Der Weg nach Ithaka

Griechenlands Schulden werden auch durch eine neue »Odyssee« nicht weniger

Griechenland kann sich nicht aus eigener Kraft aus dem jahrzehntelang angelegten Schuldensumpf befreien. 2009 nahm der griechische Staat 88 Mrd. Euro ein – gab aber gleichzeitig 120 Mrd. Euro aus. In Relation zur Wirtschaftsleistung entspricht dies einem Defizit von knapp 14%.

Der aufgelaufene Schuldenberg liegt offiziell bei ca. 300 Mrd. Euro. Bis Ende 2011 muss Griechenland für rund 120 Mrd. Euro neue Kredite erhalten, um die fällig werdenden Altschulden inklusive Zinsen und die anfallenden Defizite finanzieren zu können. Bis Ende 2015 braucht das Land gut 140 Mrd. Euro für 33 fällig werdende Staatsanleihen, und die damit verbundenen Zinsen werden aktuell auf rund 90 Mrd. Euro geschätzt. Damit liegt der Refinanzierungsbedarf insgesamt bei 230 Mrd. Euro.

Der Versuch, über die internationalen Kreditmärkte neue Gelder zu bekommen, ist mehr und mehr auf Schwierigkeiten gestoßen. Für die neuen Staatsanleihen musste Griechenland zuletzt 11% Zinsen bei einer Laufzeit von zwei Jahren bezahlen und für zehnjährige Anleihen 9-11%. Das ist zum einen ein massiver Zinsaufschlag von rund 6% gegen­über vergleichbaren Bundesanleihen. Außerdem kommt bei der Versicherung der Anleihen ein weiterer hoher Aufschlag hinzu. Schlussfolgerung: Das Land ist von den Kapitalmärkten zu akzeptablen Konditionen ausgeschlossen. Dies spiegelt sich auch in einem schlechten Rating seiner Kreditwürdigkeit.

Griechenlands Premier Giorgos Papandreou griff tief in die Mythologie zurück, um seinen Landsleuten den Ernst der Lage zu erklären. Griechenland stehe am Beginn einer neuen »Odyssee«, die es aber bestehen werde: »Wir kennen den Weg nach Ithaka.« Dieser Vergleich mit der Irrfahrt des Odysseus deutet auf nichts Gutes. Und in der griechischen Bevölkerung gibt es reichlich Zweifel, ob der von der Regierung eingeschlagene Kurs zielstrebig nach Ithaka führt und ob die bis dahin zu leistenden Anstrengungen und Opfer sozial gerecht verteilt sind.

Um den hohen Zinsen zu entgehen, hat Griechenland ein Hilfspaket bei der EU und beim Internationalen Währungsfonds beantragt. Im Grundsatz zugesagt war eine Kredithilfe über insgesamt 45 Mrd. Euro, darunter 30 Mrd. Euro von den EU-Ländern zu dem gleichfalls nicht ganz preiswerten Zinssatz von um die 5%. Dahinter steckt die Logik, dass sich die EU-Staaten selbst auf dem internationalen Kreditmarkt entsprechende Gelder besorgen – sagen wir zu 3% – und diese mit einer kleinen Gebühr und Risikoaufschlag an Griechenland weiter reichen. Zwei Argumente gilt es im Kopf zu behalten:

n Eine solche Operation ist für Deutschland, Frankreich und einige Länder der EU möglich. Andere Staaten wie Portugal, Spanien etc. dürften selbst weit höhere Zinsaufwendungen haben.

n Die 45 Mrd. Euro reichen für die nächsten Monate, aber insgesamt ist eine Schuldenlinderung durch die EU und den IMF nicht möglich.

Entscheidend sind freilich nicht die neuen Kredite für die Refinanzierung der Altschulden, sondern die Reduktion der Defizite und der Übergang zu einer Tilgung der Altschulden. Griechenland steckt nicht nur in einer Schuldenfalle, sondern hat das größere Problem, dass seine Wirtschaft durch übermäßigen Konsum auf Pump künstlich aufgebläht und alles andere als wettbewerbsfähig ist. Damit steht das Land nicht allein. Auch Spanien, Irland oder Island haben sich durch die finanzgetriebene Kapitalakkumulation dazu verleiten lassen, weit über das durch die Realökonomie abgesteckte Potenzial hinauszugehen. Wenn nun die EU von den Griechen inmitten der anhaltenden Weltwirtschaftskrise verlangt, Ausgaben und Gehälter zu kürzen und Steuern zu erhöhen, droht eine Depression.

Schon jetzt, also zu Beginn eines harten Spar- und Kürzungskurses, sind die Aussichten für die griechische Ökonomie düster, muss das Land mit einer weiteren Schrumpfung seiner Wirtschaftsleistung von ca. 0,5-1% rechnen. Wie soll es vor diesem Hintergrund möglich sein, das Staatsdefizit in den nächsten beiden Jahren um 10% zu reduzieren und zugleich einen moderaten Wachstumskurs durchzusetzen? Griechenland wird infolge der abverlangten Anpassungsmaßnahmen vielmehr in eine Abwärtsspirale der Realökonomie hineingetrieben.

Das Land steckt also in einer doppelten Falle: Es handelt sich um eine Kombination aus Überschuldung und Schwäche des Wirtschaftspotenzials. Für die notwendige Entschuldung müssen die Gläubiger, sprich die Besitzer griechischer Staatspapiere, bluten. Zu diesen Gläubigern zählen Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften und Privatanleger – nicht nur, aber überwiegend – in Europa. Die Politik gibt sich nach außen der Illusion hin, sie könne die Gläubiger ungeschoren lassen und stattdessen die europäischen Steuerzahler zwingen, viel Geld in ein griechisches Fass zu schütten.

Griechenland ist zahlungsunfähig. Verbilligte Kredite schaffen eine Atempause; aber der Zeitraum für eine Umstrukturierung der Ökonomie dürfte zu knapp ausfallen und mit der weiteren Schrumpfung der Realökonomie werden die Schuldenlasten drückender und eventuell noch zunehmen.

Die Rahmenbedingungen verheißen wenig Gutes: Im öffentlichen Dienst sollen die Einkommen auf zwölf Monatsgehälter gekürzt, Urlaubs- und Weihnachtsgelder komplett gestrichen werden. Zusätzlich ist geplant, alle Gehälter um 18-30% zu kürzen und die Renten für Jahre einzufrieren. Zu Kürzungsmaßnahmen bei den Sozialleistungen ist noch wenig bekannt, aber es soll für Bedürftige wohl nur noch eine Grundsicherung von wenigen Euro am Tag geben. Ein solcher Kurs stellt für die Bevölkerung eine untragbare Belastung dar und wird durch eine höhere Besteuerung des Geld- und Immobilienbesitzes nicht sozial ausgewogen.

Ein Teil der wirtschaftlichen und politischen Eliten plädiert für einen Ausschluss Griechenlands aus der EU, um dem Land die Umschuldung und wirtschaftliche Sanierung allein aufzubürden. Dass ein solcher Fall gleichermaßen mit enormen Turbulenzen für die Finanzmärkte und die europäische Ökonomie verbunden wäre, wollen diese »Experten« nicht wahrhaben. Selbstverständlich kann man sich vorstellen, dass die bisherigen Geldgeber für griechische Schuldscheine einen erheblichen Wertverlust erdulden müssen – aber Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften und Privatanleger werden sich zu wehren wissen, den Kurs einer neuen Drachme massiv unter Druck setzten und sich mit exorbitanten Zins- und Risikoaufschlägen zu entschädigen versuchen.

In der aufgeregten Debatte sind wir also mit einer doppelten Illusion konfrontiert: Zum einen wird unterstellt, man könne die Lasten weitgehend der griechischen Bevölkerung aufbürden und trotzdem bliebe alles beim Alten. Zum anderen geht es um die Illusion, die realexistierenden Gläubiger würden sich eine Entwertung ihres Vermögens aufzwingen lassen und wir kämen ohne weitere Turbulenzen auf den Finanz- und Währungsmärkten aus. In dieser Situation hilft allein ein umfassendes ökonomisches Strukturprogramm, mit dem – angefangen bei Griechenland – sich alle europäischen Länder aus der Schuldenfalle schrittweise befreien könnten. Bleibt es hingegen bei der Vorherrschaft des Finanzkapitals, werden noch erhebliche Mengen guten Geldes in Schuldenfässer ohne Boden hineingeschüttet werden, bevor ein politischer Kurs- und Richtungswechsel den notwendigen Rückhalt in den Bevölkerungen hat.