Vom Nichts zum Nichts

Am Anfang war das Nichts. Und das Nichts war in den Kassen der Banken. Über den Banken schwebte das Wort, und das Wort war beim Staat, und Staat sprach: Es werde Geld. Und es ward Geld. Und Staat sah, daß es gut war und trennte das Geld von den Armen. So ergoß es sich in tausend Strömen über die Banken, auf daß die Geldwechsler weiterhin über monströse Gehälter und Boni verfügen können, ohne dabei aufs Zocken an den internationalen Finanzmärkten verzichten zu müssen.

Uns Niederen bleibt nur die erstaunte Zeugenschaft für die wundersame Erschaffung von Kapital aus dem Nichts. Wobei dieses Mysterium Dirk Müller, von Insidern wegen seines Arbeitsplatzes, direkt unter der DAX-Anzeige der Frankfurter Börse, und seinem exaltierten Bartputz, Mister Dax genannt, in jener TV-Phönix-Runde, bei der jeder dachte, Sarah Wagenknecht sei eigentlich die Ketzerin, entzauberte: Der Staat leiht das auf dem Finanzmarkt erworbene Geld für einen geringen Prozentsatz an die Banken, die es ihm für einen höheren weiterverleihen, um es sich dann für einen niedrigen wieder zu leihen. Ein Bombengeschäft, wenn man nicht Steuerzahler heißt.

Zur Refinanzierung besannen sich die Regierungskoalitionäre auf eine gleichermaßen faszinierende, wie unausgegorene Theorie eines Arthur B. Laffer. Der hatte die Idee bei Jonathan Swift gelesen und übersehen, daß der Schriftsteller weniger Steuerexperte als mehr Satiriker war. Demnach sollen Steuersenkungen Mehreinnahmen generieren. Leider fehlt dafür jeder wissenschaftliche oder steuerrechnerische Beweis. Bisher geschah immer folgendes: Nach Steuersenkungen stellten die Staatslenker fest, die Mittel fehlen an allen Ecken, strichen daraufhin Sozialleistungen, entließen Angestellte im öffentlichen Dienst, erhöhten alle möglichen Gebühren und  senkten (wegen der vermeintlich zu geringen Dosis) die Steuern. Die Formel Steuersenkung = mehr Investitionen in die Wirtschaft = mehr Arbeitsplätze = sprudelnde Steuereinnahmen stammt leider aus dem wenig praxisorientierten Bereich der Fabel. Empirisch bewiesen gilt: Steuersenkung = Investitionen in den Finanzmarkt = Renditedruck auf Betriebe = Arbeitsplatzabbau/Lohnverzicht = Blasenbildung = Finanzkrise. En passant führte die Rubrik Arbeitsplatzabbau/Lohnverzicht, verstärkt durch sinkende Staatsinvestitionen zur Schwächung der Binnennachfrage. Betriebe allerdings erweitern ihre Produktionskapazitäten (Investieren in die Wirtschaft) nur mit Aussicht auf erhöhten Absatz, also eine ansteigende Binnennachfrage.

Ein Auslöser der Finanzkrise war demnach das durch Steuergeschenke an Vermögende und Unternehmen frei gewordenen Geld, welches direkt in den Finanzmarkt floß. Porsche beispielsweise machte mehr Gewinn als Umsatz.

Daß nun die FDP Steuersenkungen durchsetzte, mußte man erwarten, denn, wo FDP draufsteht, ist auch wirklich Schwachsinn drin. Prinzipiell steht die FDP für eine Art „Robin Hood-verkehrt", berauben der Allgemeinheit zugunsten Begüterter. Niemand verkörperte das besser als Otto Graf Lambsdorff, der in seiner Funktion als Wirtschaftminister von Flick mehrfach 30 000 DM zugesteckt bekam, dafür Entscheidungen im Sinne Flicks fällte, letztendlich aber nur wegen Steuerhinterziehung (Raub bei der Allgemeinheit zugunsten Begüterter) verurteilt wurde. In nach diesem Vorbestraften benannten Papieren von 1982 steht der ganze neoliberale Politikfahrplan der letzten Jahrzehnte. Zynikern mag das visionär scheinen, wer sich dagegen noch Spurenelemente einer sozialen Haltung bewahrte, wundert sich eher, wieso es ausgerechnet Rot-Grün vorbehalten blieb, diesen Katalog von Asozialitäten mit Hartz IV noch zu überbieten.

Originellerweise sollen an den aktuell beschlossenen Steuersenkungen übergebühr (Wortspiel!) die Bundesländer beteiligt werden, was selbst bei Unions-Landesmiisterprässidenten zu Unmutsäußerungen führt, plagen die doch ganz eigene Steuersenkungsphantasien. In ihrem Wettbewerb um den attraktivsten Standort wollen sie Reiche und Unternehmen nur in Ausnahmefällen durch steuerliche Scherereien belästig sehen. Im Fürstentum Koch führte das zur Zerschlagung einer Elite-Steuerfahnder-Gruppe, die insbesondere gegen Banken vorgegangen war und dort dreistellige Millionenbeträge eintrieb. Ganz nach stalinistischem Vorbild erklärte ein Psychiater die Beamten für verrückt. Gemäß dem inzwischen erfolgten Gerichturteil steht fest, der Psychiater war verrückt, was aber nichts an der Abschiebung der Fahnder und Auflösung der Abteilung ändert.

Da braucht sich niemand wundern, wenn in Deutschland 3000 Stellen für Betriebsprüfer und 1000 für Steuerfahnder unbesetzt bleiben. Hier könnte wirkungsvoll ein Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Kombination mit der Konsolidierung der Staatsfinanzen erfolgen. Stattdessen veranstalten Chefs der Steuerbehörden Durchwinkwochen, in denen keine Prüfungen stattfinden und Betriebe lediglich alle Jubeljahre (von denen es immer weniger gibt) mit einer Steuerprüfung rechen müssen.

Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen erfuhr, nachdem sie den Schloßherren Zumwinkel hatte abführen lassen, als behördeninterne Belobigung Mobbing und Verleumdungen, wurde schließlich kurz vor der Gerichtverhandlung gegen den Raubritter vom Verfahren suspendiert.

Natürlich verzichten die Minimonarchen der Bundesländer nicht gänzlich auf Einnahmen und freuen sich schon über ein kleines Zubrot. Beispielsweise von Spielbanken. Ihre Freude über die dort getätigten Gewinne ist so groß, daß Mindeststandards zur Bekämpfung der Geldwäsche schlicht unter die Spieltische fielen, wodurch sie ihre Freude mit den Vertretern des internationalen Verbrechens und des weltweiten Terrorismus teilen. Beim Bund rettet man sich auf eine andere Art aus finanziellen Engpässen: durch Subventionen, aus der Wirtschaft.

Natürlich ergäben sich für einem dem Gemeinwohl verpflichteten Staat auch andere Finanzierungsquellen, die Schulden für notwendige konjunkturelle Maßnahmen abzufedern. Selbst die Hof-Wirtschaftsberater rangen sich endlich zu soviel Weisheit durch, jene von ATTAC seit zehn Jahren geforderte Kapitaltransfersteuer vorzuschlagen. Darüber hinaus könnte der alte Spitzensteuersatz von 53 Prozent wieder eingeführt, Erbschafts- und Vermögenssteuer wenigstens auf EU Mittelmaß festgesetzt, die Boni der Banker nach englischem Vorbild besteuert und die Emissionszertifikate nicht mehr an die Industrie verschenkt werden.

Sinnvolle Konjunkturmaßnahmen zur Belebung des Binnenmarktes wären beispielsweise die generelle Absenkung der Mehrwertsteuer, statt Steuergeschenke für Kempinski und Co., Mindestlöhne, von denen Menschen leben können sowie die Verteilung von Geldern an Armselige, die jeden Cent sofort wieder ausgeben, womit gleich ein in Karlsruhe anstehendes Urteil zur Verfassungswidrigkeit der Hartz IV-Sätze überflüssig würde. Sämtliche Gesetze zur Finanzmarktderegulierung und Heuschreckenförderung gehören abgeschafft und die Banken so zurückgestutzt, daß keine je wieder „systemisch" sei. Zudem müßten langsam mal Staatsanwälte losziehen, um kriminelle Hintergründe der Finanzkrise aufzuklären. Doch am Ende wie am Anfang: nichts.