Organisierung Prekärer in den USA - Gewerkschaft als Handlungsplattform

Das Argument 284 "Gewerkschaftsmacht. In der Krise" (6/2009), S. 905-15

Gemessen an den Forschungsarbeiten, die sich mit dem Niedergang von Gewerkschaften beschäftigen, stehen die Labor Revitalization Studies, die gewerkschaftliche Handlungsoptionen zum Gegenstand ihrer Untersuchungen machen, noch am Anfang. In diesem Zusammenhang ist eine viel diskutierte Frage, ob und inwiefern Strategien der US-Gewerkschaften eine Vorbildfunktion zukommen kann.

Gewerkschaften in den USA sind daran gebunden, das Kollektivvertretungsrecht für die Beschäftigten von Betrieb zu Betrieb in komplizierten Anerkennungsverfahren durchzusetzen. Damit geht ein langwieriges Wahlprocedere einher, das Unternehmen vielfältige Möglichkeiten bietet, die Anerkennung einer Gewerkschaft zu verhindern und ›union-busting‹-Kampagnen durchzuführen.[1] Aufgrund dieser Ausgangslage ist Organizing in den USA eine Gewerkschaftsstrategie, die für das Bestehen von Gewerkschaften unverzichtbar ist. Die rechtlichen Vorschriften, die eine gewerkschaftliche Vertretung von Arbeiterinteressen behindern, sowie die Expansion des Dienstleistungssektors erforderten eine Neu- bzw. Weiterentwicklung von Organizing-Praxen und gewerkschaftlicher Gesamtstrategien. In den USA waren die Dienstleistungsgewerkschaften Service Employees International Union (SEIU) und Hotel Employees and Restaurant Employees International Union (HERE) hierin Vorreiter (Hurd u.a. 2003), wobei die SEIU mit den Erfolgen der Mitgliedergewinnung im Reinigungsgewerbe („Justice for Janitors") größere Bekanntheit erlangt hat.[2] Doch nach fast 20 Jahren Gewerkschaftserneuerung ist auch in den USA die Zukunft des Organizing unklar. Innerhalb der SEIU selbst werden verschiedene Wege beschritten, die in den letzten Jahren Gegenstand der Auseinandersetzung in der us-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung geworden sind (Moody 2007). Die SEIU setzte vermehrt auf eine Organisierung durch „employer agreements", die mit weitgehenden Zugeständnissen an die Unternehmen verbunden waren und ohne eine Beteiligung der Beschäftigten zustande kamen (Schmalstieg/Choi 2009; Kaplan 2008). Angesichts eines Organisationsgrads von 7,53 Prozent in der Privatwirtschaft und einer schwachen institutionellen Ausgangslage scheint eine Strategie des schnellen Wachstums legitim, um das Überleben der Organisation zu sichern. Die damit einhergehende Aushöhlung von Mitspracherechten der Mitglieder wie der lokalen Gewerkschaftsgliederungen bleibt mithin als Demokratiedefizit zu kritisieren.[3]

Prekäre Lebensführung als Herausforderung für Gewerkschaften

Für Gewerkschaften sind Niedriglohntätigkeiten im Dienstleistungssektor lange Zeit - nicht zuletzt aufgrund der niedrigen Löhne - ›unattraktiv‹ gewesen und die Beschäftigten galten als unorganisierbar. Angesichts einer stetigen Expansion dieser Beschäftigungsverhältnisse ist die Frage der gewerkschaftlichen Organisierung dieses Arbeitsmarktsegments in den Vordergrund gerückt. Der Versuch, prekär Beschäftigte gewerkschaftlich zu organisieren, trifft jedoch auf eine Reihe von Schwierigkeiten, die in den USA wie in Europa eine Reihe von Gemeinsamkeiten aufweisen.

In den verschiedenen Niedriglohntätigkeiten sind die Umstände, die gewerkschaftliche Organisierungsbemühungen erschweren, immer die gleichen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter sehen sich Einschüchterungsversuchen und Willkür seitens der Unternehmen ausgesetzt. Es fehlt an Vertrauen in die eigene Handlungsmächtigkeit. Vereinzelung am Arbeitsplatz und prekäre Lebensumstände verstärken Befürchtungen und Ängste, die die Beschäftigten vor einer gewerkschaftlichen Organisierung zurückscheuen lassen. Ein hohes Überstundenaufkommen, Mehrfachbeschäftigung sowie weite An- und Abfahrtswege zwischen der Wohnung und dem Arbeitsplatz lassen die Zeit, die Beschäftigte für familiäre Verpflichtungen oder zur freien Verfügung haben, zu einer knappen Ressource und damit auch zu einem Faktor für Organisierungsbemühungen seitens der Gewerkschaft werden.

Im Bewachungsgewerbe in San Francisco stellen schwarze Amerikaner[4] die größte Beschäftigtengruppe dar, gefolgt von Einwanderern aus afrikanischen Ländern und den GUS-Staaten, anderen People of Color und weißen Amerikanern. Der Männeranteil beträgt zwischen 65 und 70 Prozent, allerdings ist es generell schwierig, exakte Angaben über die Zusammensetzung der Beschäftigten zu erhalten, da die Fluktuation sehr hoch ist. Mit ihrem Einkommen können die Beschäftigten kaum die Lebenshaltungskosten bezahlen, die wenigsten haben eine Krankenversicherung. Rücklagen für Notsituationen zu bilden ist schwer, so dass sie im Falle einer medizinischen Behandlung entscheiden müssen, ob sie das wenige Geld für Lebensmittel oder für Medikamente ausgeben. Eine große Mehrheit der Sicherheitsdienstler lebt in Wohngegenden, die von Kriminalität und Gewalt bestimmt sind, nur Wenige wohnen in einer ›besseren‹ Gegend. Die Beschäftigungsverhältnisse bieten so gut wie keine Aufstiegschancen und einen Ausweg aus ihrer prekären Lebenslage sehen die Betroffenen in der Regel nicht. Gleichwohl ist die Vorstellung, sich allein und aus eigener Kraft herausarbeiten zu können, verbreitet. Der Glaube an den Aufstieg vom ›Tellerwäscher zum Millionär‹ ermöglicht den Beschäftigten, auf die Zukunft gerichtet zu denken. Doch bleibt dieses Denken abstrakt. Der Aufstiegsglaube hält sie in der Vereinzelung und den bestehenden Umständen gefangen, denn konkrete Handlungsschritte, diese bessere Zukunft zu erreichen, entwickeln die wenigsten.

Aus Sicht von Gewerkschaftsaktiven besteht ein Grundproblem der Organisierung und Mobilisierung von Beschäftigten im Niedriglohnsektor darin, dass sie „mit der Schwierigkeit konfrontiert [sind], dass diese Menschen in der Regel keinerlei positive Erfahrung damit haben, eigene Interessen durchzusetzen [...] oder gar denken, dazu überhaupt kein Recht zu haben".[5] Der Ausgangspunkt sei, „die Leute davon zu überzeugen, dass sie gemeinsam etwas ausrichten können und sie Schritt für Schritt darauf vorzubereiten". Die von der Gewerkschaft vorgeschlagenen Protestformen dürfen aus Sicht der Beschäftigten ihre Arbeitsplätze nicht gefährden und das vorhandene Niveau an Handlungsfähigkeit nicht aufs Spiel setzen. Mit Organisierung muss die Aussicht auf eine bessere Zukunft verbunden werden und die Handlungsziele müssen erreichbar scheinen. Im Folgenden wird anhand des Fallbeispiels einer Tarifkampagne im privaten Sicherheitsgewerbe der San Francisco Bay Area gezeigt, wie Gewerkschaftsarbeit auf die spezifischen Herausforderungen des Niedriglohnsektors reagieren kann.

Verstehende Gewerkschaftsarbeit: Organisierung auf ›Augenhöhe‹

Strukturelle Diskriminierungsmechanismen sind trotz Gleichstellungsgesetzgebung weiterhin wirksam (Wilson 2007; Smith 2005). Schwarze haben immer noch geringere Chancen, einen Job zu bekommen als Weiße, und wenn, dann eher im Niedriglohnsegment, wo sie entsprechend überproportional vertreten sind. Für Gewerkschaften liegt mit Blick auf die Gestaltung der eigenen Institutionen und ihrer Hierarchien hierin eine Herausforderung, da die Repräsentation der Belegschaft im Gewerkschaftsapparat - nach Geschlecht, Hautfarbe und Herkunft - für Mitglieder eine wichtige Rolle spielt. Ein Gewerkschaftsmitglied bringt das zum Ausdruck: „Wenn du zur Gewerkschaft gehst, und dann siehst du Leute, die dich nicht repräsentieren, nicht so aussehen wie du, dann ist das entmutigend [...] Wir sind überwiegend African Americans, und du willst [bei der Gewerkschaft] Leute haben, von denen du das Gefühl hast, dass sie mit dem, wer du bist, was anfangen können, eine Beziehung dazu haben." In der im Fallbeispiel untersuchten Gewerkschaft sind die hauptamtlich in der Abteilung Organizing angestellten Gewerkschafter mehrheitlich aus den Reihen der Mitglieder angeworben worden. Von vielen Gewerkschaftsgliederungen, die um eine Erneuerung der Gewerkschaft bemüht sind, wird diese Strategie der Gewerkschaftsarbeit „auf Augenhöhe" verfolgt. Neben dem Repräsentationsaspekt bringt das den Vorteil mit sich, dass die Organizer die Branche, Probleme und Schikanen am Arbeitsplatz kennen. Sie sind mit der Lebens- und Arbeitssituation vertraut und ebenso mit der Angst davor, sich zur Wehr zu setzen und sich gewerkschaftlich zu engagieren. Sie selbst haben diese Ängste überwunden und können darauf in ihrer Arbeit Bezug nehmen. Bedenken, Einwände und Widerstände seitens der Mitglieder gegenüber den vorgeschlagenen Aktionen können sie aufgrund dieser ›sozialen Nähe‹ eher überwinden als Branchenfremde. Organizer „auf Augenhöhe" sind in der Lage, „ein generelles und genetisches Verständnis der Existenz des anderen" zu entwickeln, „das auf der praktischen und theoretischen Einsicht in die sozialen Bedingungen basiert, deren Produkt er ist: Eine Einsicht in die Existenzbedingungen und gesellschaftlichen Mechanismen, [...] eine Einsicht in die untrennbar verwobenen psychischen und sozialen Prägungen, die mit der Position und dem biographischen Werdegang dieser Person im Sozialraum einhergehen" (Bourdieu 1993, 786). Da typische Begründungsmuster dem Gesprächspartner aus eigener Erfahrung bekannt sind, gelingt es, Hierarchisierungen in der Gesprächs- und Interaktionssituation abzubauen und eine „gewaltfreier Kommunikation" (782) zu ermöglichen. So kann eine andere Sicht auf die Situation vermittelt und die Handlungsbereitschaft erhöht werden.[6]

Die Anpassung von Gewerkschaftsstrategien an Besonderheiten der Belegschaft, wie etwa die demographische Zusammensetzung, ist einer der von Bronfenbrenner und Hickey (2004) entwickelten Eckpunkte für erfolgreiche Tarifauseinandersetzungen.[7] Die Einbeziehung bisher unterrepräsentierter Bevölkerungsgruppen ist nicht nur ein Instrument für erfolgreiche Tarifabschlüsse, sondern enthält das Potenzial für eine Demokratisierung der Gewerkschaft als Organisation. Mit gezielter Personalpolitik, die darin besteht, von Diskriminierung betroffenen Personen Zutritt zu verschaffen, wird im selben Schritt die Organisation selbst verändert und sie gewinnt ihren Mitgliedern gegenüber an Glaubwürdigkeit.

Öffnung der Gewerkschaften in das (lokal-)politische Feld: Bündnispolitiken

Ein zweiter Ansatzpunkt der Gewerkschaftsarbeit, der auf spezifische Herausforderungen des Niedriglohnsektors zu reagieren versucht, liegt in der Zusammenarbeit mit Institutionen des Gemeinwesens und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die Stellung im Wertschöpfungsprozess, den die Beschäftigten im Bewachungsgewerbe einnehmen, stattet diese Gruppe mit geringer Produktionsmacht (Silver 2005, 31) aus. Ohne die Unterstützung anderer Gruppen kann die Gewerkschaft daher nicht genügend Druck auf die Unternehmen ausüben. In Tarifauseinandersetzungen, die eine solche Konstellation aufweisen, gehen Gewerkschaften Bündnisse mit zivilgesellschaftlichen Organisationen ein, um ihre Organisations- und Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen (Brinkmann u.a. 2008, 99ff). In Bündnissen können Gewerkschaften Zugang zu Ressourcen der Bündnispartner erlangen (Frege/Kelly 2004, 139ff). Zudem besteht die Möglichkeit, das Ansehen, das die Bündnisorganisation in der Öffentlichkeit genießt, auf die Gewerkschaft ausstrahlen zu lassen und damit die Legitimität der gewerkschaftlichen Forderungen zu erhöhen (140). Auch auf Seiten der Beschäftigten kann Mithilfe ›vertrauenswürdiger‹ Bündnispartner das Ansehen der Gewerkschaft verbessern. Bündnisprozesse tragen auf diese Weise ebenfalls zu einer Veränderung im Verhältnis von Gewerkschaft und Mitglied bei.

Der Aspekt des Vertrauenszugewinns spielte in der untersuchten Tarifkampagne eine wichtige Rolle, denn aufgrund gewerkschaftlicher Diskriminierungspraktiken in der Vergangenheit besteht Gewerkschaften gegenüber oft Skepsis oder Misstrauen (Honey 2000). „Zu behaupten, dass unsere Beziehung zur African American Community heute zu 100 Prozent gut ist, weil wir für die gleichen Dinge kämpfen, ist nicht ganz richtig", stellt eine Hauptamtliche der Gewerkschaft fest; „weil die Beziehung in der Vergangenheit so schlecht war, kann das nicht so wahrgenommen werden [...]. Diese Dynamik muss verändert werden." Für die Schaffung von Bündnissen waren bei der im Fallbeispiel untersuchten Gewerkschaft zwei Hauptamtliche als Political/Community Organizers angestellt. Die wesentliche Aufgabe bestand darin, Bündnispartner auszumachen und zwischen unterschiedlichen Organisationskulturen, konfligierenden Interessen und Streitigkeiten - auch zwischen den Bündnisorganisationen - zu vermitteln. Die Bündnispartner, ein Spektrum aus Bürgerrechtsorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften, nahmen an Demonstrationen teil, führten Delegationen zu Arbeitgebern durch und versuchten auf vielerlei Weise, den Anliegen und Forderungen der Wachschutzleute Gehör zu verschaffen und politisch Einflussreichere zum Eingreifen zu bewegen. In die Kampagne involvierte Pastoren unterstützten den Aufbau von Vertrauen bei den Mitgliedern und erhöhten deren Bereitschaft, sich an den Arbeitskämpfen zu beteiligen.

Die Gewerkschaft nahm in den Bündnissen eine ›Vorreiterrolle‹ ein insofern sie Unterstützungsbedarf anmeldete und die gemeinsamen Aktionen auf ihre Anliegen ausrichtete. Es bestanden aber durchaus Interessensüberschneidungen mit den Interessen der Bündnispartner - wie bei den Forderungen nach Lohnerhöhungen und der Einführung einer (Qualitäts-)Krankenversicherung. Kirchen griffen diese Forderungen als Teil ihrer Mission auf und zugleich verfolgten sie ein ganz weltliches Anliegen. Sie wollen ihre Gemeindemitglieder nicht verlieren, die die hohen Mieten in San Francisco nicht mehr zahlen können und zunehmend gezwungen sind, an die Peripherie der Region zu ziehen. Für die Bündnispartner bestand in der Kooperation auch die Chance, Öffentlichkeit für die eigene Organisation herzustellen und ihren Einfluss in der Kommune auszubauen.

Die Öffnung in das politische Feld stellt den Versuch dar, die Organisationsmacht der Gewerkschaft mithilfe des Einflusses der Bündnispartner zu erweitern. Diese ›assoziierte Macht‹ dient dazu, den Druck auf die Sicherheitsdienstleistungsunternehmen zu erhöhen sowie politischen Einfluss im Gemeinwesen zu gewinnen. Bündnispolitik stellt eine zeitintensive Strategie dar, die stark auf den Aufbau persönlicher Beziehungen zwischen den Vertretern der beteiligten Organisationen angewiesen ist. Dies erfordert seitens der Gewerkschaft die Bereitstellung der dafür notwendigen Ressourcen und die Bereitschaft, Anliegen der Bündnispartner mit zu vertreten.

Zu den Voraussetzungen gehört auch ein reflektierter Umgang mit gewerkschaftlichen Traditionen und Geschichte, mit Diskriminierung und Diskriminierungserfahrungen. Bündnisse verfolgen vielschichtige Handlungsoptionen und entwickeln sich über einen längeren Zeitraum hinweg, in dem die Gewerkschaft zeitgleich in anderen Handlungsfeldern weiter agiert. Dieser Umstand macht es schwierig, den Einfluss des Faktors Bündnispolitik bei der Verschiebung der lokal- wie der tarifpolitischen Kräfteverhältnisse exakt zu bestimmen.

Gewerkschaft als Handlungsplattform

Organisieren auf Augenhöhe und Bündnispolitiken sind Beispiele für strategische Möglichkeiten, in der Gewerkschaftsarbeit auf die besonderen Rahmenbedingungen im Niedriglohnsektor zu reagieren.[8] Mit dem Konzept der Handlungsplattform[9] soll die Rolle von Gewerkschaften im Prozess der Mobilisierung ihrer Mitglieder allgemeiner gefasst werden. Angesichts der eingangs skizzierten prekären Beschäftigungs- und Lebensverhältnisse, die zudem subjektiv als individualisiert gesehen und gelebt werden, stellt sich für Gewerkschaften die Frage, wie diese Erfahrungen verallgemeinert und in kollektive Handlungsfähigkeit überführt werden können.

Feldbeobachtungen, Reflexionen von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern über ihre Organizing-Praxis sowie theoretische Überlegungen liegen der Entwicklung des Konzepts der Handlungsplattform zugrunde, das hier anhand des Fallbeispiels verdeutlicht wird. Im Gespräch mit den Beschäftigten besteht für die Gewerkschafts-Organizer die Aufgabe darin, die Wahrnehmung der Situation als ›ungerecht‹ zu befördern. In einem zweiten Schritt kann daraufhin die vereinzelt erfahrene Ungerechtigkeit als Problematik Vieler thematisiert und wahrnehmbar gemacht werden. Erst dann werden Vorschläge für gemeinsame Aktionen unterbreitet. Für das Ermöglichen kollektiven Handelns ist es wichtig, die Beschäftigten an Aktionen heranzuführen und die Steigerung der Protestformen schrittweise zu gestalten. Im Fallbeispiel konnte auf diese Weise erreicht werden, dass sich eine kleine Gruppe der aktiven Gewerkschaftsmitglieder sicher genug fühlte, eigene Vorbehalte und Ängste zu überwinden und andere zum Mitmachen zu bewegen. Ein Wachschützer reflektiert seinen Entschluss, an einer Straßenblockade teilzunehmen: „So etwas wie das habe ich noch nie gemacht. Ich fand das nicht gut, überhaupt nicht. Ich bin kein Unruhestifter. Keiner von uns ist das, aber die Unternehmen, die schubsen dich den ganzen Tag rum, [...] es war an der Zeit zurück zu schubsen. Den Verkehr zu blockieren, haha, wir haben unser Anliegen rüber gebracht, das ist wichtig. Ich bin stolz auf das, was wir gemacht haben." Im Vorfeld einer Demonstration, in der für kurze Zeit die Straße blockiert wurde, wollten sich nur wenige Gewerkschaftsmitglieder beteiligen. Am Tag der Aktion erreichten diese Wenigen, dass sich auch Skeptischere, wie der hier Zitierte, beteiligten. Auf diese Weise gelang es, die Erfahrung gemeinsamer Stärke herbeizuführen und Handlungsmächtigkeit erlebbar zu machen. Das Gewahrwerden der ›ungerechten‹ Arbeitsbedingungen konnte als legitime Begründung (Motivation) für den Protest angeführt werden. Vorbehalte gegenüber Protestformen, wie sie in Formulierungen wie „ich bin kein Unruhestifter" zum Ausdruck kommen, sind verbreitet und zeigen, dass die Heranführung an kollektive Aktionen sowie eine sukzessive Steigerung des Eskalationsniveaus Voraussetzung für erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit mit Beschäftigten ist, die kaum über Erfahrung in Arbeitskämpfen, geschweige denn mit der Durchsetzung ihrer Interessen, verfügen.

Für die Verallgemeinerung von Erfahrungen als Ansatzpunkt kollektiven Handelns bedarf es ihrer Vermittlung mit den sie strukturierenden Verhältnissen. Denn Menschen erleben die Strukturen, die ihr Leben bestimmen, nicht unmittelbar. Sie „erfahren [...] Entbehrungen und Unterdrückung unter ganz konkreten Bedingungen und nicht als Ergebnis umfassender und abstrakter Prozesse" (Piven/Cloward 1986, 44). Dies ergibt sich vor allem daraus, dass es Aspekte von Erfahrbarem gibt, die anschaulich sind und solche, die es nicht sind. Gesellschaftliche Verhältnisse strukturieren, vermittelt über verschiedene Subsysteme, „Lebenstätigkeiten und Denkweisen der Gesellschaftsmitglieder; diese Strukturiertheit ist selber nicht anschaulich", sie kann allerdings rekonstruiert werden (Markard 2000, 18; vgl. Holzkamp 1986, 14). Gewerkschaften können diese Rekonstruktionsleistung erbringen und die Rolle des Vermittlers zwischen Erfahrung und Struktur einnehmen, in diesem Sinne fungieren sie als Handlungsplattform.

Als zivilgesellschaftliche und politische Akteure können Gewerkschaften ihren Mitgliedern bzw. den Beschäftigten Denkangebote zur Deutung gesellschaftlicher Verhältnisse und Handlungsangebote zu deren Veränderung machen. So betrachtet kommt Gewerkschaften eine Vermittlungsfunktion zwischen subjektiver Erfahrung und den sie strukturierenden Institutionen zu. Diesen vermittelnden Aspekt der Gewerkschaftsarbeit fasse ich mit dem Konzept der Handlungsplattform. „Soziologische Phantasie" (C.W. Mills), die Fähigkeit der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Zusammenhänge zwischen unmittelbaren Erfahrungen am Arbeitsplatz und den gesellschaftlichen Prozessen herzustellen, um gemeinsame Interessenslagen aufzuzeigen, gehört dabei zu den Voraussetzungen gelingender Gewerkschaftsarbeit. Andererseits müssen die gewerkschaftlichen Handlungsangebote von den Einzelnen als plausible und gangbare Handlungsalternative zur Überwindung problematischer Arbeits- und Lebenssituationen wahrgenommen werden.

Gewerkschaften können also in dem Maße erfolgreich als Handlungsplattform fungieren, indem sie den Arbeiterinnen und Arbeitern erstens Denk- und Handlungsalternativen bieten, die eine Aussicht auf eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse ermöglichen, und zweitens über die kollektiven Prozesse individuelle Bedrohtheit minimiert wird. Die Formulierung plausibler Denk- und Handlungsalternativen setzt die Kenntnis der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten voraus.

Strategietransfer? Ausblick

Die Suche nach neuen Wegen der Mitgliedergewinnung hat auch in Deutschland begonnen und die Gewerkschaften ver.di, IG Metall und IG BAU haben erste Projekte durchgeführt. Auch in einem den USA oder Großbritannien gegenüber vergleichsweise stark institutionalisierten Kontext besteht für Gewerkschaften die Gefahr, dass mit dem Rückgang der Mitgliederzahlen sukzessiv politischer Einfluss und Verhandlungsmacht abnehmen. Bislang überdauern die in Zeiten hohen Wirtschaftswachstums und größerer gewerkschaftlicher Organisationsdichte durchgesetzten institutionalisierten Arbeitsbeziehungen. Dieser Umstand ermöglicht es Gewerkschaften, weiterhin als Verhandlungspartner aufzutreten, obwohl ihre Organisationsmacht nachlässt.

Die hier untersuchten Ansätze weisen bzgl. ihrer Konsequenzen für das Selbstverständnis einer Gewerkschaft als Mitgliederorganisation über den Länderkontext hinaus. In der Suchbewegung zur Rekonstruktion gewerkschaftlicher Handlungsfähigkeit kann Strategien, die an Mitgliedern und ihren Interessen ansetzen, eine Vorbildfunktion zukommen. Denn trotz aller Unterschiede der Systeme der Arbeitsbeziehungen können Ähnlichkeiten der Problem- und Akteurskonstellationen ausgemacht und zum Ansatzpunkt von Strategieadaptationen gemacht werden.

Das Verstehens-Prinzip der Mitgliederorganisierung ist von Gewerkschaften in Europa adaptierbar. Gewerkschaftssekretäre und -sekretärinnen können sich ›an den Ort versetzen‹, den die Beschäftigten im Sozialraum einnehmen, unabhängig davon, in welchem Land die Gewerkschaft agiert. Spezifische Voraussetzung ist das Verständnis von den Problemen, welche Arbeiterinnen und Arbeiter aufgrund ihrer gesellschaftlichen ›Situiertheit‹ haben. Von diesem Verstehen ausgehend müssen sie angemessene Informations- und Aktionsformen der Gewerkschaftsarbeit entwickeln. Die Einbeziehung von Mitgliedern in die Gewerkschaft und die Einstellung von hauptamtlichen Gewerkschafterinnen und -gewerkschaftern aus diesem Kreis kann unabhängig vom Ort ein Instrument der Demokratisierung der Gewerkschaftsorganisation darstellen.

Für die Entwicklung von gemeinwesenorientierten Gewerkschaftsstrategien gilt dasselbe. Aus Erfolg oder Scheitern lokaler Bündnisse von Gewerkschaften und Gemeinwesen- und Interessensorganisationen können Lehren gezogen werden. In diesem Sinne sind Erfahrungen von Bündnispolitiken in den USA auch für Gewerkschaften in anderen Ländern interessant und durchaus auf ähnliche Problemlagen beziehbar. Zumindest für Deutschland kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die einflussreichen zivilgesellschaftlichen Akteure andere als in den USA sind, da Organisationen der Glaubensgemeinschaften wie auch Religiosität einen anderen Stellenwert haben. Bündnispartner sind auch hierzulande vielerorts zu finden - je nach Branche, Art der Kampagne und Region -; sie sind etwa in Sozialverbänden, Parteien, Organisationen der Sozialen Bewegungen, Institutionen des Gemeinwesens und Vereinen zu suchen. Dies erfordert, über Arbeitsplatzbelange hinaus zu denken und setzt eine Analyse der Akteure eines Gemeinwesens und das Auffinden bündnisfähiger Themen und gemeinsamer Anliegen voraus.

Im Niedriglohnbereich des expandierenden privaten Dienstleistungssektors sind die deutschen Gewerkschaften unterdurchschnittlich präsent. Sie versuchen, über ihr ›Kerngeschäft‹ hinaus aktiv zu werden und neue Wege zu gehen, die teilweise an den US-Strategien orientiert sind (Dörre 2008). So hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in den vergangenen Jahren in verschiedenen Branchen (Einzelhandel, Logistik, Sicherheitsgewerbe, Krankenhäuser) neue Herangehensweisen der Gewerkschaftsarbeit erprobt. Während die LIDL-Kampagne (Schreieder 2007; Brinkmann u.a. 2008, 120ff) als eine Unternehmens- oder Druckkampagne, bei der die direkte Ansprache von Beschäftigten zweitrangig ist, angelegt war, diente bei der Organisierung des privaten Sicherheitsgewerbes die amerikanische SEIU nicht nur als Vorbild, sondern stellte auch Ressourcen und Berater zur Verfügung, die den Strategietransfer vor Ort begleiteten. In diesem Pilotprojekt spielten mitgliederorientierte Ansätze eine herausragende Rolle, und es wurde die Erfahrung gemacht, dass sich Beschäftigte engagiert in Gewerkschaftsbelange einbringen, wenn ihnen Gelegenheit und Raum dazu gegeben werden. Dass mit 200 neu organisierten Mitgliedern die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht und Erwartungen enttäuscht wurden, liegt an einer Reihe von Faktoren. Hindernisse waren der zu knapp bemessene Zeitrahmen, personelle sowie finanzielle Unterversorgung und Grenzen bzw. unzureichender Adaptation des Organizing-Konzepts (Dribbusch 2008, 22f; Alzaga 2007; Bruder 2007).

Die IG Metall und die IG BAU haben ebenfalls erste Organizing-Projekte entwickelt und mit der Ausbildung von Organizern und Recherchespezialisten begonnen. Die IG Metall beschreibt ihren Ansatz als „mitglieder-, konflikt- und beteiligungsorientierte Kampagnenführung" (Wetzel u.a. 2008, 14). Kurzfristig anwendbare Instrumente, wie etwa die Verwendung einer Kartierungsmethode in der Betriebsratsarbeit, werden von langfristigen Strategien unterschieden. Letztere basieren auf den Erfahrungen bisheriger Projekte - etwa der Kampagne „Besser statt billiger" der IG Metall Nordrhein-Westfalen und einer neuen „Kultur der Beteiligung" im Bezirk Küste (Brinkmann u.a. 2008, 123f) - und sollen für die Gesamtorganisation verallgemeinert werden (Wetzel u.a. 2008, 18f). Zuletzt konnte sich im Bau- und Gebäudereinigungsgewerbe die Organizing-Strategie der IG BAU beweisen (Dieckmann 2009). Als „Mitmachgewerkschaft" orientiert sie sich an der SEIU-Kampagnenstrategie „Justice for Janitors" und führte in der Tarifrunde 2009 eine öffentlichkeitswirksame Kampagne, die nach einem bundesweiten Streik der Reinigerinnen und Reiniger in einen verbesserten Tarifabschluss mündete (IG BAU 2009).

Diese Beispiele zeigen, dass Gewerkschaften in Deutschland dazu bereit sind, trotz bisher unsicherer Erfolgsaussichten, neue Wege zur Wiedererringung ihrer Organisationsmacht zu beschreiten. In den Versuchen liegt die Chance, ein Modell der Mitgliedergewinnung und -organisierung zu entwickeln, das die Auseinandersetzungs- und Verhandlungstraditionen der Gewerkschaften in Deutschland berücksichtigt und an das deutsche System der Arbeitsbeziehungen angepasst ist.[10] Klärungsbedarf besteht etwa darin, wie mit der ›doppelten Vertretung‹ von Lohnabhängigeninteressen durch Gewerkschaft und Betriebsrat im Rahmen von Organizing-Bemühungen produktiv umgegangen werden kann. Das Verhältnis von ehrenamtlichen und professionellen Organizern muss weiter bestimmt werden, damit es im Prozess der Mitgliedergewinnung nicht zu Unstimmigkeiten kommt, die im schlechtesten Fall die Organisierungsbemühungen unterminieren.

Gewerkschaften, die versuchen, ihre Handlungsstrategien zu erneuern, sei es durch Strategietransfers oder die Entwicklung neuer Strategien, verlassen die vertrauten institutionalisierten Handlungspfade und lassen sich auf das Wagnis unbekannter Prozesse und kaum vorhersehbarer Ergebnisse ein. Die Entwicklung neuer Strategien zur Wiedererringung gewerkschaftlicher Organisationsmacht ist damit eine Frage der praktischen Verallgemeinerung. Eine praxisorientierte wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung der Projekte wird bei dieser Neuausrichtung nötig sein, um Entwicklungen und strukturelle Hindernisse ausmachen und die Reichweite einzelner Strategien und Taktiken bestimmen zu können.

Literatur

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Bremme, Peter, Ulrike Fürniß u. Ulrich Meinecke (Hg.), Never work alone. Organizing - Ein Zukunftsmodel für Gewerkschaften, Hamburg 2007

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[1] Letzteres ist in jüngerer Zeit auch in Deutschland zu beobachten, etwa bei der Finanzierung alternativer Gewerkschaften durch das Unternehmen oder bei der Einschüchterung der Beschäftigten der Drogeriemarktkette Schlecker, nachdem diese versucht hatten, Betriebsräte zu gründen (Bormann 2007).

[2] In den Jahren 1990 bis 2009 konnte die SEIU ihre Mitgliederzahlen auf 2,1 Mio erhöhen. Nicht alle sind auf dem Weg der Organisierung zuvor nicht organisierter Beschäftigter gewonnen worden, auch Fusionen der SEIU mit kleineren Gewerkschaften, etwa im privaten Sicherheitsgewerbe, brachten ihr neue Mitglieder.

[3] Das Instrument des Trusteeship lokaler Gewerkschaftsgliederungen, die Zwangsverwaltung durch die Bundesgewerkschaft, wurde innerhalb der SEIU wiederholt zur Beendigung von Richtungsstreitigkeiten angewandt (vgl. Moody 2007; Greenhouse 2008).

[4] Mit dem Begriff folge ich den Gewerkschaftsmitgliedern, die argumentieren, dass sie alle schwarzen Sicherheitsdienstler ansprechen wollen. Der Begriff „African American" schließe all diejenigen aus, die keine Nachfahren afrikanischer Sklaven und Sklavinnen sind. Bei der Gewerkschaft und in der wissenschaftlichen Literatur werden beide Formulierungen verwendet.

[5] Dieses Zitat und die folgenden stammen, sofern nicht anders gekennzeichnet, aus Interviewmaterial der Autorin und wurde von ihr aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen.

[6] Bei allen Bemühungen um Verständnis kann allerdings nicht zwangsläufig von einer Verständigung unter ›Gleichen›› die Rede sein. Die ›Ehemaligen›› sind eben keine Sicherheitsdienstler mehr, sondern handeln im Auftrag der Gewerkschaft und mit deren Macht im Rücken. Es besteht die Gefahr, dass mit dem Prinzip des ›Verstehens›› soziale Nähe vorgetäuscht wird, es als Technik der Fremdbestimmung und Interessenmanipulation im Sinne vorentschiedener Strategien dient.

[7] In umfassenden oder verstehenden Kampagnen (Brinkmann u.a. 2008, 94) verfolgen Gewerkschaften in den Tarifauseinandersetzungen ein Mehr-Ebenen-Prinzip. Auf unterschiedlichen Handlungsfeldern werden möglichst viele Instrumente zur Beteiligung von Mitgliedern und zur Ausübung von Druck auf Arbeitgeber gleichzeitig angewendet.

[8] Die in diesem Artikel diskutierten Handlungsansätze sind Teil einer Gewerkschaftsstrategie, die auf verschiedenen Handlungsfeldern möglichst viele Ansätze zugleich verfolgt. Sie sind Teil einer „verstehenden Kampagne", die zugleich Strategien enthält, die sich auf das Unternehmen richten. Jede für sich genommen reicht nicht zum Aufbau von ausreichend Druck zur Durchsetzung der Tarifziele aus.

[9] Ausführliche Darstellung und Herleitung des Konzepts in Schmalstieg 2008.

[10] Auf unterschiedliche Voraussetzungen im System der Arbeitsbeziehungen Deutschlands und der USA und damit verbundene Schwierigkeiten des Strategieimports geht Rehder (2008) ausführlicher ein; siehe auch Greven/Schwetz (2008).