Panik auf der Zielgeraden

in (27.10.2009)

„Wow, look at Caster now“, titelte Anfang September die südafrikanische Illustrierte „You“, die auf ihrem Cover die Weltmeisterin im 800-Meter-Lauf Caster Semenya in einem kompletten Make-over präsentierte: elegantes Abendkleid. Goldschmuck. Lackierte Fingernägel. Und jede Menge Schminke im Gesicht.
Aber sehen wir mal ab von der Geschlechter-Inszenierung, die die Überaffirmation weiblicher Attribute als „Original“ zu verkaufen versucht. Lassen wir auch, auf der anderen Seite, für einen Moment die unzähligen Kommentare der selbst ernannten „Gender-ExpertInnen“ beiseite, die meinen, dass Geschlecht an Chromosomensätzen, genetischen Dispositionen, Hormonlevels oder Organen ablesbar sei und die noch immer Begriffe wie „Zwitter“ und „Hermaphrodit“ in den Mund nehmen.
Während der letzten Zeit haben in den Mainstream-Medien auch solche Stimmen das Wort ergriffen, die am Beispiel der 18-jährigen Goldmedaillen-Gewinnerin von Berlin die dichotome Geschlechterordnung von Mann-Frau durchwegs kritisch reflektierten. Allerdings wurden in den seltensten Fällen inter- oder transgeschlechtliche Aktivist_innen eingeladen, ihre Perspektive sowie ihre langjährigen politischen Forderungen einzubringen (äußern konnten sich diese höchstens als kurzerhand angefragte Interviewpartner_innen). Das Resultat ist ein paternalistischer Diskurs, der nicht selten versucht, Caster Semenya als traumatisiertes Opfer darzustellen: Ihre Vorführung vor der Weltöffentlichkeit erinnere an Saartije Baartman, die im 19. Jahrhundert als Sklavin aus Südafrika nach Großbritannien verschleppt und dort wie ein Zirkustier als „Hottentott Venus“ zur Schau gestellt wurde. Tatsächlich legt die brutale Selbstverständlichkeit, mit der über die Beschaffenheit von Semenyas Genitalien, ihr „männliches Auftreten“ und ihre Geschlechtszugehörigkeit debattiert wird, Kontinuitäten kolonialer Denkweisen offen.
Doch trotz dieses demütigenden Umgangs ist Caster Semenya nicht die verwirrte, gebrochene Figur, die FürsprecherInnen braucht. Semenya spricht für sich selbst: „Mich kümmert es einen Dreck, was andere über mich sagen.“ Dass sich vor kurzem Noluthando Mayende-Sibiya, die südafrikanische Ministerin für „Women, Youth, Children and People with Disabilities“, mit einer Menschenrechtsbeschwerde an die UNO gewandt hat, um das Vorgehen des Leichtathletik-Weltverbands IAAF während der Titelkämpfe in Berlin untersuchen zu lassen, untergräbt zwar nicht Semenyas Subjektposition. Einen grundlegenden Fehler hat der Brief der Ministerin an die Vereinten Nationen dennoch: Er kritisiert den indiskreten Umgang der IAAF mit dem so genannten Geschlechtstest, nicht aber die Existenz eines „gender varification test“ an sich.
Dies suggeriert allerdings, dass es im Sport tatsächlich so etwas wie Wahrheit und Lüge, Fairness und Illegitimität gibt. An diesem gesellschaftlichen Schauplatz werden noch konservativste Geschlechter- und Körperbilder gepflegt und Ambiguität und Transgression als „Betrug“ sanktioniert. Den Geschlechtsuntersuchungen, denen sich Semenya – teilweise unwissentlich – unterziehen musste, liegt die Angst vor einem „unfairen (biologischen) Vorteil“ zugrunde. Um solch vermeintliche Startvorteile zu verhindern, wird mit allen Mitteln nicht nur die Trennung in Männer und Frauen, sondern auch die in Behinderten- und Nicht-Behindertensport aufrechtzuerhalten versucht. Oscar Pistorius, ebenfalls Hochleistungsläufer aus Südafrika, bemüht sich seit Jahren darum, bei Wettkämpfen außerhalb der Paralympics starten zu dürfen. Seine GegnerInnen sehen in Pistorius’ Hightech-Beinprothesen aus Carbon – ihm wurden als Kind beide Unterschenkel amputiert – einen „unfairen Vorteil“. Mehr noch: Derlei technische Hilfsmittel kämen einem „Techno-Doping“ gleich. Und Doping stellt, wie wir wissen, den ultimativen Betrug dar, steigert es doch die Leistung des „natürlichen“ Körpers auf unzulässige Weise.
Doch gerade im Spitzensport ist nichts unnatürlicher als der menschliche Körper – hochtrainiert, mit „legalen“ Mitteln veredelt und über seine Grenzen hinaus Extrembedingungen ausgesetzt. Letztlich ist in der Künstlichkeit der Sportwelt kein Ausdruck von Natürlichkeit, sei es geschlechtlich oder im Sinne genuiner körperlicher Fähigkeiten, zu finden.
Statt eines „look at Caster“ gilt es, die Blickrichtung zu ändern und dabei nicht nach einer angeblichen „Natur“ Ausschau zu halten, sondern die Existenz vieler Geschlechter und Körper unter uns anzuerkennen.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at