Sonderangebot Auschwitz

Na, gut, man muß das natürlich nicht so ernstnehmen, jeder muß – so verlangen
es (weithin akzepierte!) Umstände – irgendwie mit dem Arsch an die
Wand kommen. Oder einfach Geld verdienen. Und so müssen eben im sommerlichen
touristenüberschwemmten Kraków auch alte »Wolgas« herhalten.Na, gut, man muß das natürlich nicht so ernstnehmen, jeder muß – so verlangen
es (weithin akzepierte!) Umstände – irgendwie mit dem Arsch an die
Wand kommen. Oder einfach Geld verdienen. Und so müssen eben im sommerlichen
touristenüberschwemmten Kraków auch alte »Wolgas« herhalten.sichtigt werden, es gibt eine John-Paul-II.-Route und Fahrten nach Zakopane
oder Rafting-Touren auf dem Dunajec und vielerlei anderes. Doch ein Special
Offer haben sie nur eines, ist ja klar, darum ist es ja auch ein Special Offer.
Auch den Communist Cars begegne ich im Werbeblatt wieder und lese,
daß es damit COMMUNISM TOURS gibt, bei denen sie nicht nur den »Wolga
« zu Verfügung haben, der mir in der Altstadt aufgefallen war, sondern auch
Trabant, Fiat 125 und Lada. Eben kommunistische Autos.
Abends ist Wieliczka eine verschlafene Kleinstadt. Nur die Lädchen, aus
denen sie Wodka nach Hause tragen, haben geöffnet. Täglich, sieben Tage in
der Woche. Immer von 9 bis 24 Uhr. Und wenn ich täglich schreibe, meine
ich täglich.
*
Przemysl, Grenzstadt nicht nur erst heute. Pschemüschel, wie der Deutsche
sprechen tut, hatte die k-u.k-Militärverwaltung bis 1914 dreißig Jahre lang
mit Forts und anderen Festungsanlagen ausgestattet, doch die hielten in Weltkrieg
I den Truppen des Zaren nicht stand. Aber immerhin gibt es heute darum
ein Festungsmuseum in der Stadt. Und, quasi als Ausgleich, auch ein Schwejk-
Denkmal. Dazu einen »Verein der Freunde des braven Soldaten Schwejk«.
Der präsentiert sich im Stadtzentrum mit einem riesigen Aufsteller mit einem
Foto der Vereinsmitglieder, allesamt zeitgenössisch kostümiert. Lustig ist
das Soldatenleben. In Sanok, etliche Dutzend Kilometer weiter westwärts und
wie Przemysl am San gelegen und zu anderer Zeit auch schon einmal »Grenzstadt
« (zwischen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken/UdSSR) und
dem Generalgouvernement Polen des Deutschen Reiches), gibt es auch eine
Skulptur des gemütlichen Rekruten. Denn Schwejk stand am San, und der San
ist lang.
Sanok und Przemysl haben sich – wie andere Städte der Region auch – in
den letzten Jahren auffallend verändert. Ich bemerke allerorts neu gepflasterte
Gehwege – allesamt im bekannten EU-unilook. Allerorts auch neue Straßen
durch Gebirg und Tal in den Bieszczady und daran angrenzenden Mittelgebirgszügen
und -ausläufern. Und aufgeputzte Zentren vieler kleiner Städte.
Vor allem Przemysl hatte ich anders in Erinnerung. Damals fielen an jenem
Tage, als ich dort anfing, die Kirchtürme zu zählen (als ob nicht schon die verwirrend
große Zahl der in dieser Stadt miteinander konkurrierenden Konfessionen
gereicht hätte …), auf dem zentralen Platz armselige Händlerinnen von
jenseits der Grenze auf, die die Gunst der Grenznähe und das Preisgefälle
zwischen Polen und der Ukraine nutzten. Außerdem wurde man auf Schritt
und Tritt angeraunt, ob man Zigaretten kaufen wolle. Und in einer Nebenstraße
unweit des Marktes war eine Art Zollbüro, wo – wenn ich das damalsrichtig begriffen hatte – die Ukrainerinnen jene Waren deklarieren lassen konnten,
die sie in Polen von dem Erlös ihrer Waren erstanden hatten. Von alledem
sehe heute ich keine Spuren mehr. Es ist »Ordnung« eingezogen, EU-Ordnung.
Polen ist Außengrenze, und nichts scheint dagegen zu sprechen, daß man darauf
auch noch stolz ist. Doch wie das so ist, und meist überall: So eine Visa-
Regelung trifft zuvörderst arme Schlucker. Denn es sind, erkennbar an den
Autoschildern, in Przemysl natürlich weiterhin viele Ukrainer zugange. Oft in
diesen klotzigen, schwarzen oder silbergrauen Zuhältergeländewagen. Nein,
natürlich sind die nicht alle Zuhälter, aber »Bisnesmeni« auf jeden Fall. Da
sind Grenzen mitunter fließend.
In der Wochenzeitung Nowe Podkarpacie titeln sie, daß eine Radtour nicht
stattfinde: Ukrainer wollten mit Rädern eine Art »Bandera-Gedenkfahrt« veranstalten
und unter dem Dreizack-Banner der einst naziverbündeten Bandera-
Banden Kundgebungen abhalten … Die polnischen Behörden verhinderten das
im letzten Moment, obwohl die Visa schon ausgestellt (… aber erschlichen!)
gewesen waren. Komisch, auch diese geplante »Bandera-Gedenkfahrt« entging
der deutschen demokratischen Presse …
Wir haben die Serpentinen bei Przemysl hinter uns gelassen und fahren –
immer nach Süden entlang der »EU-Außengrenze« – wieder in die Waldkarpaten.
Im Autoradio schnarrt auf Langwelle fast ungenießbar Deutschlandradio
Kultur. Doch auf Warschau I (UKW) klinken sie unvermutet einige Minuten
Deutsch für Kürzestnachrichten und den Wetterbericht ein. In Radom
streiken die Krankenschwestern immer noch um höhere Löhne. Das tun sie
schon seit Wochen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie unkommentiert gemeinhin
derartige Vorgänge (wie beispielsweise die Arbeitskämpfe der Bergarbeiter
auch …) in der deutschen Presse bleiben. Hierzulande sind polnische
Tranformationsgewinnler gelittener, wie letztens in der Berliner Zeitung (ganzseitig:
»Wohlleben in Warschau«). Dann melden sie noch (ein Glück, daß uns
dieser Schreck nicht gerade in einer heftigen Serpentine erwischt), »die einzige
DDR-Ikone Nina Hagen« mache Wahlkampf für die Grünen. Einzige
DDR-Ikone? Wer hat denn dem Sprecher diesen Blödsinn ins Manuskript geschrieben.
Paul sagt: Die ist ja verrückt. Ich sage: Die Grünen auch. Und denke:
Da haben wir Wähler aber Glück gehabt, daß sie sich nicht der LINKEN
andiente, die hätte doch auch nicht nein gesagt.
Abends am Lagerfeuer singen alte Knaben Marsz, Marsz Polonia! Was ist
das? Ach, sagt Piotr, das ist einfach ein Kampflied. Wie zum Beispiel die
Warszawianka? Ja, vielleicht, flunkert er mir ungeniert ins Gesicht. Denn er
betreibt eine Pension. Er muß mit allen Gästen können. Auch mit Knackern,
die alte Kampflieder singen, die von Kriegszügen in Nachbarstaaten künden.