Ecuadorianische Regierung und indigene Bewegungen ringen um zukünftige Strukturen
Ein breiter werdendes zivilgesellschaftliches Bündnis fordert in Ecuador partizipative Entscheidungsstrukturen im Wassersektor. Sie wollen die in der neuen Verfassung festgeschriebenen Rechte durch konsequente Entprivatisierung und einen plurinationalen Wasserrat gewährleisten. Die Regierung möchte dem offenbar nicht folgen.
„Wasser ist kein
Geschäft, sondern ein Menschenrecht!“ So lautete einer der Slogans, die
in der ersten Maihälfte die politische Debatte in Ecuador bestimmten.
Bereits seit acht Monaten behandelt die Nationalversammlung in Quito
ein neues Wassergesetz. Nicht nur die Auswirkungen des Klimawandels mit
massiven Rückgängen der Niederschläge in den Wintermonaten haben der
Frage große soziale und politische Sprengkraft verliehen.
Das Thema vereint eine breite Palette grundlegender Aspekte. So geht es
um alternative Entwicklungsmodelle, mehr Verteilungsgerechtigkeit, das
Zusammenspiel von Stärkung des Staates und Dezentralisierung,
Partizipation insbesondere der indigenen Völker im neuen
plurinationalen Ecuador sowie die spannungsreichen Beziehungen zwischen
sozialen Bewegungen und „linker“ Regierung. Die Verschiebung der
Abstimmung des Wassergesetzes im Parlament und der Vorschlag vorheriger
Konsultationen in den Gemeinden deutet auf einen Punktsieg der
Bewegungen hin. Doch schon im Streit um das Bergbaugesetz im
vergangenen Jahr hatte die Regierung die Mobilisierungen mit einem
Dialog-angebot ins Leere laufen lassen, das letztlich zu keinen
konkreten Resultaten führte.
Beim Wasser geht es allerdings nicht um ein Zukunftsproblem wie beim
Bergbau, der in Ecuador noch relativ wenig entwickelt ist. Die
Wasserfrage ist akut. Problematisch sind insbesondere der Mangel an
Bewässerung im kleinbäuerlichen Sektor, so haben zwei Drittel der
Betriebe weniger als fünf Hektar Fläche. Kritisch ist außerdem die
extrem ungleiche Verteilung des Wassers. Die meisten Plantagen rauben
einen großen Teil des kostbaren Nasses aus öffentlichen
Bewässerungskanälen oder Flüssen, für den Rest zahlen sie lächerlich
geringe Summen. Das ist allgemein bekannt, deshalb war in der neuen
Verfassung aus dem Jahr 2008 nicht nur das „Menschenrecht auf Wasser“
verbindlich festgeschrieben worden, sondern auch eine Bestandsaufnahme
aller Wasserkonzessionen für die kommenden zwei Jahre. 18 Monate sind
seitdem vergangen, geschehen ist nichts. Auch der aktuelle Entwurf des
Wassergesetzes sieht hierzu keine konkreten Pläne, sondern nur
Fristverlängerungen vor.
„Wir haben es satt, dass wir jedesmal die gleichen Vorschläge machen
müssen, und die Abgeordneten immer wieder das Gleiche fragen. Dabei
sind wir immer sehr deutlich gewesen: Wir fordern eine
Entprivatisierung des Wassers!“ So fasste Delfin Tenesaca, der
Vorsitzende der Vereinigung der Hochlandindigenen ECUARUNARI, die
inhaltliche wie auch politische Motivation für eine landesweite
Mobilisierung gegen das Wassergesetz in der ersten Maihälfte zusammen.
ECUARUNARI ist die wichtigste Organisation innerhalb des
Indigenendachverbandes CONAIE, der stärksten sozialen Bewegung
Ecuadors. Relevant bei den Protesten der vergangenen Wochen war, dass
sich erstmals seit vielen Jahren eine Allianz zwischen CONAIE, dem
evangelischen Indigenenverband FEINE und, noch wichtiger, der
sozialistischen FENOCIN ergeben hatte. Diese hatte bislang Präsident
Rafael Correa unterstützt und erst im April eine Distanzierung von
seiner Regierung, damit aber keineswegs das Überwechseln ins
Oppositionslager verkündet.
Die Debatte wurde angeheizt, weil eine Absprache zwischen der
Regierungsbewegung Alianza País, der altrechten Sozialchristlichen
Partei sowie deren modernisiertem Flügel um Guayaquils Bürgermeister
Jaime Nebot die Privatisierung der Wasserversorgung in der größten
Stadt Ecuadors im neuen Wassergesetz trotz des klaren Verbots in der
Verfassung festschreiben wollte. In Guayaquil wurde die lokale
Wasserversorgung im Jahr 2001 an die Firma Interagua übergeben; bis
2008 hielt hieran der US-Multi Bechtel die Aktienmehrheit. Die
Privatisierung führte jedoch kaum zu einer verbesserten Wasserversorung
in der Küstenmetropole, stattdessen aber zu einem dauerhaften Konflikt
mit zivilgesellschaftlichen Gruppen. Während sich Correa und Nebot
gerne propagandistische Schlachten liefern, konnte dieser inhaltliche
Konsens nur beunruhigen und passte genau ins Bild des
Gesetzesentwurfes, der strukturelle Reformen ausblendete.
Dies gilt auch für die geplante Entscheidungsstruktur im mit
Ministeriumsrang ausgestatteten Sekretariat für Wasserfragen, das laut
Gesetzesentwurf direkt dem Regierungschef unterstellt wäre. FEOCIN-Chef
Luis Andrango sprach von einem „Staatszentrimus“, da die Regierung den
Verfassungsgrundsatz der „Partizipation“ nur in Form eines Beirates mit
beratender, nicht bindender Funktion akzeptieren wollte.
Demgegenüber hatten die drei Indigenenorganisationen gemeinsam mit
anderen Gruppen der Zivilgesellschaft einen breiten „plurinationalen
Wasserrat“ vorgeschlagen, der die Richtlinien der zukünftigen
Wasserpolitik Ecuadors und auch den Minister festlegen sollte. Hierüber
ließ Präsident Correa keine ernsthafte Debatte zu, sondern polemisierte
mit unverhohlenem rassistischen Unterton gegen die Indigenenbewegungen.
Sie wollten das Wasser alleine kontrollieren und davon profitieren; das
Wasser gehöre aber allen EcuadorianerInnen. Eine platte Argumentation,
ignoriert sie doch die früher von Correa selbst beklagten Auswüchse der
Parteienwirtschaft, die Schwächen des parlamentarischen Systems sowie
die ökonomische Dominanz von GroßgrundbesitzerInnen und urbanen Eliten.
Ebensowenig berücksichtigt sie die zahlreichen positiven Erfahrungen
mit lokalen Wasserräten, die aus NutzerInnen der Bewässerungssysteme
bestehen und bereits regional und national vernetzt sind.
Das Parlament erwies sich als völlig überfordert in dem Konflikt
zwischen Präsident und Indigenenbewegung. Deren Mobilisierungskapazität
blieb zwar hinter den Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts zurück,
zeigte der Regierung jedoch Grenzen auf. Trotz diverser Treffen mit den
Protestierenden in und vor dem Parlament wollten die Abgeordneten von
Alianza País keine Zugeständnisse machen, zu schwer wog wohl die
Dominanz Correas.
In letzter Minute zog dann Parlamentspräsident Cordero einen Vorschlag
aus der Tasche: den einer vorherigen Konsultation in den Gemeinden der
Indígenas, Schwarzen und Montubios, der mestizischen
KüstenbewohnerInnen des Landes. So war dies auch vom Verfassungsgericht
bereits in seiner Behandlung des Bergbaugesetzes angemahnt worden. Dies
scheint von Correa mitgetragen zu werden. Unklar war bei
Redaktionsschluss, wie dies in der Praxis geschehen soll.
Es gibt offenbar Interessen innerhalb der Regierung, mit der
Konsultation einen Keil zwischen Führung und Basis der Indigenen zu
treiben. Die weiterhin vereint vorgehenden Indigenen suchen zunehmend
auch Kontakte zu anderen sozialen Bewegungen und kritischen
Nichtregierungsorganisationen.
Sie wollen die Chance wahrnehmen, mit der Konsultation eine
grundlegende Debatte um notwendige Sozialreformen, etwa im Hinblick auf
die ungerechten Landbesitzverhältnisse, und Fragen der politischen
Vertretung voranzutreiben. Hieraus mag die Chance entstehen, einen
bislang fehlenden konzeptionellen Gegenentwurf zu dem technokratischen,
staatsmodernisierenden Regierungsstil zu entwickeln. Dessen
RepräsentantInnen haben bereits präventiv verkündet, die Ergebnisse der
Konsultation nicht notwendigerweise in das neue Wassergesetz aufnehmen
zu wollen.
Text: // Frank Braßel
Ausgabe: Nummer 432 - Juni 2010
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