»Kampf um das Stadion« – »Neoliberaler« Fußball und die extreme Rechte

in: Das Argument 294 (5/2011)

Im September 2009 sorgte der Pressesprecher der NPD, Klaus Beier, mit seiner Polemik gegen den türkischstämmigen Fußball-Nationalspieler Mesut Özil für Aufsehen: »Gut, es ist ein Plaste-Deutscher, sprich ein Ausweis-Deutscher und ein Deutscher entsprechend wie Herr Klose« (Spiegel-Online, 2009). Beier forderte die Wiedereinführung des abstammungsbasierten Preußischen Staatsbürgerschaftsrechts von 1913 und beantwortete die Frage, ob Özil in einem NPD-regierten Deutschland spielen dürfe, knapp: »Wenn er entsprechend deutscher Abstammung wäre, wenn die Eltern, ein Elternteil deutsch ist, dann könnte er spielen« (ebd.). Beier agierte als Wiederholungstäter. Schon im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland – unter dem Motto: »Die Welt zu Gast bei Freunden« – sorgte die NPD mit einem geplanten WM-Kalender für Aufsehen. In diesem geriet der afro-deutsche Profi Patrick Owomoyela ins Visier der extremen Rechten. Besagter WM-Terminplaner trug den Titel »Weiß. Nicht nur eine Trikotfarbe. Für eine echte NATIONAL-Mannschaft « und illustrierte diese Losung mit dem Konterfei eines weißen Spielers, der die für Owomoyela vorgesehene Trikotnummer 25 trug (vgl. Geisler/Gerster 2009, 190).

Diese Beispiele zeigen Methode. In einem Nachtrag zur 2009 in Schweden ausgetragenen Europameisterschaft der U21-Mannschaften fragte das NPD-Organ Deutsche Stimme angesichts von deutschen Spielernamen wie Boateng, Khedira, Özil oder Castro: »Kann man nach dem Finale der DFB-Elf gegen England, wobei die Briten eine ähnlich konstruierte ›eurasisch-negroide-Zukunfts-Elf‹ im Rennen hatten, wirklich noch von Deutschland als U21-Europameister sprechen? War dieses Turnier tatsächlich noch eine Europa-Meisterschaft oder nicht vielmehr ein ›eurasisch-negroider‹ Sportwettbewerb mit europäischer Restbeteiligung?« (2009, H. 8, 27) Die Interventionen der NPD wirken spektakulär, sind aber keinesfalls ein Novum in der jüngeren Geschichte des deutschen Fußballs, präziser: des deutschen Männerfußballs. In Schlachtgesängen kündigen Fans an, eine »U-Bahn nach Auschwitz « zu bauen, in der die Anhänger der gegnerischen Mannschaft transportiert werden. In Stadien ertönen herabsetzende Rufe und Affenlaute, die sich – wie noch Ende Januar 2009 beim Pokalspiel Schalke 04 vs. Carl Zeiss Jena – beispielsweise gegen den schalker Stürmer und deutschen Nationalspieler Gerald Asamoah richten.

Rassismus wird in den Stadien heute offiziell geahndet. Die Fußballverbände FIFA, DFL und DFB haben mehrfach Kampagnen gegen Gewalt und Rassismus initiiert (vgl. Blaschke 2008). Beispielhaft sind hierfür bundesweite Aktionstage des DFB unter dem Motto »Zeig Rassismus die rote Karte« oder die Schilderaktion »Kein Platz für Rassismus«. DFB-Präsident Zwanziger erhielt 2009 für sein gesellschaftspolitisches Engagement den renommierten Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland. Doch während demokratische Fanproteste sowie die Sanktionierung rassistischer Äußerungen zu einem Rückgang in den Profiligen geführt haben, lässt sich gleichzeitig ein Anstieg entsprechender Vorkommnisse im Amateurfußball verzeichnen (Pilz 2009).[1] Amateurkicker sorgen für Skandale, über die auch überregionale Medien berichten. So verließen die Kicker des TUS Makkabi (ein jüdischer Sportverein mit Sitz in Berlin) im September 2006 während einer Partie gegen die VSG Altglienecke den Platz, nachdem der Schiedsrichter mehrfach antisemitische Beleidigungen aus dem Publikum ignoriert hatte. Dem TUS Makkabi wurde daraufhin vorgeworfen, den Vorfall zur Selbstinszenierung zu nutzen (vgl. Blaschke 2008, 125). Ende Oktober 2009 kam es bei einem Auswärtsspiel der Fußballmannschaft des alternativen Breitensportvereins Roter Stern Leipzig (RSL) bei FSV Brandis zu einem Übergriff von ca. 50 Personen aus dem neonazistischen Spektrum auf Spieler, Fans und Funktionäre des als »links« verfemten RSL. Die Berliner taz berichtet am 26. April 2010 vom Abbruch des Bezirksklassespiels zwischen dem SV Mügeln-Ablaß und dem RSL: »Wie die Polizei mitteilte, beendete der Schiedsrichter das Spiel zehn Minuten vor Schluss, nachdem Neonazis rechte Parolen gerufen und rassistische Lieder gesungen hatten. Die Leipziger teilten mit, es seien Parolen wie ›Ein Baum, ein Strick, ein Judengenick‹ und ›Eine U-Bahn bauen wir, von Jerusalem bis nach Auschwitz‹ gerufen worden«. Auch von homophoben Äußerungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen wegen des Spielabbruchs berichtet die Presse. Die taz zitiert den Stadionsprecher von Mügeln mit den Worten: »Der Rote Stern hat feige gehandelt. Oliver Kahn ist auch mit Bananen beworfen worden und hat nur darüber gelacht« (ebd.). Die Austragungsstätte der Auseinandersetzung ist bezeichnend: Mügeln ist der Ort, in dem im Sommer 2007 ein Mob aus 50 Personen eine Gruppe Inder durch die Stadt jagte. Schon damals war der Bürgermeister von Mügeln um Schadensbegrenzung bemüht, indem er einen rechtsextremen Zusammenhang leugnete. Auch 2010 zitiert ihn die taz mit den Worten: »Solange ich beim Spiel war, habe ich keine Nazi-Sprüche gehört« (Ruf 2010, 19).

Neben der Darstellung der neonazistischen Einflussnahme auf den Fußball soll im Folgenden die Frage nach den Ursachen der gegenwärtigen Strategie der extremen Rechten im Mittelpunkt stehen. Angesichts der kosmopolitischen Realität auf dem Rasen sowie der aus der Kommerzialisierung des Profifußballs resultierenden Auflagen durch FIFA, DFL und DFB zeigt sich gegenwärtig eine signifikante Veränderung: eine Verlagerung der extrem rechten Potenziale unter den Fans in jene Amateurligen, die weniger strikte Auflagen aufweisen und zugleich weniger mediale Aufmerksamkeit erhalten. Offener Rassismus zeigt sich im Fußball in der jetzigen Situation insbesondere dort, wo die Scheinwerfer der Medien nicht ins Publikum strahlen. Die extreme Rechte und ihr Umfeld in den Reihen der Fußballfans geben heute – wie das Beispiel aus der Deutschen Stimme zeigt – eine völkische Antwort auf das Unbehagen an den kosmopolitischen und kommerziellen Veränderungen im »globalisierten« Fußball und versuchen so, an virulente Ressentiments in der Mehrheitsgesellschaft anzuknüpfen.[2] Der Protest der extremen Rechten richtet sich dabei gerade gegen einen »neoliberalen« Fußball, der seit dem sog. Boßmann-Urteil 1995, das die Zusammensetzung der europäischen Fußballmannschaften internationalisierte, nicht nur mit der Deregulierung des internationalen Spielermarktes identifiziert wird. Anstoß nimmt die extreme Rechte gerade an dem liberal-modernistischen Postulat eines »Neoliberalismus«, der für sich progressive Werte, Chancengleichheit und Aufstieg für alle Individuen reklamiert. Die Kapitallogik dieses »postethnischen« Fußballs ist dabei ebenso »farbenblind« wie die Diversity-Richtlinien der Unternehmen im transnationalen High-Tech-Kapitalismus. Zu zeigen ist, wie dieses Postulat in Deutschland in den Stadien des Profifußballs umgesetzt werden soll – und inwieweit nach wie vor Mechanismen existieren, in denen Kategorien wie »Hautfarbe« oder »Herkunft« allen Liberalisierungspostulaten zum Trotz wirkungsmächtig sind.

Varianten des Rassismus

Rassismus gehört zur Geschichte der Bundesliga wie Wettskandale, Dopingverdachtsfälle und Fehlentscheidungen. Anschaulich illustriert die afro-deutsche Spielerlegende Erwin Kostedde die Atmosphäre in der Frühphase der Bundesliga. Er berichtet über das Spiel Kickers Offenbach gegen Eintracht Frankfurt im Jahre 1972, bei dem er das Siegtor zum 3:2 für Offenbach erzielte: »Am Montag darauf musste ich mit meinem Auto zu meiner Fiat-Werkstatt nach Frankfurt: Die haben mich nicht bedient! Nach einer Stunde bin ich abgehauen. Dann das Rückspiel im Waldstadion. Tausende von Frankfurtern sangen: ›Zehn Schwule und ein Nigger!‹« Kostedde formuliert auch eine prägende Erfahrung im Leben sogenannter ›Mischlinge‹ in der deutschen Nachkriegszeit: »Ich habe Dinge erlebt, die kann ich nicht erzählen. Im ›schwarzen‹ Münster war es schon schlimm, wenn Du sonntags in Jeans herumliefst, aber ich trug tagaus, tagein die falsche Hautfarbe« (Kostedde 2009).

Nicht immer war der Rassismus gegenüber den Spielern so deutlich. Noch in den frühen 1990er Jahren war die deutsche Öffentlichkeit im Umgang mit Spielern afrikanischer Herkunft völlig unbeholfen. Legendär ist die Antwort des aus Ghana stammenden frankfurter Stars Anthony Yeboah auf die Feststellung eines Interviewers vom Spiegel, der verwundert feststellte, Yeboah wirke in seinem Reihenhaus mit Schrankwand, BMW und Vorgarten »wie ein deutscher Musterbürger«. Yeboah konterte damals trocken mit den Worten: »Soll ich ein Lagerfeuer im Wohnzimmer machen?« (Yeboah 1992, 248)

Die Beispiele zeigen auch, dass Rassismus in vielfachen Varianten existiert. Wilhelm Heitmeyer schlägt in seinen Studien zur »gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit« folgende Definition vor: »Rassismus umfasst jene Einstellungen und Verhaltensweisen, die Abwertungen auf der Grundlage einer konstruierten ›natürlichen‹ Höherwertigkeit der Eigengruppe vornehmen« (2005, 15). Heitmeyers Definition überzeugt in Hinsicht auf die Kampagne der NPD, deren Kader die rassenbiologische Ideologie des Nazismus tradieren. »Ich kann einem Schwein einen Pferdepass ausstellen, es vier Wochen in einem Pferdestall leben lassen, und trotzdem wird es kein Pferd«, ließ sich ein Funktionär aus Thüringen vernehmen (zit.n. Erb 2009).

Im Gegensatz dazu lässt sich die Frage an Yeboah nicht als rassenbiologische Ideologie der Ungleichheit identifizieren. Der Redakteur muss nicht der Meinung sein, Yeboah könne nicht für die Nationalmannschaft spielen. Er behandelt ihn eher unbedacht als ›Fremden‹. Ihm scheint klar: Mein Gegenüber ist ›nicht wirklich‹ von hier. Sein Alltagsbewusstsein ist Ausdruck der deutschen Verhältnisse. Jahrzehntelang wurde offiziell die Losung »Deutschland ist kein Einwanderungsland« ausgegeben. Reformiert wurde das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht erst 2000. Das deutsche Bewusstsein ist deshalb stark vom ius sanguinis geprägt. Zudem ist das, was Asamoah und z.B. Spieler mit polnischem Migrationshintergrund auf deutschen Fußballplätzen an partieller Ablehnung begegnet, nicht dasselbe: Die gegen ›schwarze‹ Spieler gerichteten Affenlauten sind oftmals Ausdruck rassenbiologisch motivierter Affekte, Miroslav Klose und Lukas Podolski werden dagegen mit kulturalistischen Vorurteilen konfrontiert. In der Verwunderung, Yeboah wohne wie ein Deutscher, wirkt die »Banalität des Rassismus«, von der Mark Terkessidis gesprochen hat. Rassismus wird demnach nicht nur von einer moralisch verwerflichen Ideologie der Ungleichheit gefördert, sondern durch einen »gesellschaftlichen ›Apparat‹, in dem Menschen überhaupt erst zu Fremden gemacht werden« (2010, 88). Dieses Konglomerat aus Sondervorschriften und Vorurteilen fördert das »rassistische Wissen«, wonach Yeboah wie »ein Afrikaner« zu wohnen habe und als deutsch identifiziertes Interieur und Statussymbole den Beobachter eher verblüffen. Im Gegensatz zur Rassenbiologie der NPD sind diese Urteile jedoch leichter wandelbar und können bald von einer gesellschaftlichen Mehrheit als anachronistisch bewertet werden.

Fußball – (k)ein »Spiegel der Gesellschaft«?

Die Zeiten, in denen die gesamte Bundesrepublik dem tiefschwarzen Münster des jungen Erwin Kostedde glich, sind Vergangenheit. Die alleinige Tatsache der Vertragsunterzeichnung bei einem ausländischen Verein ist kein Grund mehr für die Nichtnominierung in der Nationalmannschaft. Eindrucksvoll belegt wurde der »kosmopolitische« Charakter des Profifußballs, als im Jahr 2001 mit Energie Cottbus erstmals eine Erstliga-Mannschaft ohne autochthonen deutschen Spieler den Rasen betrat (Blecking/Dembowski 2010, 31). Das Gleiche gilt für den Kader der Meistermannschaft von Bayern München aus dem Jahre 2005 (mit Lizarasu, Sagnol, Guerrero, Demichelis, Zé Roberto, Salihamidžić, Pizarro, Santa Cruz). Es ist fast schon ein Allgemeinplatz – der deutsche Männerfußball der Gegenwart hat einen kosmopolitischen Charakter und sich ebenso wie das Gesicht der Gesellschaft verändert. Die gegenwärtige Form des Rassismus in den Stadien und auf den Fußballplätzen lässt sich nur verstehen, wenn diese Veränderung in die Analyse einbezogen wird.

Im Protest der extremen Rechten gegen den modernen Profifußball wird ein Affekt sichtbar, der über das vergleichsweise enge Spektrum der Kernklientel in Mitgliedschaft und Wählerschaft – junge Männer aus den ›bildungsfernen deutschen Unterklassen‹ – weit hinaus geht. Institutionen des Weltfußballs wie die FIFA oder UEFA werden mit ähnlichen Verdikten belegt wie die EU-Bürokratie oder supranationale Institutionen. Sie gelten als korrupt, volksfremd, intransparent. Die populistische Rhetorik des »die da oben« vs. »wir hier unten« wird auch hier eingesetzt, die Inszenierung zielt auf die Identifikation der eigenen Proteste mit der vox populi.

Der Breitensport Fußball wird gerne als Seismograph für politische Stimmungen begriffen; Fußballvereine gelten als soziale Phänomene, die wie ein »Parabolspiegel« (Staud 2008, 1) gesellschaftliche Konflikte sichtbar machen und aufweisen, wie Stimmungen vom rechten Rand in die Mitte der Gesellschaft einwirken. In der Tat: Als im Rahmen der Asyldebatte Anfang der 1990er Jahre Politik und Presse über eine sog. »Asylflut« berichteten, ging häufig eine ›La-Ola-Welle‹ mit dem Ruf »Asylanten! Asylanten!« durch das Stadion – vom Stehplatz der Stiefelfaschisten bis zur Sitztribüne kamen politische Stimmungen zum Ausbruch, die sonst bevorzugt an Stammtischen oder heute in Internetforen die Ebene der Latenz verlassen. Doch inwieweit trägt der populäre Topos vom Fußball als »repräsentativem Abbild der Gesellschaft«? Ihn als »Barometer nationaler Befindlichkeit« (Scheuble/Wehner 2006, 29) zu nehmen, verstellt den Blick dafür, dass der transnational agierende Fußball eigene Regeln etabliert hat, die »quer« zu den Praktiken der Nationalgesellschaften stehen können. Moderne Ligavereine agieren wie Großkonzerne. Während Arbeitsmigranten lange auf ihren Pass warten mussten bzw. müssen, ermöglicht der DFB Spielern mit Migrationshintergrund einen privilegierten Zugang zur Staats bürgerschaft.

Dass der Fußball ›die‹ Gesellschaft nicht einfach widerspiegelt, zeigt sich auch beim Thema Homosexualität. Im Männerfußball ist ein Coming-out nach wie vor ein Tabu. Die hier gepflegte Homophobie zeigt, wie stark männerbündische Relikte diesen Sport noch dominieren und seine systemischen Konstitutionsregeln bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen eher verlangsamen. Mag ihm in Bezug auf die Repräsentation von Migranten und Sport-Kosmopoliten eine Avantgarde- Rolle zugeschrieben werden können (Theweleit 2006, 189ff), bietet er durch sein »starres Regelwerk mit Befehl, Gehorsam und Bestrafung ein Präsentationsfeld für konventionelle, patriarchale Wertvorstellungen und autoritäre Charaktere« und kann »Nationalismus, Rassismus, Gewalt, Identitätsdenken, Chauvinismus, Sexismus verstärken« (Chlada/Dembowski 2000, 5).

Deshalb organisierten sich schon in den späten 1970er Jahren Aktivisten der Neuen Sozialen Bewegungen in sog. »Bunten Ligen«. Hier, in gemischtgeschlechtlichen Mannschaften, sollte – zunächst auch ohne Schiedsrichter – ein freier Fußball ohne Leistungszwang und Verbandsvorschriften gespielt werden, in dem auch im eigenen Strafraum gedribbelt wird und der Sieg nicht im Mittelpunkt steht. In Mannschaften mit phantasievollen Namen wie Partisan Eifelstraße, Roter Stern Bremen, Hinter Mailand oder Wim kifft, Berti kokst, spielten die Aktivisten mit der Symbolsprache der Linken und stellten sich sowohl gegen die bereits die unteren Ligen erreichende Kommerzialisierung als auch die Verbandspolitik des DFB (Gebhardt 2010). Interessanterweise verläuft die Professionalisierung der »Bunten Ligen« teilweise parallel zur Institutionalisierung der »Anti-Parteien-Partei« und dem »parlamentarischen Arm der Bewegungen« Die Grünen. Alt-Aktivisten spotten sogar, es handle sich bei der einst rebellischen Bunten Liga um einen alternativen Lions-Club.

Die beliebte Spiegelbild-These muss also präzisiert werden. Denn der Fußball wirkt eher wie ein aufschlussreicher Zerrspiegel der sozialen Realität, changiert er doch zwischen einer prekären Avantgarde-Rolle und reaktionären Tendenzen sowie Positionen, die in der Gesamtgesellschaft als überholt gelten. Theweleit formuliert den Abbildcharakter des Fußballs genauer: »Regel: Wer mitbekommt, was sich im Fußball wann und wie verschiebt, ist über andere Gesellschaftsbereiche osmotisch informiert« (2006, 120). Er ergänzt: »So stellte sich im Rückgang der Bedeutung des Ruhrgebietsfußballs auch die seit den 50er Jahren immer weiter fortschreitende politische Entmachtung der Arbeiterbewegung dar« (ebd.). Osmotisch informiert meint in diesem Sinne, dass im Fußball der Blick für soziale Prozesse geschärft werden kann, ohne dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Geschehen auf dem Platz und den Tendenzen außerhalb der Stadien unterstellt wird. Schließlich wäre auch eine mögliche Meisterschaft von Schalke 04 kein Vorbote einer Renaissance der Ruhrkohle.

Fußball ist also sowenig wie Synchronschwimmen, Golfsport oder Zwölftonmusikabende ein »Spiegel der Gesellschaft«. Als eigenes soziales System mit eigenen Regeln kann es aber – der DFB verfügt über rund 6,5 Mio Mitglieder in knapp 26 000 Vereinen mit über 180 000 Mannschaften – als Seismograph für gesellschaftliche Tendenzen, Werte und Konfliktlinien dienen. So gibt die vielfach erhobene Klage, dass sich kein Männerfußballprofi als homosexuell outen könne, Auskunft über den Grad der gesellschaftlichen Anerkennung von Homosexuellen im hegemonialen Diskurs. Es scheint politischer Konsens zu sein, dass diese vormals verfemte Minderheit (der einschlägige Paragraph 175 wurde in der BRD erst 1994 gestrichen!) heute öffentliche Ämter bekleiden kann. Dass aber dieser Umstand überhaupt noch erwähnenswert erscheint, zeigt zugleich, wie wenig die sexuelle Orientierung der Individuen tatsächlich als Teil der Normalität anerkannt ist. Zugleich verraten die im Männerfußball herrschenden Tabus und Ausschlusskriterien, wie wenig ›die‹ Normen ›der‹ Gesellschaft dort gelten.

»Brasilianer aller Länder« – Ethnische Heterogenität und Kommerzialisierung

Beeindruckt von der multiethnisch zusammengesetzten französischen Weltmeistermannschaft von 1998 sagte der damalige DFB-Vorsitzende Mayer-Vorfelder: »Es soll nicht chauvinistisch klingen, aber hätten wir 1918 die deutschen Kolonien nicht verloren, hätten wir heute in der Nationalmannschaft wahrscheinlich auch nur Spieler aus Deutsch-Südwest«. Nachholend müssten bei den inländischen Ausländern Sichtungslehrgänge stattfinden und mit den Eltern über eine Einbürgerung geredet werden. Und während die gegenwärtige Präsenz von migrantischen Fußballern wie ein vermeintlicher Liberalisierungsgrad erscheint, belegen die Äußerungen des nunmehrigen DFB-Ehrenpräsidenten[3], dass der privilegierte Status der Sport- Kosmopoliten de facto auf die internationale Konkurrenz im Profigeschäft reagiert. Der Kosmopolitismus auf dem Rasen spiegelt die Realität der deutschen Einwanderungsgesellschaft nicht wider.

Ein Viertel der Spieler der deutschen Nationalmannschaft hat nicht-deutsche Eltern und zählt zu den Profisport-Kosmopoliten. Auch im Amateurbereich ist der Anteil von Migranten relativ hoch. Dieser Prozess ist Ausdruck einer Kommerzialisierung des Fußballs. Diese unterläuft die vielfältigen Mythologisierungen eines »authentischen« Spiels, die vor allem von Fans geschaffen werden. »Fußball ist unser Leben« lautet der Titel eines für die WM 1974 komponierten Schlagers – und dass der Ballsport elementarer Teil der Sozialisierung ist, kommt in Buchtiteln wie Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen (Biermann 1995) prägnant zum Ausdruck. Fußball ist demnach eine existenzielle Angelegenheit. Da verwundert es nicht, dass neben dem Stadion des Hamburger Sportvereins (HSV) ein Friedhof für zu Lebzeiten besonders vereinstreue Fans angelegt wurde. Das Stadion ist ein Hort des Authentischen, eine Heimat, die aus der Sicht der Fans heute allzu leicht in die Fänge der Sponsoren gerät. Denn nicht nur auf Schalke weicht das traditionsreiche Parkstadion einer schnöden Veltins-Arena, wird aus dem altehrwürdigen Münchner Olympiastadion ein Technologiepark namens Allianz-Arena. Vorbei scheinen die Zeiten, als Vereinspräsidenten noch ihr Veto gegen Firmeneinflüsse und Sponsoren – wie aktuell Red Bull – durchsetzen konnten oder wollten. Fußball ist ein turbulenter und umkämpfter Marktplatz für Heerscharen von Beratern, Verbandsfunktionären, Vereinspräsidenten, Fanvertretern, Spielern, Spielerfrauen, Spielervermittlern, Sponsoren, Werbeagenturen, Wettbüros, Lizenzinhabern und last but not least Medienvertretern, in deren Ressorts Summen in der Höhe von ganzen Staatshaushalten transferiert werden.

Klassische Spielertypen und Idole, die wie Fritz Walter (1. FC Kaiserslautern) oder Gerd Müller (FC Bayern München) unmittelbar mit einem Verein identifiziert werden, geraten im neuen Spieler-Weltmarkt zur Rarität. Das Original des Vereins (affirmativ gesprochen: der Markenkern) sind heute alleine die Fans. Diese propagieren eine lebensweltliche Bastion gegen die Systemimperative der Kommerzialisierung. Während Spieler zur Ware werden, kommt für die Fans die Vereinstreue einem altmodischen Eheversprechen gleich. Dies erklärt die jüngst sich häufenden Übergriffe von aufgebrachten Fans gegen Spieler und Funktionäre der ›eigenen‹ Mannschaft. Hier verdeutlicht sich das Unbehagen an Phänomenen wie der TSG 1899 Hoffenheim, deren Erfolgsgeschichte vom Aufstieg aus der Kreisliga A bis zum Bundesligaaufstieg im Jahre 2008 durch die gezielte Förderung des SAP-Mitbegründers Dietmar Hopp ermöglicht wurde. Noch in der 2. Bundesliga ein Verein mit überschaubarer Fangemeinde (Schlachtruf: »Das ganze Dorf ist da!«) entwickelte sich der Verein zu einer Überraschungsmannschaft der Bundesliga, die in kürzester Zeit die Infrastruktur im regionalen Umfeld veränderte. Nicht nur extrem rechte Fans verklären angesichts dieser Entwicklung die Geschichte des eigenen Vereins als »naturwüchsig« und historisch echt. Vor diesem Hintergrund versucht die extreme Rechte, sich als Gralshüterin des ›wahren‹ Fußballs zu präsentieren und gegen die Verfallserscheinungen des modernen Fußballs zu protestieren.

Die spätestens seit 1995 durch das Boßmann-Urteil einsetzende Entwicklung hin zu einem gigantischen liberalisierten Spieler-Weltmarkt hat zwei zentrale Konsequenzen: Erstens hat die mit der Kommerzialisierung einhergehende ›familienfreundliche‹ Gestaltung die Fußballstadien in den beiden Profiligen ziviler gemacht. Die Sicherheitsauflagen wurden verstärkt und die Gewalt im Stadion (die in den 1980er Jahren an der Tagesordnung war) – trotz phasenhaft gegenläufiger Tendenzen – insgesamt verringert. Zweitens dämmen die Auflagen von FIFA, DFL und DFB rassistische Beleidigungen ein. Dies war zu der Zeit, als ›dunkelhäutige‹ Spielerpersönlichkeiten noch Ausnahmen auf dem Rasen waren, nicht so. Besonders nach der Wiedervereinigung war das Thema »Rechtsextremismus und Rassismus im Fußball« in den großen Stadien präsent. 1990 schrieben Anthony Baffoe, Souleman Sane und Anthony Yeboah anlässlich rassistischer Schmähgesänge einen Offenen Brief an die Bild-Zeitung mit dem Kernsatz: »Bitte helft uns, wir wollen kein Freiwild sein« (zit.n. Theweleit 2007). Übersehen wird jedoch häufig die dunkle Seite der Deregulierung im neoliberalen Fußball. Gerade weil das Aufstiegsversprechen im Sport junge Talente aus dem ganzen Globus nach Westeuropa lockt, entsteht hier ein neuer Transferhandel gerade jener Sportler, die ihre Ware Arbeitskraft zwar anbieten, aber im Profifußball dennoch scheitern und über denselben Status wie illegale Flüchtlinge verfügen. In Frankreich unterstützt deshalb der ehemalige Nationalspieler Kameruns, Jean-Claude Mbvoumin mit seiner NGO Culture Foot Solidaire »das fußballerische ›Strandgut‹ aus Afrika« (Wachter 2010, 29). In der jüngeren Vergangenheit war Mbvoumin »mit 600 solcher Fälle allein im Großraum Paris konfrontiert, 70 Prozent der Afrikaner waren unter 18 und 98 Prozent illegalisierte Immigranten« (ebd.). Der ehemalige Profispricht hier von »Ausbeutung« und »Menschenhandel«, in den zahlreiche Akteure – Spielervermittler, Agenten, Talentescouts – verwickelt seien. Entsprechende Gegenmaßnahmen der FIFA – wie die Lizensierung der Spielervermittler – werden durch einen faktischen »Schwarzmarkt« unterlaufen. Das alte Wort des ehemaligen Profifußballers Ewald Linien – Ende der 1980er sogar Kandidat der DKP-nahen Friedensliste –, wonach Fußball moderner Sklavenhandel sei, bewahrheitet sich hier. Gemein ist den unterschiedlichen Biographien im neoliberalen Profifußball, sich dem Diktat des »flexiblen Menschen« zu unterwerfen. Der Traum vom Aufstieg wird täglich durch das dramatische Scheitern der jungen Spieler demontiert. Fällt im Profifußball die Maskerade vom permanent verfügbaren Subjekt, wird – wie in den Fällen der an Depressionen erkrankten Spieler Sebastian Deisler oder Robert Enke – zwar der Leistungsdruck beklagt, reale Änderungen sind außerhalb der Rhetorik jedoch kaum sichtbar.

Ausweitung der Kampfzone

Gegen diese Form neoliberaler Ausbeutung legt die NPD freilich kein Veto ein, ihr Widerspruch gilt der »Durchmischung« auf dem Rasen. Im Rahmen ihrer »Säulenstrategie« führt die NPD einen selbsterklärten »Kampf um die Straße«, die Parlamente, die Köpfe und – bis Juni 2009 – den organisierten Willen (Brandstetter 2006). Der »Kampf um das Stadion« wird in den Papieren nicht explizit aufgeführt, gehört aber zum strategischen Kern der extremen Rechten. Der NPD-Bundessprecher Klaus Beier sagte dem (inzwischen eingestellten) Fußballmagazin Rund (Titelausgabe »Nazis vergiften den Fußball«, 2007, H. 2): »Für uns ist die Zweite Liga interessant, vor allem aber die Regional- und Oberligen, was unsere nationalen Botschaften angeht. Die Bundesliga selbst ist schon so kommerziell, und die meisten Besucher dort sind politisch völlig abgestumpft; das sind doch nur Brot und Spiele. Für die unteren Ligen könnten wir aber ein spezielles Flugblatt entwickeln. Wenn wir wieder Geld in den Kassen haben, könnten wir auch mit einer Stadion-CD nach außen gehen«. Dieses politische Wunschdenken konnte angesichts der personellen Schwäche der Neonazis gerade im Westen der Republik nicht flächendeckend umgesetzt werden. Allerdings sind Ankündigungen wie diese als Dokumente für die Strategie der extremen Rechten zu werten: Die unteren Ligen stehen parteioffiziell im Visier rechter Kader (dazu auch Geisler/Gerster 2009, 197f).

Das Beispiel Lokomotive Leipzig – Ein in der Zeit erschienenes Dossier mit dem Titel »Angriff von rechts außen« (Blaschke 2009) arbeitet heraus, wie Neonazis die Fanszene des Fußballclubs Lokomotive Leipzig okkupieren bzw. dort auf ein williges Hinterland treffen. Über die politische Situation im Umfeld des »Plache- Stadions«, das im von hoher Arbeitslosigkeit geprägten Probstheida angesiedelt ist, heißt es: »In Probstheida gibt es zwei Volksbewegungen: die Rechtsradikalen und die Fußballszene«. Wie sich die Szenen durch die kontinuierliche Graswurzelarbeit rechter Kader annähern und die NPD ihre Arbeit fortsetzt, das Stadion trotz Auflagen wie Platzverweisen oder Protesten von Sponsoren zu einer ›national befreiten Zone‹ zu machen, wird deutlich beschrieben: »Einmal stellten sich Lok-Fans im Stadion so nebeneinander auf, dass ein riesiges menschliches Hakenkreuz entstand. Auf Transparenten stand: ›Wir sind Lokisten, Mörder und Faschisten.‹ Die Gegner wurden als ›Juden‹ und ›Zigeunerpack‹ beschimpft. Nachts beschmierten Fans die Stadionwände mit fremdenfeindlichen Parolen. Und in der Woche vor den Landtagswahlen schob sich ein NPD-Laster mit der Aufschrift ›Arbeit zuerst für Deutsche‹ zwischen Tausenden Fußballfans in Richtung Hauptbahnhof. Einige von ihnen brüllten: ›Hier regiert die NPD!‹ Und das sind lediglich die sichtbaren Zeichen einer Bewegung, die sich auf den Straßen und im Stadion mittlerweile nur noch vereinzelt zeigt. Die Bewegung hat dazugelernt. Sie hat sich in Zonen breitgemacht, die der Verein und die Polizei kaum kontrollieren können. Und auch nicht stoppen«. Der Rückzug ist also nur taktischer Natur. Durch spezielle Angebote für die Fans halten NPD-Aktivisten Kontakt zur Szene. Fußballplätze werden so zu einer politischen Arena, zu einer Kampfzone, in der politische Grundwerte verteidigt werden müssen.

Das Beispiel Alemannia Aachen – Wie aber sähe diese Verteidigung aus? Als Antwort auf diese Frage dient ein Beispiel aus der aachener Region: Vor dem Meisterschaftsspiel gegen Borussia Mönchengladbach im Jahre 2006 wurden antisemitische Schmierereien am aachener Westbahnhof (»Juden – your end is near« neben dem Gladbach-Emblem) entdeckt. Als Urheber wurden hier Jugendliche aus den Reihen des sogenannten Ultra-Nachwuchses vermutet (o.V. 2007, 10ff). Die Ultras sind eine Fankultur, die im Stadion vor allem durch aufwändige Choreographien sichtbar sind und lautstark gegen die Kommerzialisierung und sog. »Versitzplatzung« der Stadien protestieren. Ursprünglich stammt das Fanmodell »Ultra« aus Italien und entstand dort Ende der 1960er Jahre. Bei den Sicherheitsbehörden und der Vereinsleitung sowie in der Presseberichterstattung gelten die Ultras nicht selten als gewaltbereites Problempotenzial, das eine gewisse Affinität zu rechtsextremen Positionen aufweist (kritisch dazu Gabler 2009). Der Vorfall am aachener Westbahnhof blieb nicht ohne Folgen. Nach gesellschaftlichem Druck von Vereinsführung, Alemannia-Fans und natürlich DFB und DFL sowie interner Kritik in den Reihen der Fangruppe selber, distanzierten sich die Gründer der Aachen Ultras (ACU) von neonazistischen Aktivitäten und schlossen im Frühjahr 2007 Mitglieder ihrer Nachwuchsgruppe aus. In einer Stellungnahme richteten sie sich gegen »politische Extremisten«: »Wir sind Ultras und dies ist nach unserer Auffassung mit Realpolitik nicht kompatibel« (o.V. 2009, 4). Was hier zum Ausdruck kommt, ist das »No-politics«-Dogma dieser Fankultur, das bei Teilen allerdings als veraltet gilt. Denn schon die Kritik der willkürlichen Datenerfassung und Kommerzialisierung in deutschen Stadien ist angesichts der politischen Ökonomie des Profifußballs Realpolitik pur. Es gibt Ultra-Gruppen, in denen Teile der Mitgliedschaft ein anderes Selbstverständnis haben. In Köln unterstützte die »Wilde Horde« u.a. die Demonstration gegen die rechtsextreme ›Bürgerbewegung‹ Pro Köln und bietet Antifa-Workshops an. Die in der münchner Allianz-Arena aktive Fangruppe »Schickeria« organisiert regelmäßig Stadionbesuche für illegale Flüchtlinge (Gabler 2009, 119ff). Ultras von St. Pauli wiederum diskutieren über die auffällige Diskrepanz zwischen kosmopolitischen Sport-Migranten auf dem Rasen und fehlender migrantischer Präsenz auf den Stadion rängen. Diese Ultras sind mit antirassistischen Basisgruppen vergleichbar, die wie das »Bündnis aktiver Fußballfans« (BAFF) seit langem – und schon lange bevor die DFB-Vorstandsetagen sich regten – ein waches Auge auf den »Tatort Stadion« richteten.

Das Stadion ist immer ein politischer Ort. Es findet dort traditionell ein »zweites Spiel statt, das auf den Rängen« (Horak 2011, 59). Und gerade die keineswegs per se extrem rechte oder gewalttätige Ultra-Fankultur richtet ihren Protest gegen jene aseptische Atmosphäre moderner Fußballstadien, in der in der VIP-Lounge Geschäfte abgewickelt werden und der Fußball zur Staffage wird. Allerdings schlägt der antikapitalistische Affekt allzu oft um in bloßes Ressentiment mit protonationalistischem und -rassistischem Potenzial. Die gegnerische Mannschaft wird ebenso wie die Fans im Gästeblock spielerisch-karnevalesk als Feind markiert, werden »Schlachtgesänge « laut, erhält die Inszenierung einen ›kriegerischen‹ Zug. Hier finden sich die Anknüpfungspunkte für einen reinen Umschlag in atavistische Verhaltensformen, die auch Rassismus Vorschub leisten. Als Sport hat Fußball ein Janusgesicht: Der kreative Kunstfußball des FC Barcelona kündet von den ästhetischen Möglichkeiten, der Classico gegen Real Madrid wird nicht nur für die spanische Öffentlichkeit zur Welttheateraufführung mit realen Protagonisten und einer dramatischen Handlung. Wird der Platz jedoch zur Kampfarena, korrespondiert der Leistungsfetisch mit der Regression auf dem Rasen. Auf dem Platz wird dann »das Leben durchsichtig und einfach. Für die Dauer des Spiels teilt sich die Welt in Freund und Feind und es ist, als verschwinde die im Prozess der Zivilisation aufgebaute ›Affektkontrolle‹ wie Schnee in der Sonne. Daher die Aufnahmefähigkeit des Fußballs für Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus« (Jehle 2011, 1). So hat der neoliberale Fußball eine eigentümlich dialektische Pointe: Der Deregulierung auf dem Transfermarkt folgt die Regulierung der Affekte im Stadion. Die postethnische Ökonomisierung des Profifußballs bedarf offenkundig einer politischen Flankierung, damit der rassistische Furor nicht ausbricht. Auch im Fallbeispiel Alemannia Aachen wurde durch Anweisungen der DFL, Interventionen der Vereinsführung, Stadiondurchsagen und Aktivitäten der Fans bewirkt, dass die Häufung rassistischer Äußerungen im Stadion nachgelassen hat. Das Problem wird durch Auflagen und Proteste demokratischer Fans zumindest eingedämmt – gelöst wird es auf dem Fußballplatz oder in Stadien jedoch nicht.

Stadionpolitische Auflagen und antirassistische Fan-Initiativen aber verringern immerhin das Übergreifen extrem rechter Potenziale. So sagte Klaus Beier in dem bereits zitierten Rund-Interview: »Wenn von vornherein bekannt ist, wie auch auf St. Pauli beispielsweise oder bei anderen Ruhrvereinen, dass es viele politisch aktive Fanclubs aus der linken Richtung gibt oder Fanprojekte gegen rechte Tendenzen, dann macht es keinen Sinn, dort aktiv zu werden«. Auch wenn offizielle Symbolpolitik stets an Grenzen stößt, ist ihr Einsatz notwendig. So wird dem faschismusaffinen Teil des Publikums deutlich, was als gesellschaftlich tolerabel gilt; die Kader der NPD sehen deutlich, wo ihr Engagement »keinen Sinn« gibt.

Avantgarde Fußball?

Der »neoliberale« Profifußball forciert ambivalente Prozesse zwischen »Avantgarde « und Regression: Der Spieler-Weltmarkt der »Brasilianer aller Länder« hat die ethnische Homogenität auf dem Rasen aufgelöst. So besteht die Avantgarde- Rolle der Fußball-Kosmopoliten in der Auflösung der völkischen Herkunftslinie als Bestimmung dessen, was ›deutsch‹ sei. Der Identifikationscharakter der deutschen Nationalmannschaft fördert ein Selbstbild, das nicht mehr wie von Caspar David Friedrich gemalt wirkt. Doch schon auf den Rängen zeigt sich ein anderes Szenario. Migrantische Fankulturen sind nach wie vor häufig an den Mannschaften ihrer vermeintlichen ›Herkunftsländer‹ orientiert – selbst wenn die Fans in Köln-Ehrenfeld geboren wurden und Städte wie Istanbul nur aus dem Urlaub bekannt sind.

Spitzen wir am Schluss die Frage nach der Repräsentation von Migranten im Fußball nochmals zu: Gerne lobt zum Beispiel die Bild-Zeitung bei erfolgreichen Spielen »unsere Polen« Podolski und Klose – ein zwiespältiges Lob. Terkessidis hat im Vorfeld der EM 2008 darauf hingewiesen, dass Fußballer mit sogenanntem Migrationshintergrund oder doppelter Staatsbürgerschaft ihre nationale Loyalität mehrfach beweisen müssen. Er zitiert den aus dem Kosovo stammenden schweizer Spieler Valom Behrami, der in einem Interview mit dem Magazin 11 Freunde den Zusammenhang auf den Punkt brachte: Wenn ein Philipp Degen schlecht spiele, so habe er einen schlechten Tag erwischt; spiele er, Behrami, schwach, werde die Charakterfrage gestellt (Terkessidis 2008). Diese Selbsteinschätzung legt nahe, dass Spieler mit Migrationshintergrund trotz der Privilegierung einen prekären Sonderstatus haben.

Im schlechten Fall bleiben Fußball-Migranten millionenschwere Exoten mit deutschem oder schweizerischem Pass und Sonderstatus. Sie sind kein verallgemeinerbares Beispiel einer demokratischen Einwanderungsgesellschaft, sondern bleiben – um ein bekanntes Politikerwort umzuwandeln – Deutsche auf dem Papier, nämlich eingekaufte Ausländer, die uns nützen sollen, also einer besonderen Funktions- und Verwertungslogik unterworfen sind. Clemens Pornschlegel ist zuzustimmen, wenn er schreibt: »Der Fußballnationalismus wird folglich auch erst dann verschwunden sein – und keinen Tag früher –, wenn das politische Prinzip des Nationalstaates sich verabschiedet haben wird« (2002, 111).

Verändert hat die Kommerzialisierung des Fußballs die Aufstiegsmöglichkeiten der Sportler. Mussten sich die Nationalspieler vergangener Jahrzehnte noch mit einer bescheidenen Rente begnügen und konnten vielfach nur ein sprichwörtliches Lottobüdchen oder einen Kiosk eröffnen, so sendet die junge, erfolgreiche Spielerelite die Signale eines möglichen Aufstiegs. Das Schicksal des unteren Drittels in den Metropolen wird wie der Verbleib von Flüchtlingen vor den Toren Europas verdrängt. Das völkische Deutschtum, die ethnische Homogenität der Müller, Maier, Beckenbauer wurde als Resultat der Deregulierung zwar partiell aufgelöst und trägt zur Änderung des gesellschaftlichen Selbstbilds bei. Die Sonderrolle des ›Anderen‹ ist aber auch in einer ›multiethnischen‹ Nationalmannschaft nicht überwunden. Die Kommerzialisierung des Fußballs wiederum, die als Konsequenz eines ›farbenblinden‹ Liberalkapitalismus nicht nach der Herkunft, sondern der Leistung fragt, fördert eine funktionale Logik des Spiels. Ob die Trainer und Torschützen Klose, Klinsmann oder Kuranyi heißen, ist nebensächlich, solange die fußballerische Qualität erbracht wird. Doch dort, wo keine Sponsoren um ihren Ruf fürchten müssen, wo das Publikum nicht das dumpfe Unbehagen an der Einwanderungsgesellschaft verdrängen muss, ist das ›zivilisatorische Element‹ der Kommerzialisierung hinfällig, öffnen sich die Einflusszonen für die extreme Rechte.

So zeigt der hier geschärfte Blick, welcher die Stadien und Fußballplätze als politische Arenen begreift, dass der »Kampf um das Stadion« nicht nur ein Kampf um sportliches Fair Play ist. Der Fußball ist Deutschlands populärster Breitensport – und zugleich ein gesellschaftliches Konfliktfeld, in dem um kommerzielle Hegemonie und die Repräsentation von Minderheiten gerungen wird.

Literatur

Beier, Klaus, »Vor allem die Regional- und Oberligen sind interessant«. Interview in: Rund – Das Fußballmagazin 2/2007

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Die Printversion ist erschienen in:
Das Argument 294 (452011), »Die neoliberale Revolution«, S. 680-93



[1] Der Soziologe Gunter A. Pilz präzisiert diesen Befund: »Der Rückgang von rassistischen, bzw. rechtsextremen Verhaltensweisen in den oberen Spielklassen bedeutet nicht unbedingt einen Rückgang von problematischen Einstellungsmustern, vielmehr ist eine Diskrepanz zwischen Einstellungen und Verhaltensweisen festzustellen. Der Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit werden – wo soziale und ordnungspolitische Kontrollen greifen – verdeckter und subtiler. Damit wird auch deutlich, dass Kontrolle und Strafen allein das Problem nicht lösen, sondern zunächst einmal nur verdrängen.« (2009, 564f)

[2] Vgl. zu den latenten und manifesten rechtsextremen Einstellungsmustern in der Bevölkerung die Studie Vom Rand zur Mitte (Decker/Brähler/Geißler 2006), wonach 8,6 % der Bevölkerung ein »geschlossenes rechtsextremes Weltbild« haben.

[3] 2009 gelang es der Jungen Freiheit nicht, Gerhard Mayer-Vorfelder zum Kronzeugen gegen die vom DFB unterstützten »Kampagnen gegen rechts« zu machen. Wollte die JF in ihrer Ausgabe 31-32 (24./31.7.2009) auf dem Titelblatt noch die »Rote Karte für die Politik« zeigen, scheiterte JF-Redakteur Moritz Schwartz in seinem »Streitgespräch« mit dem Vorhaben, Mayer-Vorfelder eine eindeutige Distanzierung von der Politik seines Nachfolgers Theo Zwanziger (auch er ein Mitglied der CDU) zu entlocken. Stattdessen erhielt die Graue Eminenz des DFB im Leitartikel ein vergiftetes Lob: »Für Mayer-Vorfelder wiederum spricht, dass es nur schwer vorstellbar ist, dass der frühere CDU-Minister die Kompassnadel des Schwulen Netzwerks NRW erhält – wie Zwanziger vor drei Wochen« (Hausner 2009, 1).