Wind wegge­weht und in alle Himmelsrichtungen getragen.

Das Britische Atomwaffeninsti­tut (Atomic Weapons Establishment) Aldermaston in Berk­shire führt seit den frühen 1990er Jahren Versuche mit Hochleistungs-Luftprobenfil­tern durch.

Dabei wird der Urangehalt in der Luft gemessen.

Während der heftigen Kämpfe im letzten Golfkrieg wurde der von der Regierung festgelegte Schwellenwert von Uranstaub in der Luft zweimal überschritten. Was unglaublich klingt - immerhin ist der Irak rund viertausend Kilometer von Großbritannien entfernt - kann mit dem starken Nord-West-Wind der damaligen Zeit erklärt werden.

Zudem legten die strahlenden Partikel nach der Reaktorkatas­trophe von Tschernobyl auch mehrere Tausend Kilometer zurück. Dennoch ist die Gefahr durch die Uranpartikel aus dem Irak hierzulande minimal. An­ders sieht es vor Ort aus.

Einmal eingeatmet setzen sich die strahlenden Partikel in der Lunge fest und gelangen später in die Blutbahn und somit in den gesamten Körper. Diese Uranpartikel sind Alphastrahler. Die Strahlen haben eine geringe Reichweite - Alpha-Strahlen können kein Blatt Papier durchdringen, aber besitzen eine sehr hohe Strahlendosis. Die direkt im Umkreis um das strahlende Partikel befindlichen Zellen werden zerstört.

Nach jahrelanger Verstrahlung von Innen können dann Symptome wie beim Golfkriegs- und Balkansyndrom auftauchen, die zum Tod führen können.

 

Zivile Nutzung

Die hohe Dichte des Metalls ist der Grund für die zivile Nutzung von abgereichertem Uran.

Als Ausgleichgewicht wird das Uran in Flugzeugen, in Segelschiffen oder als Ballast in Öl­bohrinseln verwendet. Nach der Flugzeugkatastrophe von Am­sterdam, bei der 1992 eine El-Al-Boeing 747 in einen Wohnblock stürzte und die Umwelt (wohl auch wegen der chemischen Fracht des Flugzeugs) kontaminierte, wurde der Umgang mit dem Stoff jedoch sensibler - Boeing verbaut seitdem kein abgereichertes Uran mehr in seinen Flugzeugen.

Besonders die nach dem Absturz herbeigeeilten Rettungskräfte leiden heute an Krankheiten, deren Symptome auf das UF6 im Heck der verunglückten Maschine hinweisen.

 

Deutsche Urangeschosse

Deutschland besitzt nach Angaben von Verteidigungsminis­terium und Regierung keine Uranmunition.

„Die Bundesregierung bestätigt, dass die Bundeswehr keine DU-Munition entwickelt, besitzt oder zu Übungszwec­ken einsetzt und dass die Entwicklung, Beschaffung oder Verwendung solcher Munition auch für die Zukunft auszuschließen ist", erklärte das Bundesminis­terium für Verteidigung (BMVg) be­reits am 12. Juni 1995 unter seinem damaligen Minister Rühe (CDU).2 

Der Vorsitzende des Bundeswehrverban­des, Bernhard Gertz, widersprach jedoch.

Nach seinen Erkenntnissen habe die Bundeswehr Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre auch selbst erwogen, „solche panzerbre­chende DU-Munition zu beschaffen. [...] Es hat da­mals ei­ne Auseinandersetzung gegeben zwischen dem Führungsstab des Heeres, zwischen den Rüstern und den Strahlen­schutzverant­wortli­chen im BMVg. Im Ergebnis ist dieser Streit vor dem Hintergrund des Umweltrisikos zu Gunsten der Strahlenschützer ausgegangen und deswegen hat die Bundeswehr die Munition nicht beschafft".3 

Den Anfang der Enthüllungen deutscher Uranmunitions-Ambitionen machte am 15. Januar 2001 ein ehemaliger Bundeswehr-Soldat, der in einer eidesstattlichen Aussage gegenüber dem NDR erklärte, dass er 1980 auf dem Truppenübungsplatz Sennelager bei Paderborn während einer Schießübung etwa zehn Patronen uranhaltiger Munition mit einer Bordmaschinenkanone zu verschießen hatte.4  Die Bundeswehr wies die Aussage des Soldaten umgehend als falsch zurück: „In der Bundeswehr wurde und wird keine Munition aus abgereicher­tem Uran verwendet."

Welche Aussage stimmt, kann nicht nachvollzogen werden.

Sicher ist, dass die deutschen Rüstungskonzerne Rheinmetall und Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) in den 1970er Jahren Versuche mit Uranmu­nition durchgeführt haben. Das Pikante daran: den Auftrag gab das Verteidigungsministerium.

Rheinmetall hat von Anfang der 1970er Jahre bis 1978 auf dem firmeneigenen Schießplatz in Unterlüß (Niedersachsen) verschiedene Versuche mit Uranmunition durchgeführt.

Am 18. Januar 2001 bestätigte Rheinmetall den Bericht der Süddeutschen Zeitung: es habe „einige Beschüsse im zweistel­ligen Bereich" unter „freiem Himmel" gegeben.

Das Ganze in Abstimmung mit den Behörden - auch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung war informiert.6

 Auf eine aktuelle Anfrage, ob Rheinmetall den gefährlichen Rohstoff noch heute nutzt, reagiert der Panzerbauer abgeklärt:  „Abgereichertes Uran verwenden wir in keinem Fall."

Auch das große deutsche Rüs­tungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann gibt an, kein Uran mehr für den Bau von Panzern und Munition zu verwenden. Die deutsche Rüstungsindustrie soll das Schwermetall Wolfram als Ersatz für Uran verwenden. Eine Prüfung der Angaben ist beinahe unmöglich - äußerlich sind Urangeschosse von „herkömmlichen" Panzergranaten nicht zu unterscheiden und auch bei den schweren Panzerungen von Fahrzeugen ist kein Unterschied sichtbar.

Neben den Machenschaften der (deutschen) Rüstungsin­dustrie ist vor allem das Verhalten der Rohstofflieferan­ten interessant.

So kann nicht ausgeschlossen werden, dass abgerei­chertes Uran aus der Uranan­reiche­rungsanlage in Gronau an die Rüs­tungsindus­trie geliefert wird.

Auf die Frage, an wen die URENCO - die Betreiberfirma von Urananreicherungs­anlagen in Deutschland, England und den Niederlanden - ihr abge­reichertes Uran verkauft, hält diese sich bedeckt: „Diese Frage betrifft rein geschäftliche Angelegenheiten, die grundsätzlich nicht veröffentlicht werden."

Fest steht, dass abgereichertes Uran aus Gronau an das russische Staatsunternehmen Techsnabexport (Tenex) verkauft wird - der gefährliche Rohstofftransport von Gronau nach Russland sorgt schon seit Jahren für Proteste (die GWR berichtete). Ob Tenex das ab­gereicherte Uran aus Deutschland an Rüstungsfirmen weiterverkauft oder es nur unter freiem Himmel in Sibirien lagern - letzteres ist bekannt - kann nicht ausgeschlossen werden.

Immerhin verfügt Russland über die Technologie zum Bau von Urangeschossen und Uranpanzerungen und stattet seine Panzer damit aus.

 

Fazit

Die Spätfolgen, die durch eingeatmeten Uranstaub ausgelöst werden, sind unabwägbar. Von verschossener Munition geht vor allem für ZivilistInnen in (ehemaligen) Kriegsgebieten ein unkalkulierbares Risiko aus - die meisten sind sich der Gefahr nicht bewusst. Die Rüstungs- und Atomindustrie und auch Regierungen handeln skrupellos und versuchen die Gefahren zu vertuschen.

Bisher gab es keine erfolgreiche Kampagne seitens der Friedensbewegung gegen die Verwendung von Uranmunition - nicht wie bei Antipersonenmi­nen. Auch wenn die deutsche Armee (wahrscheinlich) keine Urangeschosse besitzt, müssen deutsche Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall und Krauss-Maffai Wegmann kritisch beobachtet werden.

Bei aller berechtigten Kritik an Atomkraft und Atombomben darf nicht der Zusammenhang zwischen der Atomindustrie - insbesondere der Urananrei­cherung - und Uranmunition vergessen werden.

Auch diese Form der Kooperation zwischen Atom- und Rüs­tungsindustrie muss von der Anti-Atom- und Friedensbewegung aufgegriffen und in die Öffentlichkeit getragen werden.

Eine Kampagne für ein weltweites Uranwaffen-Verbot wäre dringend nötig, um die Menschen vorm schleichenden Tod durch Uranstaub zu schützen.

Michael Schulze von Glaßer

 

Anmerkungen:

1 Der Spiegel - 15. Januar 2001

 2 Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs Bernd Wilz vom 12.6.95

 3 Interview im NDR 4 vom 16. Januar 2001

 4 Süddeutsche Zeitung - 17. Januar 2001

 5 Bundeswehr - 16. Januar 2001

 6 Süddeutsche Zeitung - 19. Januar 2001

 

Weitere Informationen:

www.bandepleteduranium.org

www.uranmunition.de

www.laka.org

 

Michael Schulze von Glaßer ist Redakteur der Jugendzeitung Utopia und Mitherausgeber der Graswurzelrevolution. Utopia Nr. 7 erscheint im November, auch als Beilage der GWR 333.

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 332, Oktober 2008, 37. Jahrgang, www.graswurzel.net