Linke und Technologiekritik im 21. Jahrhundert

Im Zeichen der Finanzkrise stehen verständlicherweise soziale Themen im Vordergrund der angelaufenen Proteste. Genom- und Biotechnologie stehen da erst recht nicht oben auf der Liste linker Themen. Aber warum ist das so? Und: Muss das so sein?

GID 193, April 2009, S.4


Krisenzeiten sind Zeiten, in denen gesellschaftliche Probleme neu konfiguriert werden. Schon fordert etwa die Spitzenorganisation der Industrie- und Handelskammern (DIHK) angesichts der ökonomischen Lage, einen Teil der Mittel aus dem Konjunkturprogramm in die Stammzell- und Atomkraftforschung zu investieren. Die ökonomische und soziale Krise des „Standort Deutschland“, so schwant es dem bekümmerten Beobachter, wird die Forschungs- und Technologiepolitik zum Profilierungsfeld für neue Entschlossenheit und nationale Pragmatik machen.
Im Wahlkampfjahr bringen sich die Parteien in Stellung. Windräder sollen Deutschland in eine Spitzenstellung als nachhaltiger Superstandort bringen - in der Regel führen die Ideen aber über Automotoren nicht hinaus. An Gentechnik und Stammzellforschung scheiden sich noch die Geister, doch der allgemeine Tenor bleibt: Technik ist Zukunft. Eine Diskussion über gesellschaftspolitische Wechselwirkungen von Technik und Technologie findet nicht statt. Vor allem nicht in der Linken - die überlässt das Feld den anderen Parteien.
Technologiekritik gilt im linken Spektrum allenfalls als Spartenthema für Antiatom- und Genmais-Aktivisten. Dabei besteht durchaus Interesse. Die Teilnehmer des Symposiums „Inwertsetzung natürlicher Ressourcen und des menschlichen Körpers“ auf dem Attac-Kongress Anfang März in Berlin beispielsweise waren sich nach Vorträgen und gemeinsamer Diskussion einig: Technologien sind nicht nur ein Gegenstand von Risikoabschätzung, sondern haben soziale und gesellschaftspolitische Wirkungen.
Gibt es unter Linken also ein Defizit in der Diskussion der neuen, die Gesellschaft prägenden (Bio-)technologien? Der GID-Autor Alexander v. Schwerin wirft einen Blick auf linke Technikeuphorie in der Vergangenheit und stellt fest, dass es noch nie so wenig Technik im linken politischen Diskurs gab wie heute.


Vom Meinungsstreit zur Gesellschaftstheorie

Die Biologen und Wissenschaftsforscher Reinhard Mocek und Rainer Hohlfeld rufen die Debatte um die „Unschuld der Technik“ in Erinnerung. Beide Autoren argumentieren auf Basis einer antikapitalistischen Grundposition, geben aber unterschiedliche Antworten auf die Frage, in wieweit Bio- und Genomtechnologien als Produktivkräfte ein gesellschaftliches Eigenleben führen, das „repariert“ werden kann. Eins ist jetzt schon klar: Dieser Frage kann man nicht einfach ausweichen, wenn es um Entwürfe einer wirklich anderen Forschungs- und Technologiepolitik geht.
Nachhaltigkeit scheint das Mittel der Wahl zu sein, um den Betrieb von Wissenschaft und Technikentwicklung in eine weniger destruktive Bahn zu lenken. Niko Paech treibt aber den Zweifel an der historisch vertrauten wissenschaftsbasierten Fortschrittsorientierung der Linken aus Sicht der politischen Ökologie weiter. Im Rahmen eines technik-zentrierten Nachhaltigkeitskonzepts stehen Ökologie und die sie ethisch begleitende Biopolitik in der Gefahr, die herrschenden Verhältnisse zu verfestigen.


Leerstellen der Kritik

In einem Zwischenruf zeigt der aktivistische Wissenschaftskritiker Jörg Djuren, dass die Krux nicht erst in der Fixierung auf Technik liegt, sondern bereits mit Wissenschaftsgläubigkeit beginnt. Auch die Gruppe HalluziNoGene berührt diesen wunden Punkt mit ihren Aktionen. Die Feststellung, dass wissenschaftliches Wissen und die damit verbundenen Körper- und Normalitätsvorstellungen von vornherein gesellschaftlich durchdrungen sind, hat eine ganze Tradition feministischer Wissenschaftskritik begründet. Doch auch hier wird die fortschreitende Transformation der Gesellschaft und der sozialen Beziehungen durch Biomedizin und Genomindustrie viel zu selten problematisiert - was Udo Sierck und Erika Feyerabend demonstrieren.
Eines steht fest: Klare Begriffe sind vonnöten. Schließlich will niemand dem Transhumanismus anheim fallen. Sascha Dickel stellt diese Strömung abgefahrener Technik-Visionisten vor, die - schmerzlich genug - an linke Denktraditionen problemlos anschließen können.
Vorläufiges Fazit der Redaktion: Eine politische Ökonomie des Körpers im Zeitalter von Bio- und Genomtechniken ist vonnöten. Sie könnte die Grundlage sein, das linke Interesse an Technologiekritik (wieder) zu wecken.
Die Diskussion ist eröffnet. Wir freuen uns über LeserInnenbriefe und -mails.