Nicht ans sinkende Schiff ketten

Belegschaftsbeteiligungen können keineswegs die Antwort auf die Krise sein, meint Michael Bruns.

in (05.05.2009)

Belegschaftsbeteiligungen können keineswegs die Antwort auf die Krise sein, meint Michael Bruns.

Ein Gespenst geht um in der Linken - das Gespenst der Belegschafts- oder  Mitarbeiterbeteiligung. Oskar Lafontaine erklärte Anfang des Jahres: "Wir setzen nicht auf Verstaatlichung, sondern auf Mitarbeiterbeteiligung". Ähnliches argumentierte meine Gewerkschaft, die IG Metall, in Bezug auf den drohenden Konkurs der Schaeffler-Gruppe: "Eine Überführung in direktes Staatseigentum wäre nicht der wünschenswerte Weg. Schließlich sind viele der aktuellen Probleme auch durch Politik und Staat mit verursacht. Dagegen gibt es Mischlösungen, die obendrein sehr gute Referenzen in der Wirtschaft vorzuweisen haben. Es gibt durchaus ›dritte Wege‹ zwischen staatlicher Planwirtschaft und neoliberaler Shareholder-Doktrin. Ein Weg ist das Modell der Mitarbeiterbeteiligung." Gemeint ist, dass Belegschaften durch eine Beteiligung, zum Beispiel in Form von Mitarbeiteraktien an "ihr" Unternehmen gebunden werden.

Ich habe damit enorme Bauchschmerzen. Unser Gewerkschaftsvize Detlef Wetzel hat für Krisenunternehmen die Formel ausgegeben »Beteiligung gegen Verzicht« - Lohneinbußen gegen Anteile von Unternehmen. Garantieklauseln wie in Spanien, dass die Lohnerhöhungen über der Inflation liegen müssen, kann ich mir vorstellen. Auch zusätzliche Lohnerhöhungen abhängig von Gewinn würde ich begrüßen. Aber einen Kapitalanteil am Unternehmen? In der Wirtschaftskrise drohen vielen Unternehmen Insolvenz und Massenentlassungen. Wenn da die Mitarbeiter Verzicht für einen Kapitalanteil tauschen - was ist denn dieser Anteil Wert? Wir würden Verzicht gegen ungedeckte Schecks tauschen. Keine Beschäftigungssicherungsregelung dieser Welt schützt vor Insolvenz.

Zum Glück wird von der LINKEN etwas anderes gefordert: Mitarbeiterbeteiligung ohne Lohneinbußen und Entlassungen. Doch auch hier sehe ich Probleme.
Sinn und Zweck von Gewerkschaften ist, die Konkurrenz zwischen den Beschäftigten zu überwinden - in Betrieben, Branchen, am besten auch international. Deswegen verteidigen wir die Flächentarifverträge. Die Mitarbeiterbeteiligung untergräbt diese Solidarität zwischen den Beschäftigten. Opel, VW, BMW und Daimler konkurrieren miteinander. Wenn es in jedem dieser Unternehmen Mitarbeiterbeteiligung gäbe, dann würden die Beschäftigten in die Logik der Marktkonkurrenz hineingezogen. Sie würden wollen, dass »ihr« Betrieb gewinnt. Das funktioniert natürlich nur auf Kosten anderer. Sie würden doch ganz schizophren zwischen Arbeiter- und Kapitalinteressen. Die Arbeiter bekämen eingeimpft, ihr Interesse sei es, die Konkurrenz auszustechen und damit die Kolleginnen und Kollegen in anderen Firmen. Das Ergebnis ist Betriebspatriotismus - Gift für die Solidarität.

Das Problem ist doch schon jetzt massiv. Ich muss als Betriebrat immer wieder darum kämpfen, die Belegschaft zu einen. Wenn bekannt wird, dass ein Werk oder eine Abteilung von Entlassungen oder Schließung bedroht ist, dann passiert es viel zu leicht, dass die übrigen Kolleginnen und Kollegen denken: "Schwein gehabt, wir sind nicht betroffen." Das ist natürlich fatal, weil man sich so nicht mehr wehren kann, sondern (zunächst andere, aber irgendwann auch man selbst) sich seinem Schicksal ergibt. Ich frage die Kollegen: Was macht dich so sicher, dass es dich nicht auch trifft? Solidarität und Kampfeswillen hervorzukitzeln ist der Sysiphos-Arbeit eigentlich genug. Das gemeinsame Interesse aller Beschäftigten, ein Einkommen und einen Arbeitsplatz zu haben, wird durch Mitarbeiterbeteiligung gegeneinander gestellt und ausgehebelt.
Auch nicht nachvollziehen kann ich das Argument, durch die stärkere Einbindung der Belegschaften würde ein Unternehmen insgesamt gestärkt. Immer wieder höre ich: "Die Mitarbeiter haben im Gegensatz zum Finanzkapital ein langfristiges Interesse am Betrieb."

Das läuft auf folgende Erklärung hinaus: Geldgierige Banker haben durch katastrophale Shareholder-Value-Orientierung die eigentlich grundgesunde Wirtschaft in die Krise getrieben. Deshalb müssen es jetzt die »roten Manager« - die Belegschaften und ihre gewerkschaftlichen Vertreter - richten.

Damit machen wir es uns zu einfach - uns sollte misstrauisch stimmen, dass auch ein Jürgen Rüttgers dieser Krisenanalyse zustimmen kann. Nicht Managmentfehler, sondern vom Standpunkt des Kapitals völlig richtige und konsequente Entscheidungen führen immer wieder zu Entlassungen und Krisen. Unsere Kritik sollte deswegen nicht einzelnen Kapitalisten gelten; sondern der Logik des Kapitalismus selbst.

Das heißt, dass der Spielraum »unserer« Vertreter im Unternehmen von vornherein sehr begrenzt ist. Wer im Kapitalismus die Marktkonkurrenz nicht annimmt, der geht unter. Die Verschärfung des Wettbewerbs setzt sich um in Druck auf Löhne und Arbeitszeiten. Durch Mitarbeiterbeteiligung kommt die Belegschaft zu mehr Sitzen im Aufsichtsrat um diese "Sachzwänge" zu billigen - Billigen, was man nicht billigen kann.

Wir müssen weiter springen als nur bis zur Mitarbeiterbeteiligung. Die Rettung von Banken selbst durch Enteignung ist in der herrschenden öffentlichen Debatte unstrittig, die Unterstützung für Unternehmen der "Realwirtschaft" wie Conti/Schaeffler und Opel wird jedoch in Frage gestellt.

Die zahlreichen Arbeitsplätze in der produktiven Wirtschaft sind die Grundlage der unzulänglichen, aber notwendigen Bedürfnisbefriedigung im Kapitalismus. Banken sind für die Wirtschaft da, nicht die Wirtschaft für die Banken. Geld arbeitet nicht. Wenn es 100 Milliarden Euro für die Bankenholding Hypo Real Estate (2000 Beschäftigte) gibt, müssen 3,5 Milliarden Euro für Opel (28.000 Beschäftigte) eine Selbstverständlichkeit sein.

Ich sehe in meiner Firma, in der 1300 Arbeitsplätze bedroht sind, dass die Versorgung der "Realwirtschaft" mit ausreichend liquiden Mitteln durch die Milliardengeschenke an die Privatbanken - ohne die Kontrolle über die Geschäftspolitik zu übernehmen - nicht funktioniert hat. Die Banken vergeben weiter sehr restriktiv Kredite. Deshalb sollte der Staat in Krisenunternehmen direkt einsteigen um die Arbeitsplätze zu erhalten. Staatshilfen müssen sich in entsprechenden Unternehmensanteilen mit entsprechenden Stimmrechten niederschlagen. Die Demokratie im Unternehmen muss ausgebaut und an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtete zukunftsfähige Produkte müssen hergestellt werden. Nur das kann uns allen helfen. Sich an das sinkende Schiff zu ketten, garantiert nicht.

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