Linke BuchhändlerInnen vor Gericht

Im Frühjahr dieses Jahres musste sich ein Buchhändler vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten wegen der Verbreitung der linken Szenezeitschrift „Interim“ verantworten. Die Anklage lautete, öffentlich zu Straftaten angeleitet, § 130a Strafgesetzbuch (StGB), und gegen das Waffengesetz verstoßen zu haben, § 40 Waffengesetz (WaffenG).

Den Hintergrund dieses fragwürdigen Prozesses bilden eine Reihe von Ermittlungsverfahren gegen drei Berliner Buchhandlungen und Infoläden, von denen manche allein im vergangenen Jahr sieben Mal von Polizeirazzien und Beschlagnahmungen betroffen waren. Zuletzt hatten BeamtInnen des Berliner Landeskriminalamtes die Läden Schwarze Risse, oh21 und M99 am 22. Dezember 2010 mitten im Weihnachtsgeschäft durchsucht. Auch andere Projekte linker Gegenöffentlichkeit wie ein Berliner Antifa-Laden, mehrere Internet-Provider sowie ein autonomer Veranstaltungsort in München standen 2010 im Visier des Staatsschutzes.[1] Gefahndet wurde nach einzelnen Flugblättern und Broschüren, vor allem aber nach der Publikation „Interim“. Die Polizei beschlagnahmte in den Berliner Buchläden nebst Computern und anderen Geschäftsunterlagen mehrere Interim-Exemplare, in denen u.a. eine Anleitung zum Bau eines Molotow-Cocktails und ein Bekennerschreiben zu einem zerstörten Geldautomaten veröffentlicht waren.

Bislang sind diverse Ermittlungsverfahren gegen die unbekannten und wechselnden HerausgeberInnen der Zeitschrift, die sich als ein Diskussionsforum für linksradikale Theorie und Praxis versteht, im Sande verlaufen. Bis vor kurzem konnte die „Interim“, von der seit 1988 mehr als 700 Ausgaben erschienen sind, legal in Kneipen und Buchläden ausgelegt und gegen eine Spende erworben werden. Die BetreiberInnen dieser Läden wurden nicht belangt und auch nicht dazu aufgefordert, die Verteilung zu unterbinden. Inzwischen fand anscheinend jedoch ein Umdenken in den Sicherheitsbehörden statt, das auf einen erhöhten politischen Handlungsdruck schließen lässt und im Kontext des zunehmenden repressiven Klimas gegen Links zu betrachten ist. Gerade in Berlin scheint die rot-rote Regierung besonders unter Druck zu stehen, bei der Strafverfolgung von als links motiviert eingeschätzten GewalttäterInnen und Szenen endlich Erfolge vorzuweisen. Dementsprechend verfolgen Polizei und Justiz nun innovative Wege: In den Anklagen der Berliner Staatsanwaltschaft wurde den beschuldigten GeschäftsführerInnen der Buchläden zur Last gelegt, im Wissen um die strafbaren Inhalte – ja sogar in Übereinstimmung mit diesen – die beanstandeten Zeitschriften und Broschüren „griffbereit“ in ihren Räumlichkeiten einem „nicht eingegrenzten Kundenkreis“ zur Verfügung gestellt zu haben. Dies hat eine neue Qualität, da von den BuchhändlerInnen nun indirekt verlangt wurde, sich wie vorgeschaltete Zensurinstanzen staatlicher Behörden zu verhalten und alle bei ihnen ausliegenden Schriften dahingehend zu überprüfen, ob diese eventuell juristisch verfolgbare Äußerungen beinhalten, oder – wenn sie dies nicht tun – als Befürworter von Gewalt dazustehen und ein Strafverfahren zu riskieren. KioskbetreiberInnen, die die „Junge Freiheit“, Militärzeitschriften, Porno- oder dubiose Waffenmagazine vertreiben, in denen regelmäßig direkt oder indirekt zu Gewalt gegen Menschen aufgerufen wird, wird dies – soweit bekannt ist – nicht zugemutet.

Vorverlagerung und Ausweitung der Strafverfolgung

In den juristischen Verfahren, die zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags noch nicht alle abgeschlossen waren, steht nicht nur für die betroffenen Buch- und Infoläden und deren GeschäftsführerInnen einiges auf dem Spiel. Folgen die RichterInnen der Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass diese für die Inhalte der bei ihnen ausgelegten Publikationen haftbar gemacht werden können, berührt dies – nicht zuletzt aufgrund der drohenden Geld- und Haftstrafen – deren bereits jetzt äußerst prekäre Existenz. Verurteilungen würden zudem Tür und Tor für eine Welle weiterer strafrechtlicher Ermittlungen öffnen, mit denen die staatliche Kriminalisierung und die Einschüchterung nicht nur von linksradikalen Strukturen und Diskussionen vorangetrieben werden kann. Denn, darauf weist ein Solidaritätsaufruf mit den angeklagten BuchhändlerInnen hin, den mehr als 1200 Personen und Organisationen unterzeichnet haben: Welcher Text, welches Flugblatt jeweils als Aufforderung oder Anleitung zu Straftaten gewertet wird, ist nicht zuletzt eine Frage der politischen Opportunität:

„Ab wann gilt ein Zitat von Kurt Tucholsky als Volksverhetzung, ein Essay von Walter Benjamin als Verstoß gegen das Werbeverbot von Betäubungsmitteln, ein Roman von Elfriede Jelinek als die Menschenwürde verletzende Gewaltdarstellung? […] Macht sich jemand strafbar, der dazu aufruft, einen Nazi-Aufmarsch zu blockieren? Gegen einen Castor-Transport zu demonstrieren? Einen Bauplatz zu besetzen, um ein Projekt wie Stuttgart 21 zu verhindern? Geht es nach der Berliner Staatsanwaltschaft, sollen nicht nur Widerstandsformen der außerparlamentarischen Opposition zu Straftaten erklärt werden, sondern auch das Zugänglichmachen von Flugblätter und Zeitschriften, die dazu auffordern.“[2]

Auch ein Blick zurück in die Geschichte ist in diesem Zusammenhang interessant, wie Oliver Tolmein im Infobrief des Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsvereins deutlich macht. Mit Bezugnahme auf den „Leipziger Kommentar“, die umfassendste Darstellung des deutschen Strafrechts, zeigt er die besondere Geschichte des § 130a StGB (Anleitung zu Straftaten) auf. Anlass des im Jahr 1871 in das Reichsstrafgesetzbuch eingefügten Paragraphen sei der beginnende Kulturkampf der Reichsregierung gegen den politischen Katholizismus gewesen. Demnach richtete sich der „Kanzelparagraph“ insbesondere gegen katholische Geistliche und stellte unter Strafe, „wer Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung machte“. [3] 1981 wurde § 130a StGB mit der Begründung, er gefährde die Meinungsfreiheit, vorübergehend aus dem deutschen Strafgesetzbuch verbannt, nur um ihn wenige Jahre später in einer erweiterten Fassung wieder einzuführen. Inzwischen möchte Innenminister de Maizière auch die „Sympathiewerbung für eine terroristische Vereinigung“, öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften, wieder zum Teil des politischen Strafrechts machen. 2004 hatten die Grünen in der Bundesregierung für eine diesbezügliche Entschärfung gesorgt.

Tatsächliche Verurteilungen wegen „Anleitung zu Straftaten“ nach § 130a StGB waren in der Vergangenheit jedoch eher selten. Als z.B. Ende der 1980er Jahre – ähnlich wie heute – ein Buchhändler wegen des Vertriebs der inkriminierten Zeitschrift „radikal“ in Berlin angeklagt war, sprach ihn das Kammergericht, die oberste richterliche Instanz in Berlin, frei. Die Urteilsbegründung lautete: „Im Normalfall könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Inhaber eines Buch- und Zeitschriftenhandels alle in seinem Geschäft feilgebotenen Druckerzeugnisse vor dem Verkauf liest und auf einen etwaigen strafbaren Inhalt überprüft oder überprüfen lässt; dies dürfte schon aus zeitlichen Gründen in der Regel gar nicht möglich sein (hier: Vertrieb der linksextremistischen Druckschrift „radikal“ Nr. 132).“[4] Offensichtlich hat sich die Berliner Staatsanwaltschaft vorgenommen, diese Rechtsprechung, die auch für juristische Laien überaus klar und logisch klingt, zu revidieren und mit den eingeleiteten Verfahren ein Exempel zu statuieren. Vielleicht setzte sie auch darauf, dass der ausgeübte Druck auf die Buchläden und ihre Stigmatisierung als „Zentralen linksextremistischer Gewaltpropaganda“, was von einigen Medien und JournalistInnen dankbar aufgenommen und kolportiert wurde[5], zu Unruhe und zu weiteren Spaltungen innerhalb der linken Bewegung führen würde. Bislang ist ihr dies jedoch nicht gelungen.

Linke Buchhandlungen sind Teil demokratischer Gegenöffentlichkeit

Unabhängig davon, wie man zu den in der linksautonomen Szene geführten Debatten, dem Jargon und den Inhalten einzelner Flugblätter stehen mag, es gibt viele Gründe, die für eine Verteidigung der angeklagten Läden gegen die aktuellen staatlichen Angriffe sprechen. Linke Buch- und Infoläden sind wichtiger Teil einer demokratischen Gegenöffentlichkeit. Sie vertreiben nicht nur viele kluge und spannende Bücher kleiner und wenig bekannter Verlage, die in großen Kaufhäusern und Ketten kaum eine Chance hätten. So berichtete die ZeitungFrankfurter Rundschau“ vor kurzem über Vorwürfe von MitarbeiterInnen des Konzerns Hugendubel. Dieser habe aufgrund der Zusammenarbeit mit dem Weltbild-Verlag der katholischen Kirche gezielt schwul-lesbische Titel, aber auch kirchenkritische und kommunistische Texte aus seinem Online-Shop genommen.[6] Linke Buch- und Infoläden sind auch Orte kritischer Auseinandersetzung, an denen z.B. junge Leute etwas über Geschichte, Motive, aber auch das Scheitern und die Irrwege kommunistischer Bewegungen und Parteien erfahren und offen darüber diskutieren können. Aber auch in ganz praktischer Hinsicht haben sie weiterhin eine Bedeutung für ganz unterschiedliche soziale Bewegungen: „Die linken Buch- und Infoläden sind ein wichtiger Teil unserer Infrastruktur. Wir finden dort Rat, wenn wir Literatur für unsere politische Arbeit suchen. Sie bieten uns einen Raum, ins Gespräch zu kommen und uns zu vernetzen. Sie helfen uns, unsere Positionen auch jenseits kommerzieller Verlagsstrukturen und Zensur zu verbreiten. Kurz: Wir möchten sie nicht missen“.[7]

Der erste Gerichtsprozess gegen den Geschäftsführer des Ladens oh21 endete am 8. März 2011 mit einer Einstellung. Was dies für die anderen Verfahren bedeutet, bleibt abzuwarten.

 

Sandra Buchholz ist Sprecherin der Initiative unzensiert-lesen.



[1]              Vgl.: http://unzensiert-lesen.de (Stand aller Links: 11.03.2011).

[2]              Vgl.: http://unzensiert-lesen.de/cgi-bin/showwebsite.pl?d=../soli-aufruf.shtml.

[3]              Vgl.: http://www.rav.de.

[4]              Kammergricht Berlin, Az.: (2) 2 OJs 9/86 (3/87).

[5]              Vgl.: http://unzensiert-lesen.de/presseschau/indexpresse.shtml.

[6]              Vgl. Bastian Reinert, Frankfurter Rundschau v. 25.01.2011, http://www.fr-online.de/kultur/debatte/ausgefiltert/-/1473340/6826004/-/index.html.

[7]              Auszug aus dem Aufruf „Finger weg von unseren Läden“, den inzwischen über 70 politische Initiativen, Verlage und Projekte unterzeichnet haben. Vgl. http://unzensiert-lesen.de/finger-weg.shtml.