Und es gibt ihn doch! - Erklärungen zum marxistischen Feminismus *


Auch linke Männer sind nicht frei von bürgerlichen Vorurteilen. Selbst für manche Marxisten hat der Feminismus einen merkwürdigen Beigeschmack von Sauertöpfigkeit und Pflichtübung. Wer, weil er sich nicht für zuständig hält, die Sache der Frauen beiseite legt, sieht das enorme Widerstandspotential nicht, dass der Kampf für die Emanzipation der Frau birgt. Das ist der eine Grund. Der andere Grund, sich dringend mit feministischen Fragestellungen zu beschäftigen, liegt in der Gefräßigkeit des real existierenden Gesellschaftssystems. Im Kapitalismus wird noch die beste Idee zu Geld. Schlimmer noch: Jede gesellschaftskritische Idee, und sei sie im ersten Anlauf noch so kapitalismusfeindlich, wird früher oder später genutzt, um die Unterdrückungsmechanismen zu verfeinern. Genau das passiert vor unseren Augen mit dem Aufbruch der Frauen aus ihrer nicht selbst verschuldeten Unmündigkeit. Frauen tragen, während sie scheinbar an ihrer Emanzipation arbeiten, zur Restauration des menschenausbeutenden Spätkapitalismus und damit zur Manifestierung ihrer eigenen Abhängigkeit bei. Diesen Zusammenhang zu analysieren und dabei die Sache der Frauen nicht zu verraten, ist im Grunde nur mit einem marxistisch-dialektischen Ansatz zu schaffen. Doch der Reihe nach. 


Blick zurück

Nicht zufällig treten die ersten organisierten Frauenrechtlerinnen genau dann auf den Plan, als sich im 19. Jahrhundert die Arbeiterbewegung formiert. Neben einer bürgerlichen Frauenbewegung, die das Wahlrecht und gleiche Ausbildungschancen für Frauen fordert, formiert sich die sozialistische Bewegung. Sie ist getragen von dem Bewusstsein, dass in der bestehenden Gesellschaftsordnung die Ursache für die Unterdrückung der Frau liegt, aber eben nicht nur der Frau. „Es handelt sich also nicht nur darum, die Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne auf dem Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu verwirklichen, was das Ziel der bürgerlichen Frauenbewegung ist, sondern darüber hinaus alle Schranken zu beseitigen, die den Menschen vom Menschen, also auch das eine Geschlecht von dem anderen, abhängig machen. Diese Lösung der Frauenfrage fällt mit der Lösung der sozialen Frage zusammen. Es muss daher, wer die Lösung der Frauenfrage in vollem Umfange erstrebt, mit jenen Hand in Hand gehen, welche die Lösung der sozialen Frage als Kulturfrage für die gesamte Menschheit auf ihre Fahne geschrieben haben, das sind die Sozialisten.“ (August Bebel 1879/1973, 30)


Und heute?

Der fundamentale Unterschied in der Zielsetzung der beiden feministischen Strömungen besteht weiter, nur tritt er heute nicht mehr so klar zutage. In die unüberschaubar gewordene feministische Literatur – was läuft heutzutage nicht alles unter dem Etikett „feministisch“ – muss man schon sehr genau hineinsehen, um die Autorinnen und Autoren zu finden, die sich weiterhin der sozialen Frage verschrieben haben. So wie das Versprechen der „Sozialpartnerschaft“ den Gewerkschaften das Genick gebrochen hat, so wirkt längst die im westlichen Kulturkreis angeblich durchgesetzte „Gleichberechtigung“ der Frau wie ein ideologisches Gift, das den Protest der Frauen lähmt. Dabei steht diese Gleichberechtigung nur auf juristischem Papier.

Beispiel Lohndiskriminierung: Laut EU-Bericht zur europäischen „Einkommensentwicklung 2008“ verdienen Frauen in Deutschland 23 Prozent weniger als Männer. Frauen werden schon zu Beginn ihres Berufslebens wesentlich schlechter bezahlt als ihre Kollegen, zeigte erst diesen Herbst wieder das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung auf. Beispiel Chancen am Arbeitsmarkt: Arbeitsmarkt-, Familien- und Sozialpolitik orientieren sich allen Politikerbehauptungen zum Trotz am traditionellen Familienmodell, nach dem Männer die Haupternährer und Frauen die Zuverdiener sind. Subsistenzsichernde Teilzeitarbeitsplätze, ein soziales Ziel der 1970er-Jahre-Politik, sind längst vom Tisch. Frauen werden im Gegenteil überproportional häufig aus dem regulären Arbeitsmarkt in prekäre Beschäftigungsverhältnisse gedrängt und bilden damit ein permanent verfügbares billiges Arbeitskräftereservoir. Damit lässt sich wiederum der Druck auf männliche Arbeitnehmer steigern, Lohnkürzungen zuzustimmen. Diese Abwärtsspirale ist spätestens seit dem Ende der DDR und nicht erst seit der so genannten Finanzkrise munter in Gang. Männer müssten sich schon in ihrem eigenen Interesse für bessere Löhne und Arbeitsplatzchancen für Frauen einsetzen.

Beispiel Armut: Sie betrifft in erster Linie Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Erwerbslose. Frauen sind in diesen Gruppen überproportional häufig vertreten. Selbst die Boulevardpresse stellt inzwischen fest: Armut ist weiblich.

Natürlich sind Unterdrückung und Benachteiligung der Frauen weitaus älter als der vergleichsweise junge Kapitalismus. Engels hat in seiner Untersuchung „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ nachgewiesen, dass die Unterdrückung der Frau an die ökonomischen Verhältnisse gebunden ist. „In dem Verhältnis also, wie die Reichtümer sich mehrten, gaben sie einerseits dem Mann eine wichtigere Stellung in der Familie als der Frau und erzeugten andrerseits den Antrieb, diese verstärkte Stellung zu benutzen, um die hergebrachte Erbfolge [nach Mutterrecht, H. F.] zugunsten der Kinder umzustoßen.“ (Engels 1884, 60) Man muss Engels nicht in allen Interpretationen zustimmen, doch die Herabwürdigung der Frau geht mit ihrer ökonomischen Abhängigkeit einher und diese kam zusammen mit dem Privatbesitz auf.


Frauen bleiben abhängig

Im Kapitalismus werden nun die älteren patriarchalen Abhängigkeitsverhältnisse fortgeführt, was scheinbar den Männern, tatsächlich aber der Wirtschaftsordnung dient. Unbezahlte „Reproduktionsarbeit“ wird weiterhin fast ausschließlich von Frauen geleistet; zu ihr gehören das Großziehen von Kindern und die Pflege der älteren Generationen. Daran hat auch die Einführung der Pflegeversicherung wenig geändert. Es ist eine charakteristische Erscheinung des Spätkapitalismus, dass vormals linke Forderungen ohne Probleme aufgenommen werden, wenn damit nebenbei auch noch beispielsweise die Versicherungswirtschaft unterstützt werden kann, ohne dass sich an den grundlegenden Strukturen etwas ändern muss. Wegen der besonderen Belastung durch lebensnotwendige Pflegearbeiten haben Frauen weiterhin schlechtere Chancen, sich auszubilden und am „offiziellen“, bezahlten Arbeitsleben teilzunehmen. Aus diesem Dilemma gibt es bislang nur individuelle, keine grundsätzlichen Lösungen.

Es spricht für die Schwäche der Frauenbewegung, dass die einfache Forderung nach Kinderbetreuungsplätzen nicht permanent zur Mobilisierung genutzt wird. In einzelnen Ländern haben Frauen größere Unabhängigkeit erreicht, dort stehen ihnen Kinderbetreuungsplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung. In Deutschland scheint die konservative Propaganda nachhaltig zu wirken, nach der die leibliche Mutter der beste „Betreuungsplatz“ für ein kleines Kind ist. Dabei gibt es ausreichende Untersuchungen, die die menschlichen Gefühle, etwa gegenüber einem Baby, aus ihrer quasi unantastbaren Göttlichkeit wieder in menschliche Verhältnisse setzen. Schon um 1870 stellte die scharfsinnige Feministin Hedwig Dohm fest: „Der Mütterlichkeit muss die Speckschicht der Idealität, die man ihr angeredet hat, genommen werden.“ Genau auf diesem ideologischen Gebiet, auf dem die Frauenbewegung seit den 1960er Jahren vermeintliche Fortschritte erreicht hat, ist heute die Restauration konservativ geprägter Machtverhältnisse abzulesen. In finanzkrisenträchtigen Zeiten wird an der Profitschraube gedreht, wo es nur geht. Da Frauen traditionell das schwächste Glied in der Arbeitskette sind (Kinderarbeit wird wohl doch nicht wieder eingeführt), können gerade sie in größtmöglicher Abhängigkeit gehalten werden, bei geringstmöglichem Lohn. Beinahe stillschweigend, als hätte es nie eine Frauenbewegung gegeben, konnte vor wenigen Monaten das Unterhaltsrecht zum Schaden der Mütter geändert werden. Als nächstes werden die Regelungen zur Schwangerschaftsunterbrechung in Deutschland weiter verschärft, und auch dann wird der Widerstand uneinig und nur vereinzelt auftreten.


Die doppelte Ausbeutung der Frau

Es ist eine ökonomische Tatsache, dass Frauen als Lohnarbeiterinnen doppelt ausgebeutet sind. Damit ist nicht gemeint die historisch ältere sozioökonomische Abhängigkeit von patriarchalen Strukturen, sondern die kapitalismusspezifische Ausbeutung. Doppelt heißt: gleich ihren männlichen Kollegen plus zusätzlich überausgebeutet als weibliche, vergleichsweise unterbezahlte Arbeitskräfte.

Die Überausbeutung der weiblichen Arbeitskraft wird zwar damit begründet, dass Frauen weniger gut ausgebildet, weniger belastbar seien, wegen ihrer Kinder höhere Fehlzeiten hätten und was dergleichen Vorwände mehr sind. Im Grunde kommt der herrschenden Klasse zupass, dass Frauen durch ihre –unbezahlte „Reproduktionsarbeit“ nur vermindert und daher nicht vollkommen gleichberechtigt am Arbeitsleben teilnehmen können. Doch diese Scheinbegründungen, hinter denen ein stillschweigendes Einverständnis mit dem hergebrachten Vorrang von Männern steht, bilden nur den ideologischen Vorwand. Tatsächlich ist der einzige Grund, Frauen auszubeuten, ein ökonomischer. Es würde die feministische Diskussion erleichtern, sich auf diesen Zusammenhang zu konzentrieren. Die Frage nach dem benachteiligten Geschlecht ist das eine, die Frage nach der ausgebeuteten Klasse das andere Element der Analyse. Als Angehörige ihrer Klasse der Lohnabhängigen sind Frauen doppelt ausgebeutet.

Die Begriffsebenen Klasse und Geschlecht verschränken sich hier. In der feministischen Diskussion nimmt die Debatte über die Beziehung der beiden Ebenen einen breiten Raum ein; sie soll hier nicht wiederholt werden. Sicher ist, dass sich „die Geschlechterverhältnisse für den Kapitalismus als praktisch erwiesen“, praktisch im Sinne der Kapitalakkumulation (Pachinger 2005, vgl. C. Fischer 2008; siehe dazu auch den Beitrag von Thomas Lühr in dieser Ausgabe.)

Die in akademischen Feministinnenkreisen entwickelte „Zwei-Systeme-Theorie“, dank einer gewissen Vorherrschaft angloamerikanischer Forscherinnen in der Debatte auch „Dual-Systems-Theory“ genannt, geht zu weit. Sie besagt, dass Geschlechterverhältnisse als gleichrangig mit Klassenverhältnissen anzusehen sind, dass also die Unterdrückung durch Kapitalismus und durch Patriarchat von gleicher Bedeutung seien und sich obendrein ergänzten. Diese Gleichbehandlung zweier unterschiedlicher Begriffssysteme wurde endlos ausformuliert, debattiert, affirmiert oder negiert. Für Nicht-Eingeweihte wurde die feministische Diskussion unüberschaubar. Wahrscheinlich liegt hier auch eine Ursache für die „unzureichende Beschäftigung mit dem Problem des marxistischen Feminismus, nicht zuletzt unter Kommunist(inn)en“ (C. Fischer 2008, 93).


Klasse oder Geschlecht

Dabei liegt genau hier der Ansatzpunkt für den marxistischen Feminismus: Ausgehend vom Marxschen Klassenbegriff kann die Ausbeutung der Frau analysiert werden, ohne den Hauptfehler der sich über die Jahre verbürgerlichenden akademischen Frauenbewegung zu wiederholen. Der Fehler lag darin, Lösungen innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems zu suchen. Die bisherigen Erkenntnisse über die unterschiedlichen Kategorien Klasse und Geschlecht müssen wieder systematisch in die Diskussion aufgenommen werden. Ihre unterschiedliche Analysekraft wird sofort deutlich, wenn man sich die „Erfolgsfrauen“ anschaut, die es in unserer Gesellschaft auch gibt.

Tatsächlich erhalten Frauen im Kapitalismus, genauer: in der deutschen Bundesrepublik seit dem Ende der so genannten Wirtschaftswunderjahre Chancen zugeteilt, von denen sie in früheren Gesellschaftsformen nur träumen konnten. Das liegt auch an ihrer wachsenden Bildung und ihrem – nicht zuletzt durch feministische Arbeit – gewachsenen Selbstbewusstsein. Vor allem aber erfordern die Transformationsprozesse, denen sich die kapitalistischen Machtzentren gegenübersehen, Rücksichtnahmen, die in der Vergangenheit nicht nötig waren. Statt Frauen Teilhabe am öffentlichen Leben zu verweigern, ist es heute einfacher und effektiver, sie im Sinne des Kapitals zu verwerten.

Wie sehen die neuen Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen aus? Auch in linken feministischen Kreisen ist das Missverständnis anzutreffen, es sei ein Erfolg für die Sache der Frauen, wenn wieder eine von „uns“ eine Führungsposition erringt. „In den 30 Konzernen des Deutschen Aktienindex (DAX) spürte das Karlsruher Institut für Technologie zum Stichtag 31. Dezember 2008 mit Barbara Kux im Vorstand von Siemens nur eine einzige Frau auf der Topebene auf“, bedauerte im September 2009 eine marxistische Tageszeitung. Nur eine einzige Frau, die nun einem der korruptesten, arbeitnehmerfeindlichsten Unternehmen Deutschlands vorsteht.

Oder gewinnt das weibliche Geschlecht durch die in den letzten Jahrzehnten errungenen Möglichkeiten, etwa zum Aufstieg in Vorstandsetagen, gesamtgesellschaftlich doch eine stärkere Position? Das Gegenteil scheint der Fall. Ein Indikator dafür ist die Klassenspezifik der Erfolgsgeschichten bei gleichzeitig steigender Frauenarmut. Aufstiegsmöglichkeiten gelten generell nur für eine Minderheit. Der letzte internationale Unesco-Bildungsbericht hat – geschlechterunabhängig – gravierende Defizite in der Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems festgestellt. Gerade in Deutschland hängen Ausbildungsgrad und beruflicher Erfolg besonders stark von der sozialen Stellung und finanziellen Ausstattung des Elternhauses ab. Frauen, das benachteiligte Geschlecht, müssten zusammen mit sozial Benachteiligten für bessere Bildung kämpfen.

Die Analyse des Beziehungsgeflechts von Klasse und Geschlecht führt zu einer wesentlichen Erklärung für das bisherige Scheitern der Frauenbewegung: Frauen fühlen sich stärker ihrer jeweiligen sozialen Gruppe zugehörig als ihrem eigenen Geschlecht. Das belegt zum Beispiel die von 1991 bis 1995 durchgeführte Studie von Petra Frerichs und Margareta Steinrücke zum Verhältnis von „Klasse und Geschlecht“. Ihre Fragestellung lautete: Was verbindet bzw. trennt die Menschen mehr: das Geschlecht oder die Klassenzugehörigkeit? Anhand verschiedener Indikatoren wie Beruf und Bildungsstand von Eheleuten konnten sie nachweisen, dass die Geschlechtsunterschiede weitgehend von den Klassenunterschieden überlagert und dominiert werden (vgl. Steinrücke 2006).

Daraus folgt: Wenn Frauen einer bestimmten Gruppe, beispielsweise mittlere bis höhere Angestellte, eine bestimmte Arbeitsteilung im häuslichen Bereich durchsetzen, etwa bei der Kinderbetreuung, dann tun sie das nicht für alle Frauen, sondern im Blick auf ihre soziale Gruppe. Sie können daher das Erziehungsgeld für Väter leichten Herzens in Anspruch nehmen, sich progressiv fühlen und dann weiter CDU wählen. Solidarität mit Geschlechtsgenossinnen darf man unter Frauen nicht erwarten, jedenfalls nicht, solange kein gemeinsames soziales Interesse besteht. Frausein allein reicht nicht. Mitunter ist man als Frau unter Frauen sogar sehr allein. (Es wäre für die politische Arbeit hilfreich, diesen Umstand im Auge zu behalten. Ich möchte allerdings vorschlagen, neben der empirisch-nüchternen Feststellung der fehlenden weiblichen Solidarität immer mitzubedenken, dass Frauen seit Jahrtausenden nicht frei und gleich leben können, dass sie das dauerhaft unterdrückte Geschlecht sind. Dafür haben sie vergleichsweise viel erreicht.)


Klassenzugehörigkeit – wo bist du?

Die Problematik der Selbstzuordnung der Frau, ob zu ihrer sozialen Gruppe bzw. zu ihrer Klasse oder zu ihrem Geschlecht oder je nach konkreter Situation mal so, mal so, ist kein rein feministisches Problem, sie kann im Gegenteil für die gesamte marxistische Arbeit fruchtbar gemacht werden. Wie Klassenbewusstsein sich im Neoliberalismus entwickeln und in politisches Handeln münden kann, diese Frage stellt sich bekanntermaßen der gesamten marxistischen Forschung. „Die ‚Achillesferse’ der marxistischen Klassentheorie bleibt, dass der Zusammenhang zwischen ‚objektiven’ Klassenlagen und ‚subjektivem’ Klassenbewusstsein und -handeln nicht ausreichend geklärt ist.“ (Bell 2006, Folie 7)

Frauen einer herrschenden sozialen Schicht haben keine Probleme, andere Frauen zu unterdrücken, also Herrschaftsinteressen über Geschlechtersolidarität zu stellen. Die dominanten Frauen halten das gern für einen Ausdruck von Emanzipation. Tatsächlich setzen sie die von Männern erstellten und weiterhin dominierten Ausbeutungsverhältnisse quasi geschlechtsneutralisiert fort, statt sie aufzulösen. Eine Kanzlerin, die die gesamte Innenpolitik ihrem Mentor Schäuble überlässt und auch bei schwersten verfassungsrechtlichen Verfehlungen ihres Innenministers still hält, ist kein Beispiel für Frauenemanzipation, sondern für Klassenherrschaft.


Feminismus postmodern

„Feminismus war einst ein Projekt, die Gesellschaft so zu gestalten, dass auch Frauen aufrecht und sinnvoll darin leben könnten. Der daraus folgende Anspruch, dass es mit Gleichstellung nicht getan ist, sondern eine andere Gesellschaft braucht, rutscht zunehmend ins Abseits“, konstatiert die Soziologin Frigga Haug (Haug 2009, 404). Die zweite Welle der Frauenbewegung, die mit den so genannten 68ern einsetzte, das große „Projekt“, scheint gescheitert. Eines ihrer Spezifika war die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus; die Frau wurde in übertriebenem Analogieschluss als „versklavt“ bezeichnet, was wiederum den Protest afroamerikanischer Feministinnen hervorrief, dem wiederum der begründete Protest afrikanischer und asiatischer Feministinnen folgte – um nur eine der vielen Konfliktlinien zu nennen. Von außen betrachtend konnte man den Eindruck gewinnen, Frauen seien untereinander in stärkerer Auseinandersetzung begriffen als gegenüber Männern. Was war passiert?

Bei der Analyse der Gründe, weshalb die sich international aufschaukelnde zweite Feminismuswelle letztendlich in unzählige Tröpfchen zerplätscherte, hilft ein Blick auf das gesamtgesellschaftlich auftretende Phänomen der „Postmoderne“. So wie ich bereits bei der Frage des Klassenbewusstseins der Frau vorgeschlagen habe, das Problem als sowohl feministisches wie auch allgemein marxistisches zu behandeln, so möchte ich an dieser Stelle vorschlagen, eine Kritik der feministischen Bewegung in den Gesamtkontext einer Kritik der „Postmoderne“ zu stellen. Ein nicht geringer Teil der feministischen Forschung besteht heute sowieso in Bestandsaufnahmen, Rückblicken und Kritiken. (Aktuelle Beispiele dafür in „Elemente eines neuen linken Feminismus“ (Das Argument 281). Die Last der Selbstbeschuldigung könnten wir etwas erleichtern.

Als charakteristisch für die „Postmoderne“, die mit dem Ende der kapitalistischen Prosperitätsphase einsetzte, muss eine vollkommene Relativierung aller Werte, Begriffe, Normen angesehen werden. Bildhaft wurde die Postmoderne in der Architektur, wo sich ein Mischmasch aus historisch überlieferten und nun beliebig kombinierbaren Stilelementen als neuer Bau-„Stil“ etablierte. „Das Ende der Geschichte“ sei erreicht, mit dieser Behauptung wurden die Emanzipationsbestrebungen unterdrückter Völker und Bevölkerungsteile für beendet erklärt. Der Spruch „Alles ist relativ“ zeugt bis heute von höchstem Denkvermögen und bringt doch nur die Abkehr von jeder Verantwortung und jedem echten Interesse zum Ausdruck. In der Welt des postmodernen Diskurses – gut postmodern müsste man den verwischenden Plural bilden, also: der postmodernen Diskurse – darf man sich als Subjekt beständig neu erfinden, als Frau, als Hetera, als Queer; die Möglichkeiten der vermeintlichen Selbstverwirklichung vervielfältigen sich, womit der Eindruck gestiegener Freiheit produziert wird. Tatsächlich ändert sich nichts an den bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen; seit den 1980er Jahren und vollends seit dem Anschluss der DDR geraten immer mehr Menschen in die menschenverachtende Verwertungsmaschinerie des Spätkapitalismus und spüren das auch, jedoch ohne noch intellektuellen Widerstand leisten zu können. „Weil die Mechanismen, die das ‚Unbehagen’ an der sozio-kulturellen Umwälzung hervorrufen, nicht thematisiert werden, bleiben die Ursachen der Fremdbestimmung und des Lebensüberdrusses unbegriffen, kann die symbolische Auflehnung dagegen problemlos in das Netz des machtkonformen Denkens integriert werden.“ (Seppmann 2000, 255)


„Gender“ statt Frau

Wer will schon unmodern sein! Die Postmoderne hat uns mit einer Überfülle an Begriffen förmlich zugeschüttet (global village, patchwor kfamily, infotainment …), die jeweils eigene Problematisierungen erfordern und Einzelprobleme zu Hauptfragen stilisieren, so dass eine Frau sich kaum noch traut, das Wort „weiblich“ zu verwenden, ohne es sofort zu relativieren und zu problematisieren. Und es hat funktioniert! Selbst die existentielle Frauenfrage konnte ad acta gelegt werden – indem sie durch „Gender Mainstreaming“ ersetzt wurde. Das „Mainstreaming“ hat, EU-gefördert, für Frauen in Deutschland zu zwei wesentlichen Verschlechterungen geführt: 1. zur effektiven Abschaffung der Frauenfrage auf kommunaler und Länderebene (was sich drastisch in der Abschaffung von Frauenreferaten, Frauenhäusern, Frauenbeauftragten zeigt, ohne dass vergleichbare Strukturen zur Unterstützung von Frauen geschaffen worden wären) und 2. zum Zwang, gleichfalls mit dieser unpräzisen Begrifflichkeit zu arbeiten, wenn Frau an Forschungsaufträge, Fördergelder, akademische Stellen kommen will. In der gleichen Weise wurde übrigens das widerständige Potential der Schwulen- und Lesbenbewegung einkassiert, Homosexuelle haben ihre tragende Rolle im Staatsgefüge erhalten, ohne dass es der Mehrheit der schwulen und lesbischen Menschen besser ginge.

Und noch einen Fehler gilt es zu überwinden.


Feminismus und Erotik

Bedenkt man die Tragweite der Tatsache, dass der Mensch ein erotisches Wesen ist, erscheint es fatal, dass die sinnlichen Dimensionen der menschlichen Sexualität und Erotik in der marxistischen Diskussion im wesentlichen fehlen. Die herrschende Klasse weiß es besser. (Marx hat es auch besser gewusst, aber das wird ein andermal ausgeführt.) Kein menschlicher Bereich wird derartig für die Ankurbelung von Produktion und Konsumtion ausgenutzt wie Sexualität und Erotik. Gerade Frauen haben hier wesentliche Aufklärungsarbeit geleistet und nicht nur in der Pornographiekritik die dem Kapitalismus eigene Verwertung des Menschen angeprangert. Doch nach vorübergehenden Erfolgen in den 1970er Jahren, als Themen wie Magersucht und Werbeschönheit in aller Munde waren, scheint das weibliche Selbstbewusstsein, sofern es durch die Medien vermittelt wird, auf einen vorsintflutlichen Stand zurückgefallen. Das manifestiert sich drastisch im Phänomen der „Castingshow“, mit dem die vollständige Selbstzurichtung menschlicher Individuen, genauer: ihrer Körper, im Sinne des Kapitals einen deprimierenden Tiefpunkt erreicht hat.

Niemand kann leugnen, dass der Wunsch nach individueller Beachtung und auch nach erotischer Erfüllung ein zutiefst menschlicher ist. Umso leichter lässt er sich ausbeuten. Die bürgerliche Frauenbewegung hat mangels tiefergehender Gesellschaftsanalyse nur vorübergehend die Ausbeutung der Frau, die aus der Selbstausbeutung ihres Körpers resultiert, mildern können und auch nur insoweit, als es den Kapitalinteressen nicht zuwiderlief. Es bleibt der marxistischen Frauenbewegung vorbehalten, den fundamentalen Unterschied zwischen marktgenerierter Selbstausbeutung einerseits und freudvoll sinnlicher Selbstdarstellung andererseits darzulegen.


Feminismus als soziale Bewegung

Wenn einzelne Marxisten noch Zweifel hegen, ob sie sich der Sache der Frauen annehmen sollen, umgekehrt besteht kein Zweifel: Frauen nehmen sich der Sache der Entrechteten an. 250 „Frauen für Frieden“ aus 30 Ländern sind mit dem Fahrrad im Nahen Osten unterwegs, um auf die mehrfache Unterdrückung palästinensischer Frauen aufmerksam zu machen. Die kurdische Frauenguerilla, die sich mit ihrer Selbstorganisation auch gegen den Machismus ihrer Mitkämpfer absetzen musste, ist legendär. Zwei zufällig gewählte Beispiele. In beiden Bewegungen verbinden sich Frauen in Verantwortung für das Ganze.

Ist es vermessen, angesichts der Zersplitterungen der letzten Jahrzehnte auf eine erneuerte Frauenbewegung auch in Deutschland zu hoffen, die sich – unbürgerlich – der sozialen Frage annimmt? Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine langjährig abhängig Beschäftigte wegen einer Bagatelle, Leergutbons im Wert von 1,30 Euro, einzelner Frikadellen oder ähnlichem, auf die Straße geworfen wird. Es sind fast immer Frauen. Die Arbeitsfelder für Feministen und Feministinnen liegen auf der Straße. Sie liegen im Gesundheitswesen, in der zunehmend privatisierten Bildung, im Umgang mit Sexualität, in den Medien und und und. Sie überschneiden sich, wage ich zu behaupten, zu hundert Prozent mit den Arbeitsfeldern von Marxistinnen und Marxisten.

„Wir erkennen gar keine besondere Frauenfrage an – wir erkennen keine besondere Arbeiterinnenfrage an! Wir erwarten unsere volle Emanzipation weder von der Zulassung der Frau zu dem, was man freie Gewerbe nennt, und von einem dem männlichen gleichen Unterricht – obgleich die Forderung dieser beiden Rechte nur natürlich und gerecht ist – noch von der Gewährung politischer Rechte. Die Länder, in denen das angeblich allgemeine, freie und direkte Wahlrecht existiert, zeigen uns, wie gering der wirkliche Wert desselben ist. Das Stimmrecht ohne ökonomische Freiheit ist nicht mehr und nicht weniger als ein Wechsel, der keinen Kurs hat. Wenn die soziale Emanzipation von den politischen Rechten abhinge, würde in den Ländern mit allgemeinem Stimmrecht keine soziale Frage existieren. Die Emanzipation der Frau wie die des ganzen Menschengeschlechtes wird ausschließlich das Werk der Emanzipation der Arbeit vom Kapital sein. Nur in der sozialistischen Gesellschaft werden die Frauen wie die Arbeiter in den Vollbesitz ihrer Rechte gelangen.“ (Clara Zetkin 1889)


* Der Verfasserin ist bewusst, auf welch fallenbestücktem Terrain dieser Text wandelt. Es ist ohne weiteres möglich, seine Argumentationsweise „nur rudimentär und viel zu oberflächlich“ zu nennen, wie H.-P. Brenner das (in MB 5-08) mit Cristina Fischers Bestandsaufnahme feministischer Publikationen (in MB 3-08) tat, wobei er auf zu wenig gewürdigte Publikationen und die Arbeit der DKP-Frauenkommission hinwies, um mit einem langen Zitat des Klassikers und Vorvaters August Bebel zu schließen. Auch der hier vorliegende Beitrag kann nicht alle relevanten Publikationen und Aktivitäten würdigen. Nichtsdestotrotz verzichtet er nicht auf Thesen, denn wie sonst könnte die Diskussion fruchtbar fortgesetzt werden? Den Abschluss bildet die Aussage einer „Klassikerin“, Clara Zetkin.




Literatur

Das Argument, Nr. 281: „Elemente eines neuen Feminismus“, Heft 3/2009

August Bebel, Die Frau und der Sozialismus (1879), zit. nach der 62. Auflage, Berlin/DDR 1973

Hans Günter Bell, „Klasse und Geschlecht“, 30 Folien zur Konferenz des Sozialistischen Forums Rheinland, Königswinter, 19.-21. Mai 2006

Hedwig Dohm, Emanzipation. Die wissenschaftliche Emancipation der Frauen. Text von 1874 und weitere Schriften von und über Hedwig Dohm bis 1919, Zürich 1977

Friedrich Engels, „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ (1884), zit. nach: Marx-Engels-Werke, Bd. 21, 5. Auflage 1975, Berlin/DDR, S. 36-84

Cristina Fischer, „Frauenbefreiung mit Marx? Sozialistischer und marxistischer Feminismus – Versuch einer Bestandsaufnahme und Diskussion in Publikationen der letzten Jahre“, in Marxistische Blätter 3-2008, S. 87-94

Frigga Haug, „Feministische Initiative zurückgewinnen – eine Diskussion mit Nancy Fraser“, in: Das Argument, Nr. 281, Heft 3/2009, S. 393-408

Maria Pachinger, Sozialistischer und marxistischer Feminismus. Positionsentwicklungen in den letzten 35 Jahren. Marxismus Nr. 27, Wien 2005, zit. nach C. Fischer 2008

Werner Seppmann, Das Ende der Gesellschaftskritik? Die „Postmoderne“ als Realität und Ideologie, Köln 2000

Margareta Steinrücke, „Klasse und Geschlecht. Die zentralen Kategorien der Analyse sozialer Ungleichheit und gegenwartsadäquate Ansätze ihrer theoretischen und empirischen Erfassung“, in: Z, Nr. 65 (2006), S. 69-83

Clara Zetkin, „Für die Befreiung der Frau!“ Rede auf dem Int. Arbeiterkongress zu Paris, 19. Juli 1889, zit. nach „Protokoll des Internationalen Arbeiter-Congresses zu Paris“ (14. bis 20. Juli 1889) Nürnberg 1890, S. 80-85, abgedruckt in: Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. 1, Berlin 1957, S. 3-11