Der Widerstand lebt!

Der Castor rollt ins Wendland. Eine ganze Region protestiert. Dieses Jahr geht’s ums Ganze.

in (31.10.2008)
Der Castor rollt ins Wendland. Eine ganze Region protestiert. Dieses Jahr gehts ums Ganze! Sie scheinen zum Ritual verkommen zu sein: die Proteste gegen die Atommüll-Transporte nach Gorleben. Demos, Sitzblockaden, Sabotage, Einbetonieren, Clownerien, Gottesdienste. Was wurde nicht schon alles versucht um den Castor zu verhindern? Dennoch ist jeder Castor-Transport anders. Auch in diesem Winter wird es neue, kreative Aktionen geben. Für die Anti-Atomkraft-Bewegung könnte das zur Bewährungsprobe werden. 

Schon über 30 Jahre wehrt sich die Bevölkerung gegen die Castor-Transporte ins Wendland. Doch dieses Jahr wird es Ernst: Der so genannte Atomausstieg steht auf der Kippe. Durch die Werbekampagnen der Atomindustrie sind viele Deutsche verunsichert, die CDU will den Wiedereinstieg in die Atomenergie.

Und die Anti-Atomkraft-Bewegung? Die muss sich beim Castor-Transport zeigen. „Die Presse guckt da genau hin und nimmt das als Gradmesser", sagt Jochen Stay. Er lebt seit 1992 im Wendland und ist heute Sprecher der Kampagne „X-tausendmal quer", die Sitzblockaden gegen den Castor organisiert. Für dieses Jahr erwartet er deutlich mehr Menschen auf der Auftakt-Demonstration.

Ein bunter Mix an Aktionen

Wird es dieses Jahr neue Aktionsformen geben? „Das weiß man vorher nicht genau", gibt Stay zu, aber es sei wahrscheinlich. Ansonsten gibt es das bewährte Widerstandsprogramm von der Auftaktdemo über Konzerte und die Sitzblockaden auf der Schiene bis hin zur Trecker-Demonstration.

„Mich fasziniert, dass das quer durch die Bevölkerung geht", erzählt Stay. Der Familienvater weiß, dass beim Protest alle dabei sind: vom Schüler bis zur Oma. „Die, die sonst die Stütze der Gesellschaft sind, begeben sich hier in Opposition." Und dieser Widerstand lebt nun schon seit über drei Jahrzehnten.

Die fünfte Jahreszeit

Wer in der Castor-Zeit ins Wendland fährt, bemerkt zunächst große gelbe Kreuze in Form eines „X". Sie stehen für den Widerstand gegen die Transporte, deren genauer Tag vorher nicht bekannt ist. Daher wird dieser Tag auch „Tag X" genannt. Fast genauso oft sind Polizei-Autos zu sehen. Jedes Mal ist die Staatsgewalt mit einem riesigen Aufgebot aus dem gesamten Bundesgebiet vertreten. Der bislang teuerste Castor-Transport im Jahre 2001 kostete dem Staat 130 Mio. Mark.

Die Allgegenwärtigkeit der Polizei beginnt schon einige Tage vor dem Transport. Ein normales Leben ist für die Bevölkerung nicht mehr möglich. Für sie ist das die „fünfte Jahreszeit". Dennoch hat der Widerstand überlebt.

Das Erfolgsrezept? Da ist auch Jochen Stay ratlos. „Das ist schwer zu beantworten." Ein paar Theorien hat er aber dennoch. So seien die Proteste „nie nur ein Anti-Ding" gewesen, sondern hätten immer auch aufgezeigt, wie es besser geht. Als Beispiel nennt er Kommune-Projekte, die im Wendland gestartet wurden.

Einen weiteren Faktor sieht Stay darin, dass „immer neue Generationen nachkommen". Einige Kinder saugen den Protest „wie mit der Muttermilch" auf, andere erfahren über die Schule davon. Jedes Jahr findet auch eine Schüler/innen-Demonstration statt.

Demo statt Schule

Organisiert wird die Demo von einer Vorbereitungsgruppe aus rund 20 Schülerinnen und Schülern. Paula Schanz (Name auf Wunsch geändert) ist seit fünf Jahren dabei. Die 17-jährige freut sich, dass dieses Jahr „richtig viele Neue" dabei sind. Fast alle Schulen aus der Region sind in der Gruppe vertreten.

Zu den Demos kommen etwa 500 Jugendliche - eine beachtliche Anzahl, wenn man bedenkt, dass einige mit Strafen zu rechnen haben. Denn die Schüler/innen-Demonstration findet traditionell am Freitagmorgen vor dem Transport statt - während der Schulzeit. Ob es Ärger mit der Schule gibt, hänge von der Schule ab, sagt Paula. In Lüchow habe es vor zwei Jahren Probleme gegeben, in woanders hingegen bekomme man von den Lehrerinnen und Lehrern sogar Tipps, wie sich Fehltage vermeiden lassen. Und in Hitzacker stellt sich das Problem gar nicht, denn die dortige Waldorf-Schule liegt direkt an der Transport-Strecke, und in der Castor-Zeit können die Jugendlichen nicht auf das Schulgelände und haben frei.

Nicht nur die Schulen, auch die Polizei macht Ärger: Jedes Jahr müssen Schanz zusammen mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern so genannte Kooperationsgespräche führen. Mal ist das Problem, dass die Demo zu der örtlichen Kaserne führt, ein anderes Mal ist es die Uhrzeit. Dann wird auf die Schulpflicht gepocht und vor „Wurfgeschossen" gewarnt.

Jedes Jahr fliegen auf der Demonstration Eier. Jetzt sollen die auf einmal gefährlich sein. Schanz berichtet, dass es wegen der Polizeigewalt bereits einen Nasenbruch und einen ausgekugelten Daumen gegeben habe. „Und dann beschweren sie sich über Eierwürfe!"

Immer neue Protestgenerationen

Irgendwie will es der Polizei nicht gelingen, die Proteste unter Kontrolle zu bringen. Die Jugendlichen ziehen oftmals weg, aber es folgt immer wieder eine neue Protest-Generation. Das Wendland rekrutiert damit den Anti-Atom-Nachwuchs für das gesamte Bundesgebiet: In ganz Deutschland sind Leute mit Wendland-Biografie aktiv, oft auch in anderen politischen Bereichen. Schanz beispielsweise engagiert sich gegen Rassismus und war auch beim Protest gegen den G8-Gipfel 2007 dabei.

Alleine können es die Wendländerinnen und Wendländer aber nicht schaffen. Deswegen werden für die Proteste wieder viele Auswärtige erwartet. Für Schanz ist es dieses Jahr besonders wichtig, dass viele Jugendliche nach Gorleben fahren. „Weil es wichtig ist, um zu zeigen, dass man immer noch gegen Atomkraft steht." Nach wie vor sei Gorleben nicht sicher, „da ändern die Jahre auch nichts dran."

Felix W.

Die Auftaktdemonstration findet am 8. November 2008 um 13 Uhr in Gorleben statt.

Weitere Informationen: www.x-tausendmalquer.de und www.castor.de

Felix W. (20) war schon einige Male im Wendland und saß auf Schiene und Straße.

 

Was ist los in Gorleben?

Anfang November soll ein Castor-Transport mit gefährlichem Atommüll nach Gorleben ins Wendland (Niedersachsen) rollen. Dort befindet sich ein Zwischenlager für hochradioaktiven Müll, im Salzstock soll ein Endlager entstehen, das allerdings heftig umstritten ist. Mit jedem weiteren Castor-Behälter, der in das oberirdische Zwischenlager gefahren wird, erhöht sich das Risiko, dass Gorleben zum Endlagerstandort wird - trotz massiver Bedenken. Das „Versuchs-Endlager" in Asse sollte einst als Vorbild für Gorleben dienen, nun droht es abzusaufen.

 

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