Symbole des Kollektiven

Was braucht die Stadt an Baukultur?

Aus: Forum Wissenschaft 1/2009

Eine Stadt, Stadtteile, Häuser haben sinnliche Bedeutungen – diese oder jene – für die Menschen, die in ihnen leben. Stadtplanung scheint gesondert neben ihnen zu stehen; im schlimmeren Fall ihnen gegenüber. Die widersprüchlichen Dynamiken von Planung, Produktion und Umgestaltung heutiger Städte und die der Partizipation schaut von mehreren Seiten Robert Kaltenbrunner an.

 

 

Das Vertraute und Wiedererkennbare, das physisch Fassbare, an das Erinnerungen geknüpft werden und welches Gefühle auszulösen vermag: In unserem ,kollektiven Gedächtnis‘ sind sie, so der Philosoph Maurice Halbwachs, unverzichtbar. Deswegen komme auch dem materiellen Aspekt der Stadt große Bedeutung zu, sei er doch für die affektive Bindung vieler EinwohnerInnen ausschlaggebend: Denn eine Mehrzahl der Stadtbevölkerung würde „zweifellos das Verschwinden einer bestimmten Straße, eines bestimmten Gebäudes, eines Hauses sehr viel stärker empfinden als die schwerwiegendsten nationalen, religiösen, politischen Ereignisse“.

 

Baukultur-Interpretationen

 

Im Projekt ,Stadt‘ verbinden sich mit einer Lebens- und Sozialform gleichzeitig Realitäten wie Wünsche. Stadt ist so verstanden ein analytischer und ein normativer Begriff. Das Verständnis von Urbanität als Vorstellung „guten Lebens“ in der Akzeptanz von Differenz wirkt ebenso normativ, wie es die analytische Betrachtung der Stadt bestimmt. Stadtbilder und -geschichten geben besondere Antworten auf allgemeinere Fragen nach Identität, d.h. danach, was Menschen (geworden) sind und gemacht haben. Städte bilden den Widerstreit zwischen Allgemeinplätzen, übergreifenden Strömen und besonderen Räumen ab, sie geben universellen Entwicklungen eine jeweils besondere lokale Form.

 

Natürlich lässt sich die soziale Komplexität des Urbanen nicht auf räumliche Arrangements reduzieren; gleichwohl aber erweist sich so etwas wie ,Baukultur‘ als unverzichtbar, wenn Stadt als Lebenswelt begriffen und beeinflusst werden soll. Gemeint ist damit sowohl das örtliche Erfahrungswissen einer Gesellschaft als auch der gegenwärtige Umgang mit der dreidimensionalen gebauten Umwelt. Die einzelnen Gebäude, ihr Produktionsprozess ebenso wie ihr Zusammenspiel, sind Indikatoren für den Lebenswert eines Ortes. Er wird in dreifacher Weise wahrgenommen: funktional im alltäglichen Gebrauch (als Gebrauchswert), ökonomisch über die Nachfrage als Wohn- und Arbeitsort (als Tauschwert) und symbolisch über das Erscheinungsbild und die Atmosphäre des Ortes (als Inszenierungswert).

Nun wäre es jedoch eine Illusion zu erwarten, dass Baukultur von allen Mitgliedern einer Gesellschaft interpretatorisch gleich bewertet wird. Gerade weil sie aber mit der Befriedigung der alltäglichen Lebensbedürfnisse zu tun hat, liegt ihre zentrale Aufgabe nach wie vor darin, einen Ausgleich herbeizuführen zwischen der Orientierung am Gemeinwohl und der Optimierung von Eigentums- und Individualrechten Einzelner. Stadtplanung ist dabei, um einen Gedanken des Kultursoziologen Lucius Burckhardt aufzugreifen, ein Zuteilen von Bequemlichkeiten und von Leiden. Denn alles, was Stadtplanung bewirkt, bringe irgendwelchen Leuten Vorteile und anderen Nachteile. Damit aber müsse man ,umgehen‘. Und die Architektur übernimmt als räumliches System noch immer Ordnungsaufgaben innerhalb der Gesellschaft. Nur muss man sich dessen neu bewusst werden.

 

Freilich sieht sich die Stadtentwick­lung mit einem fundamentalen Problem konfrontiert, das der renommierte Planer Rem Koolhaas folgendermaßen formuliert hat: „How to explain the paradox that urbanism, as a profession, has disappeared at the moment when urbanisation everywhere – after decades of constant acceleration – is on its way to establishing a definitive, global ,triumph‘ of the urban scale?“ Planung steht in der zeitgenössischen Gesellschaft nicht eben hoch im Kurs. In gewisser Weise gilt sie als ein Relikt des Kalten Krieges, und mit ihm glaubte man die Welt vom modernen Planungswahn befreit. Dies kommt nicht von Ungefähr: Denn was sich seit 1945 urbanistisch durchsetzte – und nach wie vor gilt –, ist eine aus dem Funktionalismus abgeleitete Analyse- und Planungstechnik. Sie ermöglichte und beförderte die Herausbildung unserer heutigen Siedlungsstruktur. Und das einzelne Haus wurde zum Bestandteil der Megamaschine Stadt, die durch ihre vielfältigen Ver- und Entsorgungstechnologien den Haushalt von zahlreichen Arbeiten entlastete, aber um den Preis einer immer stärkeren Belastung der natürlichen Umwelt.

 

Wenn dies, wofür vieles spricht, folgerichtiger Ausdruck eines zivilisatorischen Prozesses ist, dann muss man heute mit anderen Augen auf unsere urbane Entwicklung blicken. So problematisch die Analogie mit einem natürlichen Organismus auch sein mag, so sehr gibt es doch Ähnlichkeiten, die das Verständnis von Stadt erleichtern. Lebende Organismen erneuern z.B. permanent einen Teil ihrer Zellen, aber niemals alle gleichzeitig und selten an einer Stelle konzentriert. In Rhythmen von fünf bis 15 Jahren müssen zum Beispiel Gebäude renoviert werden, um als Baubestand aufrechterhalten zu werden. Geschäftsbauten, Produktionsanlagen und Infrastrukturen haben charakteristische Investitions- und Lebenszyklen, die eingehalten sein wollen, wenn ihre Art der Raumnutzung auf Dauer sichergestellt werden soll. Auch bei Städten lässt sich ein permanenter ,zellularer‘ Erneuerungsprozess feststellen. Komplexe biologische und menschliche Systeme haben Ähnlichkeiten in der Trägheit des Systemverhaltens gegen plötzliche Veränderungen.

 

Selbst in der drängenden Ökonomie der Zeit schwingt – in einer Art gegenläufigen Pendelschwungs – die Ahnung davon mit, dass die Beständigkeit der gewohnten Räume um die Menschen herum das Aushalten sozialer und anderer Veränderungen abfedert, wenn nicht gar ermöglicht. Überspitzt ausgedrückt: Je schneller der Wandel der Arbeits- und Lebensweisen, um so wichtiger scheint die Trägheit der alten Routinen und Formen als mentales Gegengewicht zu sein. Wenn die Zeitachse aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft keine sichere Orientierung mehr bietet, sucht man den Fortschritt im Bewahren.

 

Dies ist mehr als bloß konservative Befindlichkeit: Atmosphäre baut sich gerade in der Dimension städtischer Phänomene nur über lange Prozesse auf. Und Architektur ist, wie es der amerikanische Theoretiker Karsten Harries formuliert, „nicht nur um den domestizierenden Raum herum. Sie ist auch eine große Schutzmaßnahme gegen den Terror der Zeit.“ In diesem Zusammenhang ist es nur scheinbar paradox, dass etwa die 1970er Jahre als hohe Zeit des Bauwirtschaftsfunktionalimus, zugleich aber als Dekade der Denkmalpflege gelten. Dem liegt vielmehr eine gewisse Logik zugrunde. Nachdem Alexander Mitscherlich sehr folgenreich die „Unwirtlichkeit der Städte“ konstatiert hatte, kam den Denkmalen eine neue gesellschaftliche Bedeutung zu: Sie wurden gleichsam zu Trägern emanzipatorischer Postulate gegen eben diese Unwirtlichkeit. Bürgerbewegungen setzten sich erfolgreich gegen Abbruch und Auskernung von Altbauten zur Wehr und bekämpften den fortschreitenden ,auto­gerechten‘ Kahlschlag der Innenstädte. Gründerzeit und Historismus wurden wieder entdeckt, ihre Wohnbauten neu geschätzt.

 

Kommerzort Stadt

 

Erwartungen ganz anderer Art indes wecken jüngere Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster: Zunehmend bestimmt das Shopping das Aussehen der Städte. Nun ist das nicht neu; immer schon gruppierten sich feste Siedlungen um Märkte, bildeten Läden und Geschäfte den Kern des urbanen Gewebes. Heute aber wendet sich die Entwicklung des Handels gegen die Stadt: Sie scheint überflüssig, ja hinderlich zu werden. Der Konsum, zum überragenden Daseinszweck menschlichen Lebens avanciert, sprengt mit seinen Aktionsstätten den Rahmen des Städtischen. Die malls bilden eigene Welten, die der natürlichen Bedingungen nicht länger bedürfen. Beleuchtung und Klimatisierung lassen Wetter und Tageszeit vergessen. Dahinter erahnt man jedoch fundamentale gesellschaftliche Entwicklungen: Neue Geschäfte, Läden und Shops haben heute nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie das jeweilige Umgebungsmilieu aufgreifen und weiterentwickeln. Und der öffentliche Raum der Stadt wird mehr denn je zu einer kommerziellen Kategorie, zu einer Art Fruchtwasser, in dem der Einzelhandel sich neu gebiert. Das performative Aufpeppen der City steht aber beileibe nicht nur im Interesse des Handels: Vollmundig sprechen viele Kommunen davon, dass die Attraktivität, Anmutung und Aufenthaltsqualität des Innenstadtraums gestärkt werden müsse.

 

Sie reagieren damit auf weltwirtschaftliche Trends, denen sie sich schon deswegen nicht entziehen können, weil sie tief hineinwirken in jedwede urbane Realität. (Ob sie auf diese Art reagieren müssen, sei allerdings dahingestellt.) Zugleich garantiert die moderne Wirtschaftsstruktur keineswegs (mehr) die Integration in das gesellschaftliche System. So illustriert die Gentrification, die von Verdrängungsprozessen begleitete Aufwertung von Stadtquartieren, in einer für die Betroffenen sehr unmittelbaren Art und Weise, dass und warum es mit der angeblichen Dezentralisierung im Zuge der Dienstleistungsgesellschaft nicht weit her ist.

 

Allein, die Produktionsbedingungen gebauter Umwelt zu thematisieren, ist bislang wenig populär: Weit verbreitete Planungsfeindlichkeit aus ideologischer Voreingenommenheit und aufgrund partikularer Interessen, Misstrauen gegenüber öffentlichen Maßnahmen und der sogenannten Bürokratie, die Neigung, das Prinzip des freien Kräftespiels unterschiedslos auf private und öffentliche Angelegenheiten anzuwenden, ungenügende Kooperation von Marktkräften und öffentlichen Händen sowie mangelnde Einsichten von Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit in die Komplexität und Tragweite von Planung. Doch gerade weil ihre Resultate oftmals wenig Anlass zu Identifikation boten (und bieten), rückt der Prozessbegriff, d.h. die Kultur von Kommunikation und Beteiligung, des Interessenausgleichs und der Entscheidungsbildung, in den Vordergrund. Wobei man gar nicht deutlich genug mahnen kann, dass im planerischen Bemühen um ‚Integration‘ und ‚konsensuale Verfahren‘ nicht der Eigenwert von Gestaltung erneut vernachlässigt wird, wie es bereits einmal in der Planungseuphorie der 1970er Jahre der Fall war.

 

Beteiligung – Widersprüche

 

Die Begriffe Beteiligung und Partizipation sind seit jeher programmatische Schlagworte im Diskurs um die Baukultur. Seit Ende der siebziger Jahre ist das zweistufige Beteiligungsrecht, also die vorgezogene und die verbindliche Bürgerbeteiligung, fester Bestandteil des Planungsrechts. Als Modell ist dies Ergebnis eines jahrzehntelangen Emanzipations- und Demokratisierungsprozesses, bei dem die deutsche Planungspraxis auch international eine Vorreiterrolle gespielt hat. Das Modell offenbart allerdings Grenzen, weil es in der Regel fallbezogen und reaktiv ist und weil der Regelkreis für planerische Handlungsalternativen so definiert ist, dass übergeordnete Zusammenhänge vernachlässigt werden. Als Folge von Rechtsprechung und Verwaltungsroutine sind die Verfahren stark formalisiert, auf den Ressortzuschnitt der zuständigen Verwaltung begrenzt und an die Definition eines bestimmten räumlichen Geltungsbereichs gebunden. Erfahrungsgemäß werden durch die vorhabenbezogene Bürgerbeteiligung wichtige Planungen allenfalls in Einzelheiten beeinflusst, oder eine einvernehmliche Durchsetzung von Planungsentscheidungen kommt überhaupt nicht zustande – wie das speziell im Umweltbereich häufig der Fall war. Derartige Resultate erzeugen Frustration oder, was wohl noch problematischer ist, Anti-Planungs-Ressentiments bei den Bürgern. Baukultur wird als etwas betrachtet, das nur „von oben“ bestimmt und der eigenen Mitwirkung entzogen ist. Und diese ist wichtig, weichen doch die Einschätzungen der Notwendigkeit und Ausrichtung von Interventionen deutlich voneinander ab.

 

Wann also werden Beteiligung bzw. Einbeziehung von Bürgern in die Prozesse von Architektur und Stadtplanung tatsächlich einmal gewährleistet? Und wie selten werden BürgerInnen – von Einzelfällen und konkreten Anlässen einmal abgesehen – de facto von ,Betroffenen‘ zu ,Beteiligten‘ oder gar ,Bestimmenden‘? Dass solche Fragen so berechtigt wie notwendig sind, dürfte unstrittig sein. Allerdings, und andererseits, muss man sehen: An theoretischen wie praktischen Versuchen, BürgerInnen stärker in Fragen und Prozesse der Planung einzubeziehen, hat es gerade in den letzten Jahrzehnten kaum gefehlt. Gebracht hat es allerdings wenig. Das Problem wurzelt also tiefer, als man es gemeinhin wahrhaben will. BürgerInnen unterstellen nicht selten eine fehlende Ernsthaftigkeit des Beteiligungsangebots. Investoren beklagen den zeitlichen – und damit auch finanziellen – Aufwand der Verfahren (und implizit die Unsicherheit von deren Ausgang). Und von fachlicher Seite bestehen oft Vorbehalte wegen der Qualität der Ergebnisse („Konsens bis zum Nonsens“) bzw. wegen der Selektivität des Beteiligungsverfahrens („die üblichen Verdächtigen“).

 

„Messt die Architektur an der Architektur, der Mensch ist das Maß für den Schneider“, hatte Nikolai Ladowsky auf dem Höhepunkt der Bilderstürmerei Anfang der 20er Jahre in Moskau reklamiert. Eine Forderung zwar, die so unerhört war, dass sie in der breiten Öffentlichkeit nicht die geringste Aussicht auf Akzeptanz hatte. Aber auch ein neuer Geltungsanspruch, auf den sich die Stars der heutigen Szene zu berufen scheinen (freilich ohne es explizit zu sagen). Was beispielsweise der US-amerikanische Architekt Frank O. Gehry bewirkte, als er 1997 in einer nordspanischen Stadt den Neubau des dortigen Guggenheim-Museums fertigstellte, ist längst sprichwörtlich geworden – als Bilbao-Effekt. Mit diesem Begriff wird nun die gezielte Aufwertung von Orten durch spektakuläre Bauten oder iconic buildings von Architekten bezeichnet, die mittlerweile selbst zu Ikonen geworden sind. Natürlich spielen hierbei die Medien eine so bedeutsame wie verkürzende Rolle. Und damit scheint Baukultur lediglich zu sein, was als ästhetisch kommuniziert wird – also bestimmte zeichenhafte Gebäude. Diese, und nur diese, werden in der breiten Öffentlichkeit goutiert, für (mehr oder weniger) gelungen befunden. Mit dem Alltag der BürgerInnen – Stichwort: „my Home is my castle“ – hat das in der Regel herzlich wenig zu tun. Mit Baukultur allerdings auch nicht. Zumal sie keine ein-für-allemal fixierte Gestaltungs- oder Umgangsregel darstellt. Und damit wird das Terrain vage.

 

Baukultur der Res publica

 

In der politischen Philosophie gibt es eine Denkschule – vertreten etwa durch Sokrates, Montaigne oder David Hume –, die sich an zwei goldenen Prinzipien orientiert: Dem „Wechselprinzip“ und dem „Wissensprinzip“. Ersteres geht von der Erkenntnis aus, dass eine funktionierende Gesellschaft auf eine sehr feine Balance von Mächten, Institutionen und Verhaltensmustern aufgebaut ist. Jede Änderung birgt die Gefahr, die Balance zu gefährden. Das zweite Prinzip erteilt allen Sozialingenieuren, Planwirtschaftlern und RadikalreformerInnen eine Absage. Es besagt: Die Gesellschaft ist zu komplex, als dass die Wissensvorräte einzelner Politiker, Parteien und Expertengruppen ausreichend wären, um eine anwendbare Blaupause auszuarbeiten.

 

Die Prinzipien von „Wechsel“ und „Wissen“ sind, wenn man so will, auch die beiden Säulen, auf denen die Baukultur ruht. Markenzeichen eines entsprechenden Bewusstseins ist, dass man sich innerhalb des (Vor-)Wissens bewegt, sich ,haushaltend‘ damit ausei­nandersetzt, dass man Anwendung, Zweck und Gebrauch bedenkt, vorhandenen und möglichen Widersprüchen begegnet und gleichwohl nach der Gesetzmäßigkeit sucht. Die Herausforderung – für Baukultur wie Urbanität – lautet schließlich: zugleich offen zu halten und festzulegen; neuen Entwicklungen und dem gesellschaftlichen Wandel neue Möglichkeiten zu bieten, ohne unverbindlich zu werden. Verhandlung und Kooperation sind dabei zentrale Stichworte; denn Planung ist heute eine immer wieder neue Mischung aus Konzeption und Moderation. Sollte es möglich sein, für das Bauen Regelsysteme zu etablieren, die inhaltsbezogener und flexibler, somit auch wieder potenziell reicher „an kulturellem Sinn“ sein könnten als heutige baurechtliche und normative „Standards“? Baukultur besteht darüber hinaus aber auch darin, eine ‚Prise Utopie‘ mit den tatsächlichen Möglichkeiten unter einen Hut zu bringen. Einen Wegweiser dafür könnte das Engagement von Max Frisch abgeben. Der viele Jahre als Architekt arbeitende Schweizer Schriftsteller begriff und definierte Städtebau als politisches Anliegen der verantwortungsbewussten Bürgerschaft, womit nicht gemeint war, dass die ‚kritische Öffentlichkeit‘ selbst plane, sondern dass Planung unter ihrer Kontrolle stattzufinden habe. Frischs Konzeption zielte nicht auf eine architektonische Vollendung suggerierende Stadtutopie, sondern auf ein prozessuales Planungsmodell. Nicht intellektuelle Spiele und ästhetische Versuchsanordnungen, sondern zielgerichtete Reform der herrschenden Lebensverhältnisse waren sein Anliegen. Spätestens damit wird das Bauen (wieder) zu einer Sache des Res publica.

 

Dies aber ist nicht zuletzt ein stadtpolitisches Projekt. Denn was gebaut wird, wie etwas geplant wird, das sagt viel über die Gesellschaft aus, in der es stattfindet. Und umgekehrt. Einerseits hat sich die Architektur – mit ihren ,Raumbildern für Lebensstile‘ und ,Bühnenbildern für die Stadtkultur‘ – in der Erlebnisgesellschaft längst unentbehrlich gemacht. Andererseits wird ihre soziale und politische Aufladung, die tatsächliche wie die intendierte, nach wie vor zu wenig betrachtet. Schließlich, und um nochmals auf Halbwachs´ ,mémoire collective‘ zurückzukommen, konsolidiert sich jede Gruppe durch die Schaffung von Orten, die nicht nur Schauplätze ihres Handelns abgeben, sondern Anhaltspunkte ihrer Erinnerung sind – und Symbole ihrer Identität.

 

 

Dr. Robert Kaltenbrunner ist gelernter Architekt und Stadtplaner und arbeitet als Leiter der Abteilung „Bauen, Wohnen, Architektur“ im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung.