Zu 42 Prozent illegal gespeichert

Eine Stichprobe des baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten bei der DNA-Datenbank des Landeskriminalamts ergab vor drei Jahren: Ganze 42 Prozent der Datensätze entsprachen nicht
den Speicherungskriterien des Gesetzes.

Interview mit Jörg Klingbeil

Der Jurist Jörg Klingbeil ist seit März 2009 Landesbeauftragter für den Datenschutz des Landes Baden-Württemberg. Schon 2005 bis 2008 arbeitete er als Vertreter des bisherigen Landesdatenschutzbeauftragten.

Warum gab der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte die Untersuchung der DNA-Datenbank des Landeskriminalamts in Auftrag?

Auslöser war, dass die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder bereits 2004 eine Überprüfung der DNA-Analyse-Datei beim Bundeskriminalamt veranlasst hatten. Hierfür war seinerzeit eine aufwändige Sonderauswertung erforderlich, deren Ergebnisse - aufgeschlüsselt nach Bundesländern und Deliktsgruppen - erst im Oktober 2004 zur Verfügung standen. Daraus ergaben sich gewisse Auffälligkeiten im Hinblick auf die damaligen gesetzlichen Voraussetzungen des Paragraphen 81g der Strafprozessordnung.(1) Mein Amtsvorgänger nahm dies zum Anlass, beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg kritisch nachzufragen. Vor allem war nämlich aufgefallen, dass auch offenkundig minderschwere Tatverdachte wie Sachbeschädigung zur Erhebung von DNA-Proben geführt hatten.(2)

Wie lief die Untersuchung ab? Wer suchte die Stichprobe aus und wer hatte dann Zugang zu den Daten, um sie zu überprüfen?

Die Stichprobe wurde durch das Landeskriminalamt gezogen, wobei sich der Umfang im Laufe der Überprüfung wegen der festgestellten Unstimmigkeiten immer mehr ausweitete. Um die Ermittlungsakten abzugleichen, wurden dabei auch die ermittelnden Dienststellen im ganzen Land mit einbezogen. Zugang zu den betreffenden Daten hatten somit die beteiligten Polizeidienststellen, aber selbstverständlich hätte auch mein Amt jederzeit Zugang gehabt, wenn das erforderlich gewesen wäre.

Welche Kriterien gab es für die Stichprobe?

Die Stichprobe basierte auf der Deliktsgruppe, die in den Datensätzen angegeben war. Aufgenommen wurden Fälle, bei denen nicht Straftaten von erheblicher Bedeutung oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung angegeben waren - also etwa „Sachbeschädigung“, „strafbarer Eigennutz“ oder „falsche Verdächtigung“. Dies ließ darauf schließen, dass augenscheinlich die Voraussetzungen des Paragraphen 81g der Strafprozessordnung in der alten Fassung vor 2005 nicht vorlagen.

Ihr Bericht erklärt, dass Beschuldigte ihre DNA oftmals ohne richterliche Anordnung freiwillig geben. Wie zentral ist dieser Grund für die nicht rechtmäßige Speicherung?

Die damals festgestellten Fehler in der DNA-Analyse-Datei beruhten auf mehreren Ursachen. In rund 20 Prozent der Fälle war nur aus Versehen eine minderschwere Anlassstraftat eingetragen worden, und in Wirklichkeit lag der Verdacht einer erheblichen Straftat vor. In diesen Fällen war nur der Eintrag zu korrigieren. In über 40 Prozent der Fälle aber musste der Datensatz gelöscht werden, was kein gutes Licht auf die Datenqualität warf. Über die Gründe kann man natürlich nur Mutmaßungen anstellen. Ein wesentlicher Grund könnte aber in der Tat sein, dass - wie mir das Landeskriminalamt nach einer anderen Stichprobe mitgeteilt hat - DNA-Proben in über 90 Prozent der Fälle auf der Grundlage einer informierten Einwilligung des Betroffenen und nicht etwa aufgrund einer richterlichen Anordnung eingeholt wurden.(3) Ich gehe davon aus, dass diese Zahlenrelation heute immer noch gültig ist. Ob die Betroffenen dabei stets zu einer sorgfältigen Abwägung der rechtlichen Voraussetzungen in der Lage sind, wage ich zu bezweifeln. Zum Beispiel halte ich es für ausgesprochen problematisch, dass ein Betroffener unter der heutigen Gesetzeslage beurteilen soll, ob mehrere minderschwere Straftaten, die ihm zur Last gelegt werden, in ihrem Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichkommen. Hinzu kommt, dass er sich quasi selbst eine negative Prognose hinsichtlich künftiger Straftaten ausstellen müsste. Wer bringt das schon fertig?

Wie könnten die Betroffenen besser darüber informiert werden, dass sie auf eine richterliche Anordnung bestehen sollten? Gab es dazu einen Austausch der Datenschutzbeauftragten mit Rechtsanwaltsverbänden?

Ich denke, dass den Rechtsanwälten die Situation bewusst ist. Wichtig wäre, dass die Betroffenen selbst vor einer Probeentnahme einen kühlen Kopf bewahren, sich das von der Polizei auszuhändigende Merkblatt vor einer Unterschrift durchlesen, sich nicht unter Druck setzen lassen und gegebenenfalls auf einer richterlichen Anordnung bestehen sollten. Aber das sagt sich leichter, als es in der Realität vermutlich abläuft, zumal die Anordnung bei Gefahr im Verzug auch von der Polizei angeordnet werden darf. Leider sehe ich zudem den Trend, dass der Richtervorbehalt immer mehr an Bedeutung verliert, wie die aktuelle Diskussion um die Blutprobe zeigt.(4) Sicherheitspolitiker wollen die DNA-Probe ja ohnehin zum Standardinstrument der polizeilichen Ermittlungsarbeit machen.

Der größte Teil, nämlich 216 der 493 überprüfen Datensätze in Ihrer Stichprobe bezog sich auf „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Weist dies auf die Existenz spezifischer DNA-Datensammlungen für bestimmte Gruppen hin, zum Beispiel Hooligans oder DemonstrantInnen?

Dazu liegen mir keine vertieften Erkenntnisse vor; deshalb kann ich das weder bestätigen noch ausschließen.

Inzwischen existiert die DNA-Datenbank des BKA über zehn Jahre, also länger, als die Daten gespeichert werden dürfen. Gibt es von Ihrer Seite Mechanismen, um die Löschung der Daten zu kontrollieren?

Ich gehe davon aus, dass sich die beteiligten Polizeidienststellen - natürlich auch das BKA, das der Kontrolle des Bundesbeauftragten für den Datenschutz unterliegt - an die gesetzlichen Voraussetzungen halten. Was in der Praxis aber immer wieder vorkommt und ein echter „Dauerbrenner“ ist, ist der Umstand, dass sich das BKA auch als Herr derjenigen Daten betrachtet, die von den Polizeidienststellen der Länder in die gemeinsamen Verbunddaten beim BKA eingespeist werden. Deshalb kommt es immer wieder vor, dass das BKA die Löschung von Daten verweigert, selbst wenn in den Ländern die Voraussetzungen der Datenspeicherung längst weggefallen sind. Das BKA setzt hier dann eben eigene Speicherfristen. Dieses Ärgernis kann prinzipiell auch die DNA-Datei betreffen. Eine wirksamere Kontrolle der BKA-Dateien setzt eine konzertierte Aktion der Datenschützer in Bund und Ländern voraus. So etwas lässt sich schon aus Kapazitätsgründen nur begrenzt leisten.

Welche Instrumentarien der Kontrolle gibt es generell, um die BKA- und LKA-Datenbanken als Ganze regelmäßig überprüfen zu können - und nicht nur ab und zu Stichproben zu entnehmen? Gibt es hierzu nach den doch recht skandalösen Ergebnissen Ihrer Stichprobe Ansatzpunkte in der Datenschützer-Community?

Angesichts der Datenmengen, die hier tagtäglich bewegt werden, wird eine vollständige Kontrolle nicht möglich sein. Umso wichtiger ist eine Sensibilisierung der Akteure in der polizeilichen Praxis. Hier setze ich auf verstärkte Fortbildungsmaßnahmen sowie auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit meiner Dienststelle. Erfolgversprechende Ansätze sind hier durchaus zu verzeichnen, etwa bei der Bereinigung der „Arbeitsdatei politisch motivierte Kriminalität“ (ADPMK) in Baden-Württemberg.(5) Daneben sind aber natürlich regelmäßige und anlassbezogene Kontrollen sinnvoll und wünschenswert, aber aus Kapazitätsgründen nicht immer so engmaschig möglich, wie es sich manche vielleicht wünschen würden. Die DNA-Analyse-Datei steht aber ohnehin in der nahen Zukunft auf unserer Agenda.

Dann hoffen wir hier auf Ihr Engagement - und vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Susanne Schultz



Fußnoten:
(1)    Der Paragraph 81g der Strafprozessordnung wurde 2005 reformiert. Seitdem ist auch die Speicherung der DNA von Beschuldigten minderschwerer Delikte erlaubt, wenn es sich um Wiederholungstaten handelt und in der Zukunft weitere Taten prognostiziert werden.
(2)    Die Einzelheiten der Überprüfung wurden seinerzeit im 27. Tätigkeitsbericht 2006 dargestellt, die Ergebnisse der folgenden Überprüfung durch das Landeskriminalamt im 28. Tätigkeitsbericht 2007 (siehe: www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de).
(3)    Die Aussage bezieht sich auf eine ausdrücklich als „nicht repräsentativ” bezeichnete Auswertung von 300 Meldebögen des LKA. Das LKA erklärte hierzu mit Schreiben vom 1. September 2006, dass diese Auswertung einen Anteil der Maßnahmen auf Grund einer freiwilligen Einwilligung - also ohne richterliche Anordnung - von 97 Prozent ergeben habe.
(4)    Die Bemerkung zielt auf die aktuelle Initiative des Bundesrats ab (vgl. Drucksache 615/10). Der Bundesrat hat am 5.11.2010 auf Antrag Niedersachsens einen Gesetzentwurf zur Änderung des Paragraphen 81a StPO eingebracht, um die richterliche Anordnungspflicht bei polizeilichen Blutproben abzuschaffen. Bisher hatte es widersprüchliche Entscheidungen deutscher Oberlandesgerichte gegeben, ob Blutprobenentnahmen ohne richterliche Anordnung ein Beweisverwertungsverbot zur Folge hatten oder nicht.
(5)    Siehe hierzu den 26. Tätigkeitsbericht 2005 (Landtagsdrucksache 13/4910; 2. Teil, 1. Abschnitt, Kapitel 3), den 27. Tätigkeitsbericht 2006 (Landtagsdrucksache 14/650; 2. Teil, 1. Abschnitt, Kapitel 4) und den 28. Tätigkeitsbericht 2007 (Landtagsdrucksache 14/2050; 2. Teil, 1. Abschnitt, Kapitel 2).