„Sicheres Herkunftsland“



Seit Juli dürfen AsylwerberInnen und Personen ohne gültige Aufenthaltsbewilligung wieder in den Kosovo abgeschoben werden. Was erwartet die Angehörigen von Minderheiten dort?

Roma/Romnia, Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen stellen eine seit langem marginalisierte und diskriminierte Minderheit im Kosovo dar. Das Fehlen von Personaldokumenten, mangelnde schulische oder ökonomische Integration, illegale bzw. nicht regulierte Wohnverhältnisse, geringe öffentliche Partizipation und mangelnder Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und Rechten, aber auch die schleppende Umsetzung ihrer Rückkehr- und Restitutionsrechte sind in vielen Fällen charakteristisch für ihre Lebensumstände. 
Von den ehemals rund 150.000 Roma/Romnia, Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen leben heute an die 35.000 bis 40.000 im Kosovo. Ein großer Teil fristet ein Flüchtlingsdasein in der Region, etwa in Serbien, Montenegro, Mazedonien; weitere Zehntausende sind in Westeuropa, oft nur mit einem temporären und daher nicht gesicherten Aufenthaltstitel. An die 790 Roma/Romnia, Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen befinden sich in den Flüchtlingscamps innerhalb des Kosovo.

Zwischen den Fronten.

Roma/Romnia, oftmals in oder in der Nähe von serbischen Enklaven beheimatet, sprechen Serbisch und Romanes. Die albanischsprachigen Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen hingegen leben häufig in albanischer Nachbarschaft. Während des Kosovo-Konflikts 1998/99 gerieten alle drei Minderheiten zwischen die Fronten albanischer oder serbischer Interessen; vielerorts wurden sie vertrieben, ihre Häuser verbrannt oder gleich ganze Siedlungen abgefackelt. Die rund 8.000 EinwohnerInnen der Roma Mahala „Fabricka“ in Süd-Mitrovica etwa wurden in nur einer Nacht im Juni 1999 von ihren albanischen NachbarInnen vertrieben und die gesamte Siedlung zerstört. Nach wie vor zeugen auch die verbrannten Häuser der Roma Mahala „Moravska“ in Prischtina von der brutalen Jagd auf die ehemaligen 8.000 bis 10.000 EinwohnerInnen, nur eine Handvoll Roma/Romnia ist bis dato dorthin zurückgekehrt.1 Erst während der letzten Jahre wurden sie zunehmend in die freiwilligen Rückkehr- und Wiederaufbauprojekte einbezogen, seit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos im Februar 2008 kommt es zunehmend zur Repatriierung von Angehörigen dieser Minderheiten.
Auch Österreich ist an einer „Rückführung“ interessiert: Aktuell verhandelt die österreichische Innenministerin Maria Fekter mit ihrem kosovarischen Kollegen über ein bilaterales Rück-Übernahme-Abkommen, wonach sich der Kosovo verpflichtet, abgeschobene AsylwerberInnen zurückzunehmen. Bisher hatte die UNMIK, die UN-Übergangsverwaltung des Kosovo, Abschiebungen von Roma/Romnia und anderen Minderheitenangehörigen in den Kosovo nur nach eingehender Einzelprüfung und unter Berücksichtigung des UNHCR–Positionspapiers von 20062 zugelassen. Im November 2008 übergab die UNMIK die Zuständigkeit für Rückführungsfragen an die kosovarische Regierung. Diese ist nun unter Druck zu beweisen, dass der Kosovo Bedingungen geschaffen hat und auch die notwendigen Kapazitäten besitzt, um repatriierte Personen in die Gesellschaft sozial und ökonomisch zu integrieren.3


Prekäre Existenz. 
Laut einem Bericht des UNHCR von 2006 sind etwa 11.000 Roma/Romnia, Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen weder zivil registriert noch im Besitz von Personaldokumenten. Somit haben sie auch keinen Zugang zu Grundrechten bzw. grundlegenden Einrichtungen und Leistungen wie etwa Gesundheitsversorgung oder Sozialleistungen. Dies hat insbesondere negative Auswirkung auf die Reproduktionsrechte und die Gesundheit von Frauen. Vor allem bei jenen, die unter ärmlichen Verhältnissen in Siedlungen mit schlechter Infrastruktur leben, ist die Anzahl der Hausgeburten – und damit auch das Risiko einer unzureichenden medizinischen Versorgung sowie das Nicht-Registrieren von Neugeborenen – hoch. Um zukünftiger Staatenlosigkeit vorzubeugen, vor allem aber auch um den Zugang zu fundamentalen Rechten und Sozialleistungen zu ermöglichen, unterstützt der UNHCR seit 2006 ein Projekt, das die zivile Registrierung dieser Minderheiten ermöglicht. 
Charakteristisch für viele Roma/ Romnia, Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen ist auch deren mangelnde schulische oder ökonomische Integration. Der Kosovo ist generell von 43 Prozent Arbeitslosigkeit betroffen – Frauen, Roma/Romnia, Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen zählen zu den am meisten benachteiligten Gruppen. In vielen Fällen wird das Überleben durch informelle Arbeit wie etwa Altmetallsammeln, Müllrecycling oder Kleinhandel, einschließlich Kinderarbeit, gesichert. Die geringfügige Sozialhilfe kann das Existenzminimum nicht sichern. 
Noch immer ist ein beträchtlicher Anteil von Roma/Romnia, Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen ohne Pflichtschulabschluss, die Schulaustrittsrate, insbesondere bei den Mädchen, überdurchschnittlich hoch. Die Universität in Prischtina versucht mit Minderheiten-Quoten den Zugang zur Hochschule zu fördern, bisher jedoch kann dies nur von einer kleinen Elite genutzt werden. Von großer Armut betroffene Familien können sich nicht mal Schulbücher leisten, ein Grund dafür, dass viele der Schule fern bleiben. In der Regel, je nach Wohnsitz und Zugehörigkeitsempfinden, besuchen die Kinder entweder serbische oder kosovo-albanische Schulen und wachsen somit nur mit einer der zwei offiziellen Sprachen – Serbisch oder Albanisch – auf. Romanes wird nur in einigen wenigen, von Serben geführten Schulen angeboten, in den kosovo-albanischen Schulen gibt es weder Romani als Unterrichtsfach, noch enthält der Lehrplan Module zu Geschichte und Kultur von Roma/Romnia, Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen, wie es laut Gesetzgebung vorgesehen ist. 


Kein Platz für RückkehrerInnen. Folgenschwere Konsequenzen für die Gesundheit und den Zugang zu Dienstleistungen bringt auch die schlechte Wohnsituation mit sich. Über den ganzen Kosovo verstreut leben zahlreiche Roma/Romnia, Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen in nicht regulierten, oftmals illegalen Siedlungen mit schlechter bis fehlender Infrastruktur wie z.B. Wasser- und Stromversorgung. 
Der Umstand, dass viele von ihnen bereits vor dem Kosovo-Konflikt in illegalen Siedlungen wohnten, wirkt sich auch auf deren Rückkehrprozess negativ aus. Obwohl internationale Standards das Recht auf Rückkehr an den Herkunftsort garantieren, sind die Gemeinden oft nicht geneigt, Land für die Rückkehr jener bereitzustellen, die keine Besitztitel für Land oder Haus nachweisen können. Dies war auch einer der Gründe, warum bisher keine nachhaltige Lösung für die vertriebenen Roma/ Romnia aus der Roma Mahala in Süd-Mitrovica gefunden werden konnte. Schon seit zehn Jahren befinden sich an die 700 vertriebene Roma/Romnia im Norden Mitrovicas in den von Blei verseuchten Flüchtlingscamps in Osterode und Cesmin Lug sowie im Lager in Leposaviç. Bis vor kurzem war die Gemeinde im Süden Mitrovicas nicht bereit, mehr Gemeindegrund in der ehemaligen Mahala für den Wiederaufbau von Häusern bereitzustellen. Das Rückkehrprojekt „Roma Mahala“, das auf Drängen der internationalen Gemeinschaft seit 2005 verwirklicht wird, hat bisher nur eine Rückkehr von ca. 500 Personen ermöglicht.
Fehlender politischer Wille. 
Die internationale Gemeinschaft wie auch die kosovarische Regierung sind sich der Problematik und Wechselbeziehung der vielen, von einander abhängigen Faktoren, die die aktuelle Situation bedingen, zwar bewusst: Seit 2006 hat die OSZE die Regierung bei der Ausarbeitung einer Integrationsstrategie unterstützt, an der auch VertreterInnen der Minderheiten aktiv mitgearbeitet haben.4 Tatsache ist aber, dass die Regierung bis dato weder für 2009 noch für 2010 eine Finanzierung für die Implementierung bereitgestellt hat noch die jeweiligen Ministerien einen Aktionsplan für die konkrete Umsetzung der Strategie erarbeitet haben. Auch die bisher lokal implementierten Aktivitäten, die die Partizipation z.B. im schulischen Bereich fördern sollen, sind meist ad hoc und haben reinen Pilotcharakter. 
Mit der einseitig erklärten Unabhängigkeit des Kosovo hat die Regierung auch eine Reihe neuer, vorbildhafter Gesetze erlassen, wie etwa jenes, das den Schutz und die Förderung der Minderheiten im Kosovo regelt und ihnen ökonomische und soziale Rechte und politische Teilhabe zuerkennt. Doch wieder mangelt es an konkreter Umsetzung und politischem Willen, die praktische Implementierung einzufordern. Fast eine Dekade nach dem Konflikt im Kosovo gibt es nur wenig sichtbaren Fortschritt, um Roma/Romnia, Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen effektiv in die kosovarische Gesellschaft einzubinden.

 

Fußnoten

(1) Insgesamt sind zwischen 2000 und 2009 nur knapp über 7.500 Roma/Romnia, Aschkali/-Frauen und ÄgypterInnen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr in den Kosovo zurückgegangen.

(2) Siehe „UNHCR’s Position on the Continued International Protection Needs of Individuals from Kosovo 
(June 2006)”: Die UNHCR rät darin davon ab, Kosovo-Serben, Roma und Albaner in einer Minderheitensituation in den Kosovo abzuschieben, mit dem Verweis auf die fragile Sicherheitssituation und ernsthaften Einschränkungen hinsichtlich der Garantierung ihrer fundamentalen Menschenrechte. www.unhcr.org/refworld/pdfid/449664ea2.pdf

(3) Seit Oktober 2007 gibt es auch eine Strategie zur Integration repatriierter Personen, tatsächlich aber ist keine der Empfehlungen weder auf zentraler noch auf Gemeindeebene implementiert worden noch wurde ein Budget bereitgestellt, um entsprechende Maßnahmen umsetzen zu können.

(4) Am 24. Dezember 2008 wurde die Strategie von der kosovarischen Regierung angenommen. Sie enthält konkrete Empfehlungen für die Bereiche Bildung, Arbeit, Antidiskriminierung, Gesundheit, Wohnen, Rückkehr, Zivilregistrierung, Gender, Kultur und Medien, politische Partizipation und Sicherheit.


Mirjam Karoly ist Politologin und Mitglied des Österreichischen Volksgruppenbeirats für Roma und Sinti.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,  www.anschlaege.at