„Proletarier aller Länder, wer wäscht eure Socken?“

In Belgrad wurde an die erste feministische Konferenz in Jugoslawien vor dreißig Jahren erinnert. Das Treffen war eine Gelegenheit zur Bestandsaufnahme für Frauengruppen aus dem gesamten ehemaligen Jugoslawien.  

 

Oft sind Jahrestage Routineangelegenheiten. Wer würde nicht gerne einmal seine eigene Geburtstagsfeier überspringen? Manchmal sind Jubiläen aber auch Anlass zur spannenden Wiederentdeckung von Geschichte und aktuellenDiskussionen mit historischer Perspektive. Ein solches Ereignis war eine injeder Hinsicht außergewöhnliche Konferenz, die vom 8.-9. Oktober im BelgraderStudentischen Kulturzentrum (SKC) stattfand. Die Organisatorinnen erinnertendamit an die Gründungsversammlung der neuen feministischen Frauenbewegung inJugoslawien im Oktober 1978. Diese war nicht nur die erste feministischeKonferenz in ganz Osteuropa, sondern auch der Ausgangspunkt für soziale Bewegungen, die bis heute nachwirken. Der Titel damals: „Genoss-in Frau "(DRUG-CA ZENA).

 

„Hat jemand Feminismus gesagt?" Die Ziele der Konferenz waren vielfältig. DieOrganisatorinnen vom Fraueninformations- und Dokumentationszentrum (ZINDOK) ausBelgrad wollten einerseits einen Rahmen schaffen, in dem TeilnehmerInnen von1978 zum ersten Mal seit dreißig Jahren wieder zusammentreffen konnten. Zumanderen sollte die Bedeutung des Ereignisses einer breiteren Öffentlichkeitbekannt gemacht werden. Drittens sollten aktuelle Diskussionen über den Standder feministischen Bewegung im heute ehemaligen Jugoslawien geführt werden. Anzwei Tagen gab es Workshops, Podiumsdiskussionen, eine Ausstellung mit demTitel „Frauen, die Grenzen verschoben haben" sowie die Vorstellung des Buchs„Hat jemand Feminismus gesagt?". Das Abendprogramm füllten Bands undPerformances. Die Hip-Hop-Poetin Jelena Bogavac zeigte die Zerrissenheit jungerFrauen zwischen traditionellem Rollenbild und Selbstverwirklichung.

Besonders interessant wurde die Veranstaltung durch dieAnwesenheit von Frauen und einigen Männern, die auch 1978 dabei waren. Einigeder TeilnehmerInnen waren aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina angereist. Siemachten damit deutlich, dass die feministische Bewegung auch heute über dieneuen Staatsgrenzen hinweg weiter besteht.

Auch das Treffen von 1978 war von Frauen aus Belgrad, Zagrebund Sarajevo organisiert worden. An der Konferenz nahmen neben Frauen aus ganzJugoslawien auch Frauen aus Italien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland,Polen und Ungarn teil. Es war die erste Versammlung in einem sozialistischenLand, in dem jenseits der offiziellen Ideologie öffentlich über die andauerndeDiskriminierung von Frauen gesprochen wurde. Die Themen reichten von derBewusstseinsbildung von Frauen, der Emanzipation im politischen undwirtschaftlichen Leben, bis zur psychologischen Abhängigkeit in Beziehungen zuMännern und dem Verhältnis von Psyche, Sexualität und Identität von Frauen. DieKonferenz diskutierte auch den Stand der damaligen Frauenbewegung weltweit.Diese Diskussionen stießen damals auf scharfe Kritik der Öffentlichkeit und desherrschenden Systems, das vorgab, mit dem Sozialismus auch die „Frauenfrage" zulösen. Dass dies eine Illusion war, zeigte ein Motto der Konferenz von 1978. Eslautete: „Proletarier aller Länder, wer wäscht eure Socken?"

 

Initialzündung. Die Psychologin Sofija Trivunac, eine Teilnehmerin von 1978,erinnert sich an ihre Eindrücke: „Wenn ich zurückblicke, erscheint mir dieseKonferenz als Initialfunke. Es war eine friedliche und glückliche Periode. Wirsind frei durch Europa gefahren und hatten Kontakte zu bedeutendenIntellektuellen aus Europa und Jugoslawien. Die Ideen zirkulierten. ZaranaPapic schrieb eine Magisterarbeit über den Feminismus, sie bereitete dasProgramm für die Konferenz vor. Wir kannten die Namen der Protagonistinnen derzweiten Welle des internationalen Feminismus, und wir kannten diese Frauen auchpersönlich. Persönlich stellte ich mir Fragen, die damals im politischenDiskurs unseres Landes nicht legitim waren. Die offizielle Politik proklamiertedie Gleichberechtigung der Geschlechter, aber wir alle wussten aus unsererrealen Existenz, dass wir von einer wirklichen Gleichberechtigung meilenweitentfernt waren. Trotz bedeutender sozialer Rechte, Bildungsmöglichkeiten undder Gleichheit vor dem Gesetz, war das Patriarchat sehr lebendig und vergiftetedas Leben der Frauen. Aber darüber wurde geschwiegen."

Nach der Konferenz 1978 gründeten sich im ganzen ehemaligenJugoslawien Frauengruppen, die sich der Theorie und dem Aktivismus widmeten. InZagreb entstand unter dem Namen „Frau und Gesellschaft" (Zena i drustvo) dieFrauensektion der Soziologischen Gesellschaft an der Universität. MitUnterstützung der Zagreberinnen wurde 1981 auch in Belgrad eine feministischeInitiative mit demselben Namen gegründet, wieder im StudentischenKulturzentrum. „Frau und Gesellschaft" organisierte eine Reihe vonDiskussionsveranstaltungen über die Lage der Frauen in der Gesellschaft,Geschlechtergleichstellung und Gewalt gegen Frauen.

Auch langfristig waren diese Initiativen wichtig. Aus denFrauengruppen entwickelte sich in den Neunzigerjahren vielleicht derbedeutendste Teil der Antikriegsbewegung. Die feministischen Frauen waren imKampf gegen das Patriarchat auch gegen den Nationalismus vereint und erkannten,dass Krieg und Nationalismus gegen die Frauen gerichtet war. Aus derfeministischen Szene ging auch die Lesbenbewegung im ehemaligen Jugoslawienhervor, genauso wie SOS-Telefone oder Initiativen wie das AutonomeFrauenzentrum gegen Gewalt an Frauen.

 

Intellektueller Zynismus? Die diesjährige Konferenz hatte das Ziel, an die Gründungdes Feminismus in Jugoslawien zu erinnern. Aber viele Diskussionen drehten sichum die aktuelle Lage und die Frage, was in den vergangenen dreißig Jahren erreichtwurde und was nicht. Einige Teilnehmerinnen hoben positiv hervor, dass sich dieFrauenbewegung erfolgreich institutionalisieren konnte. Heute existieren etwaviele NGOs, die zum Thema arbeiten. Und auch an den Universitäten konnte sichder Feminismus verankern.

Andere erklärten, dass es gelungen sei, gewisse Stereotypeaufzubrechen. Frauen können heute vielen Berufen nachgehen, die früher alstypisch männlich betrachtet wurden. Gleichzeitig bleiben die Hausarbeit und dieKindererziehung dennoch weiterhin fast ausschließlich „Frauenarbeit".

Der These, dass sich das Patriarchat zurückziehe, stimmteauch die Parlamentsabgeordnete Vesna Pesic nur unter Vorbehalten zu. Heutewürden sich junge Frauen massenhaft „Schönheitsoperationen" unterziehen, um„besser" heiraten zu können. Und gegen die Reduzierung der Frauen auf ihre„Schönheit" kämpften die Feministinnen auch schon 1978, so die ehemaligeTeilnehmerin von DRUG-CA ZENA.

Vuk Stambolovic, einer der Männer, die sowohl 1978 als auch2008 an den Konferenzen teilnahmen, sah eine besondere Bedeutung des Feminismusdarin, dass er auch auf andere marginalisierte Gruppen wie zum Beispiel dieRoma ausgestrahlt habe. „Der Feminismus war stimulierend für sozialdiskriminierte Gruppen. Mitglieder dieser Gruppen begannen, über ihre Lagenachzudenken. Sie begannen, sich nach dem Vorbild des Feminismus zuorganisieren. Diese Selbstreflexion und Selbstorganisation machte ihre schwereLage erst deutlich."

Eine drastische Bilanz zog Nada Ler Sofronic aus Sarajevo(Bosnien und Herzegowina), ebenfalls eine Teilnehmerin von 1978. Zur Stimmungdamals erklärte sie: „In dieser Zeit begannen die neuen libertären sozialenBewegungen: Frauen-, Ökologie-, Anti-Atom-, Friedensbewegung. Es war eine Zeit,in der sich ein neuer Raum der Freiheit öffnete. In theoretischer Hinsicht kames zu einer ernsthaften feministischen Kritik an der Blindheit des dogmatischenMarxismus und der konservativen Linken gegenüber der Spezifik der Frauenfrage.Es war eine Zeit der Hoffung." Aber diese Zeit sei vorbei. „Heute leben wir ineiner Zeit der brutalen Gewalt. Anstelle von utopischer Energie und Bewegungherrscht intellektueller Zynismus." Und ihr Resümee bezüglich Ex-Jugoslawienist: „Dreißig Jahre später leben wir in den sogenannten Transitionsgesellschaftenin einer Welt voller rückwärtsgewandter Tendenzen. Der religiöse undmarktwirtschaftliche Fundamentalismus bedroht ernsthaft alle demokratischenFreiheiten und vor allem die Rechte der Frauen, die in den vergangenen Kämpfenerreicht wurden."

* Übersetzung Boris Kanzleiter

Violeta Andjelkovic-Kanzleiter arbeitet beimFraueninformations- und Dokumentationszentrum ZINDOK in Belgrad.

 

Dieser Artikel erschien in: an.schläge. Das feministische Magazin,

www.anschlaege.at