Herrliche Aussichten

Wenn die Regierenden zum Jahresende Botschaften des Frohsinns zu
verbreiten bemüht sind, weiß der gemeine Mensch, er wird belogen. Angela
Merkel hat nun mehrmals mitzuteilen gewußt, das Jahr 2009 werde
das Jahr der schlechten Nachrichten. Kann man nun einfach davon ausgehen,
daß das Gegenteil von dem Gesagten eintreten wird: Also, alles
nicht so schlimm? Wohl kaum.


Eher wird gelten: Es wird schlimmer kommen. Sie weiß, daß es noch
schlimmer kommen wird, und der Satz von den schlechten Nachrichten
soll schon mal darauf einstimmen. Vielleicht soll es sie auch nur exkulpieren:
Vorsorglich – es sind ja Wahlen in diesem 2009er Jahr – verweist
sie darauf, sie sei nicht schuld, wenn es noch schlimmer kommt. Es
kommt eben, es überkommt uns. Man könne nichts tun.


In China stehen die Häfen voller Waren, die nicht verschifft werden.
Es gibt keine Käufer in Nordamerika und Westeuropa. Die chinesischen
Arbeiter protestieren. Offiziell gibt es keine kritischen Gewerkschaften,
doch die Arbeiter protestieren trotzdem. Partei und Staat hatten mit der
Krise nicht gerechnet; es gibt kaum Institutionen, die für einen solchen
Fall geeignet sind. Das System war auf die ständige Prosperität gebaut.
So zahlen jetzt die örtlichen Behörden ausstehenden Lohn und die Fahrkarte
aus der Sonderwirtschaftszone in das Heimatdorf. Umgekehrt stehen
in den USA und Deutschland die Autos herum, die in China oder
sonstwo keine Käufer finden. Die Zeitarbeiter werden hierzulande zuerst
entlassen. Für die anderen wird Kurzarbeit angeordnet, mit Lohnverzicht.
In der Stahlindustrie wird entlassen, weil die Aufträge der Autoindustrie ausbleiben. Die Lackfabriken stellen Produktionslinien ein. Es
gibt weniger Autos zu spritzen.


Der Übergang von der Finanzkrise zur Wirtschaftskrise ist im Gange
und beschleunigt sich. Die alten Aufträge werden noch ausgeführt. Aber
nicht alle, etwa im Schiffbau, sind sich sicher, daß der Auftraggeber auch
noch solvent ist und zahlen kann, wenn das Schiff fertig ist. Der Eingang
neuer Aufträge geht stark zurück. Das Bundeswirtschaftsministerium teilte
einen Rückgang der Auftragseingänge für die deutsche Industrie um
8,3 Prozent im September und 6,1 Prozent im Oktober mit. Das ist der
Rückgang der Produktion im nächsten Quartal, im nächsten Jahr. Es wird
so weitergehen. Die Deutsche Bundesbank rechnet mit einem Rückgang
des Bruttoinlandsproduktes 2009 von 0,8 Prozent. Das reicht nicht, heißt
es aus der Deutschen Bank, es werden wohl um die vier Prozent sein.


Die große Debatte ist, was denn nun getan werden kann. Die Bundesregierung
hat mit großer Geste das »Rettungspaket« von 500 Milliarden
Euro für die Banken geschnürt. Das »Konjunkturprogramm« für die
Realwirtschaft war zunächst mit elf Milliarden Euro veranschlagt, gestreckt
über zwei Jahre, dann mit 32 Milliarden. Darunter ist die Befreiung
privater Haushalte von der Kfz-Steuer für Neuwagen – als würde sich
in diesen Zeiten jemand für 30 000 Euro ein neues Auto kaufen, nur um
660 Euro Steuern zu sparen. In China hat die Zentralregierung ein Konjunkturprogramm
von umgerechnet 470 Milliarden Euro beschlossen; die
Provinzregierungen haben noch einmal 1,2 Billionen Euro draufgelegt.
Es wird in das Schienen- und Straßennetz investiert, in Häfen und Wohnungsbau
und die ländliche Infrastruktur. Die Idee ist, daß die Exportabhängigkeit
Chinas durch eine drastische Steigerung der Inlandsnachfrage
kompensiert werden soll.


Obama hat angekündigt, in den USA 2,5 Millionen Arbeitsplätze zu
schaffen. Das Konjunkturprogramm wird nach Schätzung von Experten
etwa tausend Milliarden US-Dollar kosten. Es wird in das Verkehrsnetz
und in die Energiesysteme investiert, die Schaffung von Arbeitsplätzen
soll mit einer Modernisierung unter anderem der Energiesysteme verbunden
werden. Zugleich soll eine zielgerichtete Förderung alternativer
Energieerzeugung die Abhängigkeit der USA von den fossilen Energieträgern
verringern, was auch außenpolitisch eine deutliche Abkehr von
den Prämissen der Politik von Bush II und Cheney bedeutet.

Aus der deutschen Regierung dagegen heißt es, wer jetzt große Investitionsprogramme
auflege, »verbrenne Geld«. Der Staat solle sich auf seine
»Ordnungsfunktion« beschränken und nicht als Unternehmer agieren.
Nachdem Deutschland dem Neoliberalismus zunächst zögerlich hinterherlief
– Schröder machte die »Reformen«, die in Großbritannien Frau
Thatcher schon zwanzig Jahre früher gemacht hatte –, wollen die hiesigen
Entscheider nun die letzte Bastion dieses Glaubens sein. Weltweit
wird festgestellt, daß der Neoliberalismus abgewirtschaftet hat, nur hier
findet eine wundersame Fortzeugung seiner Glaubenssätze statt.


Und die Menschen auf der Straße? Zunächst findet eine Verdrängung
statt. In die Mikrophone der Aufnahmeteams des Fernsehens sagen die
Leute in Deutschland noch trotzig: Wir spüren die Krise nicht. Es geht
auf Weihnachten zu. Darin steckt Hoffnung und Erwartung gegenüber
den Regierenden. Und wenn die schwinden? In Athen hatten Straßenschlachten
Jugendlicher mit der Polizei, nachdem ein 15jähriger von einem
Polizisten erschossen wurde, binnen dreier Nächte Sachschäden in
Höhe von über einhundert Millionen Euro zur Folge. Banken, Geschäfte,
Autohäuser und öffentliche Gebäude wurden in Brand gesetzt und verwüstet.
In den USA waren die billigen Kredite für die Armen – deren Zusammenbrechen
am Anfang der Finanzkrise stand – die Kompensation
für die Abschaffung der alten Sicherungssysteme durch den Neoliberalismus.
In Griechenland gab es nicht einmal das. Das Versprechen, es
würde besser mit dem Markt, verhallte und blieb leer. Perspektivlosigkeit
der Jugend, auch bei guter Ausbildung, wird als einer der Auslöser der
Unruhen angesehen. Erst war es in Frankreich, jetzt in Griechenland.


Das Jahr 2009 wird das Jahr der schlechten Nachrichten in Deutschland,
hat die Kanzlerin gesagt. Na, dann: Frohe Weihnachten!