Bilder einer Revolution

Beliebte Narrative und ihr unterschwelliger Orientalismus

Die Menschen gehen auf die Straße. In Tunesien, Ägypten, dem Jemen. Lange als unüberwindlich gelaubte politische Verhältnisse kommen in Bewegung. In die Sympathie und Solidarität gegenüber diesen Revolten mischen sich aber allzu oft orientalistische Bilder von der "arabischen Welt", stattdessen sich mit den realen Verhältnissen in den einzelnen Ländern auseinanderzusetzen.

"Al-sha'b jurid iskat al-nizaam!" - "Das Volk will den Sturz des Systems!" Dieser Slogan dominiert die Proteste in Ägypten. Er zeigt die Entschlossenheit von Millionen von Demonstrierenden. Trotz massiver Repression, subtiler Drohungen, Kompromissangeboten und dem Drängen auf eine Rückkehr zum Alltag eignen sie sich weiterhin die öffentlichen Plätze an und fordern ihre Rechte, ihre Würde und grundlegende politische und ökonomische Veränderungen.

In den Protesten rund um den Tahrir-Platz scheinen eine Kollektivität und Kreativität auf, die eigentlich nicht mit dem Bild zusammenpassen, das sich über Politik in der arabischen Welt etabliert hat; so fest verwurzelt sind die Vorstellungen von der arabischen oder muslimischen Unfähigkeit zum progressiven politischen Denken und Handeln, ganz zu schweigen von politischer Ironie.

Bei aller Begeisterung über die Massivität der politischen Revolten dieser Tage sind Spuren davon in vielen Argumentationslinien über die Proteste sichtbar. Nicht nur das oft geäußerte wohlwollende Erstaunen darüber, wie artikuliert und organisiert diese ÄgypterInnen doch sind, erinnert daran, dass die Norm in so vielen westlichen Köpfen bis vor Kurzem noch eine ganz andere war - und dass sie unterschwellig präsent bleibt.

Es werden fest verwurzelten Vorstellungen infrage gestellt

Ganz besonders kommt das in der momentan so oft formulierten Sorge zum Vorschein, dass "die Islamisten" die Macht übernehmen könnten, wenn Mubarak (zu schnell) geht. Ähnliches wurde auch in Bezug auf Tunesien immer wieder angeführt. Dahinter stecken latente Vorstellungen davon, dass islamisch orientierte politische Kräfte etwas Bedrohliches an sich haben, das Islam Autoritätshörigkeit mit sich bringt und Emanzipation verhindert, und dass sich diese Kräfte durchsetzen werden, wenn der Prozess nicht kräftig gesteuert wird.

Dieses Denken hat eine lange Geschichte, in der "der Orient" oder "der Islam" als das Andere Europas festgeschrieben und damit die eigene Fortschrittlichkeit, Aufgeklärtheit, Säkularität usw. behauptet werden konnte. Doch "Islam an sich" kann nicht der Referenzpunkt für ein Nachdenken über die gegenwärtigen politischen Ereignisse und Strategien islamischer Kräfte sein: Deren Unterschiedlichkeit innerhalb und zwischen verschiedenen arabischen Ländern zeigt das Gegenteil.

Schon immer waren politische Gruppierungen, die sich in arabischen Staaten auf den Islam berufen haben, in ihrer politischen Stoßrichtung sehr heterogen. Klar ist, dass dominante Islaminterpretationen in vielen arabischen Staaten derzeit relativ konservativ ausgerichtet und oft relativ eng mit den - nominell säkularen - Regimen verbunden sind. Die Strömungen reichen aber von solchen Kräften über feministische Gruppen, die sich um eine Reinterpretation des Koran bemühen, um sich von patriarchalen Traditionen zu befreien, bis hin zu radikalen Gruppierungen, die mit Gewalt die jeweils Herrschenden beseitigen und einen islamischen Staat errichten wollen - und vielen anderen dazwischen.

In Ägypten sieht es momentan danach aus, als stünden konservative Interpretationen nicht sehr hoch im Kurs. Auch scheinen islamische Referenzen in den politischen Kämpfen nicht einmal besonders präsent. In den letzten Jahren haben sich dort gerade junge Generationen den Islam als individuelle Moral wieder angeeignet - nicht zuletzt als explizite Ablehnung konservativer Interpretationen, wie sie von der alten Garde der Muslimbrüder und auch durch das Mubarak-Regime vertreten wurden.

In den Protesten zeigt sich nun, Islam hin oder her, dass damit offenbar ein breit geteiltes Bedürfnis nach gesellschaftlichen und politischen Veränderungen verbunden ist. Interessant ist auch, dass sogar die mitprotestierenden Muslimbrüder sich momentan eher den Slogans der anderen DemonstrantInnen und ihren Forderungen nach Selbstbestimmung und einer zivilen Regierung anpassen als umgekehrt.

Die Angst, die derzeit von westlichen Medien und PolitikerInnen wie auch den alten und neuen VertreterInnen der korrupten Regime um eine mögliche Machtübernahme "der Islamisten" geschürt wird, scheint daher sehr pauschal. Islamisch orientierte Kräfte, vor allem die Muslimbrüder, sind gesellschaftlich gut verankert. In Ägypten z.B. werden sie im Zuge einer Übergangsregierung sicher eine Rolle spielen - aber was das für ihre zukünftige politische Strategien bedeutet, ist momentan nicht wirklich abzusehen.

Ein Indikator dafür: Als sich der Vizepräsident Omar Suleiman mit VertreterInnen einer Fraktion der Muslimbrüder traf, um über eine Übergangsregierung zu verhandeln, gingen das Jugendkomitee und der Frauenflügel der Bruderschaft explizit auf Distanz dazu. Beide lehnten gemeinsam mit anderen Protestierenden der Bewegung 6. April jegliche Verhandlungen vor einem Rücktritt Mubaraks entschieden ab. Hier wird sichtbar, dass auch innerhalb der Muslimbrüder um politische Ausrichtungen und Strategien gerungen wird. Ihre Politikformen lassen sich nicht auf das "islamische" im Namen der Gruppierung reduzieren.

Bliebe man dabei stehen, würde man nur orientalistische Diskurse perpetuieren, in denen immer schon klar ist, dass "der Andere" eindeutig different ist und in seiner Differenz verharrt. Wie Slavoj Zizek in einem beeindruckenden Al-Jazeera-Gespräch mit dem schweizerischen Intellektuellen Tariq Ramadan bemerkte: In den ägyptischen Protesten scheinen universalistische Forderungen nach Freiheit, Würde und ökonomischer Gerechtigkeit auf, die das ganze Gerede um Differenz und die Präferenz von AraberInnen oder Muslimen für autoritäre Machthaber lächerlich erscheinen lassen. Nehmen wir uns also den Raum, um zu beobachten, wie mit oder ohne Islam um eine emanzipatorische Neubestimmung ägyptischer Politik gerungen wird und welche Positionierungen sich dabei durchsetzen.

Die Angst vor den "Islamisten" ist zu pauschal

Auch das Bild, dass es sich hier um eine Facebook- oder Twitter-Revolution handelt, muss kritisch überprüft werden. Mobilisierungen über soziale Netzwerke haben sowohl in Ägypten als auch in Tunesien zweifellos eine wichtige Rolle gespielt: In Tunesien wurden Bilder von Protesten, Informationen über die internationale Presse sowie Termine und Treffpunkte über Plattformen wie nawaat.org ausgetauscht. In Ägypten trug nicht zuletzt ein über Facebook lancierter Videoblog der Aktivistin Asmaa Mahfouz dazu bei, am 25. Januar zehntausende ÄgypterInnen auf die Straße zu bringen.

In der Fokussierung der Proteste auf das Web 2.0 schwingt allerdings auch eine Vorstellung mit, nach der sich hier eine neue Generation entwickelt, die sich von den "anderen" TunesierInnen oder ÄgypterInnen unterscheidet; die gebildet, globalisiert, Internet-affin und insofern "uns" irgendwie ähnlich ist. Dabei wird besonders stark auf ein Medium abgehoben, das sich vom Westen aus ausgebreitet hat. So kann ein eigentlich kolonialer Gedanke ("guter Wandel" kommt aus dem Westen) implizit wieder Bestätigung finden.

Besonders in der Berichterstattung über Tunesien schien es zeitweise so, als würden hier ausschließlich säkulare, studierte Menschen protestieren. Dass es sich hier um eine Gesellschaft handelt, die zu 98 Prozent aus Muslimen besteht (wie auch immer es um ihre Gläubigkeit bestellt ist), trat dabei völlig in den Hintergrund.

Die Mobilisierungen werden zwar in der Tat von einer jungen Generation getragen, die in vielen arabischen Staaten einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung ausmacht, aber in Tunesien wie Ägypten zeigt sich, wie stark sich auch andere Bevölkerungsteile beteiligen - kleine LadenbesitzerInnen, ArbeiterInnen, SlumbewohnerInnen und viele andere.

Die Mobilisierungen haben auch nicht erst vor ein paar Wochen und nicht nur im Internet begonnen. In Ägypten liegt ein wichtiger Keim der Proteste in der Bewegung 6. April. Sie hat sich 2008 als Zusammenschluss von ArbeiterInnen in Fabriken und Kleinwerkstätten mit InternetaktivistInnen zur Unterstützung eines Streiks in der Industriestadt Mahalla gegründet und seitdem zahlreiche Proteste getragen und Debatten initiiert. Viele ägyptische AktivistInnen haben zudem festgestellt, dass gerade das Abschalten des Internets durch die Regierenden die Proteste Ende Januar nochmals massiv verstärkt hat. Danach konnte man nicht mehr nur passiv teilnehmen, sondern musste wohl oder übel auf die Straße gehen, um zu sehen, was passiert.

Schließlich ignoriert das Facebook-Narrativ auch, dass es in der arabischen Welt eigene revolutionäre Geschichten und Traditionen gibt. Sie spielen in dem momentanen Aufbegehren eine große Rolle. Die Lieder und Slogans, die auf dem Tahrir-Platz derzeit den sonstigen Autolärm ersetzen, zitieren große arabische DichterInnen, SängerInnen oder Aussprüche des Propheten Mohammed, die von Freiheit, Selbstbestimmung und dem Kampf gegen ungerechte Herrschaft erzählen. Sie beziehen sich auf frühere politische Umwälzungen, was z.B. in der Besetzung und symbolischen Neuaufladung des Tahrir-Platzes sichtbar wird, der aufgrund der ägyptischen politischen Revolutionen 1919 und 1952 "Platz der Befreiung" heißt.

Nicht nur eine Revolte der "westlichen" Generationen

Ein letztes dominantes Bild sollte noch erwähnt werden: die Annahme, dass es einen Dominoeffekt, d.h. eine Ausbreitung des massiven Aufbegehrens auf den Rest der Region geben wird. Zu einem solchen Eindruck trägt z.B. die Berichterstattung von Al-Jazeera bei. In ihr erscheint gerade jeder Protest in einem arabischen Land als logische Fortführung von Tunesien und Ägypten. Auch aus internationalistischer Solidarität heraus wird diese Perspektive stark gemacht. Allerdings steht dahinter die problematische Annahme, dass es sich bei "dem Nahen Osten"/der arabischen Welt o.ä. um eine relativ homogene Einheit handelt, so dass sich Entwicklungen in einem Land dann auch im Rest der Region widerspiegeln werden.

Zweifellos gibt es in vielen arabischen Staaten vergleichbare Missstände: steigende Lebensmittelpreise, die mittlerweile nicht mehr nur die Armen, sondern breite Teile der Bevölkerungen betreffen; hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit gerade von Studierenden und UniversitätsabsolventInnen sowie die Unterdrückung freier politischer Meinungsäußerung, vor allem der Kritik der jeweiligen Machthaber und ihrer Praktiken.

Im Zuge der verstärkten neoliberalen Ausrichtung staatlicher Entwicklungsstrategien sowie der massiven persönlichen Bereicherung der herrschenden AutokratInnen und ihrer engsten Verbündeten ist in vielen Staaten der alte Sozialvertrag erodiert und unglaubwürdig geworden. Er beruhte vor allem auf Beschäftigung im öffentlichen Sektor, Subventionen von zentralen Konsumgütern, hohen Importzöllen und geringer direkter Besteuerung. Der relative Wohlstand, der dadurch für jeweils wichtige gesellschaftliche Kräfte ermöglicht wurde, bildete in Verbindung mit politischer Repression vielerorts eine Grundlage für politische Desartikulation oder die Unterstützung autoritärer Staatsformen.

Natürlich inspirieren die tunesischen und ägyptischen Proteste, in denen sich ökonomische und politische Frustrationen und Forderungen verbinden, auch politische Bewegungen in anderen arabischen Staaten. Dabei wird die Drohung, Ägypten könne sich bald auch im eigenen Land wiederfinden, als Verstärker eigener Forderungen eingesetzt. Auch reagieren die Herrschenden durchaus ähnlich - schnell schnüren sie noch ein Subventionspaket, erhöhen die Gehälter für Militärs und Beschäftigte im öffentlichen Sektor oder versprechen gar die Aufhebung des politischen Ausnahmezustands, um Dominoeffekten möglichst vorzubeugen.

Was hierbei gerne als einheitliche Region gefasst wird, ist aber tatsächlich äußerst heterogen. Es gibt historisch gewachsene Unterschiede zwischen "Subregionen" wie Maghreb, Mashrek oder den Golfstaaten. Die jeweiligen Bevölkerungen nehmen sie auch als solche wahr und sie wirken als unsichtbare Grenzen für eine simple Übertragung von Protestformen und -anliegen. Zudem gibt es innerhalb dieser Subeinheiten starke Unterschiede in Bezug auf die sozio-ökonomische und politische Dynamik, die die Geschichte der jeweiligen Länder geprägt hat. Dies verkompliziert die Annahme, dass sich der Aufbruch und die Bewegung, die Tunesien und Ägypten und teils auch den Jemen ergriffen hat, einfach fortsetzt.

Verschiedene Länder, diverse Geschichten

Ein kurzer Blick auf Jordanien, das immer wieder als einer der nächsten Kandidaten für den kommenden Aufstand gehandelt wird, soll das verdeutlichen: Die Bevölkerung besteht hier zu etwa gleich großen Teilen aus JordanierInnen palästinensischer Herkunft und TransjordanierInnen, die schon vor dem arabisch-israelischen Krieg 1948 im heutigen Jordanien lebten. Seit den 1950er Jahren, in denen Gruppen übergreifende politische Bewegungen fast die Monarchie zu Fall gebracht hätten, wird diese ethnisierende Spaltungslinie politisch genährt.

Seit Jahrzehnten wird z.B. den palästinensischen JordanierInnen über institutionelle Mechanismen, die ihre angemessene Repräsentation verhindern, vermittelt, dass politische Institutionen in Jordanien primär für die TransjordanierInnen da sind. Das führt dazu, dass sich viele palästinensische JordanierInnen primär in Bezug auf Palästina und regionale Konflikte politisch organisieren und ihre Haltung gegenüber dem jordanischen politischen System von großem Zynismus geprägt ist.

Gleichzeitig verwendet die Monarchie viel Energie darauf, verschiedene Bevölkerungsgruppen politisch auseinanderzuhalten und ihre Anliegen getrennt zu verhandeln. Dies wird gestützt durch die Inszenierung des Königs als neutraler Schiedsrichter, der das Land als Patron für die einzelnen Bevölkerungsteile zusammenhält und über dem Regierungsalltag steht. Obwohl de facto Regierungen und Parlament nur eine geringe Relevanz haben und Politik vom König und dessen politischen BeraterInnen gesteuert wird, hat sich dieses Bild recht erfolgreich in die Köpfe eingegraben.

Im Krisenfall wird wie aktuell die Regierung geopfert und eine Reformoffensive angekündigt. Dieses Schauspiel vollzieht sich in sehr regelmäßigen Abständen. Es ist kein Krisenindikator größeren Ausmaßes.

Teils sind JordanierInnen von der Schiedsrichterrolle des Königs und seinem guten Willen überzeugt, teils wird auch Kritik über die Monarchie geäußert. Normalerweise geschieht das aber nur im informellen Rahmen. Zwar wird momentan auch öffentlich über die Rolle des Königshauses diskutiert - z.B. wurde die Königin Rania in einer Erklärung von 32 prominenten TransjordanierInnen mit Laila Trabelsi, der Frau von Ben Ali, verglichen und ihr luxuriöser Lebensstil sowie ihre politische und ökonomische Macht angeprangert. Aber spätestens wenn sich Statements dieser Art öffentlich stärker verbreiten sollten, werden die Gesetze, die die Majestätsbeleidigung und die Verletzung des "nationalen Wohls" unter Strafe stellen, wohl wieder in Erinnerung gerufen und aktiviert.

Vor diesem Hintergrund kanalisiert sich die sozio-ökonomische Misere, die auch in Jordanien sehr präsent ist, bisher weniger in massiven Protesten gegen das System. Sie spiegelt sich vielmehr in einem ethnisierten anti-palästinensischen Diskurs oder in einer Zunahme von Gewalt zwischen verschiedenen transjordanischen Großfamilien.

Es gilt nicht alten Orientalismen aufzusitzen

In den letzten Wochen hat es mehrere Demonstrationen gegeben. Sie waren aber sehr viel kleiner als in Ägypten und Tunesien. Im Gegensatz zu den Protesten in Ägypten, in denen sich ein Zusammenschluss von verschiedenen gesellschaftlichen Kräften, neuen und alten sozialen Bewegungen zeigt, haben diese Proteste kaum neue, kollektive und Gruppen übergreifende Formen hervorgebracht. AktivistInnen betonen außerdem, dass es in Jordanien nicht um eine Übertragung des ägyptischen Modells gehen kann, und fordern einen Politik-, nicht aber einen Personalwechsel an der Spitze.

Auch in anderen arabischen Staaten bleiben größere Proteste bislang entweder aus (z.B. in Syrien oder Marokko) oder sind durch die politische Eigendynamik des Landes geprägt. In Algerien z.B. mündeten eine ähnliche sozio-ökonomische Situation wie heute und daraus hervorgehende soziale und politische Unruhen 1988 in einen zehnjährigen Bürgerkrieg, der Hunderttausende das Leben kostete. Dies trägt dazu bei, dass in den Demonstrationen, die nach einer längeren Ruhephase nun wieder Fahrt aufnehmen, weniger offensiv nach dem Rücktritt des autokratischen Herrschers Bouteflika oder einem Ende des Systems verlangt wird, sondern eher konkreten Veränderungen wie der Aufhebung des Ausnahmezustands, der seit 1992 gilt.

In Palästina sorgte in den letzten Wochen vor allem die Veröffentlichung vertraulicher Protokolle aus den israelisch-palästinensischen Verhandlungen für große Aufregung. Die darin deutlich werdende große Verhandlungsbereitschaft der Autonomiebehörde führte zu heftigen politischen Auseinandersetzungen. Zwar gibt es auch Diskussionen über die Ereignisse in Tunesien und Ägypten, aber bei den Protesten, selbst wenn sie als Solidaritätsdemonstrationen angekündigt sind, stehen dieses Thema sowie die israelische Besatzung und der anhaltende Siedlungsbau stark im Vordergrund.

Im Libanon wiederum ist es vor allem der Konflikt um die Veröffentlichung des UN-Berichts über den Mord des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq Al-Hariri, der im Januar zum Sturz der Regierung geführt hat und nun dafür sorgt, dass die rivalisierenden politischen Blöcke auf die Straße gehen. Die Bezugnahme auf Tunesien und Ägypten ist hier eher gering - vielleicht, weil das Bild "Unterdrückte gegen autoritäres Regime" angesichts der vielschichtigen ethnisierten politischen Spaltungslinien, die auch die libanesischen Staatsapparate durchziehen, und des Nichtvorhandenseins eines solchen autoritären Herrschers hier einfach wenig Resonanzboden hat.

Das politische Erwachen in Ägypten, Tunesien und anderswo sorgt also in vielen arabischen Staaten für neue Debatten und Dynamik. Die Ereignisse werden aber in die eigene politische Geschichte und etablierte Strukturen integriert und übersetzt. Wie viel Energie und Umwälzungskraft aus den vorgelebten Bewegungen hervorgeht, wird die Geschichte zeigen. Sie werden aber nicht einfach eine Ausbreitung darstellen - dazu sind die politischen Kontexte doch zu verschieden.

Es lohnt sich, genauer hinzusehen, um diese Dynamik zu verstehen, und sich immer wieder kritisch mit den homogenisierenden Bildern auseinanderzusetzen, die unsere Vorstellungen von Politik in der arabischen Welt prägen, um nicht den alten Orientalismen aufzusitzen.

Katharina Lenner

Empfehlung für kritische Hintergrundberichte und Analysen zu den Revolten: www.jadaliyya.com.

aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 558/18.2.2011