Kommentar
Eine Weltordnung, hinweggeschwemmt von den Stromschnellen der
Geschichte", so kommentierte Phil Stephens, Kolumnist der Financial
Times, das Ende des Nachkriegssystems der multilateralen
Finanzorganisationen. Es ist kein Ende im eigentlichen Sinn des Wortes. Aber die Veränderungen im internationalen System sind
evident und beschränken sich nicht auf Weltbank und Währungsfonds. Die
entscheidende Verschiebung des globalen Machtgefüges findet außerhalb
des multilateralen Systems der UNO statt. Es sind informelle Gruppen,
die Gs in verschiedener Stärke: G-7/8 als westliches Auslaufmodell, der
Newcomer G-20 und wenn Europa nicht aufpasst die G-2: Chinamerica. Die
Neuverteilung der globalen Macht verläuft nicht linear, vor allem nicht
konfliktfrei. Die Beziehungen auf mindestens fünf Ebenen haben sich
deutlich akzentuiert; sie stellen strategische Wegmarken dar.
1. Zwischen den westlichen Industriestaaten und den Schwellenländern:
China, die übrigen BRICs und andere Schwellenländer stehen heute
gestärkt den westlichen Mächten USA, Europa und Japan gegenüber. Deren
globaler Einfluss verringert sich.
2. Zwischen den Industriestaaten: Da heißt der große Verlierer USA; der
Verlust an wirtschaftlicher Macht und politischem Einfluss ist jedoch
relativ. Auch Europas globale Position ist im Verhältnis zu den
Schwellenländern schwächer geworden. Die bewährte Soft
Power der EU hat sie jedoch im globalen Kontext gegenüber den USA gestärkt und im Verhältnis zu China stabilisiert.
3. Zwischen Staaten und G-Formationen: Seit der ersten Erdölkrise von
1973/74 haben sich westliche Industriestaaten in der G-7, einem Klub
der Reichen, zusammengetan, um globale Fragen zu koordinieren. Die
derzeitige Krise hat der später um Russland erweiterten Gruppe ein
rasches, aber nicht überraschendes Ende bereitet und zur Gründung der
G-20 geführt. Der Machtverlust könnte nicht drastischer zum Ausdruck
gebracht werden als in der Marginalisierung der G-7 durch die
Schwellenländer unter Chinas Führung. Selbst in der OECD zeigen sich
die Bruchlinien zwischen den G-20 und den Nichtmitgliedern dieses
globalen Lenkungsausschusses. Über Nacht ist eine Art Weltregierung
entstanden, deren einzige Legitimation der wirtschaftspolitische
Notstand ist. Der wirtschaftlichen Globalisierung fehlt ein
entsprechendes politisches Pendant mit demokratisch legitimierten
Regel- und Sanktionsmechanismen.
4. Zwischen Staat und Markt: Im Schock über das Platzen der Großen
Blase Privat ist die spektakuläre Renaissance des Staates als Retter in
der Not beinahe untergegangen. Von den
Neoliberalen peinlich übergangen, von den geretteten Banken als
selbstverständlich aufgefasst, hat sich die Dominanz des Marktes als
Teil des Problems und nicht als dessen Lösung erwiesen. Daraus den
Schluss zu ziehen, der Staat könne alles erledigen, ist falsch. Worum
es angesichts der Erfahrungen mit der Krise geht, ist eine neu
überdachte Rollenverteilung zwischen Staat und Markt.
5. Zwischen privatem und öffentlichem Sektor: Die Krise hat zu einer
eigenartigen Neubewertung von privat und öffentlich geführt. Die
Rettung der Banken und die notwendige Stützung der Realwirtschaft haben
die öffentlichen Haushalte in eine ungekannte Verschuldung gestürzt. Es
sind Staaten, die nun das Systemrisiko tragen, während der private
Sektor mit einem begrenzten Nachfragerückgang konfrontiert ist; private
Produktivitäts- und Rentabilitätsgewinne nehmen sogar zu. Im Lichte der
Erfahrungen mit der radikalen Privatisierungsideologie und deren
devastierende Auswirkungen auf die unterentwickelten Länder wird das
Verhältnis von Privat und Staat einer kritischen Neubewertung
unterzogen werden müssen. Diese fünf Bruchlinien zeigen: Das Projekt
Global Governance - eine Art Weltregierung - ist in Angriff zu nehmen.
Sie kann kein Allheilmittel gegen alles irdische Leid sein. Utopien
sind gefährlich, wer weiß das besser als wir Europäer. Es geht um einen
überfälligen, der finanzwirtschaftlichen Globalisierung entsprechenden
politischen Regelmechanismus - demokratisch, kooperativ, partizipativ.
Dafür wurde einst die UNO gegründet. Trotz ihrer Leistungen ist der
Durchbruch zu einer globalen Steuerung bislang nicht geglückt. Dafür
sollte die EU ihren Beitrag leisten, d. h. sich auf
die großen Veränderungen vorbereiten. Dazu gehören europäische
Führungsstrukturen, eine europäische Regierungskompetenz. Nur sie kann
Europa langfristig als Global Player positionieren und das Entstehen
eines Zweierdirektoriums USA/China hintanhalten.