Kommuniqué aus einer ausbleibenden Zukunft.

Über die Ausweglosigkeit des studentischen Lebens

Der hier vorliegende Text wurde im Zuge der Besetzung eines Teils der Universität von Santa Cruz vor einigen Wochen von dem Kollektiv research&destroy verfasst und Anfang Oktober 2009  online publiziert. Eine darauf einsetzende Diskussion des Kommuniqués kann auf der Website von AK Press nachgelesen werden[1].

Die deutschsprachige Übersetzung ist ein kollektives Ergebnis, von Leuten aus dem Umfeld der Zeitschrift grundrisse und der edition PROLLpositions, in der der Text Ende November als erster Band in einer Reihe zum Thema Universitäten und Wissensproduktion erschien.

Einleitung: 7 gegen Pompeii

WIR LEBEN ALS TOTE ZIVILISATION. Wir können uns das gute Leben gar nicht mehr vorstellen, außer in einer Aneinanderreihung von vorausgewählten Spektakeln zu unserer Zerstreuung: ein schimmerndes Menü von Illusionen. Das erfüllte Leben ebenso wie unsere eigenen Vorstellungen wurden systematisch durch eine Bilderwelt ersetzt, die nicht nur viel reichhaltiger und auch unmenschlicher ist als all das, was wir uns jemals selbst ausdenken hätten können, sondern die gleichzeitig unerreichbar bleibt.  Niemand glaubt mehr an solche Ergebnisse.

Die Lebenswirklichkeit nach der Universität ist ein erbärmlicher und spießiger Wettbewerb mit Unbekannten wie auch unseren Freund*innen um Ressourcen: Ein Gerangel um einen Posten im unteren Management, der uns (mit Glück) ein paar von Furcht und Schrecken sowie zunehmender Ausbeutung zerrüttete Jahre bescheren wird – bis sich das Unternehmen auflöst und wir nörgelnd an „Plan B“ denken. Aber das ist auch eine exakte Beschreibung des Universitätslebens heute; wir leben dieses erbärmliche und spießige Leben längst.

Nur um zu überleben, sind wir dazu verdammt, verschiedene Haltungen gegenüber diesem Zwiespalt - Bankrott gegangenen Versprechungen und dem wirklichen Angebot - einzunehmen. Einige gewöhnen sich eine naiv-romantische Einstellung in Bezug auf Bildung als Selbstzweck an und reden sich ein, dass sie keine weiteren Erwartungen haben. Andere wiederum schreiten mit ehernem Zynismus und Verachtung fort und hetzen sich durch das aberwitzige Affentheater, um das letzte Geldbündel im stickigen Gewölbe der Zukunft zu ergattern. Wieder andere verschreiben sich dem altmodischen Glauben, dass ihre zunehmend harte Arbeit eines Tages ganz sicher belohnt wird, wenn sie nur so agieren, wie jemand der daran glaubt, präsent ist, zusätzliche Abschlüsse und noch mehr Schulden anhäuft – noch härter arbeitet.

Die Zeit, das eigentliche Material unserer Existenz, entschwindet: Die Stunden unseres täglichen Lebens verfliegen. Die Zukunft wird uns im Voraus gestohlen und dient nur noch dem Anhäufen von Schulden sowie dazu unsere Nachbar*innen an den Bettelstab zu bringen. Möglicherweise verdienen wir die Zinsen für unsere Langeweile, wahrscheinlich nicht einmal das. Uns erwarten keine 77 Jungfrauen, ja nicht einmal Plasmafernseher, auf dem wir die Todeskämpfe der USA als globale Supermacht mitverfolgen können. Der Kapitalismus wurde endgültig zur wahren Religion, in der die Reichtümer des Himmels überall versprochen, aber nirgends gegeben werden. Der einzige Unterschied ist, dass in der unendlichen Zwischenzeit jede nur erdenkliche Grobheit und Grausamkeit tatkräftig bestärkt wird. Wir leben als tote Zivilisation, als die letzten Bewohner*innen von Pompeii.

Romantische Naivität, eherner Zynismus, Verachtung und Hingabe. Die Universität und das Leben, das sie reproduziert, waren von diesen Dingen abhängig. Sie haben sich auf unsere menschlichen Fähigkeiten verlassen, sowohl für ihren Fortbestand wie auch um das katastrophale Scheitern jener Welt noch ein paar Jahre mehr aufrechtzuerhalten. Aber warum sollen wir ihren Kollaps nicht beschleunigen? Die Universität hat sich von innen heraus zersetzt: Das „Humankapital“ von Mitarbeiter*innen, Unterrichtenden und Studierenden würde die Universität heute ebenso wenig verteidigen wie eine Stadt der Toten.

Romantische Naivität, eherner Zynismus, Verachtung und Hingabe: All das muss nicht aufgegeben werden. Die Universität zwang uns dazu, diese Eigenschaften als Werkzeuge zu gebrauchen; sie werden als Waffen wiederkehren. Die Universität, die uns zu sprachlosen und abgestumpften Instrumenten ihrer eigenen Reproduktion macht, muss zerstört werden, damit wir unsere eigenen Leben produzieren können. Romantische Naivität bezüglich der Möglichkeiten; eherner Zynismus, was die Methoden angeht; Verachtung für die erniedrigenden Lügen der Universität hinsichtlich ihrer Situation und ihrer guten Absichten; Hingabe für die absolute Transformation – nicht der Universität, sondern unserer eigenen Leben. Das ist der Anfang der Wiederkehr der Vorstellungskraft. Wir müssen beginnen, uns wieder zu bewegen, uns von der vereisten Geschichte zu lösen, vom glühenden Abbild dieses vergrabenen Lebens.

Wir müssen unsere eigene Zeit leben, unsere eigenen Möglichkeiten. Das sind die einzigen wahren Existenzberechtigungen der Universität, auch wenn sie diesen nie nachgekommen ist. Auf Seite der Universität stehen: Bürokratie, Trägheit, Inkompetenz. Auf unserer Seite: alles andere.

I.

Die Universität ist genauso bankrott wie die Gesellschaft, deren willfährige Dienerin sie war. Dieser Bankrott ist nicht nur ein finanzieller. Er ist das Anzeichen für eine viel grundlegendere sowohl politische wie auch ökonomische Insolvenz, die sich schon seit geraumer Zeit abzeichnet. Niemand weiß, wozu die Universität heute noch gut ist. Das fühlen wir intuitiv. Das alte Projekt der Schaffung einer kultivierten und gebildeten Bürger*innenschaft ist an sein Ende gekommen; auch die Vorteile, die Akademiker*innen auf dem Arbeitsmarkt einst hatten, sind dahin. Dies sind nunmehr Phantastereien, gespenstische Überbleibsel, die schlecht instand gehaltenen Hörsälen anhaften.

Eine unpassende Architektur, die Geister entschwundener Ideale, der Ausblick auf eine tote Zukunft: Das sind die Überreste der Universität. Inmitten dieser Überreste sind die meisten von uns wenig mehr als eine Ansammlung verdrießlicher Gewohnheiten und Pflichten. Wir folgen den durch Prüfungen und Aufgaben vorgegebenen Abläufen mit einer Art gedankenlosem und unveränderlichem Gehorsam, der auf nicht ausgesprochenem Frust beruht. Nichts weckt Interesse, nichts löst Empfindungen aus. Das Weltgeschichtliche mit seinem katastrophischen Pomp ist nicht realer als die Fenster, in denen es sich zeigt.

Für diejenigen, deren Jugend von der nationalistischen Hysterie im Gefolge des 11. Septembers vergiftet wurde, ist öffentliche Meinungsäußerung nichts anderes als eine Reihe von Lügen, und öffentlicher Raum ist ein Raum, in dem Dinge möglicherweise explodieren (obwohl das niemals passiert). Getrieben von der vagen Sehnsucht danach, dass irgendetwas geschehen möge – ohne uns jemals vorzustellen, dass wir selbst etwas machen könnten – wurden wir von der nichts sagenden Eintönigkeit des Internets gerettet: Dort finden wir Zuflucht unter Freund*innen, die wir niemals zu Gesicht bekommen, deren ganze Existenz auf einer Reihe von Ergüssen und dummen Bildern beruht und deren Diskurse nichts als anderes sind als das Geschwätz von Waren. Unsere Losungen waren demnach Sicherheit und Komfort. So gleiten wir durch das Fleisch der Welt, ohne berührt oder bewegt zu werden, und hüten allerorts unsere Leere.

Aber wir können für diese unsere Not dankbar sein: Entmystifizierung ist nunmehr eine Voraussetzung und kein Projekt mehr. Die Universität erscheint schließlich als das, was sie immer schon war: eine Maschine zur Herstellung willfähriger Produzent*innen und Konsument*innen. Selbst die Freizeit ist eine Art Jobtraining. Die Idiotentrupps der Verbindungsbuden lassen sich mit der Hingabe von bis spätnachts im Büro arbeitenden Anwält*innen regelmäßig volllaufen. Jugendliche, die in der Schule noch Gras geraucht und geschwänzt haben, schlucken jetzt Amphetamine und gehen an die Arbeit. Wir betreiben die Diplomfabriken auf den Laufbändern der Fitnessstudios. Wir laufen unermüdlich in elliptischen Bahnen.

Es macht daher wenig Sinn, sich die Universitäten als Elfenbeintürme - entweder idyllisch oder nutzlos - in Arkadien vorzustellen. „Hart arbeiten, feste feiern“ [work hard, play hard][2] war das übereifrige Motto einer ganzen Generation in Ausbildung für ... was? – Für das Malen von Herzen in Cappuccinoschaum oder das Eintippen von Namen und Nummern in Datenbanken. Die schillernde Technozukunft des amerikanischen Kapitalismus wurde schon vor langer Zeit zusammengepackt und für noch ein paar Jahre Schrott auf Pump nach China verkauft. Ein Universitätsdiplom ist heute nicht mehr wert als eine Aktie von General Motors.

Wir arbeiten und wir machen Schulden, nur um zu arbeiten und Schulden zu machen. Die Jobs, auf die wir hinarbeiten, sind die Jobs, die wir bereits haben. Nahezu dreiviertel aller Studierenden arbeiten während sie noch in Ausbildung sind, viele davon Vollzeit; für die meisten ist das Beschäftigungsniveau, das wir als Studierende erlangen, das gleiche wie jenes, das uns nach unserem Hochschulabschluss erwartet. Zwischenzeitlich erwerben wir keine Bildung, sondern machen Schulden. Wir arbeiten, um Geld zu verdienen, das wir bereits ausgegeben haben; unsere zukünftige Arbeit wurde längst schon auf dem schlimmsten aller Märkte verkauft. Der durchschnittliche Verschuldungsgrad der Studierenden stieg in den ersten fünf Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts um 20 Prozent – und um 80 bis 100 Prozent für students of color.  Das Darlehensvolumen von Studierenden – eine Zahl, die sich umgekehrt proportional zur staatlichen Bildungsfinanzierung verhält – stieg von 1977 bis 2003 um knapp 800 Prozent. Was wir mit unseren auf Pump bezahlten Studiengebühren kaufen, ist das Privileg für den Rest unseres Lebens monatliche Zahlungen zu leisten. Was wir lernen, ist die Choreografie des Kredits: Du kannst keinen Kurs besuchen, ohne eine weitere Plastikkarte zu erhalten, wofür 20 Prozent Zinsen anfallen. Die auf das Finanzwesen spezialisierten Studierenden von gestern, kaufen ihre Sommerhäuser mit der düsteren Zukunft der heute auf Geisteswissenschaften [humanities] spezialisierten Studierenden.

Das ist die Aussicht, auf die wir uns seit der Grundschule vorbereiten. Diejenigen von uns, die hierher kamen, um sich ihre Privilegien bestätigen zu lassen, lieferten unsere Jugend einem Bombardement von Dozent*innen, einem Geschützfeuer von psychologischen Tests sowie den obligatorischen Angestellten des öffentlichen Dienstes aus – somit einer zynischen Zusammenstellung von Halbwahrheiten, die auf ein ausgewogenes Bewerbungsprofil verweisen. Kein Wunder, dass wir uns daran machen, uns selbst zu zerstören, und zwar in der Sekunde, in der wir der Rute der elterlichen Fürsorge entkommen. Anderseits wissen diejenigen von uns, die zur Überwindung der ökonomischen und sozialen Benachteiligungen ihrer Familien bis hierher gekommen sind, dass auf jede Einzelne, die „es schafft“, zehn weitere folgen – dass die Logik hier auf einem Nullsummenspiel beruht. Der sozioökonomische Status ist ohnehin die beste Vorhersage, was den Studienerfolg betrifft. Denjenigen von uns, die Demograph*innen „Einwanderer“, „Minderheiten“ und „people of color“ nennen, wurde eingetrichtert, an die Aristokratie der Leistung zu glauben. Wir aber wissen, dass wir nicht trotz, sondern gerade wegen unserer Errungenschaften gehasst werden. Und wir wissen auch, dass die Kreisläufe, durch die wir uns möglicherweise aus der Gewalt unserer Herkunft befreien können, nur das Elend der Vergangenheit in der Gegenwart anderer an anderen Orten reproduzieren.

Wenn die Universität uns vor allem lehrt, wie man sich verschuldet, wie wir unsere Arbeitskraft verschwenden und wie wir unbedeutenden Ängsten anheimfallen können, so lehrt sie uns dadurch auch, wie wir zu Konsument*innen werden. Bildung ist eine Ware, ebenso wie alles andere, wonach wir streben, ohne uns etwas daraus zu machen. Sie ist ein Ding und sie verwandelt, die die sie erwerben, in Dinge. Die eigene sozioökonomische Stellung im System, das eigene Verhältnis zu anderen, wird zunächst mit Geld und später durch die fortwährende Demonstration von Gehorsam erworben. Zuerst zahlen wir und dann wird „hart gearbeitet“. Und da ist der Riss: Man ist zugleich Befehlende*r und Befehlsempfänger*in, Konsumierende*r und Konsumierte*r. Es ist das System selbst, dem man gehorcht, den kalten Gebäuden, die Gehorsam erzwingen. Die Unterrichtenden werden mit dem Respekt eines automatischen Nachrichtenübermittlungssystems behandelt. Hier gilt nur die Logik der Kund*Innenzufriedenheit: War der Kurs einfach? Ist der/die Lehrende cool? Kann jedes dumme Arschloch ein Sehr Gut bekommen? Wozu Wissen erwerben, wenn es mit ein paar Mausklicks abrufbar ist? Wozu ein Gedächtnis, wenn wir das Internet haben? Eine Einübung ins Denken? Das kann doch nicht dein Ernst sein! Eine moralische Vorbereitung? Dafür gibt es doch Antidepressiva!

Die graduierten Studierenden, scheinbar die politisch aufgeklärtesten unter uns, sind indessen auch die gehorsamsten. Die „Berufung“, für die sie arbeiten, ist nichts anderes als die Einbildung aus dem Raster zu fallen bzw. aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu werden. Alle graduierten Studierenden sind angehende Robinson Crusoes, die von einer den Markterfordernissen nicht unterworfenen Inselökonomie träumen. Aber diese Einbildung speist sich selbst aus einer unablässigen Unterordnung unter den Markt. Man spürt nicht den geringsten Widerspruch, wenn es tagsüber um das Unterrichten einer fundamentalen Kapitalismuskritik geht und nachts um das Feilen am eigenen Vorsingen. Dass wir Vergnügen an unserer Arbeit haben, erleichtert den Umgang mit unseren Symptomen. Ästhetik und Politik kollabieren, da die Geschichte freundlicherweise durch Ideologie ersetzt wird: Sauferei und Schöne Künste und noch ein weiteres Seminar zur Frage des Seins, die Unschärfe des Schriftbilds, jedes Pixel von irgendjemandem irgendwo bezahlt, irgendein Nicht-Ich nicht hier, wo alles, was erscheint, gut ist und alle Güter mittels Kredit erreichbar scheinen.

Die Hochschule ist einfach der verschwindende Rest eines feudalen an die Logik des Kapitalismus angepassten Systems – von den Kommandohöhen der Starprofessor*innen bis zu den dicht gedrängten Reihen von Assistent*innen und Lehrbeauftragten, deren Bezahlung zumeist auf falschen Versprechungen beruht. Hier herrscht eine Art Klosterleben vor, mit den gotischen Ritualen einer Benediktinerabtei, mit seltsamen theologischen Forderungen nach Anerkennung dieser noblen Arbeit und ihrer wesenhaften Selbstlosigkeit. Die Rädchen im Getriebe sind überglücklich, die Lehrlinge ihrer Meister*innen zu mimen, ohne eins und eins zusammenzuzählen und zu kapieren, dass neun Zehntel von uns vier Kurse pro Semester unterrichten werden, um die Gehaltsschecks jenes einen Zehntels aufzufetten, das die Fiktion aufrechterhält, wir alle könnten dieses eine Zehntel sein. Selbstverständlich werde Ich der Star sein; Ich werde eine Professur auf Lebenszeit in einer großen Stadt bekommen und in ein eben gentrifiziertes Wohnviertel umziehen.

Schließlich interpretieren wir die 11. Feuerbachthese von Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern.“ Bestenfalls lernen wir wir die phönixhafte Fähigkeit, auf die absoluten Grenzen der Kritik zu stoßen und daran zugrunde zu gehen, nur um erneut mit den scheinbar unausrottbaren Wurzeln beginnen zu müssen. Bewundernswert erscheint uns der erste Teil dieser Performance: Sie leuchtet unseren Weg. Wir aber wollen die Werkzeuge, um jenen Punkt selbstmörderischen Denkens zu durchbrechen, seinen Angelpunkt in der Praxis.

Gerade die Leute, die „Kritik“ üben, sind auch am empfänglichsten für Zynismus. Wenn aber Zynismus einfach nur die Kehrseite von Enthusiasmus ist, dann verbergen sich hinter allen frustrierten linken Akademiker*innen latente Radikale. Schulterzucken, ausdruckslose Gesichter, betretenes Sich-Winden bei Diskussionen darum, dass die USA zwischen 2003 und 2006 im Irak eine Million Menschen ermordet haben, dass den ärmsten amerikanischen Bürger*innen ihr letzter Cent abgepresst und in die Bankindustrie eingespeist wird, dass die Meeresspiegel ansteigen und Milliarden Menschen sterben werden und dass wir nichts dagegen tun können – diese Unbehagen verursachende Haltung resultiert aus dem Gefühl der Zerrissenheit zwischen dem „Ist und dem „Sollte“ des gegenwärtigen linken Denkens. Man spürt, dass es keine Alternative gibt, und dass andererseits eine andere Welt doch möglich ist.

Wir wollen nicht so bockig sein. Die Synthese dieser Positionen liegt direkt vor uns: Eine andere Welt ist nicht möglich; sie ist notwendig. Der Soll- und das Ist-Zustand sind eins. Der Kollaps der  globalen Ökonomie ereignet sich hier und jetzt.

II.

Die Universität hat keine eigene Geschichte; ihre Geschichte ist die Geschichte des Kapitals. Ihre wesentliche Funktion ist die Reproduktion des Verhältnisses von Kapital und Arbeit. Obwohl sie kein richtiges Unternehmen ist, das gekauft und verkauft werden kann, das Gewinne an seine Investor*innen ausschüttet, leistet die öffentliche Universität diese Aufgabe nichtsdestotrotz so effizient wie möglich, indem sie sich der Unternehmensform ihrer Komplizen immer mehr angleicht. Wir erleben gerade die Endphase dieses Prozesses, in dem die Fassade der Bildungsinstitution der unternehmerischen Rationalisierung weicht.

Selbst im goldenen Zeitalter des Kapitalismus, das auf den Zweiten Weltkrieg folgte und bis in die späten 1960er Jahre andauerte, war die liberale Universität bereits dem Kapital untergeordnet. Auf dem Höhepunkt der öffentlichen Finanzierung des Hochschulwesens in den 1950er Jahren erfolgte bereits die die Umgestaltung der Universität hin zu einer Produktion von Technokrat*innen mit den notwendigen Sachkenntnissen zur Bezwingung des „Kommunismus“ und zur Aufrechterhaltung der US-Hegemonie. Ihre Aufgabe während des Kalten Krieges war die Legitimation der liberalen Demokratie und die Reproduktion einer imaginären Gesellschaft freier und gleicher Bürger – und zwar aus einem einfachen Grund: Niemand war frei und gleich.

Wenn jedoch diese ideologische Funktion der öffentlichen Universität nach dem Zweiten Weltkrieg zumindest ausreichend finanziert wurde, dann veränderte sich diese Situation in den 1960er Jahren auf unumkehrbare Weise, und kein wie auch immer gearteter sozialdemokratischer Stepp wird die tote Welt des Nachkriegbooms wieder herbeiführen können. Zwischen 1965 und 1980 begannen die Profitraten von Unternehmen zuerst in den USA und dann im Rest der industrialisierten Welt zu sinken. Wie sich herausstellte, konnte der Kapitalismus das gute Leben, das er ermöglichte, nicht aufrecht erhalten. Für das Kapital erscheint der Überfluss als Überproduktion, die Befreiung von der Arbeit als Arbeitslosigkeit. Anfang der 1970er Jahre trat der Kapitalismus in eine Phase endgültigen Abschwungs ein, im Zuge derer sich die Normalarbeit in Gelegenheitsarbeit verwandelte und die Löhne der Arbeiter*innenschaft stagnierten, während diejenigen an der Spitze zeitweilig für ihre undurchsichtige finanzielle Totenbeschwörung belohnt wurden, was sich mittlerweile längst als unhaltbar erwiesen hat.

Für die öffentliche Bildung erwies dieser lang anhaltende Abschwung als Verringerung von Steuereinnahmen, und zwar sowohl aufgrund abnehmender ökonomischer Wachstumsraten wie aufgrund der Bevorzugung von Steuererleichterungen für angeschlagene Unternehmen. Diese Plünderung der öffentlichen Mittel traf Kalifornien und den Rest der Nation in den 1970er Jahren. Jeder weitere Konjunkturabschwung trifft sie aufs Neue. Obwohl sie dem Markt nicht direkt verpflichtet ist, werden die Universität und ihre Folgeerscheinungen der gleichen Kostensenkungslogik unterworfen wie alle anderen Industriezweige: Rückläufige Steuereinnahmen haben die Gelegenheitsarbeit unvermeidbar werden lassen. Professor*innen, die in Ruhestand gehen, machen nicht Anstellungen auf Lebenszeit Platz, sondern prekär beschäftigten Assistent*innen, Gehilf*innen und Lektor*innen, die dieselbe Arbeit für viel weniger Geld leisten. Die Erhöhung der Studiengebühren kompensiert die Kürzungen, während sich  die Arbeitsplätze, für die die Studierenden bezahlen, um eine Ausbildung zu bekommen, in Luft auflösen.

Inmitten der langen und sich hinziehenden gegenwärtigen Krise wünschen sich viele auf der Linken das goldene Zeitalter des öffentlichen Bildungswesens wieder herbei. In ihrer Naivität stellen sie sich vor, dass die Krise der Gegenwart eine Gelegenheit dafür ist, die Rückkehr der Vergangenheit zu fordern. Aber die Sozialprogramme, die auf hohen Gewinnraten und lebhaftem Wirtschaftswachstum beruht haben, sind unweigerlich verloren. Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, vergeblich nach dem Unwiederbringlichen zu greifen, während wir die offensichtliche Tatsache ignorieren, dass es in einer kapitalistischen Gesellschaft keine autonome „öffentliche Universität“ geben kann. Die Universität ist der realen Krise des Kapitalismus unterworfen und das Kapital braucht längst keine liberalen Bildungsprogramme mehr. Die Funktion der Universität war seit jeher die Reproduktion der Arbeiter*innenklasse durch die Ausbildung zukünftiger Arbeiter*innen, und zwar entsprechend den sich wandelnden Anforderungen des Kapitals. Die Krise der Universität heute ist die Krise der Reproduktion der Arbeiter*innenklasse, die Krise einer Periode, in der uns das Kapital nicht länger als Arbeiter*innen braucht.

Wir können die Universität nicht von den Markterfordernissen befreien, indem wir die Wiederkehr des öffentlichen Bildungssystems fordern. Wir erleben das Ende eben jener Marktlogik, auf die sich das System gründet. Die einzige Autonomie, die wir zu erreichen hoffen können, existiert jenseits des Kapitalismus.

Für unseren Kampf bedeutet das, dass wir nicht zurück können. Die früheren Kämpfe von Studierenden sind die Relikte einer niedergegangenen Welt. In den 1960er Jahren, als der Boom der Nachkriegszeit abzuebben begann, haben Radikale innerhalb der Grenzen der Universität verstanden, dass eine andere Welt möglich war. Studierende, die vom technokratischen Management genug hatten, die die Ketten einer konformistischen Gesellschaft aufbrechen wollten und in einem Zeitalter der Fülle entfremdete Arbeit ablehnten, weil sie überflüssig geworden war, versuchten sich mit den radikalen Lagern der Arbeiter*innenklasse zusammenzutun. Aber ihre Weise der Radikalisierung, die sich zu sehr der ökonomischen Logik des Kapitalismus verschrieb, verhinderte die Festigung dieses Zusammenschlusses. Da sich ihr Widerstand gegen den Vietnamkrieg vor allem in einer Kritik am Kapitalismus als kolonialer Kriegsmaschine äußerte, aber die Ausbeutung durch binnenländische Arbeit nicht ausreichend in den Blick nahm, war die Abspaltung der Studierenden von der Arbeiter*innenklasse, die mit anderen Problemen beschäftigt war, ein leichtes Unterfangen. Mit dem Aufkommen des Nachkriegsbooms wurde die Universität nicht im gleichen Maß unter das Kapital subsumiert wie jetzt und auch die Proletarisierung der Studierenden durch Schulden und einen verwüsteten Arbeitsmarkt vollzog sich nicht im selben Maß.

Deshalb ist unser Kampf grundlegend anders. Die Armut des studentischen Lebens ist ausweglos: Der versprochene Ausstieg bleibt aus. Wenn die ökonomische Krise in den 1970er Jahren aufkam, um das Rückgrat der politischen Krise der 1960er Jahre zu brechen, dann verweist die Tatsache, dass die ökonomische Krise heute dem kommenden politischen Aufstand vorangeht darauf, dass wir schlussendlich die Vereinnahmung und Neutralisierung jener vergangenen Kämpfe ablösen können. Es wird keine Rückkehr zum Normalzustand geben.

III.

Wir wollen die Kämpfe an den Universitäten, bis zum Äußersten treiben.

Obwohl wir die Privatisierung der Universität und ihrer autoritäres System der Lenkung ablehnen, streben wir nicht nach strukturellen Reformen. Wir fordern keine freie Uni, sondern eine freie Gesellschaft. Eine freie Universität inmitten einer kapitalistischen Gesellschaft ist wie ein Lesesaal in einem Gefängnis; sie dient lediglich der Ablenkung vom tagtäglichen Elend. Stattdessen versuchen wir, die Wut der enteigneten Studierenden und Arbeiter*innen in eine Kriegserklärung einmünden zu lassen.

Wir müssen einen Anfang machen, indem wir verhindern, dass die Universität funktioniert. Wir müssen den normalen Fluss von Körpern und Dingen unterbrechen, und sowohl die Arbeit als auch die Unterrichtsstunden zum Stillstand bringen. Wir werden blockieren, besetzen und uns nehmen, was uns gehört. Anstatt solche Betriebsstörungen als Hindernisse für Dialog und gegenseitiges Verständnis zu betrachten, erkennen wir sie als das, was wir zu sagen haben und wie wir verstanden werden wollen. Dies ist die einzig sinnvolle Haltung, die es eingenommen werden kann, sobald Krisen die gegenläufigen Interessen, auf denen unsere Gesellschaft fußt, bloßlegen. Rufe nach Einheit sind völlig leer. Es gibt keine gemeinsame Basis zwischen denen, die den Status quo aufrecht erhalten wollen und denjenigen, die ihn zu zerstören versuchen.

Der universitäre Kampf ist einer unter vielen, ein Bereich, in dem ein neuer Zyklus von Verweigerung und Aufstand begonnen hat – an den Arbeitsplätzen, in den Wohngegenden und in den Slums. All unsere Zukunftsperspektiven sind miteinander verknüpft, und darum wird sich unsere Bewegung mit jenen anderen zusammentun müssen; sie wird die Mauern der Universitätsgelände durchbrechen und auf die Straßen überschwappen müssen. In den letzten Wochen haben die Lehrenden, die an öffentlichen Schulen in der Bay Area[3] unterrichten, die Beschäftigten des Bay Aera Rapid Transit und die Erwerbsarbeitslosen mit Demonstrationen und Streiks gedroht. Jede dieser Bewegungen antwortet auf verschiedene Facetten eines neuerlich erstarkten Angriffs des Kapitalismus auf die Arbeiter*innenklasse in einem Moment der Krise. Für sich genommen, erscheinen all diese Antworten klein, kurzsichtig und ohne Hoffnung auf Erfolg. Zusammen hingegen verweisen sie auf die Möglichkeit einer umfassenden Verweigerung und eines weitverbreiteten Widerstands. Unsere Aufgabe ist es, auf die gemeinsamen Bedingungen hinzuweisen, die – wie ein verborgenes Reservoir – in alle Kämpfe einfließen.

Wir haben diesen Aufschwung in der jüngeren Vergangenheit erlebt: Eine Rebellion, die von den Klassenzimmern ihren Ausgang nimmt und nach Außen ausstrahlt, um die gesamte Gesellschaft zu erfassen. Vor nur zwei Jahren hat die Anti-CPE-Bewegung[4] in Frankreich im Kampf gegen ein neues Gesetz, das den Arbeitgeber*innen ermöglichte junge Arbeitnehmer*innen grundlos zu entlassen, eine riesige Zahl von Menschen auf die Straßen gebracht. Schüler*innen und Studierende, Lehrende, Eltern, die breite Masse der Gewerkschaftsmitglieder sowie erwerbsarbeitslose Jugendliche aus den Banlieues fanden sich gemeinsam auf derselben Seite der Barrikaden. (Diese Solidarität war indessen oft sehr zerbrechlich. Der Aufruhr von jugendlichen Migrant*innen am Stadtrand und Studierenden in den Stadtzentren floss niemals zusammen und von Zeit zu Zeit kam es zu Spannungen zwischen diesen beiden Gruppen.) Die französischen Studierenden durchschauten die Illusion der Universität als Ort der Zuflucht und der Aufklärung und begriffen, dass sie dort lediglich eine Arbeitsausbildung erhielten. Sie gingen als Arbeiter*innen auf die Straße und protestierten gegen ihre prekäre Zukunft. Ihre Haltung ließ die Trennung zwischen Schule und Arbeitsplatz einstürzen und löste umgehend die Unterstützung vieler Lohnarbeitenden und erwerbsarbeitsloser Menschen in Form einer proletarischen Massenverweigerung aus.

Die Entwicklung der Bewegung ließ eine wachsende Spannung zwischen Revolution und Reform manifest werden. Ihre Form war radikaler als ihr Inhalt. Während sich die Rhetorik der studentischen Anführer*innen lediglich auf eine Rückkehr zum Status quo beschränkte, machten die Aktivitäten der Jugend – Krawalle, umgestürzte und in Brand gesetzte Autos, Straßen- und Eisenbahnblockaden, Besetzungswellen, die Schulen und Universitäten lahm legten – das Ausmaß der Enttäuschung und des Zorns dieser neuen Generation deutlich. Trotz alledem zerfiel die Bewegung rasch, nachdem die Regierung das CPE-Gesetz schließlich fallen gelassen wurde. Während der radikalste Teil der Bewegung die Ausweitung der Rebellion zu einer allgemeinen Revolte gegen den Kapitalismus anstrebte, konnte dafür keine wesentliche Unterstützung gewonnen werden; die Demonstrationen, Besetzungen und Blockaden wurden immer weniger und blieben bald völlig aus. Letztlich war die Bewegung nicht zur Überwindung der Grenzen des Reformismus in der Lage.

Der griechische Aufstand vom Dezember 2008 brach viele jener Beschränkungen auf und markierte den Anfang eines neuen Klassenkampfzyklus. Ausgelöst von Studierenden in Reaktion auf die Ermordung eines Athener Jugendlichen durch die Polizei, bestand der Aufstand aus wochenlangen Unruhen, Plünderungen und Besetzungen von Universitäten, Gewerkschaftsbüros sowie Fernsehstationen. Ganze Finanz- und Einkaufsviertel brannten und was der Bewegung an Anzahl fehlte, machte sie durch ihre geographischen Breite wett; sie verbreitete sich von Stadt zu Stadt, um schließlich ganz Griechenland zu umfassen. Wie in Frankreich war auch dies ein Aufstand der Jugend, für die die ökonomische Krise für die völlige Verneinung der Zukunft stand. Die Protagonist*innen der Bewegung waren Studierende, prekär Beschäftigte und Migrant*innen; diese   erreichten ein Niveau an Einheit, das die fragilen Solidaritäten der Anti-CPE-Bewegung bei Weitem übertraf.

Genauso bezeichnend war, dass sie fast keine Forderungen stellten. Obwohl selbstverständlich einige Protestierende das Polizeisystem reformieren oder bestimmte Regierungsprogramme kritisieren wollten, verlangten sie im Allgemeinen überhaupt nichts von der Regierung, der Universität, den Arbeitsstätten oder von der Polizei. Nicht, weil sie dies für die bessere Strategie hielten, sondern weil sie nichts wollten, was ihnen auch nur eine dieser Institutionen bieten konnte. Hier waren Inhalt und Form in Einklang. Während sich die optimistischen Slogans, die auf allen französischen Demonstrationen auftauchten, an den Bildern von brennenden Autos und Glasscherben brachen, war die Randale in Griechenland das naheliegende Mittel, um einen Anfang zu machen mit der  Zerstörung eines ganzen politischen und ökonomischen Systems.

Letztlich waren es dieselben Dynamiken, die den Aufstand hervorgebrachten und die seine Grenze festlegten. Möglich gemacht wurde der Aufstand durch eine ansehnliche radikale Infrastruktur in städtischen Gebieten, insbesondere im Stadtviertel Exarchia[5] in Athen. Die besetzten Häuser, Bars, Cafés und Sozialzentren, die von Studierenden und migrantischen Jugendlichen frequentiert werden, haben das Milieu entstehen lassen, aus dem dieser Aufstand hervorging. Allerdings war dieses Milieu den meisten Lohnabhängigen mittleren Alters fremd; sie betrachteten den Kampf nicht als ihren. Obwohl sich viele mit der aufständischen Jugend solidarisierten, nahmen sie diese als eine Bewegung war, die nach Zugang verlangte  – das heißt, als eine Bewegung aus jenem Teilbereich des Proletariats, das einen Zugang zum Arbeitsmarkt begehrte, aber formell nicht in Vollzeitarbeit beschäftigt war. Der Aufstand, stark verankert in den Schulen und in den migrantischen Vororten, griff nicht auf die Arbeitsstätten über.

Unsere Aufgabe in der gegenwärtigen Auseinandersetzung wird es also sein, den Widerspruch zwischen der Form und dem Inhalt der Proteste deutlich zu machen, und die Bedingungen für die Überwindung reformistischer Forderungen sowie für die Durchsetzung eines wirklich kommunistischen Inhalts zu schaffen. Ebenso wie die Gewerkschaften und die Studierenden- und Fakultätsgruppen ihre verschiedenen „Themen“ forcieren, müssen wir die Spannung solange erhöhen, bis klar wird, dass wir etwas ganz anderes wollen. Wir müssen die Unstimmigkeit der Forderungen nach Demokratisierung oder Transparenz fortwährend bloßstellen. Was nützt das Recht, zu erkennen, dass die Dinge untolerierbar sind? Was nützt es uns, jene zu wählen, die uns dauernd verarschen? Wir müssen die Kultur des Studiaktivismus mit seinen moralistischen Mantras von Gewaltlosigkeit und seiner Fixierung auf Einzelursachen hinter uns lassen. Der einzige Erfolg, mit dem wir uns zufriedengeben können, ist die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise, der sicheren Verelendung und des Todes, den diese für das 21. Jahrhundert verheißt. Alle unsere Handlungen müssen uns dabei der Vergemeinschaftung näher bringen: das heißt, die Umgestaltung der Gesellschaft entsprechend einer Logik von freiem Geben und Nehmen sowie die sofortige Abschaffung des Lohns, der Wertform, des Zwangs zur Arbeit und des Tausches.

Besetzung wird eine entscheidende Taktik unseres Kampfes sein, aber wir müssen der Versuchung widerstehen, sie in einer reformistischen Weise einzusetzen. Die unterschiedlichen strategischen Verwendungen von Besetzung wurden im vergangenen Januar deutlich, als Studierende ein Gebäude an der New School[6] in New York besetzten. Eine Gruppe von Freund*innen, zumeist Graduierte, entschlossen sich das student center zu übernehmen und dieses den Studierenden und der Öffentlichkeit als Freiraum zugänglich zu machen. Bald schlossen sich andere dieser Gruppe an, aber viele von ihnen zogen es vor, die Aktion als Hebel zur Durchsetzung von Reformen, insbesondere zur Absetzung des Universitätsvorsitzenden zu nutzen. Die Unterschiede spitzten sich mit der Ausweitung der Besetzung zu. Während die studentischen Reformer*innen darauf aus waren, das Gebäude mit einem handfesten Zugeständnis seitens der Verwaltung zu verlassen, vermieden andere jegliche Forderung. Sie sahen im Moment der Besetzung eine kurzzeitigen Öffnung im kapitalistischen Raum-Zeit-Gefüge, eine Neuzusammensetzung, die die Konturen einer neuen Gesellschaft skizzierte. Wir stellen uns auf die Seite dieser anti-reformistischen Haltung. Obwohl wir wissen, dass diese Zonen nur teilweise und vorübergehend bestehen, können die Spannungen, die sie zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen bloßlegen, den Kampf in eine radikalere Richtung treiben.

Wir beabsichtigen, diese Taktik solange beizubehalten, bis sie verallgemeinert wird. Im Jahr 2001 gaben die ersten argentinischen Piqueteros[7] die Form vor, die der Kampf der Menschen dort annehmen sollte: Straßenblockaden, die die Zirkulation von Gütern von einem Ort zum anderen zum Erliegen brachten. Innerhalb von Monaten breitete sich diese Taktik ohne eine formale Koordination zwischen den Gruppen im ganzen Land aus. Auf dieselbe Weise kann eine Wiederholung die Besetzung als intuitive und unmittelbare Methode der Revolte etablieren, die sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Universität aufgegriffen wird. Im vergangenen Jahr haben wir in den USA eine neue Welle von Besetzungen in den Universitäten und in den Arbeitsstätten erlebt: In der New School und der New York University, ebenso wie im Falle der Arbeiter*innen in der Republic Windows Factory in Chicago, die gegen die Schließung ihrer Fabrik kämpften, indem sie diese übernommen haben. Nun sind wir an der Reihe.

Um unsere Ziele zu erreichen, können wir uns nicht auf jene Gruppen verlassen, die sich als unsere Vertreter*innen ausgeben. Wir sind bereit, mit Gewerkschaften und Studierendenorganisationen zusammenzuarbeiten, wenn wir es nützlich finden, aber wir erkennen ihre Autorität nicht an. Wir müssen sofort und für uns selbst handeln, ohne Vermittlung. Wir müssen mit all jenen Gruppen brechen, die versuchen, den Kampf zu beschränken, indem sie uns an die Arbeit oder in die Klassen zurückschicken bzw. uns zu Verhandlungen und Aussöhnungen drängen. Dies war auch in Frankreich der Fall. Die Aufrufe zum Protest gingen eigentlich von den nationalen Schüler*Innen- und Studierendenorganisationen sowie und von einigen Gewerkschaften aus. Als schließlich die repräsentativen Gruppen Ruhe forderten, drängten andere vorwärts. In Griechenland offenbarten die Gewerkschaften ihren konterrevolutionären Charakter, indem sie Streiks absagten und Zurückhaltung verlangten.

Als Alternative dazu, von Vertreter*innen als Herde zusammengehalten zu werden, rufen wir Studierende und Arbeiter*innen zu einer Organisierung über die Berufsgruppen hinweg auf. Wir rufen die Studierenden, die Assistent*innen, die Lehrenden, die Fakultätsbediensteten und die Dienstleistungserbringer*innen sowie die universitäre Belegschaft dazu auf, sich zusammenzusetzen und ihre Situation zu diskutieren. Je mehr wir selbst miteinander zu reden beginnen und unsere gemeinsamen Interessen entdecken, desto schwieriger wird es für die Verwaltung, uns in einem hoffnungslosen Wettbewerb um schwindende Mittel gegeneinander auszuspielen. Die jüngsten Kämpfe an der New York University und an der New School litten unter dem Fehlen dieser festen Bindungen, und wenn wir daraus etwas lernen können, dann das, dass wir dichte Netzwerke der Solidarität aufbauen müssen, die auf der Anerkennung eines gemeinsamen Feindes beruhen. Diese Netzwerke machen uns nicht nur resistent gegen Vereinnahmung und Neutralisierung, sondern begründen auch neue Formen kollektiver Bindungen. Und diese sozialen Bande sind die wirkliche Grundlage unseres Kampfes.

Wir sehen uns auf den Barrikaden.

Research & Destroy, 2009


[1]    Das Original erschien erstmals unter http://researchanddestroy.wordpess.com; die weitere Diskussion um das kann unter http://www.revolutionbythebook.akpress.org nachgelesen werden.

[2]    Im Original: „Work hard, play hard“. Bezieht sich auf eine Management-Losung, die besagt, dass intensives Arbeiten mit einer intensiven Freizeitgestaltung kombiniert werden soll. (Diese und alle folgenden FN sind Anm. d. Übers.)

[3]    Zu den Protesten der letzten Monate im öffentlichen Bildungsbereich der USA, speziell in Kalifornien, siehe http://indymedia.us/en/education .

[4]    CPE steht für „Contrat première embauche“, was so viel bedeutet wie „Vertrag zur Ersteinstellung“.

[5]    Universitätsviertel in Athen, dass stark von den antiautoritären Bewegungen geprägt ist.

[6]    Siehe dazu auch http://www.newschoolinexile.com.

[7]    Bedeutet eigentlich Streikposten, hat sich aber als Synonym für Aktivist*innen der Erwerbsarbeitslosenbewegung in Argentinien durchgesetzt.