Auf den Fuchs gekommen

Heuschrecken, Münteferings Kapitalismuskritik und Antisemitismus – Zur Problematik von Tiervergleichen

Als der SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering (mit Blick auf den Landtags-Wahlkampf 2005 in Nordrhein-Westfalen) plötzlich Kapitalismusschelte wagte, das Finanzkapital anprangerte, das wie eine Heuschreckenplage über ein Gebiet herfalle, dann weiterziehe, und als er die SPD als Heuschreckendompteur empfahl, da meldete sich aus München von der dortigen Bundeswehr-Hochschule sogleich der rechte Jude Professor Michael Wolfssohn, um dies als Antisemitismus anzuprangern: „Heute nennt man diese ‚Plage’ Heuschrecken, damals ‚Ratten’ oder ‚Judenschweine’“, kritisierte Wolfsohn in der „Rheinischen Post“.

Als zwei Jahre zuvor mittels Tiervergleich nicht gegen das Kapital, sondern gegen den Kapitalismuskritiker (jüdischer Herkunft) Gregor Gysi agitiert wurde, konnte dieser sich nicht des Beistands aus München erfreuen. Während Gregor Gysi und Lothar Späth 2003 im Leipziger Hauptbahnhof ihre neue (wenig später eingestellte) mdr-Talkshow fahrig durch die Sendezeit schleppten, waren Anti-Gysi-Demonstranten glücklich, daß ihr Transparent andere Medien interessierte. „Gysi, Vorsicht Falle!“ war auf dem Tuch zu lesen, das einen Fuchs zeigte und aus Jenaer Wende-Zeiten stammte. Revolution von oben: Eine sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete riet, keine Gebühren mehr an den Sender zu zahlen. Der auch von PDS-Steuerzahlern alimentierte Thüringer Landesbeauftragte für die MfS-Unterlagen hielt das Transparent in die Kameras überregionaler Medien, obwohl er in der Regionalpresse zugab, daß Gysi keine Tätigkeit für das MfS nachgewiesen sei. Ihm assistierte der Vorsitzenden der Geschichtswerkstatt Jena e.V., die bekannt ist für IM-Jagd in 12 Jahren Nachwendezeit, nicht für historische Arbeit zu den 12 Jahren Nazi-Diktatur, die damals (im Januar 2003) vor genau 70 Jahren begonnen hatte. Statt dessen stilisierte der Referent einer Geschichtswerkstatt-Veranstaltung unwidersprochen Adenauers Kanzleramtschef Globke, der in Hitlers Innenministerium die Juden entrechtenden „Nürnberger Gesetzen“ kommentiert hat, zum Opfer von MfS-Verleumdungen. (Schärfer als andere Nazijuristen wollte Globke den Begriff „außerehelicher Verkehr“ im „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ so weit auslegen, daß „z.B. gegenseitige Onanie“ als „Rassenschande“ mit Gefängnis oder Zuchthaus bestraft werden konnte.)

Gegenüber der Presse hatte die Geschichtswerkstatt für den Vorwurf, das Anti-Gysi-Transparent enthalte ein antisemitisches Klischee, kein Verständnis. Wer sein Denken auf Fuchs, Jürgen, den Säulenheiligen der Geschichtswerkstatt, ausrichtet, dem fallen weder in Kuweit am Rande des Irak-Kriegs stationierten Fuchs-Panzer noch das 1921 erschiene Werk von Eduard Fuchs „Die Juden in der Karikatur“ ein. Das vom Antisemitismusforscher Julius H. Schoeps 1999 herausgegebene Buch „Bilder der Judenfeindschaft“ gehört vermutlich auch nicht zu den vom Thüringer Stasiunterlagenbeauftragen und der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikatatur gesponserten Beständen der Geschichtswerkstatt. Wahrscheinlich liest man neben den Jenaer Literaten Jürgen Fuchs oder Lutz Rathenow keine Weltliteratur, etwa Jorge Luis Borges’ Klage 1937 über die Hetzschrift „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid“: „Ich weiß nicht, ob die Welt auf die deutsche Zivilisation verzichten kann. Es ist beschämend, daß sie so von Haß verunstaltet ist.“ Elvira Bauers Nazi-Kinderbuch „Trau keinem Fuchs...“ ist 1936 im Nürnberger Stürmer-Verlag erschienen. Der Fuchs wird als Sinnbild alles Falschen und der Hinterlist der Juden vorgestellt. Julius Streichers "Der Stürmer" empfahl das Buch für jeden Weihnachtstisch im Reich, auch für Große, „so lange es noch Leute gibt, die in ihrem ‚anständigen' Juden nicht den verkappten Teufel erkennen“. Die mdr-Aufklärer, die warnen, den verkappten Gysi nicht als anständigen Wortakrobaten zu verkennen, hätten in die Holocaust-Ausstellung des Deutsche Historische Museum in Berlin letztes Jahr das antisemitische Fuchs-Buch studieren können. Das Arbeitsamt, das die Geschichtswerkstatt fördert, sollte den Barfußhistorikern eine Fortbildung gönnen und ihnen auferlegen, die Wanderausstellung über Judenfeindschaft in Deutschland zwischen 1933 und 1945, die Professor Peter W. Schmidt am Institut für Schulgeschichte der Pädagogischen Hochschule Weingarten erarbeitet hat und die ebenfalls das Fuchs-Stereotyp behandelt, nach Jena zu holen.

Es stimmt, daß vor der Liquidierung des Feindes diesem oft sein Menschsein abgesprochen wurde, daß er zum Tier - zum Schädling – stilisiert, der Vernichtung preisgegeben wurde.

Der Marburger Faschismusforscher Reinhard Kühnl erinnerte in einem Gutachten für den wegen Beleidigung von CSU-Politikern angeklagten SDAJ-Jungkommunisten Hans Walter von Oppenkowsky an dieses Verfahren. Die Expertise erschien 1972 unter dem Titel „Die von F. J. Strauß repräsentierten politischen Kräfte und ihr Verhältnis zum Faschismus“. Darin schrieb Kühnl: „Den Gipfel eindeutig faschistischer Agitation aber erreichte Strauß, als er nach einer Protestaktion Jugendlicher beim Landratsamt in Bamberg an den bayerischen Ministerpräsidenten Goppel telegrafierte: ‚Die Außergesetzlichen haben in gröbster Weise die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört ... Diese Personen ... benehmen sich wie Tiere, auf die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht mehr möglich ist’“. Kühnl zitierte in dem Zusammenhang auch Emil Franzel, einen in der CSU gelandeten Ex-Nazi, der über die gegen den Springer-Pressekonzern demonstrierenden Studenten schrieb: „Springer könnte sich die Wanzen bald vom Leib schaffen, wenn er nicht so merkwürdige Hemmungen gegen die Anwendung der einzig dafür tauglichen Mittel hätte. Man kann Ungeziefer eben nur mit den geeigneten mechanischen und chemischen Mitteln vertilgen, nicht mit gutem Zureden“.

Solche diffamierenden Tiervergleiche waren zu beobachten in Faschismus, Stalinismus und Nationalsozialismus. „Der barbarische Ritus der Säuberungen ist nicht zu trennen von der Animalisierung des Anderen, der Reduzierung eingebildeter und tatsächlicher feinde auf tierische Wesen“, schrieb der Pariser Philosoph Alain Brossat. Und die Zeitung „Prawda“ verkündete am 12. Februar 1920 als sowjetische Wahrheit: „Der beste Platz für den streikenden Arbeiter, dieser schädlichen Stechmücke, ist das Konzentrationslager!“ Lesenswert ist, was Alex Bein in „Die Judenfrage – Biographie eines Weltproblems“ (Stuttgart 1980) über die Biologisierung der Sprache und die Etikettierung als „Parasit“ (Band 1, S. 355ff.) oder „Bazille“ (band 2, S. 196f.) dokumentierte.

Andererseits ist die ständige reductio ad hitlerum bei Tier-Metaphern unangebracht. Da laust mich doch der Affe, denkt man sich, müde wie ein Hund, sollte immer derart „entlarvt“ werden und ein Reinheitsgebot – keine Tiervergleiche! – zur political correctness erlassen werden. Wollen das, Müntes Heunschrecken eingedenk, die tierisch schimpfenden Arbeitgeberpräsident Hundt (!) und der Historiker Wolfssohn (!!) wirklich? Was sagt dazu der Ex-Ministerpräsident Thüringens Bernhard Vogel jetzt als Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung? Gewiß: manchmal zeigt sich das Großkapital scheu wie ein Reh und die Politik mutig wie ein Löwe. Aber das im Schiller-Todesjubiläumsjahr („Da werden Weiber zu Hyänen“)!? Und was ist mit George Orwells antikommunistischen, antitotalitärem Bestseller „Animal Farm“? Kommen nun Lafontaine (der Fabeldichter, nicht Oskar, der SPD-Dissident) und Äsop auf den Index? Verfassungsfeinde!? Kommt beim bundesdeutschen Hang zur Verbannung von Symbolen nun das Verbot von Tiervergleichen? Noch gibt es Gegenstimmen, denen man zurufen möchte: „O Weisheit! Du redest wie eine Taube!“ (Johann Wolfgang von Goethe, „Adler und Taube“), und mit denen man für die Verbreitung eines Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts erschienen Buchs werben mag: Dietmar Grieser, „Im Tiergarten der Weltliteratur – Auf den Spuren von Kater Murr, Biene Maja, Bambi, Möwe Jonathan und den anderen“, die doch auch menschliches Verhalten widerspiegeln.