Ein Coup zur Lösung der Euro-Krise

Es ist ganz ähnlich wie vor drei Jahren. Das sagen die Banker (z. B. der allseits bekannte und populäre Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann), das sagen die Börsenhändler, Fonds-Manager und Spekulanten, und das sagen die politischen Kommentatoren. Hier handelt es sich um drei Berufsgruppen, denen man normalerweise am allerwenigsten Glau­ben schenken sollte. Erst recht dann nicht, wenn sie, wie in diesem Fall einer Meinung sind. Doch sie haben in diesem seltenen Fall Recht. Die globale Finanzkrise nähert sich gerade wieder einer Bruchstelle. Die Lage ist tatsächlich ähnlich wie im September 2008, als der internationale Finanzmarkt wackelte, als die Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach, als die damals größte Ver­siche­rungs­gesellschaft der Welt  AIG vom US-Fi­nanz­ministerium gestützt werden musste und als in Deutschland der Finanzminister, ein gewisser Peer Steinbrück, dazu verleitet wur­de, in die Rettung einer unbedeutenden Münchner Privatbank namens „Hypo Real Estate (HRE)“ mal eben 100 Mrd. Euro an Staatsknete zu stopfen.

Ein Grund, weshalb man den Bankern, Spekulanten und Journalisten glauben sollte, ist das Gerede der Politiker. Sie versichern uns, dass es keine Rezession geben wird. Im September 2008 waren sich der bereits erwähnte Steinbrück, der damalige Präsident der Bundesbank Axel Weber und natürlich auch Jean-Claude Trichet, der Chef der Europäischen Zentralbank EZB, darin einig, dass von einer Rezession in Deutschland und Europa keine Rede sein könne. Analytisch gekonnt platzierte Steinbrück damals alles Krisenhafte in die USA. Heute reden die Kanzlerin, der jetzige Bundesbankpräsident und ehemalige Kanzlerin-Berater Jens Weid­mann, sowie der bald ausscheidende Trichet die kommende Rezession schön und schön klein. Wir können also annehmen, dass sie, die eigentlich der zweite Absturz in der aktuellen Weltwirtschaftskrise genannt werden muss, ganz schön hässlich sein wird.

Man kann es auch anders ausdrücken. Das Zwischenhoch, das insbesondere der deutsch­­en Exportindustrie unerwartet satte Ge­winne beschert hatte, geht zu Ende. Dieses konjunkturelle Zwischenhoch war getragen worden von den expansiven Staats­haushalten in allen möglichen Gegenden der Welt. Die Regierun­gen gehen dazu über, manche freiwillig, andere gezwungen, ihre Ausgaben einzuschränken und ihre laufende Nettoverschuldung zu senken. In den USA ist das Ende der expansiven Steuerpolitik Anfang August durch einen so genannten Kompromiss zwischen der Re­gierung Oba­ma und den noch reaktionäreren Republi­kanern beschlossen worden. Unge­stützt von staatlichen Zusatzausgaben rutscht die US-Kon­junktur ab. Da dieses Land die mit Abstand größte Volkswirtschaft der Erde darstellt, gehen damit auch die relativ freundlichen anderthalb Jahre in Europa zu Ende.

Deshalb rechnen Banker und Spekulanten damit, dass sich die Krise des Euro weiter zu­spitzt. Die politischen Kommentatoren sehen den Zerfall der Disziplin und Zu­versicht im politischen Milieu. Die Uneinigkeit bei den Unternehmerverbänden und den Hauptpar­teien des Kapitals lässt die Kommentatoren Unheil wittern. Tatsächlich ist die Krise des Euro, des europäischen Finanzsektors und der Staatsfinanzen in diesem Sommer in neue Dimensionen gewachsen.  Abzulesen ist das an der rasanter werdenden Folge der Krisen­sitzungen der Regierungschefs, Finanzmi­nis­ter, Notenbanker und EU-Kommissare in Brüssel, an den länger werdenden Sitzungen, an den steigenden Marktzinsen für die Schul­denpapiere von immer mehr Euroländern, schließ­lich sogar an den Aktienkursen. Ein paar Tage nach jener Brüsseler Konferenz am 21. Juli, die einige Beschlüsse  gegen die vorher öffentlich bezogene Position der Bun­desregierung fasste, sackten die Kurse auf brei­­ter Front nach unten. Man muss den Kurs­schwankungen an den Börsen keine über­triebene Bedeutung beimessen. Als Indikator für Profiterwartungen sind sie tauglich. Die aktuellen und potenziellen Aktienbesitzer machten sich plötzlich akute Sorgen um die Gewinne – zunächst der Banken, dann aber natürlich auch der Unternehmen der Real­wirtschaft.  Sie machen sich Sorgen, dass Ban­ken Pleite gehen und Staaten. Sie haben Grund zur Sorge.

In aller Kürze soll hier noch einmal dargestellt werden, warum die wachsende Staats­verschuldung gerade in Europa zu einem solchen Problem geworden ist.

 

Die billige Währungsunion

Die Währungsunion ist ein Produkt des euro­päischen Kapitals. Sie hat, allgemein gesprochen,  den Zweck, die Profitabilität der in Eu­ropa siedelnden Kapitale zu erhöhen. Sie ist auch eine Abwehrmaßnahme gegen die Übermacht der USA und des Dollars. Der Vorteil eines großen Währungsraumes besteht darin, dass die beteiligten Volkswirtschaften sich weitgehend den irrationalen Bewegungen der Finanzmärkte, speziell des Devisenmarktes entziehen können. Die Kapitalisten aus In­dustrie und Handel können innerhalb des Währungsraumes ihre Waren verkaufen, ohne fürchten zu müssen, wegen des Kursverfalls in einem anderen Land plötzlich viel weniger zu erlösen oder dort gar nicht mehr verkaufen zu können. Das Gebiet, wo der Euro als Wäh­rung gilt, ist wie ein großer nationaler Binnen­markt.

Ein großer Währungsraum bietet ein weiteren Vorteil. Die Kapitalisten und ihr Staat können sich einfacher und billiger selbst finanzieren. Diese Finanzierung ist weniger abhängig von den irrationalen Bewegungen der Finanzmärkte. Ein großer Währungsraum kann sich notfalls auch vom internationalen Kapitalmarkt abkoppeln. Die Europäische Währungsunion wurde also nicht geschaffen, um den Frieden in Europa zu sichern, ebenso wenig auch, um Frankreich einen Gefallen zu tun, sondern um handfester ökonomischer Vorteile willen.

Indem eine Währungsunion dem Zweck der Schaffung eines gemeinsamen, offenen Marktes dient, reißt sie Handelsschranken ein. Hinter eigenen, eventuell immer mal wieder abgewerteten Währungsschranken konnten, ähnlich wie mit Zöllen zuvor auch, schwache Kapitalisten einen jeweils heimischen Markt vor der Konkurrenz starker Ausländer schützen. In einer Währungsunion gilt unmittelbarer das kapitalistische Gesetz, wonach die Starken immer stärker und die Schwachen immer schwächer werden und untergehen. Die Währungsunion dient also insbesondere dem starken Kapital in Europa. Es ist von ganz besonderem Nutzen aber für exportorientierte Kapitalisten. Diese finden sich besonders häufig in Deutschland.

Das Gesetz, wonach in einem offenen Markt mit gemeinsamer Währung die Schwa­chen schwächer werden und schließlich untergehen, wird in der üblichen kapitalistischen Realität durch die Existenz des Staates abgeschwächt, dessen Hoheitsgebiet in der Regel mit dem Währungsgebiet zusammenfällt.  Es finden innerhalb eines funktionierenden kapitalistischen Staates Transfer­leis­tun­gen verschiedener Art statt. Deren wichtigste sind eine einheitliche, möglichst progressive Be­steuerung und einheitliche Sozialsysteme. Dazu kommen staatliche Investitionen oder Investitionszuschüsse, die Verteilung des Be­am­tenapparats in der vernachlässigten Pro­vinz, Steuervergünstigungen im Zonenrand­gebiet, Notopfer Berlin oder ähnliche Dinge. Ohne staatliche Transferleistungen würden die ärmeren Regionen noch stärker ausbluten, als das ohnehin der Fall ist. Anders ausgedrückt, eine Währungsunion kostet auch die Starken etwas, soll sie denn bestehen bleiben.

Die deutschen Kapitalisten und ihre Re­gierung wollten eine möglichst billige Wäh­rungs­union.  Sie wollten eine Währungsunion, in der die eigentlich erforderlichen quasi-staat­lichen Transferleistungen nicht vorgesehen waren.  Mit dem Vertrag von Maastricht ge­lang es 1992 der Regierung Kohl eine solche Wäh­rungsunion durchzusetzen. Es wurde nur eine zusätzliche europäische Institution vorgesehen, die Europäische Zentralbank (EZ­B), die wie in Deutschland zuvor die Bundes­bank, von politischen Weisungen der Parla­mente und Regie­rungen völlig freigestellt wurde. Die Wirt­schaftspolitik im Gebiet der Währungs­union sollte sich demnach auf die von dieser EZB betriebenen Geldpolitik re­duzieren. Ist dies schon verrückt, so setzten Kanzler Kohl, sein Finanzminister Theo Wai­gel und Bun­des­bank­präsident Hans Tiet­meyer kurz vor Inkraft­reten der Währungs­union jenen Stabi­litäts- und Wachstumspakt durch, der den Euro-Staaten das Ausmaß zulässiger Ver­schuldung vorschrieb. Damit sollte Trans­fer­leistungen vorgebeugt werden. Besonders hoch verschuldete Staaten sollten im Ge­genteil ihrerseits mit Strafzahlungen an die Brüsseler Gemeinschaft­skasse zusätzlich belastet werden. Mögliche Leistungs- oder Han­dels­bilanzungleichge­wichte zwischen den Eu­ro-Ländern und wie mit ihnen zu verfahren sein würde, wurden in diesem Pakt nicht er­wähnt.

 

Sinkende Zinsen im Süden

Der wichtigste Anreiz für Schwachwährungs­länder, am Euro teilzunehmen, waren die massiv verbesserten Finanzierungsbedin­gun­gen. Italien, Spanien, Portugal und Griechen­land mussten, um ihre Industrien zu schützen, immer mal wieder die Lira, die Pesete, den Escudo oder die Drachme abwerten. Wenn Kapitalisten in diesen Ländern investierten, egal ob in Bankaktien, einer Schuhfabrik oder in Staatsanleihen, mussten sie damit rechnen, dass eine Abwertung am nächsten Wochen­ende oder auch erst in zwei Jahren, den Wert des Investments für sie um 5, 10 oder auch 15 Pro­zent verringern würde. Um diesen potenziellen Verlust, das so genannte Währungsrisiko auszugleichen, verlangten sie einen Risikoauf­schlag. Die Bankaktie und die Schuhfabrik waren in diesen Ländern entsprechend billiger als in Hartwährungs­län­dern, und die Staatsanleihen boten deutlich höhere Ren­diten.

Schon als sich abzeichnete, dass diese Hochzinsländer an der Währungsunion teilnehmen würden, setzte die Spekulation ein. Weil das Währungsrisiko der Abwertung verschwunden war, ging das Zinsniveau dramatisch zurück. Spekulationskapital strömte in diese Länder. Im Vorfeld der Währungsunion und in ihren ersten Jahren erlebten die Süd­länder des Euro einen durch die Kapital­zu­fuhr angeregten Boom. Das Wirtschafts­wachstum war in Spanien und Griechenland deutlich höher als in der übrigen EU. Auch Portugal und Italien wuchsen stärker als Frankreich oder gar Deutschland. Zugleich stiegen die Preise für Immobilien, Aktien, War­en des täglichen Bedarfs und auch für die Ware Arbeitskraft.

Während also der Süden der Eurozone einen durch Kapitalzufluss angeregten Wirt­schaftsboom erlebte, ging das Kapital in Deutschland, wie wir aus eigener leidvoller Erfahrung wissen, nach dem Platzen der Internetaktienblase unter der Regierung Schröder auf verschärften Restriktionskurs, Lohnsenkung und Abbau von Sozialleis­tun­gen. Die durch die deutsche Einheit und einen etwas zu hohen DM/Euro-Umtauschkurs vorübergehend schwächer gewordenen Ver­wer­tungsbedingungen des deutschen Kapitals erholten sich dramatisch.  Seine Wettbewer­bs­fähigkeit, wie die Kapitalisten das selber gern nennen, stieg im Vergleich zur Konkurrenz im Ausland steil an. Die Profite sprangen nach oben. Der Exportüberschuss führte zu einer dramatisch steigenden positiven Leistungs­bi­lanz. Entsprechend stieg die Kapitalausfuhr. Das Kapital floss keineswegs überwiegend in die boomenden Südeuroländer sondern vielmehr in Subprime Kredite und Collateralized Debt Obligations in den USA. Per Saldo aber finanzierte der deutsche Kapitalexport zu einem Gutteil die steigenden Import­über­schüsse in den Südländern und die gleichzeitig damit wachsende Verschuldung der Privaten, aber auch des Staates. 

Die Finanzkrise ändert manches

 

Vermutlich wäre alles unter den Bedingungen des weltweiten Finanzbooms noch ein paar Jahre so weiter gelaufen, hätte nicht im Som­mer 2007 die große Finanzkrise eingesetzt. Durch sie wandelte sich der weltweit herrschende Überfluss an Anlage suchendem Ka­pital in Kapital- und Liquiditätsmangel. Die für das Funktionieren des Kapitalismus zu­ständigen Staaten  brachten gegen die ab­sack­ende Nachfrage große Konjunktur­pro­gramme in Stellung, sie stützten mit Hunderten Milliarden Dollar, Euro, Pfund, Franken ihre Banken. Ihre Notenbanken pumpten Geld ins Finanzsystem. Die riesige aufgeblähte private Verschuldung wurde auf die Staaten überschrieben oder überwälzt. So ist es kein Wun­der, dass die Bereitschaft der Kapitali­s­ten nachließ, den schwächeren unter diesen Staa­ten Kredit unter den günstigen Konditionen wie bisher zu geben. Im Herbst 2009 machte die neu gewählte griechische Regierung Pa­pandreou den üblichen Kassensturz und stellte – welch große Überraschung! – fest, dass die Vorgänger geschummelt hatten. Die Zinsen des griechischen Staates stiegen steil an. Bei hohen Zinsen,  einer stark defizitären Leistungsbilanz und in der Wirtschaftskrise noch geringer werdenden  Steuereinnahmen war abzusehen, dass der griechische Staat seine fälligen Zins- und Tilgungszahlungen nicht würde leisten können. Ohne Hilfe von außen zeichnete sich seine Pleite ab. Da die anderen Euro-Länder und die EU vor allem auf Betreiben der deutschen Regierung es im ersten Anlauf ablehnten, Griechenland zu unterstützen, nahm somit die weltweite Fi­nanzkrise die Form der Euro-Krise an.

Wie kommt es, dass das Problem eines kleinen Landes von nicht einmal zwölf Millionen Einwohnern die Währungsunion gefährdet? Die Antwort lautet, weil es keinen Anspruch auf Finanzhilfe der größeren Partnerländer hat, weil im Gegenteil gemäß dem neoliberalen Credo der Euro-Verträge jedes Land für seine Schuldenfinanzierung es mit den Ka­pi­talmärkten allein  aufnehmen muss, und die reicheren Länder bessere Konditionen er­halten als die ärmeren. Wenn allerdings Griechenland pleite ginge, kann das Anlage su­chende Kapital sicher sein, dass auch im nächsten Fall, sei es Irland, Portugal, Italien oder gar Frankreich keine Hilfeleistungen der Partnerländer erfolgen würden. Das wurde an den Märkten auch durchgespielt. Danach be­griff selbst die Kanzlerin, dass mit Zwangs­maß­nahmen gegen Griechenland allein der Euro nicht zu retten war. Die Berliner Regierung war im Mai 2010 endlich bereit, einer Beistandslösung für Griechenland zuzustimmen. Als sich ein Jahr später herausstellte, dass der Beistand nicht reichte, war Berlin sogar bereit, die Zinsen für die geleisteten Zwischenkredite an Griechenland um zwei Prozentpunkte auf faire 3,5 Prozent zu senken. Ganz gegen die früher aufgestellten Grundsätze stimmte die Bundesregierung in der Eurokonferenz vom 21. Juli auch dem Vorhaben zu, dass der Rettungsfonds EFSF die Staatsanleihen der Euroländer kaufen und so deren Preis stützen sollte. Bis der Fonds aktiv wurde, wurde die EZB gebeten, diese Staatsanleihen zu kaufen.

Alle diese Maßnahmen ändern an der finanzpolitischen Fehlkonstruktion des Euro nichts. Sie dienen bisher vorwiegend dem Zweck, den Banken und Versicherungen der Kernländer des Euro die Verluste eines Staats­­konkurses oder Schuldenschnitts zu ersparen.  Sie verschieben bisher lediglich den Zeitpunkt, zu dem eine freiwillige oder er­zwungene Staatspleite eines oder mehrere Mitglieder dazu zwingt, den Euro als Wäh­rung aufzugeben und sich wieder hinter den Schutzwall einer eigenen niedrigen Währung zu begeben.

Das eigentliche Problem der Währungs­union, die immer größer werdende Ungleich­heit der Entwicklung im einheitlichen Wäh­rungsgebiet, bleibt ungelöst. Es wird nicht einmal versucht, dieses Problem zu lösen. Ledig­lich der von Frankreich immer mal wieder vorgetragene Wunsch nach einer abgestimmten europäischen Wirtschaftspolitik wurde von Berlin akzeptiert. Die deutsche Seite versteht darunter die weitere Einschränkung der Staatsausgaben und verlangt, dass die anderen Euro-Länder nach deutschem Vorbild eine Schuldenbremse in ihre Verfassungen aufnehmen. Dieses Spardiktat kann nicht funktionieren. Vielmehr wird das Euro-Gebiet auf diese Weise nur schneller in die Rezession, Teil II abgleiten.

Die Vorteile eines großen Währungs­raumes sind somit verspielt. Für das deutsche Kapital wird dieser große Binnenmarkt als Absatzgebiet wenig attraktiv, wenn die zahlungskräftige Nachfrage ausbleibt. Der Zins­vorteil der Peripherieländer ist schon seit Beginn der Finanzkrise aufgebraucht. Sie sind nun von hohen Schulden und einer zu hoch bewerteten Währung behindert. Für sie ist der Staatskonkurs und der Austritt aus der Währungsunion eine kurzfristig sehr schmerzhafte, aber wahrscheinlich bessere Strategie, als sich wie bisher den Zumutungen der Gläu­biger, der EZB und der deutschen Re­gie­rungen zu unterwerfen.

Das Auseinanderbrechen der Währungs­uni­on ist mittlerweile also durchaus wahrscheinlich. Es wäre aber für die Bürger der Euro-Kernländer ein Desaster mit deutlich schlimmeren Auswirkungen auf Produktion, Beschäftigung, soziale Sicherungssysteme, Staatsfinanzen und Wohlstand als die jüngste scharfe Rezession von 2008/09. Der Euro ist nicht erhaltenswert, weil er als imperialistisches Projekt so wertvoll ist, sondern weil die Auflösung der Währungsunion noch tiefer in die Wirtschaftskrise hereinführt.

 

Jenseits der „kolonialen Lösung“

Will man die Währungsunion erhalten, müssen die grundsätzlichen Mängel der Euro-Konstruktion beseitigt werden. Dabei haben die zahlreichen Europa-Fans auf der Rechten und der Linken im Grundsatz Recht, wenn sie sagen, nur durch einen höheren Grad der staatlichen Integration kann die Währungs­union und der von ihr konstituierte Binnen­markt überleben. Wenn diese Integration aller­dings so aussieht, wie sie von den real existierenden Regierungen bisher betrieben, meist verzögert und nun in der Krise plötzlich forciert werden soll, dann wäre es in der Tat bes­ser, auf den Euro zu verzichten. Diese Integration sieht nach dem Wunsch der deutschen Regierung und ihrem Kapital wie ein Diktat aus. Mein Kommentar-Kollege bei der   Financial Times Deutschland Wolfgang Münch­au hat dieses Modell treffend die „ko­loniale Lösung“ genannt. Die Linke (ziem­­lich aller Organisationen) besteht dagegen zu Recht darauf, dass diese europäische Inte­gra­tion zugleich eine Umkehr der bisherigen Wirt­schaftspolitik in zweierlei Hinsicht beinhalten muss. Erstens, es müssen systematisch die schwächeren Länder Transfer­leis­tungen von den stärkeren erhalten. Zweitens müssen die Exportüberschussländer, insbesondere Deutschland Löhne, Renten, Sozial­leistungen und öffentliche Ausgaben erhöhen, um so ihren Binnenmarkt stärken.

Selbst wenn diese Forderungen in die Planung der Regierenden einfließen würden, würde ihre positive Wirkung erst nach geraumer Zeit wirksam. Es bietet sich daher ein Coup an, den man den Damen und Herren Staatslenkern vorschlagen sollte, um ihrer Politik von vornherein den richtigen Drall zu geben.  Angesichts des Ausmaßes der Staats­schuldenkrise ist zugleich die Gelegenheit günstig, die Politik aus der Umklammerung durch die Finanzmärkte zu befreien. Aus­gangs­punkt könnte eine Umschuldung aller Staaten im Euro-Raum sein.  Dabei würden alle bestehenden Schulden in neue Papiere mit einem Abschlag auf den Nennwert umgetauscht. Die Höhe des Abschlags ist weniger wichtig. Essenziell dagegen ist es, in Papiere mit gleichen Konditionen zu tauschen, deren Bedingungen nicht am Markt gefunden, sondern diktiert werden.  Angemessen wären Zinssätze, die ab zwei Jahren Laufzeit etwas über der aktuellen Inflationsrate liegen. Über diese Standard-Bonds würden die Euro-Staaten auch künftig eventuell auftretende Defizite finanzieren. Die zu bedienenden Schulden der Einzelstaaten blieben damit un­terschiedlich hoch, die Zinsen dagegen wären gleich. Wie schon jetzt implizit, gälte dann ex­plizit eine Garantie aller Euro-Staaten für die Schulden jedes Einzelstaates.

Das klingt gemessen an den heutigen Zuständen wie ziemlich radikales Vorgehen, ist aber in der Geschichte des Kapitalismus nicht neu. Es hätte erhebliche, im Ganzen po­sitive Konsequenzen. Das Finanzsystem verlöre auf Dauer eine seiner wichtigsten Finan­zierungsquellen. Banken und Versicherungen müssten nach politischen Kriterien selektiv gestützt werden. Finanzierungslücken müssten durch Sondersteuern auf hohe Vermögen geschlossen werden. Theoretisch ist es machbar. Denn ein großer Währungsraum kann sich gut selbst finanzieren. Die Anleger oder Rentiers haben wenig Möglichkeiten, in andere Währungen auszuweichen. Ihre Entmach­tung ist möglich und nötig.