Ein neuer Kondratieff, eine Finanzkrise und die Zukunft unserer Träume.

Einführung in den Schwerpunkt „Endlose Depression?“ der Berliner Debatte INITIAL 4/2008

Einführung in den Schwerpunkt „Endlose Depression?“ der Berliner Debatte INITIAL 4/2008

Das Jahr 2008 hat aus der Sicht der Schumpeter’schen Wirtschaftstheorie eine besondere Bedeutung, schreibt Ulrich Hedtke1 in diesem Heft, denn es markiert den Beginn eines neuen langen Zyklus wirtschaftlicher Entwicklung, den „Übergang vom 4. zum 5. Kondratieff“ nach Schumpeters Zählung.

Ist damit etwa das Ende der „endlosen Depression“ in Sicht, welche die „immerwährende Prosperität“2 der 1950er und 1960er Jahre so folgenschwer beendete? Können wir mit einer Erholung, gar mit einer neuen Prosperitätsphase rechnen? Mit einem neuen gewaltigen Innovations- und Wachstumsschub, der die Welt noch einmal ebenso stark verändern und verbessern wird, wie es die amerikanisch-europäische Revolution der industriellen Massenproduktion und der produktivitätsorientierten Lohn- und Sozialpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg taten?

Werden die Löhne wieder steigen, das Sozialsystem repariert und umgebaut werden? Wird es gar eine globale Energiewende geben? Wird der Aufstieg Chinas und Indiens vielleicht doch nicht zu einem Kollaps wegen Umweltbelastungen führen? Leuchtet am Horizont gar „Eine-Welt“ mit einer neuen Industrie ohne CO2-Emissionen, mit Autos, die in China, Amerika, Afrika und Europa lautlos von Elektromotoren getrieben durch die Straßen gleiten und in der Flugzeuge durch elektronengetriebene Magnetschwebebahnen mit Mach 3 abgelöst sind, für die Strom und Wasserstoff aus Sonnenbatterien über Wasserstoffpipelines in der Sahara geliefert wird? Gelingt es gar, Armut und Hunger, Unterentwicklung und Elend zu überwinden? Und wird es Ostdeutschland mit einem neuen Kondratieff schaffen, seine Produktions- und Einkommenslücke zu schließen und die Landeshaushalte zu sanieren?

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Natürlich könnte und sollte uns der rechnerische Beginn eines neuen wirtschaftlichen Zeitalters anregen, alte Utopien wieder einmal zu besichtigen, die Bücher von Lem3 aus dem Regal zu nehmen und uns zu fragen, was aus den Utopien und Träumen der 1960er und den Hoffnungen der 1980er Jahre geworden ist, ob wir neue haben und ob wir die unserer Kinder und Enkel eigentlich noch kennen. Dies ganz unabhängig davon, auf welcher Seite wir beim wissenschaftlichen Streit um die Theorie langer Wellen stehen und ob er uns überhaupt interessiert.

Peter Ruben4 und Ulrich Hedtke präsentieren neue empirische Analysen und theoretische Überlegungen, nach denen es sehr sinnvoll scheint, weiter zu erforschen und zu debattieren, warum wirtschaftliche Entwicklung nicht gleichförmig erfolgt, sondern in Zyklen mit Höhenflügen, Einbrüchen, Umbrüchen und Krisen. Paradigmenwechsel bedürfen offensichtlich eines Generationswechsels, um Wirklichkeit zu werden.

Ein wissenschaftlicher Standpunkt zu diesen Fragen erfordert, nicht nur über die Länge, die Lage und die Nachweisbarkeit solcher langen (56-jährigen), mittleren (9-jährigen) und kurzen (3-jährigen) „Wellen“ nachzudenken, sondern das Schumpeters Theorie zugrunde liegende Modell wirtschaftlicher Entwicklung zu verstehen, zu diskutieren, gegebenenfalls weiterzuentwickeln oder zu kritisieren. Schumpeter wird gern hervorgekramt, um diese oder jene Innovation zum Anfang einer „neuen langen Welle“ hochzujubeln, oder auch, um die Deindustrialisierung in Ostdeutschland, die Pleitewelle der Börsenzocker und den Niedergang ganzer Regionen gleichermaßen als „schöpferische Zerstörung“ zu weihen.

Der wissenschaftliche Kern der Schumpeter’schen Theorie wirtschaftlicher Entwicklung hingegen wird nur von wenigen Außenseitern studiert, gepflegt, benutzt und weiterentwickelt. In den 1960er Jahren dominierte Keynes, dann kam die Neoklassik. Zudem ist Entwicklung auch für viele Wissenschaftler ein unheimliches Rätsel.5 Kaum eine wirtschaftswissenschaftliche Theorie unterscheidet Wachstum und Entwicklung vernünftig – gerade dies aber war ein zentrales Anliegen von Schumpeter. Das andere war die Verknüpfung von Wirtschaftswissenschaft und Soziologie. Beide wissenschaftliche Unternehmungen harren der Fortsetzung. Wenigstens dürfen wir hoffen, dass Schumpeters Hauptwerk „Konjunkturzyklen“ bald in Deutschland neu aufgelegt wird. Die einzige deutschsprachige Ausgabe von 1961 ist schon seit vielen Jahren vergriffen.

 

Der alte und der neue Zyklus

Schumpeter sah Kapitalismus als eine Wirtschaftsweise an, in der Innovationen durch Kreditgeldemissionen und Expansion der Geldmenge finanziert und daher schubweise durchgesetzt werden.6 Unternehmer versuchen, gegen die lähmende Stagnation des „Gleichgewichts“ Innovationen durchzusetzen, die die gegebenen „Produktionsfunktionen“ unterlaufen, neue Kombinationen von Produktionsmitteln und Arbeit, neue Produkte und Verfahren durchsetzen. Kreditfinanzierte Innovationen beschleunigen anfangs das Wachstum und schaffen durch die Produktion (noch) nicht gedeckte Einkommen, erzeugen also einen Aufschwung bei steigender Inflation. Dieser kreditfinanzierte Innovationsschub kommt nach einer gewissen Zeit zum Erliegen, weil das Ungleichgewicht zwischen Kreditmenge und realer Produktion die Kreditkosten in die Höhe treibt.

Die „fordistische“ Nachkriegsprosperität der 1950er und 1960er Jahre beruhte auf einem kreditfinanzierten Innovationsschub, dem als sozioökonomische „Neukombination“ die Verbindung der fordistischen Massenproduktion (einschließlich Auto, Petrolchemie, Elektrotechnik usw.) mit einer produktivitätsorientierten Lohnentwicklung und einer Dynamisierung der Sozialsysteme zugrunde lag. Voraussetzung war der Paradigmenwechsel der Sozial- und Lohnpolitik, der mit dem New Deal der 1930er Jahre in den USA eingeleitet wurde. Den Startschuss gab dann der bis dahin größte kreditfinanzierte Boom aller Zeiten, der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, der Aufbau der Rüstungswirtschaft, dem der Ausbau der Produktionsmittelindustrie, der ungeahnte und nicht endende Anstieg der Löhne und die Expansion der Konsumgüterindustrie folgten, die nicht nur die gesamten USA, sondern auch teilweise Großbritannien und die Sowjetunion, sowie nach dem Krieg außerdem halb Europa versorgte. Die materielle und finanzielle Rolle der USA in der Nachkriegswirtschaft machte aus der fordistischen Kombination von Massenproduktion, Lohnanstieg und Konsumgesellschaft ein globales Erfolgsmodell, das bis in die 1970er Jahre ganz gut funktionierte.

Die in den 1950er Jahren in Gang gesetzte „lange Welle“ hat verschiedene Regulationen des vorherigen Kapitalismus „aufgehoben“, vor allem aber eine fundamentale: Die Lohn- und Transfereinkommen der Bevölkerung der entwickelten kapitalistischen Länder orientierten sich nicht mehr am „Bedarf“ im Sinne des Überlebens, nicht mehr an den Reproduktionskosten der „Ware Arbeitskraft“7, sondern am Wachstum der Produktivität8.

Nach Schumpeter folgt auf den Prosperitätseffekt solcher „Neukombinationen“ eine Phase des Abstiegs in die Rezession, weil die zuvor getätigten Innovationen nach einer gewissen Zeit wirksam werden; d.h. neue Produkte gelangen auf den Markt, neue Unternehmen verdienen viel Geld, zahlen ihre Kredite zurück, alte Produkte werden nicht mehr gebraucht, alte Unternehmen geraten unter Druck, es gibt auf einmal unverkäufliche Produkte, nutzlos werdende Fabriken und überflüssig gewordene Arbeit neben dem zuvor entstandenen Neuen. Es ist nicht Sättigung, sondern die durch den vorangegangenen Innovationsschub ausgelöste Notwendigkeit eines Strukturwandels, die den Aufstieg zum Erliegen bringt und aus der Prosperität in die Rezession überleitet. Diese Phase ist zugleich Ernte und Abstieg – die tatsächliche Produktion steigt, aber die Kreditgeldemission geht zurück, das Angebot wächst und die Nachfrage sinkt wegen der Unternehmenspleiten, der steigenden Arbeitslosigkeit und der Kontraktion der Kredite.

Eine solche lange Rezession schloss sich offensichtlich an die „immerwährende Prosperität“ der Nachkriegszeit an, die Ölkrisen der 1970er Jahre waren der Auslöser. Nach Schumpeter kann man solche Rezessionen nicht vermeiden, man kann aber den sich in der Rezession geltend machenden Bereinigungsbedarf und den erforderlichen Strukturwandel zulassen, fördern, gestalten und abfedern. Es kann aber auch passieren, dass die Rezession zu einer Depression verlängert wird, wenn die Akteure im Krisenszenarium falsch reagieren. Akteure sind nicht nur die großen Zentralbanken, die Regierungen und die Finanzminister, sondern auch die Unternehmen und die Arbeitnehmer in Form ihrer großen und mächtigen Organisationen und die Organisationen der Weltwirtschaft.

Es spricht viel für die Vermutung, dass in den 1970er Jahren eine weltweite Kondratieff-Rezession im Schumpeter’schen Sinne begann, die sich durch falsche strategische Reaktionen der wichtigsten Akteure zu einer „endlosen“ Depression verlängerte und vertiefte.9

Es spricht auch einiges dafür, dass seit den 1980er Jahren die restriktive Geld- und Finanzpolitik, der Druck auf die Löhne und die Sozialausgaben, die Forcierung des globalen Standortwettbewerbs und die Deregulierung der Finanzsysteme per Saldo zwei fundamentale Effekte hatten: erstens die Sicherung „alten“ Kapitals vor der „schöpferischen Zerstörung“ (durch Abwälzung der Lasten des Umbruchs auf die Masseneinkommen und auf den Staat); zweitens die Verschleppung der Kondratieff-Rezession und ihre Verwandlung in eine scheinbar alternativlose „Wachstumsschwäche“, hinter der vielmehr eine sich selbst verstärkende depressive Lage der Weltwirtschaft steckt.

Indem mächtige Akteure, Finanzkapital, Banken und Versicherungen, Autokonzerne, aber zuweilen auch Regierungen, Gewerkschaften und scheinbar sozial orientierte Bewegungen gegen die Entwertung ihrer bisherigen Besitzstände ankämpften, verhinderten sie den Innovationsschub, der die Entwicklungsgrenzen des alten Typs wirtschaftlicher Entwicklung vielleicht hätte überwinden können – und  mit dem die verloren gehenden Besitzstände durch neue und – weil zukunftsfähig – durch bessere abgelöst worden wären.

 

Auf dem Weg zu einem sozialen Ökokopitalismus?

Die wirkliche Alternative zur endlosen Depression wäre ein neuen Typ wirtschaftlicher Entwicklung, der einerseits die historische Innovation der Nachkriegszeit, die Kombination von Massenproduktion und Teilhabe der Massen auf vernünftige Weise wiederherstellt und weltweit sichert. Das aber wäre noch keine neue Kombination, sondern nur die Bewahrung einer geschichtlichen Lehre.

Die Neukombination, die einen Zyklus wirtschaftlicher Entwicklung tragen könnte, müsste die zentrale Entwicklungsgrenze des alten Zyklus überwinden. Diese Grenze ist nach unserer Sicht das Zurückbleiben der Ressourceneffizienz hinter der Produktivitätsentwicklung, das Überschreiten von Tragfähigkeitsgrenzen der Natur durch die Belastungen des steigenden Energie- und Rohstoffbedarfs und die steigenden Emissionen, derzeit vor allem Emissionen von CO2 und anderen Klimagasen.

Daraus könnte man folgern, dass die sozioökonomische „Neukombination“, mit der die Bewegung aus der endlosen Depression in einen neuen Zyklus wirtschaftlicher Entwicklung ausgelöst würde, eine Energiewende und eine Effizienzrevolution („Faktor Vier – doppelter Wohlstand, halbierter Naturverbrauch“) wäre.10 Dies würde ein neues wirtschaftliches Paradigma, nämlich Ressourceneffizienz, Ökosuffizienz und Ökokonsistenz11, mit der Massenproduktion und der Massenteilhabe rekombinieren und so einen neuen Pool für technologische und zugleich sozioökonomische Inventionen und Innovationen schaffen. Dies deutet sich im Aufstieg der ökologischen Industrien zaghaft an – aber bislang dominiert immer noch die „Rettung des Alten“. Ob der weltwirtschaftliche Aufschwung der vergangenen Jahre der faktische Beginn eines neuen Zyklus wirtschaftlicher Entwicklung werden wird oder ob es sich nur um ein Zwischenhoch in einer verschleppten Depression handelt, das wird man erst in ein paar Jahren wissen. Die Debatte um die „langen Wellen“ und eine qualifizierte Rezeption von Schumpeters Theorie wirtschaftlicher Entwicklung könnten dazu beitragen, die Zeichen der Zeit besser zu verstehen.

Der Artikel von Johannes Schmidt12 kann dabei helfen, oberflächliche und falsche Deutungen des Finanzsystems zu überwinden, denn er zeigt die Fehler einer verbreiteten „modernen“ Lesart der Schumpeter’schen Geld- und Kredittheorie. Damit legt er ein zentrales Element seiner Entwicklungstheorie frei, die Finanzierung von Krediten durch Geldschöpfung, die freilich im Unterschied zu Keynes die Demission von Kreditgeld als ebenso wichtigen Regulator der Bewältigung von Umbrüchen behandelt.

 

Bankenkrise weltweit

Das Jahr 2008 ist nicht nur der rechnerische Beginn eines neuen Kondratieffzyklus, es wird auch als das Jahr einer der größten Banken- und Finanzkrisen in die Geschichte eingehen. In der schnellen Folge der Ereignisse ist kaum abzusehen, ob das, was heute aufgeschrieben wird, sich in vier Wochen, wenn das Heft ausgeliefert ist, genauso entwertet hat, wie das Eigenkapital der Hypo Real Estate am 29. September und 6. Oktober 2008. Seit Monaten hat die Immobilien- und Bankenkrise die Wirtschaftsaussichten im Würgegriff, seit einigen Tagen aber ist eine „neue Qualität“ festzustellen: Untergangsstimmung und Rettungsaktionismus. Die Regierungen überbieten sich in Milliardensummen, die sie zur Rettung des globalen Finanzsystems und Finanzkapitals bereitstellen wollen. Die Chancen für einen neuen Aufschwung, noch dazu einen langen, stehen so gesehen nicht gut.

Die Finanzkrise, die auf dem US-Immobilienmakt ihren Ausgangspunkt hatte, erfasst inzwischen nicht nur US-Banken mit zweifelhaften Geschäftspraktiken und faulen Krediten in ihren Büchern, sondern auch Investmentbanken, Kreditbanken, Hypothekenbanken, Sparkassen, Versicherungsgesellschaften und andere Finanzintermediäre auf der ganzen Welt. Da der Finanzmarkt und der Bankensektor für das Funktionieren der Wirtschaft im gegenwärtigen Finanzmarktkapitalismus von essentieller Bedeutung sind, droht die Finanzkrise auf die Realwirtschaft überzugreifen und die Welt, und damit auch China, Indien, Europa und Russland, in eine tiefe Wirtschaftskrise zu stürzen. Damit wäre der Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre definitiv zu Ende und es würde lange dauern, bis ein neuer Aufschwung greifen könnte. Schon heute zeichnet sich ab, dass nach der Krise nichts mehr so sein wird wie vorher: Der Staat erhält eine gegenüber den letzten Jahren erheblich gewachsene Bedeutung in der Wirtschaft, der „freie“ Markt wird stärker als bisher der internationalen Kontrolle unterworfen sein, Spekulationsgeschäfte werden eingeschränkt und kontrolliert werden.

Zudem bringt die gegenwärtige Finanzkrise einschneidende Veränderungen für das gesamte internationale Wirtschafts- und Finanzsystem mit sich. Einige reden bereits von einem Ende des ungehemmten Wirtschaftsliberalismus und einer Renaissance der keynesianischen Globalsteuerung. Die Zeiten der Deregulierungseuphorie jedenfalls sind zu Ende – nur können wir absolut nicht sicher sein, ob die Ideen zu einer Erneuerung der Regulation eher der nochmaligen „allerletzten“ Rettung des Alten dienen oder ob sie auf den Weg zu etwas Neuem, einem „sozialen Ökokapitalismus“, führen und den 5. Kondratieff nicht nur rechnerisch, sondern auch praktisch in die Welt bringen.

Eine Antwort haben wir nicht, aber das Heft bietet viele Anregungen auf dem Weg zu Antworten. Das Buch von Friederike Spieker und Heiner Flassbeck „Das Ende der Massenarbeitslosigkeit“ gab uns den Anlass zu einem Gespräch mit dem UNCTAD-Ökonomen über seine Sicht auf die Ursachen der langen Depression und die Chancen eines weltwirtschaftlichen Aufschwungs. Es war uns eine Freude und sei unseren Lesern empfohlen.13

Der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Arne Heise14 geht der Frage nach, ob Deutschland gegenwärtig tatsächlich „ein neues Wirtschaftswunder“ erlebt und die Stagnation nachhaltig überwindet oder ob sich dies schon bald „als Illusion“ erweisen wird, als bloße Ideologie. Er bemüht dafür den postkeynesianischen Ansatz der Marktkonstellationsforschung sowie komparative Methoden, welche den Vergleich verschiedener Politikauffassungen in unterschiedlichen Ländern erlauben.

Ebenfalls kritisch, was die Nachhaltigkeit des gegenwärtigen Aufschwungs anbetrifft, ist der Text von Karl-Georg Zinn15 angelegt. Der Autor argumentiert in der Tradition von John Maynard Keynes. Zugleich kritisiert er populäre Verkürzungen und aktuelle Fehldeutungen der Keynes’schen Theorie; er verweist stattdessen auf wenig reflektierte Aussagen zur konjunkturellen Entwicklung. Die gegenwärtige Konjunktureuphorie hält er für „überzogenen Optimismus“.

Ein Aufsatz aus der Feder des Hallenser Ökonomen Karl Mai16 zur Staatsverschuldung zeigt die konjunkturellen und ideologischen Hintergründe der Nulldefizit- und Entschuldungspolitik auf, welche neuerdings die deutsche Finanzpolitik bestimmt. Er setzt sich mit illusionären Vorstellungen der Politik über die Rückführung der Verschuldung auseinander und verdeutlicht, in welchem Maße derartige Vorhaben vom Konjunkturverlauf abhängig sind.

 

Anmerkungen

1             Ulrich Hedtke: Schumpeter und das Jahr 2008. Bemerkungen zur Erstveröffentlichung eines Briefes von Joseph A. Schumpeter an George Garvy, in: Berliner Debatte INITIAL 19 (2008) 4, S. 66-78

2             Nach Burkart Lutz’ genialem Buch: Der kurze Traum immerwährender Prosperität. Eine Neuinterpretation der industriell-kapitalistischen Entwicklung im Europa des 20. Jahrhunderts. Frankfurt a.M./New York: Campus 1984

3             Vgl. Bartholomäus Figatowski: Antich, Betrisierung und Chemokratie. Stanislaw Lems literarisches ABC des Totalitarismus und seiner Tarnkappen. In: Berliner Debatte Initial 16 (2005) 1,  65-78

4                                   Peter Ruben: Vom Kondratieff-Zyklus und seinem Erklärungspotential, in: Berliner Debatte INITIAL 19 (2008) 4, S. 50-65

5             Vgl. Daniel Dennett: Darwins gefährliches Erbe. Hamburg: Hoffmann und Campe 1997, insbesondere S. 90ff.

6             Vgl. J. A. Schumpeter: Konjunkturzyklen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1961, S. 234f.

7             Oder dem Marx’schen „Wert der Ware Arbeitskraft“ als dem Wert der zur Reproduktion des Arbeiters, einschließlich seiner Familie und der nächsten Generation, erforderlichen Konsumgüter.

8             Zur Herausbildung eines Kapitalismus mit produktivitätsorientierter Lohnpolitik vgl. Lutz [Anm. 1], Kap. V und VI.

9             Ähnliches war aus der Sicht Schumpeters schon in der langen Rezession der 1930er Jahre in Europa passiert. Die deutsche Reichsbank, die Wirtschaftsverbände und die Regierung betrieben eine Politik der Lohnsenkungen und der Ausgabenkürzungen. Ähnlich reagierten andere europäische Akteure und vertieften die Rezession zu einer Depression, der eine politische und gesellschaftliche Katastrophe folgte – während sich die USA aus der Depression retteten, indem sie eine neue Lohn- und Sozialpolitik mit der schon vorhandenen, aber im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges expandierenden fordistischen Massenproduktion kombinierten.

10             Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH; http://www.wupperinst.org

11             BUND/MISEREOR: Wegweiser für ein zukunftsfähiges Deutschland. München 2002; http://de.wikipedia.org/wiki/Zukunftsf%C3%A4higes_Deutschland_(Studie)

12             Johannes Schmidt: Finanzmärkte und Wachstum. Schumpeter als Ahnherr moderner Theorien der Finanzintermediation?, in: Berliner Debatte INITIAL 19 (2008) 4, S. 79-89

13             Gespräch mit Heiner Flassbeck: Ursachen der langen Depression in Deutschland, in: Berliner Debatte INITIAL 19 (2008) 4, S. 7-14

14             Arne Heise: Erlebt Deutschland ein neues Wirtschaftswunder?, in: Berliner Debatte INITIAL 19 (2008) 4, S. 15-26

15             Karl Georg Zinn: Der Konjunkturaufschwung 2006/2007, in: Berliner Debatte INITIAL 19 (2008) 4, S. 27-37

16             Karl Mai: Nulldefizit und Entschuldung der öffentlichen Haushalte, in: Berliner Debatte INITIAL 19 (2008) 4, S. 38-49

Dr. sc. oec. Rainer Land, Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler, Thünen-Institut e.V. Bollewick

 

Dr. habil. Ulrich Busch, Finanzwissenschaftler, TU Berlin

aus: Berliner Debatte INITIAL 19 (2008) 4, S. 2-6