Migrationskontrolle: Erzwungen freiwillig

Sonderregelungen für Ausländer im Gendiagnostikgesetz

Das Bundeskabinett hat Ende August dem Gendiagnostikgesetz zugestimmt. Nun beginnt der parlamentarische Weg des Gesetzes durch Bundestag und Bundesrat. Wie häufig bei deutschen Gesetzen enthält auch dieses ein Sonderrecht für AusländerInnen. Das Gesetz regelt Gentests, wenn Leute ihre Familie nachziehen lassen wollen oder wenn ein deutscher Vater einen deutschen Pass für sein Kind beantragt. Damit wird eine fragwürdige Praxis gesetzlich festgeschrieben, die Ausländerbehörden und Auslandsvertretungen bereits seit Jahren zu etablieren versuchen.

GID 190, Oktober 2008, S. 40-41

Eine Familie ist eine Familie. Könnte man denken. Bloß: So einfach ist das in den Zeiten der Patchwork-Familie nicht mehr. Da sind die Väter nicht die Väter, die Mütter nur zum Teil und wieder andere Kinder sind dann doch gemeinsame. Wer soll da schon durchblicken.
Und wie sollen Behörden da durchblicken? Nun, das kommt offensichtlich darauf an, um welche Behörde es sich handelt. Und um was für Familien. Wenn zum Beispiel Erwachsene und Kinder in einer Wohnung leben und Hartz IV beantragen, dann ist die Sache ganz klar: Dieses Gefüge gilt als Bedarfsgemeinschaft, hier: als Patchwork-Familie - egal, von wem welche Kinder sind und ob die Erwachsenen überhaupt eine Familie bilden wollen. Fest steht für die entscheidende Behörde: Die Erwachsenen und Kinder haben füreinander aufzukommen und wenn einer genug für alle verdient, bekommen die anderen keine staatliche Unterstützung.
Die Ausländerbehörde hingegen denkt ganz anders. Wenn zum Beispiel ein Migrant aus der Türkei oder aus Nigeria seine Frau und seine Kinder nach Deutschland holen möchte - Familiennachzug nennt sich das -, dann ist diese Absicht erst einmal gar nichts wert. Ein Visum bekommen die Angehörigen des Migranten dafür jedenfalls nicht. Es könnte ja sein, dass Frau und Kinder von sonst woher stammen und gar keine „echte“, blutsverwandte Familie mit dem Antragsteller bilden. Die zu schützen erzwingt definiertes internationales Recht; ansonsten geht es im deutschen Ausländerrecht bekanntlich um die Begrenzung, nicht um die Ausweitung der Zuwanderung, Patchwork hin, Patchwork her.
Für diesen Fall - die Patchwork-Familie nämlich fein säuberlich zu unterscheiden von einer blutsverwandten - hat die medizinische Wissenschaft ein klärendes Hilfsmittel parat. Den DNA-Test. Da brauchen angeblicher Papa, die Mama und die Kinder nur ein wenig Spucke oder Blut zu lassen und schon ist klar: Da gehört wirklich zusammen, was die Desoxyribonukleinsäure offenbart hat. Oder eben nicht. Das kostet zwar ein wenig, aber wer seine Familie nach Deutschland holen will, sollte schon über genügend Bargeld verfügen. Jedenfalls ist ein Vater-Mutter-Kind-Test für unter tausend Euro zu haben. Und weil Deutschland nicht Finnland ist, werden anders als dort die angeblich unumgänglichen DNA-Tests auch nicht von der Staatskasse bezahlt, sondern vom Antragsteller. Er will ja schließlich etwas vom deutschen Staat und nicht umgekehrt.

Gentest statt Urkunde

Wo also ist das Problem, abgesehen davon, dass migrantische Patchwork-Familien, in fremden Ländern auch als Großfamilie bezeichnet, nach Deutschland nicht einreisen dürfen? Abgesehen von dieser, nun ja: Diskriminierung, besteht das Problem darin, dass die deutschen Ausländerbehörden keinem Migranten vorschreiben dürfen, einen solchen Test zu machen. DNA- oder Gentests sind eine freiwillige Veranstaltung, nicht nur bei Deutschen, sondern sogar bei Migranten.
Trotzdem wird der Gentest als Regeltest für Migranten und auch für anerkannte Flüchtlinge ausgeweitet, die ihre Familien nach Deutschland holen wollen. Ausländische Abstammungsurkunden, Heiratsurkunden und ähnliche Dokumente gelten den deutschen Behörden nämlich wenig; und rein überhaupt nichts, wenn die Antragsteller aus sogenannten Problemstaaten stammen. Das sind Staaten, in denen nach Ansicht der deutschen Auslandsvertretungen amtliche Dokumente sowieso gefälscht sind oder wenigstens sein könnten. Die zuständigen Bundesländer führen entsprechende Listen.(1) Wer von dort kommt, der hat Pech gehabt - oder eben den „freiwilligen“ Gentest als letzten Ausweg am Hals.
Die erzwungen freiwilligen Gentests haben jetzt Eingang gefunden in den Paragraphen 17 Absatz 8 des Gendiagnostikgesetzes (GenDG). Obwohl eigentlich verboten - Paragraph 17 Absatz 1 desselben Gesetzes verlangt zwingend die Einwilligung einer Person zu dessen genetischer Untersuchung -, gelingt dem Entwurf die Quadratur des Kreises und aus dem Verbot der Zwangsuntersuchung wird ein Gebot im Falle der Familienzusammenführung.

Mitwirkungspflicht als juristischer Hebel

Der Trick ist eine Koppelung des GenDG mit dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG), und zwar der dort niedergelegten „Mitwirkungspflicht“ des Paragraphen 82. Wenn eine Ausländerbehörde, bei der ein Familiennachzug beantragt wird, die vorgelegten Nachweise und Dokumente für nicht ausreichend hält, dann kann sie künftig ganz legal eine genetische Untersuchung fordern. So erläutert der Gesetzentwurf in der offiziellen Begründung:
„Im Visumverfahren zum Familiennachzug bzw. in Fällen, in denen der Antragsteller sich bereits im Inland befindet, ist der Antragsteller nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufenthG verpflichtet, am Verfahren mitzuwirken, die seinen Antrag stützenden Umstände geltend zu machen und die geeigneten Beweise beizubringen“.
Lässt sich die Familie nicht zu einer „freiwilligen“ Genkontrolle erpressen, hat sie eben Pech gehabt mit ihrem Traum vom gemeinsamen Leben in Deutschland.
Dass Ausländern oder mit Ausländern verheirateten Deutschen im GenDG systematisch ein minderes Sonderrecht aufgezwungen wird, ergibt sich aus den weiteren Bestimmungen von Paragraph 17 Absatz 8 die mit „der Sache“, also dem Familiennachzug, gar nichts mehr zu tun haben.
Dort wird festgelegt, dass jemand, der sich derart gezwungen freiwillig dem Gentest unterzieht, die Testergebnisse der Auslandsvertretung zu überlassen hat und den Abgleich mit dem Gentest des hiesigen Antragstellers der deutschen Ausländerbehörde. Auf die Verwendung des Gentests hat der Getestete also keinen Einfluss, er kann ihn auch nicht vernichten lassen kann. Die Auswertung der Tests wird in jedem Falle der visumerteilenden Behörde gemeldet. Das Recht aller anderen Menschen, die sich genetisch untersuchen lassen, Herr über das Verfahren zu bleiben und zum Beispiel die Ergebnisse vernichten zu lassen (Paragraph 12 des Gesetzes), wird ausdrücklich ausgehebelt.
Außerdem können die so erhobenen Gendaten den Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden - auch dies ein Bruch mit den sonstigen Bestimmungen des Gesetzes, die das nur unter eingeschränkten Bedingungen erlauben. Paragraph 17 Absatz 8 des GenDG legt fest: Für diejenigen, die sich um Familienzusammenführung bemühen, gilt das nicht: „Ergibt sich der Verdacht einer Straftat, dürfen das Ergebnis der genetischen Untersuchung und die genetische Probe auch nach einem Widerruf zum Zwecke der Strafverfolgung übermittelt werden“.

Rückenwind für schnüffelnde Behörden

Das Ausländeramt Viersen hat noch vor Verabschiedung des Gesetzes gezeigt, dass wahrlich alle Dämme von Anstand und Menschenwürde brechen, wenn man davon überzeugt ist, dass Ausländer oder ihre Ehepartner nicht die Rechte zustehen wie jedem anderen „deutschen“ Bürger. Die Ausländerbehörde will nämlich dem gemeinsamen Kind eines seit dem Jahre 2005 ordentlich verheirateten Paares Blut abzapfen lassen. Und dem Vater natürlich auch. Der ist Türke und durfte 2007, als sein Sohn in Deutschland geboren wurde, im Zuge der Familienzusammenführung einreisen. Weil er sich aber nicht freiwillig einem Gentest unterziehen wollte - warum auch, er war ja als verheirateter Ehemann per Gesetz der Vater des Kindes -, griff die Ausländerbehörde zum Strafrecht. Die Weigerung, sich gentesten zu lassen und damit die Aufklärung der Frage zu hintertreiben, ob hier eine blutsverwandte oder nur eine Patchwork-Familie vorläge, lasse auf eine strafbewehrte Scheinehe schließen. Dem Kind jedenfalls sei Blut zu diesem Zwecke zu entnehmen, der Vater sei in die Türkei auszuweisen, wenn er sich weiterhin weigere. Mit bemerkenswerter Dreistigkeit bestreitet also die Ausländerbehörde einfach die Vaterschaft des Mannes, falls der sich (mit seinem Kind) dem Gentest nicht unterwirft.(2)
Das ist so einfallsreich wie ehrlich in der rassistischen Grundhaltung: Ausländer lügen, um nach Deutschland zu gelangen und müssen zur Wahrheit gezwungen werden. Ob das Viersener Verfahren allerdings Schule machen kann, ist rechtsgültig noch nicht abschließend geklärt. Aber zu befürchten steht, dass der Rechtsstreit mit dem Rückenwind des vorgelegten Gendiagnostikgesetzes und der dort gepflegten Geisteshaltung im Sinne des Viersener Ausländeramtes abgeschlossen wird.



Das Gen-ethische Netzwerk hat zu dem Paragraph 17 Absatz 8 des Gendiagnostik-Gesetzes eine Protestaktion gestartet. Protestbriefe können von unserer Website heruntergeladen werden (www.gen-ethisches-netzwerk.de).

Weitere Infos auch unter: http://www.fingerwegvonmeinerdna.de



Fußnoten:
(1) Zum Beispiel die Liste von Sachsen-Anhalt: www.inneres.sachsen-anhalt.de/min/r42/download/persstandsrecht/erlass_231002.pdf
(2) www.vdj.de/ Nachricht vom 14.12.2007