Wege aus der Krise

1. Das Charakteristische der Ökonomik am Beginn des 21. Jahrhunderts
ist neben der Globalisierung der Produktions- und Finanzbeziehungen
die Abkopplung der Finanz- von der Realwirtschaft. Dies war eine Folge
der Abkopplung der Währungen vom Edelmetall durch die Kündigung
des Abkommens von Bretton Woods seitens der USA im Jahre 1971.


2. Damit verlor das Geld als Maß der Werte seine feste Basis. Wer Geld
besitzt, ist nicht mehr Besitzer einer in einer konkreten Menge Edelmetallausgedrückten Wertmasse; bzw. er hat mit dem Papiergeld nicht mehr Anspruch
gegenüber der Notenbank auf diese bestimmte Menge Edelmetall.


3. Das Geld in seiner heutigen Verfassung drückt nur noch einen allgemeinen
Anspruch auf Waren aus, auf Ergebnisse gesellschaftlicher Arbeit.


4. Der Wert von Waren wird bestimmt durch Menge der zu ihrer Produktion
gesellschaftlich notwendigen Arbeit.


5. Die Wertmasse, welche heute von einer Geldeinheit repräsentiert
wird, erscheint nicht mehr als bestimmtes Quantum einer bestimmten
Ware, nämlich Edelmetall, sondern als Menge allgemeiner gesellschaftlicher
Durchschnittsarbeit. Das Geld ist damit zu einem direkten, allgemeinen
Arbeitszertifikat geworden. Es vertritt nicht mehr ein bestimmtes
Produkt von Arbeit, nämlich Edelmetall, sondern direkt allgemeine
gesellschaftliche Arbeit.


6. Das Vertrauen der Menschen in die Wertstabilität des Geldes gründete
sich bis 1971 auf die Golddeckung des US-Dollars und der auf ihn
bezogenen Währungen. Seit der Kündigung des Abkommens von Bretton
Woods gibt es diese Vertrauensbasis nicht mehr. Das Vertrauen gründet
sich seitdem auf den Willen und die Fähigkeit des Herausgebers dieses
Geldes, durch seine Wirtschafts- und Finanzpolitik die Stabilität der
Kaufkraft des Geldes zu gewährleisten.


7. Geld und Finanzen sind nicht mehr Sache von Privaten, sondern eine
öffentliche Angelegenheit, weil der Staat als Herausgeber und Garant
sowie als gesamtgesellschaftlicher Interessenvertreter in jegliche Geldund
Finanzbeziehungen involviert ist.


8. Das Geld als allgemeines Arbeitszertifikat verwandelt die gesamte
sachliche Warenwelt, die es vertritt, in öffentliches Gut. In dem Maße,
wie das Geld durch Verlust seiner Vertretung einer bestimmten Geldware
(Gold) auch seinen privaten Charakter verlor, nahm es auch der
ganzen Warenwelt ihren privaten Charakter.


9. Das Geld entsteht als allgemeines gesellschaftliches Arbeitszertifikat
durch die Verausgabung gesellschaftlicher Arbeit – die es bestätigt.
Es bestätigt demjenigen, der für die Gesellschaft arbeitet, diese Arbeitsleistung
und ist selbst ein Schuldschein desjenigen, der es herausgibt,
gegenüber demjenigen, der gearbeitet hat. Es gewährt Anspruch auf und
ist Anteilschein am allgemeinen gesellschaftlichen Reichtum.


10. Da das Geld selbst kein Reichtum ist, sondern solchen nur ideell
widerspiegelt und repräsentiert, ist es unsinnig, es als Arbeitsquittung
anders als aus Arbeit entstehen zu lassen. Zinsen für geborgtes Geld zu
erheben, ist darüber hinaus auch deshalb ökonomisch desaströs, weil das
Geld in seiner heutigen Konstitution den Austausch der Tätigkeiten und
Produkte zu vermitteln und so die Wirtschaftskreisläufe von Produktion
und Konsumtion im Fluß zu halten hat. Wer seinen im Geld ausgedrückten Anspruch auf Erzeugnisse des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses
nicht wahrnimmt, also nicht entsprechend kauft und konsumiert,
läßt die Produktion stocken. Wenn er sein überflüssiges Geld jemandem
borgt, der mangels Geld seinen Bedarf nicht decken kann, von diesem
dann aber mehr zurückfordert, als gegeben wurde, wird die ursprüngliche
Disproportion in der Verteilung von Geld und Sachwerten nur weiter
verschärft. Darin liegt letztlich die gegenwärtige Krise des Finanzsystems
begründet. Diese hat sich über viele Jahre latent aufgebaut und ist nun in
den USA zum Ausbruch gekommen, als Eigenheimbauer ihre Immobilienkredite
bzw. die Zinsen nicht mehr bezahlen konnten.


11. Geld ist ein ganz allgemeines Wertpapier. Es ist heute seinem Wesen
nach bereits Anteilschein am allgemeinen Sachvermögen der Gesellschaft.
Ganz unsinnig ist es daher, mit diesem Geld Aktien und andere
Wertpapiere zu kaufen (sozusagen Wertpapiere »zweiten und
dritten Grades«), um es sich auf diese Weise spekulativ und ohne Arbeitsleistung
selbst vermehren zu lassen. Die gegenwärtige Finanzkrise
ist die Folge einer haarsträubenden spekulativen Aufblähung des internationalen
Finanzsystems. Für diesen Prozeß wurden mit der Aufhebung
der Pflicht, das Geld auf Wunsch gegen eine feste Goldmenge einzutauschen,
1971 die Bremsen nicht nur gelockert, sondern völlig beseitigt.


12. Die Frage nach den Schuldigen an der heutigen Krise ist falsch gestellt.
Die Krise betrifft nicht einzelne Banken und Unternehmen, sondern
ist eine Krise des ganzen Finanzsystems. Einige Manager mögen sich
falsch, nicht den Vorschriften entsprechend verhalten haben. Doch die
ganze heutige Gesellschaft ist von einer allgemeinen Gewinn- und Spekulationssucht
erfaßt, die zum Charakteristikum des ganzen Systems wurde.
Die Manager führten nur aus, was der Druck der Finanzmärkte forderte.


13. Nicht nach den Schuldigen ist heute in erster Linie zu fragen, sondern
nach den tieferen Ursachen der krisenhaften Entwicklung. Diese
wurzelt in einem grundlegenden Mißverständnis der Gesellschaft von
den veränderten ökonomischen Verhältnissen. Ihr Bewußtsein ist noch
immer geprägt von den Bedingungen des 19. Jahrhunderts mit seinen
Vorstellungen vom Privateigentum ganz allgemein und vom Geld als privatem
Reichtum im besonderen. Sie hat die Veränderungen während des
ganzen 20. Jahrhunderts nicht begriffen, die dem Reichtum allgemein
und dem Geld im besonderen den privaten Charakter genommen haben.
Sie handelt daher nach Gesetzen, die mehr dem 19. Jahrhundert als den
Bedingungen der Gegenwart entsprechen.


14. Das einseitige ökonomische Denken in Begriffen der Finanzwelt,
ohne die sachlich-stofflichen Vorgänge in der Wirtschaft genügend zu berücksichtigen,
brachte nicht nur eine allgemeine Illusion vom Reichtumder Gesellschaft hervor, sondern gleichzeitig auch die falsche Vorstellung
vom Wirtschaftswachstum als einer dauernden und notwendigen Erscheinung,
von der der Reichtum und das Wohl der Gesellschaft abhänge.
Vermehrung von Finanzzertifikaten einschließlich Geld wird daher falscherweise
als Vermehrung von Reichtum angesehen und angestrebt.


15. Wer die heutige Krise nicht nur zeitweilig überwinden, sondern
ihre tiefen Ursachen beheben will, muß das Finanzsystem dieser Gesellschaft
der öffentlichen Kontrolle unterstellen und als ein öffentliches
neu konstruieren, so daß es nicht mehr eine Maschinerie zur Geldvermehrung
darstellt, sondern ein Instrument zur Lenkung und Kontrolle
ökonomischer Abläufe. Er muß das Geld als das erkennen und gebrauchen,
was es seinem Wesen nach bereits ist: als Arbeitszertifikat, das Anspruch
auf realen Reichtum begründet. Er muß daraus die Verantwortung
des Staates für den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß in
seinen sachlichen und finanziellen Strukturen als Aneignungsprozeß
der Natur durch die Gesellschaft ableiten. Und er muß die notwendigen
Formen und Methoden staatlicher Einflußnahme vor allem mittels des
Finanzsystems entwickeln, um ein optimales Zusammenspiel von zentraler
Regulierung und dezentraler Eigenverantwortung in allen Bereichen
des gesellschaftlichen Lebens zu gewährleisten.