Unter den Tasten der Strand

Freie Software in Theorie und Praxis

Ein Gespenst geht um in der Computerindustrie - das Gespenst der „Freien Software". Es lässt Hersteller zittern und soziale Bewegungen jubeln. Doch warum? Und was ist Freie Software überhaupt?

Freie Software ist, etwas verkürzt, Software, die jede_r benutzen, verändern und weitergeben darf. Man kann sich die Entstehung von Freier Software ungefähr folgendermaßen vorstellen: Eine Person sucht eine bestimmte Software, findet aber nichts, das ihr gefällt. Also schreibt sie sich ein Programm, das ihren Bedürfnissen entspricht. Und aus Nettigkeit oder Überzeugung stellt sie das Programm samt seines Quelltextes ins Internet. Wenn die Software gut ist, wird sie das Interesse anderer Menschen wecken, die sie benutzen können. Oder eben den Quelltext benutzen, um die Software nach den eigenen Bedürfnissen etwas abzuändern. So werden einige Menschen die Software verwenden, verbessern, und das Ergebnis wieder ins Internet stellen.

Ursprünglich war alle Software „frei". Erst Mitte der 1980er Jahre entdeckten Unternehmen wie Microsoft, dass Software durch Geheimhaltung des Quelltextes und strikter Anwendung des Copyrights als Ware dienen kann. Das war die Geburtsstunde von „proprietärer" Software, also „Eigentümer_innen-Software". Proprietäre Software wird seitdem meist (wenn auch nicht immer) geschaffen, um verkauft zu werden und folgt daher regelmäßig kommerziellen Erwägungen. Software, die gut funktioniert, aber nur wenige Benutzer_innen findet, ist für die kommerzielle Software-Welt ein Reinfall. Nach Maßstäben der Freien Software hingegen ist sie ein Gewinn, denn das zentrale Interesse bei Freier Software ist, gute Software für sich und andere zu schaffen, die jedem und jeder die Möglichkeit bietet, sie den eigenen Bedürfnissen anzupassen.[1] Dass für diese Software niemand bezahlen muss, ist ein sehr angenehmer Nebeneffekt, mehr aber auch nicht. „Freie Software", so lautet ein geflügeltes Wort der Linuxgemeinschaft, „muss frei sein im Sinne von Freiheit - und nicht wie Freibier."

Von Copyright zu Copyleft: Die Freiheit, die wir meinen

Um diese Freiheit sicherzustellen, wurden spezielle Lizenzen entwickelt. Die berühmteste davon ist die GNU GPL („General Public License"). Diese sieht vor, dass Software zu jedem Zweck genutzt  und angepasst werden darf, dass Kopien und Verbesserungen weitergegeben werden und dass diese Lizenz bei Weitergabe nicht verändert werden darf. Dieser „virale Freiheitseffekt", durch den die freie Verwendung der Software sichergestellt wird, wird auch „Copyleft" genannt.[2]

Diese Entwicklung wird vor allem von zwei Akteuren vorangetrieben. Erster Akteur ist die „Open-Source-Bewegung". Für diese ist die Frage, ob Software quelloffen sein soll, primär eine praktische Frage und keine ethische. Der zweite Akteur, die „Freie-Software-Bewegung", sieht sich hingegen als eine soziale Bewegung. Für die Freie-Software-Bewegung ist nicht-freie Software ein soziales Problem und Freie Software die emanzipatorische Antwort darauf.

Warum nun sollte nicht-freie Software ein soziales und politisches Problem sein? Die Frage danach, welchen gesellschaftlichen Stellenwert man freier Informationstechnologie einräumt, ist eng damit verknüpft, welche Bedeutung generell Informationstechnologie, aber auch Informationen als solchen zugeschrieben wird. Hier scheiden sich die Geister.

Spontaner Kommunismus

Am Weitesten geht hierbei eine als „Wissenskommunist_innen" oder „Postoperaist_innen" bekannt gewordenen Gruppe von Theoretiker_innen, die in den Begriffen der „Wissens-" oder „Informationsgesellschaft" den zentralen Aufhänger für ein gesamtgesellschaftliches Theorem sehen.[3] Anders als im „klassischen" Operaismus werden hierbei nicht Fabrikarbeiter_innen, sondern  „immaterielle Arbeiter_innen" als zentrale Figur für gesellschaftliche Kämpfe ausgemacht.

Diese Theoretiker_innen widersprechen sich in vielen Punkten, zwei Grundannahmen lassen sich jedoch ausmachen: Erstens soll nicht mehr die Industrie den Kern der gesellschaftlichen Produktion darstellen, sondern sich dieser vielmehr auf den wie auch immer gearteten Sektor des „Wissens" verlagern. In dieser globalen „Netzwerk-Gesellschaft" sind weniger materielle Güter, sondern Informationen und Wissen zentrale Handelsgüter. Eng verbunden damit ist die zweite Annahme: Arbeit wird zunehmend „immateriell". Weit aus dem Fenster gelehnt haben sich hierbei Michael Hardt und Antonio Negri, nach denen diese „immaterielle" Form der Arbeit das „Potential für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus freisetzt"[4], da sich die „immaterielle" Arbeit weitgehend vom zur Produktion materieller Güter erforderlichem Kapital emanzipieren kann.[5] Der Zugang zu Informationen und Wissen ist insofern in einer solchen „Wissensgesellschaft" zentraler Machtfaktor und Kernelement sozialen Wandels. Und dieser Zugang vollzieht sich zunehmend über Software.

Hiernach wäre die Entwicklung der Informationstechnologien das zentrale Element gesellschaftlichen Wandels. So stellt etwa der Soziologe Manuell Castells fest, moderne Gesellschaften seien „informationell", „weil sie ihr Produktionssystem auf der Grundlage von Prinzipien der Maximierung wissensbasierter Produktivität durch die Entwicklung und Verbreitung von Informationstechnologien organisieren."[6] In Software erkennt er dementsprechend die „Sprache des Informationszeitalters".[7]

Copy me (I want to travel)

Ob dermaßen weitgehende Einschätzungen zutreffend sein mögen, sei hier dahingestellt. Tatsächlich sind sie harscher Kritik ausgesetzt.[8] Doch auch Kritiker_innen dieser Analysen sprechen der Informationstechnologie eine zunehmend wichtige Rolle im gesellschaftlichen Wandel zu. Der kleinste gemeinsame Nenner ist dabei, dass das Copyleft zumindest deswegen als fortschrittlich anerkannt wird, als es die klassische Exklusionslogik geistigen Eigentums in einen gemeinschaftlichen Freiheitsbegriff umformuliert. So veröffentlichte etwa das 9. Weltsozialforum in Brasilien Anfang 2009 ein „Manifest zur Wiederaneignung der Allgemeingüter", das sich „auf die Vision einer Gesellschaft stützt, die den Respekt der Menschenrechte, die demokratische Teilhabe und die Kooperation als zentrale Werte entfaltet." Als Mittel auf dem Weg zu einer solchen Gesellschaft werden explizit auch Open Source Technologien und Freie Software erkannt.[9]

Linux for human beings

Das klingt in der Theorie soweit ja alles ganz gut. Aber darum nun selbst die gewohnten Gefilde des Windows-Desktops aufgeben? Und das vielleicht sogar als Mensch, dessen Wunschbeziehung zu seinem Computer sich kurz zusammenfassen lässt: Keine Beziehung haben zu müssen?

Tatsächlich ist der Umstieg gar nicht so wild, wie man meinen möchte. Zahlreiche Open-Source-Programme haben längst den Weg in andere Betriebssysteme gefunden, man denke etwa an den Internetbrowser „Firefox", die Bürosoftware „Open Office" oder das E-Mailprogramm „Thunderbird". Den „großen" Schritt hin zum offenen Betriebssystem scheuen hingegen viele. So fristet Linux auf heimischen Rechnern bis heute ein Nischendasein: Im August 2009 lag der Anteil bei knapp einem Prozent.[10]

In diese Nische kommt indes seit einigen Jahren Bewegung. Seit 2004 erscheint eine Linux-Distribution namens „Ubuntu", die sich entsprechend dem Slogan „Linux for human beings" zum Ziel gesetzt hat, ein besonders einfaches und bedienungsfreundliches System zu bieten.

Eine für Umsteiger_innen auf Ubuntu interessante Option ist dabei, dass Ubuntu auch neben Windows auf dem Rechner installiert werden kann. Wenn der Computer angestellt wird, kann man sich dann entscheiden, mit welchem Betriebssystem man arbeiten will. Für Interessierte, die erstmal in Ubuntu „reinschnüffeln" wollen, geht es noch einfacher: Unter http://www.ubuntu.com/getubuntu kann eine sogenannte „Live-CD" heruntergeladen werden. Mit dieser CD kann man sich Ubuntu anschauen, ohne dass auf der Festplatte etwas geändert oder gespeichert wird.

Wer den Umstieg wagt, wird mit einem einfach zu bedienenden und transparenten Betriebssystem belohnt, das zudem wesentlich sicherer als die meisten anderen Betriebssysteme ist. Zwar gibt es auch Viren, die Linux angreifen, aber die Wahrscheinlichkeit hierfür tendiert bei Beachtung weniger Sicherheitsregeln gegen Null. Eine Firewall und ein Virusprogramm werden damit überflüssig. Ein weiterer Vorteil ist, dass ganz schlicht alle Programme umsonst sind. So kann man durch simples Setzen eines Häkchens ein Programm installieren, es ausprobieren, bei Bedarf doch ein anderes benutzen und so weiter. Ein Stück Freiheit und Unabhängigkeit - und sei es für's Erste auch nur auf dem eigenen Computer. Und vielleicht folgt ja die Erkenntnis, die Microsofts Chef Steve Ballmer formulierte: Freie Software, das ist „irgendwie kommunistisch".[11]

 

Moritz Assall studiert Jura in Hamburg.

 

 



[1] Vgl. Felix Schwarz, Linux ist nicht Windows, 2006 http://www.felixschwarz.name/files/opensource/articles/Linux_ist_nicht_Windows/ (Stand: 9.10.2009).

[2] Stefan Meretz, Copy light - Freie Software und globale Emanzipation, iz3w Nr. 315, 28.

[3] Einführend Franziska Adersberger, Internet und Demokratisierung, Forum Recht 2009, 47-48.

[4] So Antonio Negri / Michael Hardt, Empire - Die neue Weltordnung, 2002, 305.

[5] Soweit ähnlich Manuel Castells: „Zum ersten Mal in der Geschichte ist der menschliche Verstand eine unmittelbare Produktivkraft und nicht nur ein entscheidendes Element im Produktionssystem.", Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, 2001, 34.

[6] Manuel Castells, Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, 2001, 233.

[7] Manuel Castells, Inovación, Libertad y Poder en la era de la Información, http://www.softwarelivre.org/news/3635 (Stand: 10.10.2009).

[8] Etwa Franz Katz, Warten auf die immaterielle Arbeiterbewegung, Kosmoprolet #1/2007, 112-126, mit Nachweisen für ähnliche Kritiken. Als pdf abrufbar unter http://www.klassenlos.tk/data/pdf/p%20negristen.pdf.

[9] http://bienscommuns.org/signature/appel/index.php?a=du&c=antb07 (Stand: 10.10.2009).

[10] Market Share-Report von Net Applications, http://marketshare.hitslink.com/operating-system-market-share.aspx?qprid=8&sample=35# (Stand: 10.10.2009).

[11] Volker Grassmuck, Freie Software - zwischen Privat- und Gemeineigentum., Bundeszentrale für politische Bildung,  2004, 230.