Elemente eines neuen linken Feminismus

Editorial - Das Argument 281 (3/2009)

in (01.08.2009)

Editorial

Auf den ersten Blick scheint die Weltwirtschaftskrise das gesamte politische Leben in der Zivilgesellschaft erschlagen zu haben. Ungläubig ducken sich die Menschen, dass der Sturm vorübergehe. Noch scheinen die meisten zu hoffen: »Heiliger Sankt Florian, verschon’ dies Haus, zünd’ andere an.« Ein Jahr, so heißt es, und wir alle können gestärkt aus der Krise hervorgehen. Offiziell wird Wachstum versprochen, als sei dies so ohne Weiteres zu haben und als sei es dies, das wir wollen müssen. Gleichzeitig gibt es längst einen Wachstumsbereich in der Gesellschaft, der sich in der Krise immer weiter aufbläht. Es ist der Sektor der Umsonstarbeit. Hier zeigen sich Risse im gesellschaftlichen Fundament. An allen Ecken und Enden gibt es Arbeit, die unbezahlt getan werden soll. Immer mehr Menschen werden dafür gebraucht und angerufen, nicht nur jüngst in der ›Woche des Ehrenamtes‹. Betroffen sind wesentlich die Bereiche, die die Sorge um Menschen und ebenso die der Sorge um die Naturbedingungen betreffen, wobei Letztere mit dem Etikett des Ökologischen an Unwiderrufliches, an Ungetanes gemahnt. Beide Bereiche sind in Krise, beide werden mit ständigen Kompromissen vertröstet.

Der soziale Bereich, von dem im Folgenden die Rede sein soll, wird vorwiegend von Frauen bevölkert. Die Arbeit wird hier zumeist unbezahlt verrichtet. Aber es gibt auch in diesem Sektor eine Vergesellschaftung von Arbeit, Erwerbsarbeit, die, eben weil sie der weiblich umsonst verrichteten so nahe kommt, geringfügig bezahlt wird. Das gilt für Krankenschwestern und Altenpflegerinnen, für Erzieherinnen, für den gesamten Sozialbereich, soweit er von Sozialarbeiterinnen erwerbsmäßig besetzt ist usw. Jetzt erst, inmitten der Weltwirtschaftskrise, da die Anforderungen wachsen, weil die vielen Teilzeit- und die entlassenen Leiharbeitenden, die perspektivlosen0-Stunden Kurzarbeitenden ohne Aussicht, den an der Armutsgrenze berechneteneigenen Haushalt nicht mehr finanzieren können, jetzt gibt es Bewegung von unten .Große Demonstrationen gegen Hartz IV. Ein Bildungsstreik, Streik im Gesundheitswesen und jetzt die Erzieherinnen, die sich weigern, das »flexible« Berufsleben von vielen abzusichern. Sie streiken nicht einfach für einen höheren Lohn. Mit dem anhaltenden Erzieherinnenstreik wird jetzt für alle sichtbar wird, was man unter dem Tisch hielt, dass nämlich diejenigen, welche die kommenden Generationen erziehen sollen, selbst in ärmlichen Verhältnissen leben und Gehälter bekommen, die nur wenig über Hartz IV liegen. Aber diese Zumutung in der Aufgabe, die nächste Generation zu befähigen, das eigene Leben zu gestalten und zugleich selbst ein Leben voller kleinlicher Berechnung führen zu müssen, ist nicht das einzig Bemerkenswerte an diesem Streik. Sichtbar wird auch, dass die Ausbildung derer, die die Ausbildung der Nächsten fundieren sollen, dürftig, uneinheitlich, kurz unzureichend ist. Gestreikt wird dafür, dass der Beruf einer Erzieherin als qualifizierter Beruf anerkannt wird mit entsprechender Ausbildung, für Gesundheit im Beruf und dann auch einer Bezahlung, von der man gut leben kann.

Diese Krise ist neben einer Überakkumulationskrise von Kapital auch eine Überproduktionskrise. Sie wird sinnfällig u.a. an den Autohalden vor den Werkstoren, diesen widersprüchlichen Produkten, die das Leben nicht nur leichter machen, sondern auch auf mehrfache Weise gefährden, nicht zuletzt ökologisch. Täglich wird zudem in den Tageszeitungen verkündet, dass wieder Produktionsstätten abspecken und tausende von Arbeitenden entlassen. Jetzt folgt Einsparung in jedem Haushalt und rückwirkend die Krise in den riesigen Verkaufsanlagen wiederum mit Massen von Arbeitslosen, hauptsächlich weiblichen. All dies betrifft den großen Sektor der Erwerbsarbeit, in dem also Gegenwehr organisierbar ist. Aber jetzt allmählich treten die Risse im gesellschaftlichen Fundament deutlicher hervor. Wie in dem ehemals reichen, jetzt verarmten Washington/USA die aus den gebrochenen Rohren der Kanalisation schießenden Wasserfontänen die Verrottung des ganzen Systems zeigten, so offenbart sich in der Wirtschafts- und Finanzkrise, dass diese Gesellschaft auf einer immer mehr verwahrlosenden Schicht uneingeholter Zivilisation – auf der Vernachlässigung ihrer eigenen Reproduktion aufgebaut ist.

Die Hüterinnen des Reproduktionsbereichs sind vereinzelt in privatem Heim oder zersprengt in vielen kleinen Jobs, um sich und ihre Angehörigen zu ernähren. Sie sind nicht das Proletariat, auch kein Lumpenproletariat. Eher schon gehören sie zu den Prekären, den Marginalisierten, den kaum Sichtbaren im Hintergrund. Der Erzieherinnenstreik ist daher auch ein erstes Echo auf den verkommenen Zustand der Gesellschaft in ihrer eigenen Reproduktion. Die Medien erzählen in genussvoll-unschuldig verbreiteten Nachrichten fast täglich davon: Da beißt und tritt ein 15-jähriger Babysitter das ihm anvertraute zweijährige Mädchen zu Tode – die Mutter verließ für nicht einmal zwei Stunden das Haus; da erschießen Schüler ihre Mitschülerinnen, ihre Lehrerinnen und Lehrer; eine Mutter tötet ihre Kinder – man könnte diese Liste lange fortsetzen. Jetzt in der Krise bricht die Verrohung auf, weil der Druck insgesamt steigt.

Wir suchen die organisierende Kraft und Stimmen, die Zeichen lesen, den Protestaufnehmen, die, den moralisierenden Diskurs, der sich gegen ›schlechte‹ Lehrer, Schüler, Eltern, Erzieherinnen, zuletzt gegen Frauen richtet, aufbrechen und eine Analyse vorantreiben, die Menschen nicht apathisch, sondern handlungsfähig macht.

Die Themen, die in der Krise aufbrechen, betreffen den Kapitalismus im Ganzen. Sie betreffen die Lebensweise, den Sinn von Arbeit, Arbeitsteilungen und den Sinn von Leben selbst. Die Frauenbewegung der 1970er Jahre hatte sich an Fragen des Alltagslebens entzündet, dessen Zurichtung das Leben von Frauen außerordentlich einschränkte. Fragen der Hausarbeit, der Bedeutung von Frauenunterdrückung in der Reproduktion von Gesellschaft, darin die Fragen sexueller Gewalt waren Brennpunkte der Bewegung. Sie wurden lange schon, bereits Anfang der 1980er Jahre fallengelassen zugunsten immer spitzfindigerer Erkenntnisse über die Vielfältigkeit von Herrschaftspraxen, der eine ebenso große Vielfältigkeit von differenten Frauensubjekten entsprach. Die Suche nach möglichen Orientierungen in der gegenwärtigenbrutalen Lage findet daher zunächst nichts. Ja, im Gegenteil, sie steht vor der Problematik, dass eine Reihe feministischer Forderungen, die einst den Aufbruch antrieben, zufriedengestellt im neoliberalen Projekt Platz nahmen, welches allerdings jetzt selbst in Krise ist. Die Frauenbewegung, aus der Initiative und Kraft kommen könnte, ist seit langem versickert, von Außen und Innen zersetzt, integriert oder ins Akademische davongezogen. Was geschehen muss, ist zugleich eine selbstkritische Reflexion der Entwicklung feministischer Theorie und Praxis zusammen mit einer Analyse kapitalistischer Verhältnisse, also eine Neuvermessung der Kräfteverhältnisse.

Unser Weg nach vorn geht zunächst zurück in die Geschichte. Suchen wir aus den Trümmern des vergangenen Feminismus der zweiten Frauenbewegung Elemente für ein neues linkes feministisches Projekt zurückzugewinnen. Dabei sind wir keineswegs allein. Der Arbeit an diesem Heft ging eine internationale Umfrage zu dieser Problematik voraus (2008-2009). Sie brachte eine Art Cahiers de Doléance hervor[1] und war Grund, mit der vorwegnehmenden Veröffentlichung einiger überarbeiteter und erweiterter Beiträge (Butler, Segal und Seddon) in diesem Heft die Diskussion um eine erneuerte feministische Initiative im Argument zu beginnen.[2] In den letzten Monaten erreichen uns zudem aus verschiedenen Ländern der Welt linke feministische Aufarbeitungen des Vergangenen in der Perspektive, sich neu zusammenzufügen, die wir ebenso in diesem Heft vorstellen (Fraser, Soiland, Ullrich).

Aus den vielfältigen Zerstreuungen, aus dem Verlust des Frauen-Wir gilt es, einkollektives Subjekt zu erkennen, welches, aus den Fehlern der Bewegung lernend, sich an der Analyse der gegenwärtigen Lage, in der Perspektive einer Erstarkung von gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit versucht. Es geht zunächst noch nicht um den alternativen Entwurf einer anderen Gesellschaft, die jetzt in der Krise eine Chance hätte. Es geht um Rückgewinnung verlorener Posten wie des betroffenen »Wir« (Seddon), um Besichtigung der Schäden, die die Preisgabe dieses Frauen-Wir durch die Einführung des Gender-Begriffs erfahren hat (Soiland). Die Analyse von Klasse, Rasse und Geschlecht zwingt, für ungleichzeitige Realitäten eine Politik der Verknüpfung zu ersinnen (Segal). Der selbstkritisch geschärfte Blick nimmt die passive Revolution, die Integration von Frauenforderungen ins neoliberale Projekt auf (Fraser) und gewinnt durch Einbezug der Entwicklung der Produktivkräfte zum Hightech-Kapitalismus in die feministische Analyse Umrisse eines neuen feministischen Projekts (Haug). Angesichts der Erschütterungen in den migrierenden Bevölkerungen werden Vorschläge gemacht, die neuen Herrschaftsstrategien der sich reproduzierenden Staatsmächte politisch zu analysieren (Butler). Dabei sind die Schwierigkeiten kommender Frauengenerationen zu begreifen (Ullrich).

Dieses Heft markiert zugleich einen Einschnitt in der Organisation von Frauenthemen im Argument. Wir bilden wieder eine Frauenredaktion – eine noch offene Struktur zunächst, jedoch auf Stabilität und Dauer geplant. In ihr finden sich derzeit die »Alten«: Frigga Haug, Jutta Meyer-Siebert, Claudia Gdaniec, Ilse Schütte und Gundula Ludwig. Neu hinzugekommen sind Brigitte Gläser und Nicola Tiling, im nächsten Heft wird Sabine Plonz zu uns stoßen.

FH



[1] Beschwerdehefte, in denen die Wähler Anweisungen schrieben, welche Probleme die Abgeordnetenlösen sollten.

[2] Die Gesamtumfrage mit 50 Beiträgen wird zum Jahresende als Buch im Argument Verlagerscheinen: Frigga Haug (Hg.), Für ein neues linkes feministisches Projekt.