„Das war Pionierarbeit"

in (27.09.2010)

Gespräch mit Asbjorn Wahl vom ITF zur neuen Positionierung der Internationalen Transportarbeiter-Federation (ITF) zu Klimawandel und Arbeitsplätzen

 

Als wir uns Anfang 2010 in Graz auf einem Semimar zur

Energiekrise und alternativen Energien trafen, da hörten wir

einigermaßen begeistert einem kolumbianischen Bergarbeiter-

Gewerkschafter zu, der forderte, die Kohle müsse im Boden

bleiben. Ein halbes Jahr später - vom 5. bis zum 12. August

2010 - verabschiedete der weltweite Transportarbeiterverband

ITF auf seiner Konferenz in Mexico City eine Resolution

mit einer grundsätzlich vergleichbaren Position zum

Thema Klimawandel: Verkehr und Transporte müssten weltweit

reduziert werden. Handelt es sich hier um eine von langer

Hand vorbereitete Positionsentwicklung oder geht es um

eine mehr oder weniger kurzfristige Veränderung der Position?

Wir erarbeiteten die ITF-Position im Rahmen einer Arbeitsgruppe,

die von unserem Leitungsgremium rund ein Jahr zuvor eingerichtet

worden war. In der Arbeitsgruppe gab es heftige Widersprüche,

aber die große Mehrheit unterstützte einen sehr

fortschrittlichen Ansatz beim Thema Klimawandel. Wir erhielten

auch eine sehr wichtige Unterstützung durch das Global Labour

Institute an der Cornell Universität von New York, das von uns

als beratendes Gremium ausgewählt wurde. Dennoch, es stimmt

schon: Ich war überrascht, auf wie wenig Widerstand wir während

des Prozesses zur Erarbeitung des Dokuments stießen. Obgleich

ich, als Vorsitzender der Gruppe, diese dazu bringen wollte,

dass sie eine radikale Position einnahm, erwartete ich in

Wirklichkeit nicht, dass wir das auch erreichen würden. Es war

einfach großartig. All dies bringt wohl zum Ausdruck, dass die

Wirklichkeit und Ernsthaftigkeit des Klimawandels im Bewusstsein

der Menschen weit stärker angekommen ist als ich dachte,

als wir mit der Arbeit begannen. Interessanterweise erwiesen

sich viele Gewerkschaften aus Entwicklungsländern als wichtige

Unterstützer. Andererseits, das muss ich unterstreichen: Eine

Resolution ist das eine, deren Umsetzung ist etwas ganz anderes

und eine deutlich größere Herausforderung.

Die ITF-Konferenz fand in Mexico D.F. statt und damit nicht

allzu weit entfernt vom Desaster mit der Deepwater Horizon.

Spielte das in euren Debatten eine Rolle?

Möglicherweise wurde die Deepwater Horizon-Katastrophe

während unserer Klimakonferenz ab und an erwähnt. Aber das

war nicht dominant. Da spielte es wohl eine Rolle, dass der Ölteppich

in Richtung Norden und Nordosten, also auf die US-

Küste zutrieb. Natürlich hatten viele der Delegierten diese Katastrophe

vor Augen, als wir unsere Debatten führten. Aber sie

hatten ebenso die Brände rund um Moskau, die Überschwemmungen

in Pakistan und andere extreme Witterungsverhältnisse,

deren Zeuginnen und Zeugen wir in den letzten Jahren waren,

vor Augen. Ich glaube, dass all diese tatsächlichen Auswirkungen

der globalen Erwärmung einen starken Einfluss darauf

haben, was die Leute denken. Es geht doch nicht mehr um eine

Bedrohung in der Zukunft. Die Klimaerwärmung findet hier und

heute statt. Und Millionen Menschen sind davon konkret betroffen.

Die US-amerikanische Gewerkschaft TCU* war Teil der ITFKlimawandel-

Arbeitsgruppe, die das Dokument „Transport-

Beschäftigte und Klimawandel: Hin zu einer nachhaltigen

Mobilität mit niedrigen Kohlendioxid-Emissionen" erarbeitete.

Auf der ITF-Konferenz in Mexico D.F. ergriff Robert A.

Scardelletti, der TCU-Vorsitzende, das Wort, um gegen die

Resolution zum Klimawandel zu argumentieren. Wie gingt ihr

mit einer derartig kontroversen Debatte um?

Es gab in der Arbeitsgruppe eine heftige Auseinandersetzung.

Aber Scardelletti befand sich schließlich in einer ziemlich isolierten

Position. Die eigentlich Frage war, welche Wirkung seine

Position auf die ITF-Führung haben würde. Schließlich gibt es

innerhalb der internationalen Gewerkschaftsbewegung eine

starke Tendenz und Tradition, einen Konsens zu erreichen. Wir

waren auch ein bisschen unsicher, wieviele andere Gewerkschaften

ihn am Ende unterstützen würden. Doch, wie auch

immer: Wir debattierten in einer Art und Weise, die vom Respekt

vor der Position der Gegenseite geprägt war. Bei all dem

teilten alle auf der Konferenz die Bedenken Scardellettis hinsichtlich

der Arbeitsplätze. Die deutliche Mehrheit war jedoch

der Ansicht, dass der enge Ansatz Scardellettis weit mehr Probleme

schaffen würde als unsere Vorschläge für langfristige Lösungen.

Wir haben uns im Vorfeld der Konferenz enorm dafür

engagiert, dass möglichst viele einzelne (nationale) Gewerkschaften

den Resolutionsentwurf unterstützen. Schließlich waren

es mehr als fünfzig Gewerkschaften, die bereits vor unserem

Kongress unsere Resolution mittrugen. Auf der ITF-Konferenz

stellte sich heraus, dass Scardellettis Position erstaunlich wenig

Unterstützung erhielt. Es spricht für sich, wenn selbst die eigene

Gewerkschaft am Ende für die Endfassung unseres Antrags

zum Thema Klimawandel stimmte. Die Resolution wurde

schließlich einstimmig angenommen.

Apropos: Ihr habt euch enorm um Unterstützung bemüht...

am Ende des Antrags findet sich eine lange Liste mit 51

Gewerkschaftsverbänden, die den Text unterstützen. Darunter

befindet sich keine deutsche Gewerkschaft. Wie sah die

Haltung der deutschen ITF-Mitgliedsverbände aus?

Da die Resolution am Ende einstimmig angenommen wurde,

wurde sie auch von den deutschen Gewerkschaften unterstützt.

Allerdings sandte ich im Vorfeld der Konferenz den Text an die

deutschen Transportgewerkschaften Transnet und ver.di und bat

um Unterstützung. Das blieb erfolglos.

Scardellettis Argumentation war traditionell für Gewerkschaften.

So, als er ausführte: „Die wichtigste Verantwortung

von Gewerkschaften besteht darin, den Lebensstandard

unserer Mitglieder zu verteidigen und das beginnt damit, zu

gewährleisten, dass sie einen sicheren Job haben. Es gibt viele,

die sich für Umwelt engagieren. Aber es gibt niemand

außer uns, der sich für die arbeitenden Männer und Frauen

einsetzt." Wie habt ihr gegenüber dieser traditionellen

Gewerkschaftsposition argumentiert?

Wir konzentrierten uns auf die Aussage, dass es auf alle Fälle

tiefgehende gesellschaftliche Veränderungen geben würde -

entweder als Ergebnis des Klimawandels oder als Resultat der

Klimapolitik. Es gibt keine Möglichkeit, dieser Perspektive aus

dem Weg zu gehen. Wenn es nicht die Gewerkschaften sind, die

hier die Führung übernehmen, werden dies andere tun - an

vorderster Front die internationalen Konzerne und die Regierungen

und beide dann mit völlig anderen Akzentsetzungen.

Will man sicherstellen, dass in diesem Transformationsprozess

die Interessen unserer Mitglieder und die aller arbeitenden

Menschen im Zentrum stehen, dann muss man eine aktive und

offensive Klimapolitik und eine Mobilisierung in dieser Richtung

betreiben. Niemand anderes wird die Interessen unserer

Mitglieder, der arbeitenden Menschen im allgemeinen und die

der zukünftigen Generationen verteidigen. Deshalb argumentierten

wir, dass wir als Gewerkschaftsbewegung Strategien und

eine Politik zur Verhinderung oder Eindämmung der Klimaerwärmung

entwickeln müssen - und zwar parallel zu einer Politik

zur Verteidigung von Einkommen und Arbeitsplätzen und

zur Schaffung neuer, guter Arbeitsplätze als Bestandteil des

Transformationsprozesses. Die Zahl und Qualität von Arbeitsplätzen

war niemals allein durch technologische Veränderungen

vorgegeben. Dies war immer auch ein Ergebnis der gesellschaftlichen

Kräfteverhältnisse und der gewerkschaftlichen Stärke.

Die Schaffung neuer, hoch qualifizierter und gut bezahlter

Arbeitsplätze muss daher ein Ergebnis unseres Kampfes sein.

Diejenigen, die das Dokument erarbeiteten, hatten alle eine systemkritische

Grundhaltung und vertraten einen umfassendgesellschaftlichen

Ansatz in der Klimapolitik. Wir sehen den Klimawandel

in einem breiten politischen Kontext. Das ist nicht in

erster Linie eine technologische Frage, sondern eine gesellschaftliche

Auseinandersetzung. Das vorherrschende Wachstumsmodell

und die exzessive Ausbeutung der natürlichen Ressourcen

sind integraler Bestandteil des bestehenden Wirtschaftssystems.

Das Problem ist also ein systemisches. Daher

muss der Kampf gegen die Klimaerwärmung mit einer breiten

politischen Perspektive verbunden werden. Der Klimawandel ist

einerseits eine Bedrohung, andererseits stellt er auch eine große

Chance dar. Es gibt eine Auseinandersetzung um den grundlegenden

Charakter der Gesellschaft. Um die notwendigen Veränderungen

im Transportsektor zu erreichen, ist eine demokratische

Kontrolle der Ökonomie und eine radikale Neuverteilung

des gesellschaftlichen Reichtums erforderlich. Dies kann nur erreicht

werden, wenn wir die Kräfteverhältnisse grundlegend

verändern - weg von den Markt- und Kapitalkräften und hin zu

den arbeitenden Menschen und zu einem demokratischen Prozess

jeglicher Entscheidungsfindung.

Ein Teil der ITF-Position kann so interpretiert werden, dass

sie sich gegen bestehende Arbeitsplätze im Transportsektor

richtet. So, wenn es in der Entschließung Nr. 1 heißt: Die

„Transportkosten sind zu niedrig - vor allem deshalb, weil die

meisten Transportarten die externen Kosten nicht abdecken."

Höhere Transportkosten können Transporte reduzieren, eure

Arbeitsplätze abschaffen und damit auch die Basis der ITF

unterminieren.

Die Resolution stellt auch fest, dass diese niedrigen Transportkosten

nicht nur wegen der fehlenden Einbeziehung der externen

Kosten, sondern auch dadurch zustande kommen, weil in

der 30 Jahre währenden neoliberalen Periode Löhne und Arbeitsbedingungen

unterminiert wurden. Viele Arbeitsplätze in

diesem Sektor sind „gewerkschaftsfrei", sie basieren auf Scheinselbständigkeit;

es sind Hunderttausende schlecht bezahlte, miserabel

regulierte Jobs. Es ist nicht allzu schlimm, wenn einige

dieser Jobs verschwinden. Wir stellen jedoch fest, dass wir als

Folge der ernsten Bedrohung durch den Klimawandel mutige

Schritte ergreifen müssen. Daher unterstützte der ITF-Kongress

einen „Reduzieren-Verändern-Verbessern-Ansatz." Das heißt: In

Ergänzung zur Orientierung auf bessere Energieeffizienz und

einer Abkehr von Transportarten mit hohen CO2-Emissionen hin

zu Transportformen mit niedrigen CO2-Emissionen treten wir

auch für eine Reduktion der Verkehrsbedürfnisse ein. Gleichzeitig

sehen wir das enorme Potenzial neuer Arbeitsplätze im Bereich

des öffentlichen Verkehrs, um damit gleichzeitig die Nutzung

privater Pkw radikal zu reduzieren. Schließlich handelt es

sich beim Pkw-Verkehr um den größten Emittenten von Treibhausgasen

innerhalb des Transportsektors.

„Papier ist geduldig", heißt es bei uns. Wird der ITF-Beschluss

praktische Konsequenzen haben?

Eine gute Frage. Wir leisteten harte Arbeit, um den Text und

den Beschluss zustande zu bekommen. Der härteste Kampf

steht jedoch noch vor uns - nämlich diese Resolution in die

konkrete Gewerkschaftspolitik zu implementieren. Am wichtigsten

ist jetzt wohl, den Schwung, den es gegenwärtig in der Debatte

und in den Gewerkschaften gibt, zu nutzen, um unsere

Gewerkschaften entsprechend zu erziehen, um in der Praxis

aktive und progressive Klimapolitik zu betreiben und um unsere

Klimapolitik mit Blick auf die einzelnen Transportarten zu konkretisieren.

Der Europäische Transportarbeiterverband (ETF) beschloss

bereits die Entwicklung eines Projekts nachhaltiger

Transport, in dem das ITF-Dokument zum Klimawandel eine

zentrale Rolle spielen soll. Einige nationale Gewerkschaftsverbände

haben Vergleichbares angekündigt. All das lässt mich zuversichtlich

sein.

Glaubst Du, dass die ITF-Position zum Klimawandel sich positiv

auf andere Gewerkschaften auf nationaler und internationaler

Ebene auswirkt?

Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Dokumente und Positionen

innerhalb der internationalen Gewerkschaftsbewegung

Pionierarbeit darstellen. Wir erhielten bereits ausgesprochen

ermutigende Reaktionen von Leuten in der ITUC, in der PSI und

in der ICEM.** Ich glaube, dass es in Zukunft schwer sein wird,

in der weltweiten Gewerkschaftsbewegung Positionen zum Klimawandel

zu entwickeln, die hinter diejenigen des ITF zurückfallen.

Wir haben hier Maßstäbe gesetzt. Die Verankerung der

Position in praktische Politik wird die nächste große Herausforderung.

Die Wende weg von der falschen Politik des Emissionshandels

und hin zu Forderungen nach einer tatsächlichen

Reduktion der Treibhausgase wird ein erster wichtiger Test sein.

* TCU = Transportation-Communication International Union

** ITUC = International Trade Union Confederation (weltweiter

Dachverband der größten Gewerkschaften); PSI = Public Services

International (weltweiter Zusammenschluss von Gewerkschaften im

Bereich öffentlicher Dienste); ICEM = International Federation of

Chemical, Energy, Mine & General Workers´ Unions (= weltweiter

Zusammenschluss von Gewerkschaften in den Bereichen Chemie,

Energie und Bergbau)

 

Asbjorn Wahl ist stellvertretender Vorsitzender der ITF-Sektion

Straßenverkehr; er war Leiter der ITF-Arbeitsgruppe Klimawandel, die

das Dokument zum Klimawandel (deutscher Titel: „Verkehrsbeschäftigte

und Klimawandel: Für eine nachhaltige, kohlenstoffarme Mobilität")

erarbeitete und maßgeblich zum Zustandekommen der Resolution

zum Klimawandel auf dem ITF-Kongress beitrug. Info zur ITF

und zum Kongress in Mexiko D.F. (in englischer und deutscher

Sprache): www.itfglobal.org

Das Interview wurde Mitte August geführt; für LP21: Winfried Wolf