Die rechte Tieflandopposition biedert sich erfolgreich der Regierung an
Kurz vor den Wahlen geraten die politischen Koordinaten in Bolivien durcheinander. Die Regierung gibt sich aus machtstrategischen Gründen versöhnlich, während die rechte Tieflandopposition angesichts deprimierender Wahlprognosen plötzlich bei ihrem ehemaligen Erzfeind Evo Morales mitmachen will. BasisaktivistInnen der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) warnen vor einer Infiltrierung.
Wenige Wochen vor den Wahlen im
Dezember, bei denen über Präsident, Parlament und Senat neu bestimmt
wird, schlägt Boliviens Präsident Evo Morales ungewohnt versöhnliche
Töne an. „Das Privateigentum ist heilig und durch die neue Verfassung
geschützt, die Unternehmer sind wichtig für die Wirtschaft und die
nationale Integration“, versucht der indigene Mitbegründer der
regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) neue Wählerschichten für die
„demokratisch-kulturelle Revolution“ zu gewinnen. Die Panikmache der
Medien im Besitz der GroßgrundbesitzerInnen aus dem Tiefland habe ein
Trugbild vermittelt. „Es ist falsch, dass die Regierung Häuser, Autos
und anderen Besitz enteignen werde“, so der Staatschef. Auch sein Vize,
der Ex-Guerillero Álvaro García Linera, geht auf Kuschelkurs mit dem
Establishment. Heimischen und ausländischen Kapitalinvestoren
verspricht der als radikal verschrieene Soziologe politische
Stabilität, juristische Sicherheit sowie wirtschaftlichen Aufschwung.
Es gelte „sich zu verstehen und zusammenzuarbeiten“, forderte er die
seit dem MAS-Wahlsieg 2005 verschreckten Eliten auf, sich doch dem
Regierungsprogramm 2010-2014 anzuschließen. In geheimen Treffen mit
UnternehmerInnen im zentralbolivianischen Cochabamba und
Tiefland-Departamento Santa Cruz waren sich Linksregierung und
Opposition zuletzt erstaunlich nahe gekommen.
Im Andenland ist eine seltsam anmutende politische Wanderbewegung in
Gang gekommen. Geradezu scharenweise laufen konservative
BerufspolitikerInnen, Wirtschaftsverbände und politische Gruppierungen
auf die Seite der MAS-Administration über. Einer der Gründe dafür ist
der dramatische Strategiewechsel der Regierung im Umgang mit der
rechten Opposition. Alle Kräfte seien „im Prozess des Wandels
willkommen“, gibt sich Morales betont versöhnlich. Um jeden Preis
scheint die laut Selbstverständnis „Regierung der sozialen Bewegungen“
in La Paz gewillt, die 70-Prozent-Marke am 6. Dezember zu knacken. Ohne
Rücksicht auf parlamentarische Kompromisse will die Regierung
durchregieren. Die Chancen dazu stehen nicht schlecht. Alle
Wahlprognosen sehen das Double Morales-Linera mit 60 Prozent vorn. Doch
zur Erreichung der Zweidrittelmehrheit und somit uneingeschränkter
Macht bedarf es neuer Allianzen.
Tatsächlich ist der angeschlagene Gegner zum Kniefall bereit,
bereitwillig dient er sich den Machthabern kommender Jahre an. Der
zentrale Beweggrund ist der harten Wirklichkeit geschuldet. Die in
diversen traditionellen Parteien und deren Nachfolgern organisierte
Ober- und Mittelschicht sieht ihre Felle davon schwimmen. Zwar konnte
die alte Elite seit 2005 richtungsweisende Gesetze durch ihre Mehrheit
im Senat entweder zeitweise blockieren, wie beim Referendumsgesetz zur
Annahme der neuen Verfassung, oder gar verhindern, wie es beim
Anti-Korruptions-Gesetz der Fall war. Auch in der Verfassungsgebenden
Versammlung nahm sie wegen fehlender Zweidrittelmehrheit des MAS
unverhältnismäßig großen Einfluss auf die legislative „Neugründung
Boliviens“. Das sich anbahnende Wahldebakel mit drohendem Ausschluss
von den Futtertrögen des profitablen Polit-Business in Verwaltung,
Partei und Staat wirkt jedoch Wunder und lässt die Masken fallen:
Karriere und Bankkonto gehen vor Ideologie und Parteizugehörigkeit –
ein nicht nur in Bolivien altes Phänomen. Die opportunistische
Neujustierung persönlicher Machtambitionen einstiger Morales-Fresser
nennt der Parlamentarier Alejandro Colanzi von der neokonservativen
Nationalen Union (UN) staunend „politische Metamorphose“. Leise Häme
kommt von Vize-Präsident Linera, der Gegner habe sich dem MAS schlicht
„ergeben“.
In der Tat ist der Kurswechsel in der Oppositionshochburg Santa Cruz
kurios. Die wichtigsten Akteure der sezessionistischen
Autonomiebewegung des „Halbmondes“ (die Tieflanddepartamentos Santa
Cruz, Beni, Pando und Tarija) unter der damaligen Führung des
Soja-Millionärs und Präsidenten des „Bürgerkomitee Pro Santa Cruz“
Branko Marinkovic haben die Segel gestrichen. Im September 2008 hatten
sie mit ihrem „bürgerlich-präfekturalen Putsch“ das Land an den Rand
eines Bürgerkriegs getrieben (siehe LN 413). Mit der die regionale
Wirtschaft dominierenden Industrie-, Handels- und Tourismuskammer Santa
Cruz (CAINCO) seien die Beziehungen inzwischen „normalisiert“, so
Regierungskreise. Konfrontation bringe keinem etwas, mit der Regierung
wurden „viele Übereinstimmungen“ entdeckt, so der Unternehmer und
Ex-Minister Salvador Ric nach einem Kerzenlichtdinner mit Linera.
Auch die faschistische Schlägertruppe Jugend-union Santa Cruz (UJC),
die beim gescheiterten Putsch MAS-AnhängerInnen und Indigene durch die
Straßen der Stadt jagte und zentralstaatliche Institutionen
brandschatzte, hängt ihre Hakenkreuz-Fahne in den Wind. Man sei
„getäuscht“ und als „Sicherheitsfirma“ für „die Interessen einiger
Weniger“ missbraucht worden, rechtfertigt UJC-Chef Ariel Rivera seinen
Rücktritt. Lieber wolle man jetzt die Sozialisten unterstützen. Gegen
mehrere inhaftierte UCJ-Mitglieder wird wegen Landfriedensbruch und
Terrorismus ermittelt.
Prominente Mitarbeiter von Morales-Gegner und selbsterklärten
„Gouverneur von Santa Cruz“, dem Präfekt Rubén Costas, haben ihre
Loyalität mit diesem aufgekündigt. „Es geht doch um meine berufliche
Zukunft“, begründete der Präfektur-Chefideologe Jorge Aldunate die
Entscheidung. Selbst der Bodyguard von Costas hat vorgebaut und hing
seinen Job an den Nagel. Von Ex-Kampfgenossen als „MAS-Agenten“
beschimpft, schwören die politischen Konvertiten jetzt auf die
„demokratisch-kulturelle Revolution“. Die MAS sei schließlich bald
„stärkste Kraft in Santa Cruz“, so Aldunate pragmatisch. Rechte
Splittergruppen rufen „Verrat“, die Bevölkerung von Santa Cruz solle
nicht in die „Falle gehen, die MAS und die Verräter vorbereiten“. Nur
so könne eine „Morales-Diktatur à la Chávez“ verhindert werden.
Kritische Stimmen im linken Lager warnen hingegen vor einer
„Infiltrierung“. Elena Argirakis, Regierungsvertreterin in Santa Cruz,
sieht eine rechte „Reorganisierung“ für die Regionalwahlen im April
2010. Mariono Huayta von den Ponchos Rojos verkündete, seine radikale
Indigenenvereinigung im Hochland befände sich im „Alarmzustand“. Im
Armenviertel Plan 3000 von Santa Cruz, das eine MAS-Hochburg ist,
stellt sich der Anwohner Richard Cespedes gegen die Aufnahme der sich
bislang rassistisch gebenden UJC-Aktivisten. »Diese Leute hassen die
Hochlandbewohner weiterhin, diese Einstellung ändert sich nicht von
einem Tag auf den anderen«. Auch Lucio Vedia von der Gewerkschaft
Departamentale Arbeiterzentrale (COD) zweifelt an der Aufrichtigkeit
der vermeintlich geläuterten UJCler: „Das ist sicher ein trojanisches
Pferd“.
Der wahltaktische Schuss könnte für die MAS in der Tat nach hinten
losgehen. Nimmt man rechte, für ihre Korruption berüchtigte
BerufspolitikerInnen in Partei und Verwaltung auf, so nähert man sich
unweigerlich dem Gebaren der delegitimierten Traditionsparteien. Auf
dem Spiel steht somit die Glaubwürdigkeit linker, alternativer Politik
in Bolivien. Genau dies könnte aber am Ende wichtige Stimmen kosten.
Text: Benjamin Beutler
Ausgabe: Nummer 426 - Dezember 2009