Atomausstieg und Produktivkraftentwicklung

eine kritische marxistische Betrachtung

Am 30.6.2011 beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit den Atomausstieg, selbst SPD und Grüne stimmten für die Regie­rungsvorlage, die Linkspartei votierte ge­schlossen dagegen, da sie einen schnelleren Ausstieg wollte. Eine Reihe weiterer Gesetze zur Energiewende wurden mit der schwarz-gelben Mehrheit beschlossen.

Generell muss man feststellen, dass die groß angekündigte „Energiewende“, die Bun­deskanzlerin Angela Merkel am 9.6.2011 in einer Regierungserklärung zur Energie­politik mit dem Titel „Der Weg zur Energie der Zukunft“ vorstellte, leider in keiner Weise die radikale und konsequente Energiewende darstellt, die nötig wäre, um schnellstmöglich wegzukommen von der potentiell katastrophal-riskanten Kernspaltungstechnologie und die gleichzeitig den enormen Umbauprozess einleitet, der notwendig ist, um dem Klima­wandel wirksam zu begegnen. 

Der sofortigen Stilllegung der 7 Alt-Reak­toren und des Dauer-Problem-Reaktors, des AKW Krümmel, ist uneingeschränkt zuzustimmen, das ist auch ein unbestreitbarer Er­folg der massenhaften und langjährigen Anti-AKW-Proteste in Deutschland!

Was jedoch den Stilllegungsfahrplan der weiteren 9 Kernkraftwerke betrifft, muss man feststellen, dass dieser Ausstiegsfahrplan keineswegs ambitioniert ist und nicht der direkt nach Fukushima geäußerten Einsicht entspricht.

Wenn man z.B. einen konsequenten Aus- und Umstieg in der Energie- und Klimapolitik nach einer Greenpeace Studie  mit den ge­plan­­ten Maßnahmen der Bundesregierung ver­gleicht, dann sind u. a. folgende eklatante Unterschiede zu erkennen:

• Bis 2015 können lt. Greenpeace neben den 7 ältesten AKW jedes Jahr 2 weitere AKWs abgeschaltet werden, sodass Ende 2015 alle 17 AKWs in Deutschland ausgeschaltet wären. Lt. Bundesregierung sollen bis 2015 neben den 7 ältesten AKW lediglich noch 2 weitere AKWs ausgeschaltet werden. Dabei solle bei Bedarf im Winter sogar ein altes AKW als „Reserve“ wieder hochgefahren werden können.

• Die Merkel-Regierung will es also gestatten, dass die Mehrzahl der neueren AKWs z. T. weit über 2015 hinaus in Betrieb sind, 3 AKWs bis 2021 und weitere 3 AKWs bis 2022. Damit orientiert sich Merkel etwa an dem von Rot-Grün im Jahr 2000 mit den 4 Kernkraft­werks­betreibern ausgehandelten – schon da­mals nicht besonders ambitionierten – Kom­pro­miss. Außerdem könnte bei der Wahl in 2017 wieder über eine Laufzeit­ver­län­ge­rung diskutiert werden und 2021 noch einmal ...

• Um eine wirkliche Energiewende zu betreiben, müssen jährlich konkrete Ausbaumaß­nahmen beim Zubau von Windrädern an Land, an See, an Photovoltaik-Anlagen auf Dächern, großen und kleinen Gaskraft­wer­ken, Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Geo­thermie­anlagen und weitere Maßnahmen planmäßig ergriffen werden. Dies ist beispielhaft bis zum Jahr 2020 in der Greenpeace-Studie dargestellt, auf Seiten der Bundes­regierung liegen lediglich relativ schwache und allgemeine Absichtserklärungen vor.

• Ein besonders problematischer Aspekt bei der Planung der Bundesregierung betrifft den weiteren Zubau von Kohlekraftwerken. Da­mit soll also der teilweise Ausstieg aus der Kern­­energie durch besonders klimaschädliche Kohlekraftwerke kompensiert werden. Damit steht das Treibhausgas-Minderungsziel von 40% für 2020 nur auf dem Papier.

Im Gegensatz dazu beginnt beim Green­peace-Szenario auch das Abschalten der Kohle­kraftwerke bereits im Jahr 2013, bis 2030 sollen alle Braunkohle- und Stein­kohle­kraftwerke vom Netz gehen. Von einem analogen Ziel ist in der Planung der Bundes­regierung keine Rede, im Ge­gen­teil, die Hoffnung ruht auf der abzulehnenden CCS (Carbon Capture and Storage = Koh­len­stoff­abscheide- und Speicherungs-) Tech­nologie, die neue Nachteile und unbekannte Risiken bringt und noch keineswegs zur Reife entwickelt ist.

Dieser Punkt muss wiederum als ein schlimmes Einknicken vor den Interessen der 4 großen Energiekonzerne und als ein Schlag gegen jede vernünftige Klimapolitik gewertet werden. Nötig wäre kein Kohle-Kraftwerks-Förderprogramm, sondern ein Kohleaus­stiegsgesetz.

In eine ähnlich fatale Richtung geht die Bevorzugung der stromintensiven Industrie durch spezifische Zuschüsse „zum Ausgleich für emissionshandelsbedingte Strompreis­er­höhungen“

• Das Greenpeace-Ausbauszenario verdeutlicht ein Beispiel für die notwendigen hohen Anstrengungen. Um etwas derartiges zu erreichen, müsste die Regierung viel intensiver eine Politik des „Förderns und Forderns" betreiben: z. B. Windräder-Vorranggebiete aus­­weisen, Stadtwerke zur Investition ermutigen und fördern, Vorschriften zur Strom­einsparung erlassen (ein besonders wichtiger Punkt), die vor sich hin dümpelnde Kraft-Wärme-Kopplung (die eigentliche Brücken­technologie) forcieren

 

Auch die anderen Gesetze enthalten bei einer Detailbetrachtung eine Reihe weiterer problematischer Punkte

Wieder einmal zeigt sich, dass Sonntagsreden und konkretes politisches Handeln bei Angela Merkel weit auseinander fallen. Es werden einige Maßnahmen eingeleitet, die unvermeidbar geworden sind, um der politischen Stimmung im Land wenigstens etwas Rech­nung zu tragen. Andererseits wird aber alles getan, um den Interessen der großen Kon­zerne entgegenzukommen und eine radikale und notwendige Wende zu vermeiden, die nur gegen diese Interessen durchsetzbar ist.

Welche Gründe gab es, dass die konservative Regierung die für sie blamable Richtungs­änderung vollzog?

Ein Grund für den Richtungswechsel, der Ausgangspunkt war: Mit Fukushima zeigte sich die objektive Realität und die Grenze der Natur-„Beherrschung“. Die beiden Natur­katas­trophen (Erdbeben und Tsunami) waren „Naturgewalt“ und damit für den Menschen unvermeidlich, schlimmste Naturkatas­trop­h­en.

Eine Großtechnologie aber, deren Be­für­worter vorgeben, durch eine geschickte Ge­dankenkonstruktion derartige Geschehnisse kleinrechnen zu können, ist unverantwortlich. Insofern sind die betroffenen und nachdenklichen Aussagen unmittelbar nach der mehrfachen Reaktorkatastrophe richtig und be­grüßenswert. Zu kritisieren ist allerdings, dass die Handlungen einige Zeit später diese Erkenntnisse kaum berücksichtigten.

Ein weiterer Grund für den Richtungs­wechs­el ist zweifellos die langjährige Stärke der Anti-AKW-Bewegung. Tatsache ist, dass sich in Deutschland vor allem nach Atom­katastrophen – nur unter dem Einfluss und Druck starker außerparlamentarischer Bewe­gun­gen gewisse Korrekturen in der offiziellen Atompolitik durchgesetzt haben

• Nach der Reaktorkatastrophe von Harris­burg 1979 (US-amerikanischen Kern­kraft­werk „Three Mile Island“) wird das geplante AKW Whyl nicht weitergebaut und der Schnelle Brüter in Kalkar geht nicht ans Netz. Ca. 10 Mrd. DM wurden dafür ausgegeben.

• Nach der Reaktorkatastrophe von Tscher­nobyl 1986 kam im Jahr 1989 das Ende der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, für deren Bau bis dahin schon über 10 Mrd. DM verausgabt wurde. Der Hochtempera­tur­re­aktor in Hamm-Uentrop wird stillgelegt – ebenfalls eine Investitionsruine in Milliar­denhöhe.

• Nach der Mehrfachkatastrophe von Fu­ku­shi­ma vollzieht die schwarz-gelbe Merkel-Re­gie­rung den sog. Atom-Ausstieg, aber erst bis 2022.

Die Anti-AKW-Bewegung ist eine Be­wegung mit jetzt ca. 40 jähriger Geschichte und mit einem langen Atem. Breite Be­völ­kerungsschichten wurden kontinuierlich und zunehmend mit dieser Thematik vertraut und sensibilisiert. Dadurch brach in der jetzigen Situation das Vertrauen in eine Regierung, die immer wieder diese Stimmung missachtet hat, erdrutschartig ein.

Diese erzwungene Richtungsänderung der schwarz-gelben Regierung darf mit Fug und Recht als ein Beispiel dafür gelten, dass sich ein langjähriges, mühsames und manchmal aussichtslos erscheinendes Engagement auf längere Sicht und bei entsprechenden Um­ständen auszahlt und lohnt. Dies dürfte auch der entscheidende Unterschied sein zu anderen Ländern wie z.B. Frankreich, in denen die Anti-AKW-Bewegung relativ schwach war und ist; dort hat die offizielle Regierungs­politik, selbst nach Fukushima, nicht an­nähernd so reagiert. Selbst die enorme Macht der Energiekonzerne und deren enge Ver­bindung zur Merkel-Regierung war in diesem Fall nicht stark genug, um die sofortige Still­legung der 8 Kernreaktoren zu verhindern.

Ein dritter Punkt für den zumindest teilweisen Richtungswechsel der konservativen Regierung dürfte eine beginnende strategische Änderung sein:

Als neue Option bahnt sich ein „grüner Kapitalismus“ zur Kapitalverwertung in Zu­kunft an. Diese Variante des Kapitalismus wird von großen Teilen der SPD und der Grünen und inzwischen auch von Teilen der CDU/CSU favorisiert. Damit werden Illu­sionen in die Ökologisierbarkeit des Kapi­talismus geweckt. Dies gilt es in Zukunft verstärkt zu beobachten und sich damit kritisch auseinanderzusetzen. Es scheint, dass diese Illusion eine ähnlich Kapitalismus-stabilisierende Funktion hat, wie in der Weimarer Republik die soziale Reform-Illusion, die durch die damalige Sozialde­mo­kratie propagiert wurde.

Welche Lehren sollten Marxisten aus der Geschichte der zivilen Nutzung der Kern­spal­tungsenergie  ziehen? Welche Technik ist verantwortbar, welche nicht?

Wir wissen, dass Marx die Entwicklung der Produktivkräfte z. B. im „Kommunistischen Manifest“ realistisch beschrieben hat.

„Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, Ma­schi­nerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschifffahrt, Eisen­bah­nen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüs­se, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen – welches frühere Jahrhundert ahnte, dass solche Produktionskräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlummerten“ (MEW 4,467)

Nach wie vor ist es aus marxistischer Sicht richtig, die Entwicklung der Produktivkräfte als eine entscheidende Komponente in der Entwicklung der Produktionsverhältnisse und der Gesellschaft insgesamt zu betrachten. Dazu sei z.B. an folgendes Zitat von Marx aus dem „Elend der Philosophie“ erinnert:

„Die sozialen Verhältnisse sind eng verknüpft mit den Produktivkräften. Mit der Erwerbung neuer Produktivkräfte verändern die Menschen ihre Produktionsweise, und mit der Veränderung der Produktionsweise, der Art, ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, verändern sie alle ihre gesellschaftlichen Verhäl­tnisse. ...

Aber dieselben Menschen, welche die sozialen Verhältnisse gemäß ihrer materiellen Produktivität – productivité materielle – ge­stalten, gestalten auch die Prinzipien, die Ideen, die Kategorien gemäß ihren gesellschaftlichen Verhältnissen“ (MEW 4,130).

Daraus folgt jedoch nicht ein grundsätzlich fortschrittspositivistisches Verständnis. Wenn sich nämlich Produktivkräfte als verderblich und zerstörerisch für Mensch und Natur darstellen, dann muss man von Ihnen Abschied nehmen bzw. sie erst gar nicht im großen Stil einsetzen. So schreibt Marx im obigen Zitat weiter: „Somit sind diese Ideen, diese Kate­gorien, ebensowenig ewig wie die Ver­hältnisse, die sie ausdrücken. Sie sind historische, vergängliche, vorübergehende Produkte.

Wir leben inmitten einer beständigen Be­we­gung des Anwachsens der Produktivkräfte, der Zerstörung sozialer Verhältnisse, der Bildung von Ideen; unbeweglich ist nur die Abstraktion von der Bewegung – „mors im­mortalis“ (MEW 4,130).

Für Marx gibt es allerdings durchaus auch die Möglichkeit, dass Produktivkräfte zu De­struktivkräften werden, wie er am Beispiel Handwerk und Manufaktur in der deutschen Ideologie ausgeführt hat:

„Diese Produktivkräfte erhalten unter dem Privateigentum eine nur einseitige Entwick­lung, werden für die Mehrzahl zu Destruk­tivkräften ...“ (MEW 3, 61).

Allerdings haben Marx und Engels diesen Aspekt der Dialektik von Produktiv- und Destruktivkräften nicht in der heute manifest gewordenen Schärfe und in den heute absehbaren räumlichen und zeitlichen Dimension – wie beim Beispiel Kernenergie sichtbar – bearbeitet. Das muss uns überlassen bleiben.

Marxisten müssen in Zukunft in mehrfacher Hinsicht die Entwicklung der Produk­tivkräfte kritischer bewerten. Dies ist jedoch nicht in erster Linie nur eine Frage der persönlichen, individuellen Verantwortung von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Entschei­dungsträgern, sondern ein Frage der Demo­kratie und Partizipation in Wirtschaft und Gesellschaft. Hochkonzentrierte, mächtige Oligopolstrukturen sind dazu konträr; diese müssen aufgelöst werden, damit kollektive, partizipative gesellschaftliche Willensbildung möglich wird, auf welche Art und wie viel produziert und konsumiert und die dazu notwendige Energie erzeugt werden soll.

 

Vernünftige Produktivkraftentwicklung – einige Kriterien

Auch in der marxistischen Diskussion um die Weiterentwicklung der Produktivkräfte ist es wichtig, Kriterien zu definieren, wie der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur vernünftig zu gestalten ist. Es ist selbstverständlich, dass nicht alles, was machbar ist, auch gemacht werden darf.

• Am Beispiel der Kernenergie sehen wir, dass das Prinzip der „Fehlerfreundlichkeit“ einer Großtechnologie zentral wichtig ist. Eine – sowohl in räumlicher wie zeitlicher Dimen­sion – gefährliche Technologie wie die Kern­energie, die auf eine massive Störung so reagiert, dass sich das System durch Rück­kop­plungen weiter aufschaukelt und vollkommen unbeherrschbar und unkontrollierbar wird (Kernschmelze – Super GAU) mit potenzierten katastrophalen Folgen in Raum und Zeit, darf nicht gebaut werden.

• Die Denkfigur „Restrisiko“ ist im Zu­sammenhang mit einer in dieser Weise fehlerunfreundlichen Technologie wie bei der Kern­energie abzulehnen. Denn damit soll das Risi­ko eines Super-GAUs lediglich kleingerechnet und als berücksichtigt abgetan werden.

• Ein nahe liegendes Kriterium ist die räumliche und zeitliche Dimension eines potentiellen Schadens.

• Ein weiteres Kriterium bei der Bewertung der Zulässigkeit von Technologien und Pro­jekten sollte die Möglichkeit der „Rück­holbarkeit“ der Folgen einer Technologie und die „Revidierbarkeit“ von Schäden bei der Umsetzung größerer struktureller Änderungen in der Natur sein. Die Umleitung größerer Flüsse sollte z. B. revidierbar sein, wenn sich im Laufe einer schrittweisen Verwirklichung eines Projektes herausstellt, dass größere Schäden auftreten, die vorher nicht vermutet wurden.

• Dieser Gesichtspunkt führt zu dem generellen Prinzip der „Behutsamkeit“, „Acht­sam­keit“ und „Bescheidenheit“ bei der Imple­men­tierung neuer Technologien, bei denen grundsätzlich die Unschärfe und das Un­wissen über zukünftige Risiken und Probleme besonders hoch ist.

• Die Diskussion um das „ menschliche Maß“  und um „angepasste Technologin“, d. h. Tech­nologien, die an den spezifischen Entwick­lungs­stand einer Gesellschaft angepasst sind, sollte generell, auch gerade im marxistischen Diskurs verstärkt werden.

• Bei all diesen Problemen ist es wichtig, die wissenschaftliche Disziplin der „Technik­fol­genabschätzung“ wesentlich zu verstärken und vor allem bei konkreten ökonomischen und technologischen Entscheidungen wirksam werden zu lassen.

Derartige Überlegungen sind alle nicht ganz neu, schon Günther Anders  und andere haben vor Jahrzehnten auf solche Aspekte hingewiesen.

Als Marxisten sollten wir jedoch besonderen Wert darauf legen, dass all diese Prin­zipien nicht nur als moralische Appelle an die individuelle Einzelverantwortung oder als religiöse Gefühle des Respektes vor einer „göttlichen Schöpfung“ gedacht werden können , sondern aus der humanistisch-philosophischen Grundhaltung des dialektischen Ma­terialismus nach dem Motto – „Der Mensch ist Teil der Natur“ – schon allein deshalb kann und darf der Mensch nicht dauerhaft die natürlichen Grundlagen seiner eigenen Exis­tenz zu seinem eigenen Nachteil verändern, er ist angewiesen auf lebensförderliche Natur­zustände auf diesem Globus und er muß einen „Eigenwert“ der Natur und der Erde (Pach­amama) achten.

„Wir werden bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht - sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsere ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“ (MEW 20/453)

Dass derartige Kriterien im Kapitalismus allenfalls als moralische Appelle auf der individuellen Ebene und, wenn überhaupt, dann nur vereinzelt und nicht systematisch wirksam werden können, ist aufgrund der kapitalistischen Verwertungslogik, der Eigentums­ver­hältnisse und der grundsätzlich falschen Bestimmung des kapitalistischen Mensch-Natur-Verhältnisses zu erklären.

Diesen Punkt sollten Marxisten immer wieder in den diversen Bewegungen (Anti-AKW, Umweltbewegungen) betonen. Auf der anderen Seite aber auch betonen, dass eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse einer Gesellschaft nicht automatisch auch die Entwicklung der Produktivkräfte im hier geschilderten Sinn in eine vernünftigere Richtung lenkt, sondern dass dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleibt, an der sich die Mehrheit der Bevölkerung partizipativ und demokratisch kontrollierend beteiligen muss.

Das Ziel Sozialismus muss durch die beiden Pole definiert sein, zum einen die Befreiung des Menschen, zum anderen aber auch eine vernünftige Regelung des Stoff­wechsels zwischen Mensch und Natur, in dem Sinn, wie es Marx im Kapital wunderbar wie folgt beschrieben hat:

„Vom Standpunkt einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privat­eigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Pri­vateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesell­schaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen“ (MEW 25/784).