Rot-Rot in Brandenburg: In Platzecks Falle

Die rot-rote Landesregierung steht. Georg Frankl und Lucia Schnell analysieren den brandenburgischen Koalitionsvertrag und warnen vor einem Ausverkauf der LINKE.

Linkspartei und SPD haben ihre Koalitionsverhandlungen in Brandenburg abgeschlossen und bereits nach fünf Verhandlungsrunden einen Koalitionsvertrag vorgelegt. Dieser bricht mit Grundsatzpositionen der LINKEN, untergräbt ihre Glaubwürdigkeit und schadet der Partei bundesweit.

DIE LINKE hat bei der Landtagswahl im September 29,5 Prozent der Erststimmen erhalten -weil sie versprach, sich für bessere Bildung und mehr öffentliche Beschäftigung einzusetzen, gegen Hartz IV und Kinderarmut zu kämpfen sowie für das Ende der Braunkohle und gegen die gefährliche CCS-Technologie zu agieren. Sie hat das Volksbegehren und die Bewegung gegen die CO2-Verpressung und -Vergrabung massiv unterstützt und vorangetrieben. Massenweise wurde plakatiert: »Die Linke kämpft!«

Das Ende des Braunkohle-Tagebaus verschieben SPD und LINKE nun in die ferne Zukunft und an der CCS-Technologie lassen sie weiterhin forschen. Das Klima, die Umwelt und auch ganze Dörfer werden den Profitinteressen des Energiekonzerns Vattenfall geopfert. Das von den Anwohnern geforderte Nachtflugverbot für den Großflughafen Schönefeld wird es nicht geben. Auch die Innenpolitik des konservativen CDU-Hardliners Schönbohms setzen SPD und LINKE fort. Ausdrücklich lobt der Koalitionsvertrag die Arbeit der Vorgängerregierung.

Im Bildungsbereich wird sich ebenfalls nicht viel ändern: Die Koalitionspartner erhalten das unsoziale gegliederte Schulsystem und erteilen der Gemeinschaftsschule eine Absage. Stattdessen fördern sie weiterhin Elite-Programme im Schul- und Hochschulbereich. Die Studiengebühren von 51 Euro pro Semester, von der SPD als Verwaltungsgebühren getarnt, wollen Sozialdemokraten und Linke nicht abschaffen - anders als die neue CDU/SPD-Regierung in Thüringen.

SPD und LINKE streichen bis 2019 jede fünfte Stelle im öffentlichen Dienst - also insgesamt 10.000 reguläre Arbeitsplätze. Die Befürworter des Stellenabbaus argumentieren, dass niemand entlassen, sondern nur ausscheidende Beschäftigte nicht mehr ersetzt würden. Fakt ist aber: In dem Flächenland Brandenburg werden mehr öffentliche Dienstleistungen für die Bevölkerung wegfallen. Da Lehrpersonal und Polizisten vom Stellenabbau ausgenommen sind, muss beispielsweise im Gesundheits- und Sozialbereich oder an den Hochschulen gespart werden. DIE LINKE spielt die einen Beschäftigten gegen die anderen aus - anstatt mit ihnen um jeden Arbeitsplatz kämpfen.

Damit DIE LINKE die bittere Pille des Stellenabbaus schluckt, sieht der Koalitionsvertrag einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS) vor. Hier sollen 8000 Jobs geschaffen werden - allerdings nur unter der Bedingung, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung die Mehrheit der Kosten übernimmt. Das ist allerdings unsicher. Selbst wenn der ÖBS zu Stande kommen sollte, werden netto mehr Jobs vernichtet als neue geschaffen. Die Gefahr droht, dass reguläre Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst verdrängt und durch neue Beschäftigungsverhältnisse mit schlechteren Konditionen ersetzt werden. Denn die Höhe der Bezahlung im ÖBS ist unklar und im Koalitionsvertrag nicht festgelegt.

Den gebrochenen Versprechen stehen ein paar gute Projekte gegenüber. Die meisten davon müssen allerdings auf Bundesebene beschlossen werden. Im Bundesrat soll eine Initiative gegen Kinderarmut in Hartz-IV-Haushalten gestartet werden. Gegen die Rente mit 67 oder für eine Vermögenssteuer wird es allerdings keine Bundesratsinitiative geben. Außerdem bekennt sich Rot-Rot in Brandenburg zum neoliberalen Lissabon-Vertrag. Von der Bundes-LINKEN wird er abgelehnt.

Das Kernproblem des Koalitionsvertrags ist jedoch, dass er die Politik der Haushaltskonsolidierung fortsetzt. Brandenburg wird im nächsten Jahr aufgrund der Steuerpolitik und der Krise ein Defizit von etwa einer Milliarde Euro haben. DIE LINKE verpflichtet sich zu einem faktischen Schuldenstopp. Alle zusätzlichen Ausgaben wie zum Beispiel für Erzieherinnen und Erzieher »sind grundsätzlich durch Einsparungen an anderer Stelle auszugleichen«. Der Finanzminister der LINKEN, Helmuth Markov, schlägt vor, sich »vielleicht von Liebgewonnenem« zu verabschieden. So formulierte es auch Ex-Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).

In letzter Konsequenz bedeutet der Koalitionsvertrag, dass DIE LINKE ihre eigene soziale Basis angreift. Das schwächt die Bundespartei, die sich das Ziel gesetzt hat, neoliberale Politik zu bekämpfen und die kapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu überwinden. Für dieses Ziel gilt es, gesellschaftliche Mehrheiten zu organisieren. Linke Regierungsbeteiligungen haben bislang immer das Gegenteil bewirkt: In Berlin verlor die PDS nach fünf Jahren Regierungsbeteiligung die Hälfte ihrer Wählerinnen und Wähler. In Mecklenburg-Vorpommern stürzte sie von 24 Prozent (1998) auf 16 Prozent (2002) ab. Während Befürworter von Rot-Rot in Brandenburg die Erwartung der Wähler betonen, dass die LINKE in die Regierung geht, zeigen die Beispiele Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, dass dieselben Wählerinnen und Wähler nicht von gebrochenen Versprechen enttäuscht werden wollen. Die Regierungsbeteiligung ist jedoch nicht zu haben, ohne die Wahlversprechen zu brechen.

Das Kalkül von SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck ist es nicht, DIE LINKE bundesweit hoffähig zu machen. Vielmehr hofft er darauf, seinen Sparkurs mit der LINKEN leichter durchsetzen zu können und zugleich die Partei zu schwächen. »Offenbar war Platzeck die Linke zu stark geworden und er will sie nun einbinden. (..) Den künftigen Sparkurs gegen eine starke Linke-Opposition durchzusetzen, so die Sorge der SPD, hätte diese weiter gestärkt,« erklärte die Brandenburg-Expertin Gudrun Mallwitz in der Berliner Morgenpost.

Die brandenburgische LINKE wird nun als Oppositionskraft und als Bündnispartner für Protestbewegungen und Gewerkschaften wegfallen. Außerparlamentarische Bewegungen werden dadurch geschwächt. Die Regierungsbeteiligung auf Grundlage dieses Koalitionsvertrages wird der LINKEN und ihrer neuen sozialen Idee mehr schaden als nutzen. Die Abwesenheit einer linken Opposition wird die politische Achse eher nach rechts verschieben. Frustration und Resignation können zudem ein Nährboden für die Nazis werden, die die Kehrtwende der LINKEN in der Braunkohlefrage bereits begierig aufgreifen.

Deshalb ist es für DIE LINKE bei den Diskussionen über Landes- und Bundesregierungsbeteiligungen entscheidend, unverhandelbare Mindestbedingungen zu formulieren. Orientierungspunkte für diese Haltelinien wurden in der Vergangenheit wiederholt genannt: Keine Kürzungen und Privatisierungen, kein Stellenabbau im öffentlichen Dienst und keine Zustimmung zu Kriegseinsätzen. Diese Losungen markieren das Kernprofil der LINKEN. Dafür wurde und wird sie gewählt und das erwarten die Wählerinnen und Wähler von der Partei. Man braucht kein Wahrsager zu sein, um zu behaupten, dass sich die SPD auf Landes- wie auf Bundesebene darauf nicht einlassen wird. Wenn deswegen eine rechnerisch mögliche rot-rote (oder rot-rot-grüne) Koalition nicht zustande kommt, hat die SPD, wie in Thüringen, ein Glaubwürdigkeitsproblem - und nicht, wie in Berlin und Brandenburg, die LINKE.

Zum Autor / Zur Autorin:
Georg Frankl war im Wahlkampf der linksjugend ['solid] in Brandenburg aktiv. Lucia Schnell ist Mitarbeiterin der LINKEN-Bundestagsfraktion und Mitglied des SprecherInnen-Kreises der Sozialistischen Linken. 

 

 

marx21 Heft 13 hat die Schwerpunkte »Die Linke unter Schwarz-Gelb« und »Dresden 2010: Nazis stoppen« In dieser Ausgabe unter anderem:

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  • Interview mit Toralf Staud: »Die NPD arbeitet an der Faschisierung der Provinz«
  • »Von Tätern und Opfern«: Nazis versuchen, das Gedenken an die Bombardierung von Dresden für ihre Zwecke zu missbrauchen. Welche Antwort sollte die Linke geben? Ein Beitrag zur Debatte von Stefan Bornost
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