30-jähriger Krieg? Geopolitik und Energie

Von 1618 bis 1648 wütete in Europa der »Dreißigjährige Krieg«. Dieser war auch ein Kampf zwischen einem imperialen Herrschaftssystem und dem entstehenden Nationalstaat. Viele Historiker führen die Herausbildung des modernen Staatensystems auf den Westfälischen Frieden von 1648 zurück. Derzeit beginnt ein neuer Dreißigjähriger Krieg.<--break-> Er wird vielleicht nicht zu so viel Blutvergießen führen wie der im 16. Jahrhundert – obwohl auch Blut fließen wird –, aber er wird für die Zukunft des Planeten nicht weniger folgenreich sein. In den kommenden Jahrzehnten werden wir einen globalen Wettlauf um die wichtigsten Energieträger erleben, der zwischen den großen Energiekonzernen und ihren Abnehmerländern stattfinden und mit Sieg oder Vernichtung enden wird. Die Frage wird sein, wer in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts die weltweite Energieversorgung beherrscht. Die Sieger werden darüber entscheiden, wie – und wie schlecht – wir in diesen nicht allzu fernen Zeiten leben, arbeiten und spielen werden, und sie werden gewaltig davon profitieren. Die Verlierer werden beiseite gedrängt und zerstückelt.

Warum 30 Jahre? Weil neu erprobte Energiesysteme wie Wasserstoffenergie, Zellulose-Ethanol, Wellenkraft, Algenkraftstoff und weiterentwickelte Atomreaktoren so lange brauchen, um den Schritt vom Labor zur industriellen Großproduktion zu vollziehen. Manche dieser Systeme (und zweifellos auch andere, die wir noch nicht im Visier haben) werden den Selektionsprozess überstehen, andere nicht. Und wie er sich entwickeln wird, ist beim jetzigen Stand kaum abzusehen. Gleichzeitig dürfte die Nutzung konventioneller Brennstoffe wie Kohle und Öl, die CO2 in die Atmosphäre pumpen, aufgrund der schrumpfenden Vorräte, aber auch aufgrund der zunehmenden Besorgnisse über die wachsenden Gefahren von Kohlenstoffemissionen erheblich zurückgehen.

Der Prozess wird kriegerisch sein, weil die künftige Profitabilität, sogar das Überleben vieler der weltweit größten und kapitalkräftigsten Konzerne auf dem Spiel stehen wird und weil es in diesem Wettlauf für jede Nation um Leben und Tod gehen kann. Für gigantische Ölkonzerne wie BP, Chevron, ExxonMobil und Shell wird eine mögliche Abkehr vom Erdöl massive wirtschaftliche Konsequenzen haben. Sie werden neue Geschäftsmodelle einführen und neue Märkte erschließen müssen, die auf alternativen Energien basieren, um nicht zu kollabieren oder von stärkeren Konkurrenten geschluckt zu werden. Zur selben Zeit werden neue Konzerne entstehen, von denen manche den Ölgiganten an Reichtum und Größe nicht nachstehen dürften. Das Überleben von Nationalstaaten wird auf dem Spiel stehen, wenn sie auf konkurrierende Technologien setzen, sich an ihre vorhandenen Energieformen klammern oder um die globalen Energiequellen, -märkte und -vorräte konkurrieren. Da eine angemessene Energieversorgung von vitalem Interesse für die nationale Sicherheit ist, werden die Kämpfe um lebenswichtige Ressourcen – heute Öl und Erdgas, morgen vielleicht Lithium oder Nickel (für Elektroautos) – auch mit Waffengewalt geführt.

Wenn diese 30 Jahre vorbei sind, dürften die Grundlagen eines neuen Systems existieren, in dem sich das Leben auf unserem Planeten organisiert – diesmal anhand des Energiebedarfs. In der Zwischenzeit wird der Kampf um die Energievorräte immer heftiger werden, aus einem einfachen Grund: Das vorhandene Energiesystem kann den zukünftigen weltweiten Bedarf nicht decken. Es muss im großen Maßstab verdrängt oder ersetzt werden durch ein alternatives System erneuerbarer Energien, oder die Welt erlebt eine ökologische Katastrophe, die wir uns heute kaum vorstellen können.

Der vorhandene Energiemix

Um den Ernst der Lage richtig einzuschätzen, werfen wir zunächst einen Blick auf den weltweiten Energiemix. Im Jahre 2010 verbrauchte die Welt nach Angaben von BP 13,2 Milliarden Tonnen Öleinheiten aus allen möglichen Quellen, davon 33,6 Prozent aus Erdöl, 29,6 Prozent aus Kohle, 23,8 Prozent aus Erdgas, 6,5 Prozent aus Wasserkraft, 5,2 Prozent aus Atomenergie und ganze 1,3 Prozent aus sämtlichen Formen erneuerbarer Energie. Auf fossile Brennstoffe – Öl, Kohle und Gas – entfielen 10,4 Milliarden Tonnen oder 87 Prozent des Gesamtverbrauchs. Schon der Versuch, diesen Energieverbrauch mit dem gleichen Verhältnis von Brennstoffanteilen aufrechterhalten zu wollen, wäre ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen. Ein um 40 Prozent gesteigertes Energieaufkommen zu erreichen, wie es die meisten Analysten für notwendig halten, um den vorhandenen Bedarf der älteren Industriemächte und die wachsende Nachfrage in China und anderen rasch sich entwickelnden Ländern zu decken, ist schlicht unmöglich.

Zwei Grenzen verhindern die Aufrechterhaltung des bestehenden Energieprofils: die letztendlich eintretende Ölverknappung und der globale Klimawandel. Die meisten Energieanalysten gehen davon aus, dass die konventionelle Ölförderung – auf Ölfeldern oder in flachen Küstengewässern – in den nächsten Jahren einen Höhepunkt erreicht und dann unwiderruflich zurückgeht. Zusätzliche Brennstoffe werden in Form von »unkonventionellem« Erdöl geliefert – Teersand-, Schiefer- und Tiefsee-Öl, das durch teure, unsichere und möglicherweise umweltschädliche Verfahren gewonnen wird –, aber das wird das Zusammenschrumpfen der Ölreserven nur hinauszögern, nicht abwenden. Im Jahre 2042, also in 30 Jahren, wird das Öl weit weniger sprudeln als heute. Es wird auch nicht annähernd dazu in der Lage sein, wie bisher 33,6 Prozent des (dann weit größer gewordenen) weltweiten Energiebedarfs zu decken. Währenddessen wird der eskalierende Klimawandel immer mehr Schäden anrichten – durch heftige Wirbelstürme, ansteigende Meeresspiegel, längere Dürreperioden, tödliche Hitzewellen, verheerende Waldbrände –, welche die zögerlichen Politiker schließlich zum Handeln zwingen. Das wird zweifellos eine Einschränkung von Treibhausgasemissionen bedeuten, sei es in Form von CO2-Abgaben, Emissionshandelsplänen oder von anderen noch unvorstellbaren restriktiven Maßnahmen. Im Jahre 2042 werden diese zunehmenden Einschränkungen mit dazu beitragen, dass fossile Brennstoffe nicht einmal annähernd die bisherigen 87 Prozent des weltweiten Energiebedarfs decken.

Die wichtigsten Konkurrenten

Wenn Kohle und Erdöl ihre Position als weltweit führende Energiequellen verlieren, was wird an ihre Stelle treten? Hier einige der wichtigsten Konkurrenten: Erdgas: Viele Energieexperten und Politiker sehen im Erdgas eine fossile »Brückentechnologie «, weil es weniger Treibhausgase freisetzt als Kohle und Öl. Zudem sind die weltweiten Erdgasvorräte dank neuer Technologien (z.B. dem »Fracking«, vgl. Krüger in diesem Heft), mit denen sich früher für unzugänglich gehaltene Schiefergasreserven ausbeuten lassen, weit größer als gedacht. So hatte zum Beispiel das US-Energieministerium im Jahre 2011 prognostiziert, dass Erdgas bis 2035 die Kohle als zweitwichtigste amerikanische Energiequelle verdrängt, auch wenn beide immer noch hinter dem Erdöl zurückbleiben würden. Mittlerweile sprechen manche von einer »Erdgasrevolution«, die das Erdöl weltweit aus seiner führenden Stellung – zumindest für eine gewisse Zeit – verdrängen wird. Das Fracking stellt aber eine Gefahr für das Trinkwasser dar, was breiteren Widerstand hervorrufen könnte, während Schiefergas am Ende wirtschaftlich weniger attraktiv sein könnte, als man derzeit annimmt.

Kernkraft: Vor der Erdbeben/Tsunami-Katastrophe vom 11. März 2011 und den Kernschmelzen im japanischen Atomkraftwerk Fukushima sprachen viele Analysten von einer »Renaissance« der Kernenergie, die in den nächsten Jahrzehnten zum Bau von Hunderten neuer Atomreaktoren führen werde. Manche dieser Anlagen, in China und anderswo, werden wahrscheinlich gebaut, während die Pläne für andere – zum Beispiel in Italien und der Schweiz – offenbar schon zu den Akten gelegt wurden. Auch wenn man in den USA ständig zu hören bekommt, dass US-Reaktoren absolut sicher sind, gibt es in vielen dieser Anlagen immer wieder Hinweise auf Sicherheitsmängel. Angesichts der zunehmenden öffentlichen Besorgnis, was die Gefahr eines katastrophalen Unfalls betrifft, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die Kernenergie im Jahre 2042 zu den großen Gewinnern gehört.

Trotzdem setzen sich Kernkraftenthusiasten für den Bau »modularer« (in Fertigbauteilen vorproduzierter) Kleinreaktoren ein, die angeblich viel billiger als herkömmliche sind und erheblich weniger radioaktiven Müll produzieren. Obwohl die Technologie und Sicherheit dieser »Reaktoren vom Fließband« erst noch erprobt werden muss, sehen ihre Befürworter darin eine Alternative sowohl zu herkömmlichen Großreaktoren mit ihren Atommüllhalden als auch zu Kohlekraftwerken mit ihrem hohen CO2-Ausstoß.

Wind- und Solarenergie: Klar ist, die Welt wird in 30 Jahren in höherem Maße als heute auf Wind- und Solarkraft setzen. Nach Angaben der Internationalen Energiebehörde (IEA) wird der Anteil dieser Energiequellen am weltweiten Energieverbrauch, der im Jahre 2008 bei einem Prozent lag, bis 2035 auf vier Prozent steigen. Angesichts der vorhandenen Krise und der in Sonne und Wind gesetzten Erwartungen sind das allerdings kleine Brötchen. Damit diese alternativen Energiequellen erheblich höhere Anteile am Energiemix bekommen, sind wirkliche Durchbrüche nötig. Dazu gehört eine erhebliche Verbesserung von Windturbinen und Solarkollektoren, von Speichertechnik (um die bei Sonne und Wind erzeugte Energie bei Nacht oder bei anderer Witterung besser zu nutzen) und ein viel leistungsfähigeres und ausgedehnteres Stromnetz (um die aus sonnen- oder windbegünstigten Lagen kommende Energie effizient auf andere Orte zu verteilen). China, Deutschland und Spanien haben die nötigen Investitionen in Wind- und Solarenergie getätigt, die ihnen im neuen Dreißigjährigen Krieg entsprechende Vorteile sichern könnten – aber nur, wenn die technologischen Durchbrüche tatsächlich kommen.

Agrosprit und Algen: Viele Experten sagen Agrotreibstoffen eine große Zukunft voraus, besonders dann, wenn das Ethanol der »ersten Generation«, das haupt- sächlich auf Mais- und Zuckerrohrfermentierung basiert, durch Brennstoffe der »zweiten Generation« verdrängt wird, die aus pflanzlicher Zellulose und durch genmanipulierte Algen gewonnen werden. Abgesehen davon, dass der Fermentierungsprozess Wärme benötigt (also gleichzeitig Energie verbraucht), sind viele Politiker in Zeiten steigender Lebensmittelpreise dagegen, Nährpflanzen zur Herstellung von Treibstoffen zu verwenden. Inzwischen werden aber verschiedene erfolgversprechende Methoden erprobt, um Ethanol mit chemischen Mitteln aus der Zellulose in Non-Food-Kulturen zu gewinnen. Die eine oder andere dieser Techniken könnte den Übergang zur kommerziellen Großproduktion durchaus überstehen. Gleichzeitig experimentieren eine Reihe von Firmen, darunter ExxonMobil, mit der Entwicklung neuer Algenkulturen, die sich rasch reproduzieren und zu Agrosprit verarbeiten lassen. Aber auch hier ist es noch zu früh, um zu sagen, ob und welche Agrotreibstoffe das Rennen machen.

Wasserstoff: Vor zehn Jahren sprachen viele Experten von den ungeheuren Möglichkeiten, die Wasserstoff als Energiequelle besitzt. Er ist in vielen Naturstoffen (wie Wasser und Erdgas) reichlich vorhanden und produziert kein CO2. Er ist aber in der Natur nicht in reiner Form anzutreffen und muss aus anderen Substanzen gewonnen werden – ein Vorgang, der selbst erhebliche Mengen von Energie verschlingt und deshalb, zumindest bisher, nicht besonders wirtschaftlich ist. Auch die Entwicklung der Methoden, Wasserstoff im großen Maßstab zu transportieren, zu lagern und zu verbrauchen, wirft größere Probleme auf als erwartet. Jedes dieser Probleme wird mit erheblichem Aufwand erforscht, und es könnte in den nächsten Jahrzehnten durchaus zu Durchbrüchen kommen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es aber unwahrscheinlich, dass Wasserstoff im Jahre 2042 zu den Hauptenergieträgern zählt.

Die Unbekannte x: Viele weitere Energiequellen werden weltweit an Universitäten und kommerziellen Laboren erforscht. Manche werden sogar schon in großangelegten Pilotprojekten erprobt. Zu den vielversprechendsten gehören dabei Erdwärme, Wellen- und Gezeitenkraft. Jede von ihnen erschließt gewaltige Naturkräfte und könnte deshalb, wenn es zu den nötigen Durchbrüchen kommt, unbegrenzt nutzbar und gleichzeitig klimaschonend sein. Allerdings stecken die dafür notwendigen Technologien, sieht man von der Erdwärme ab, noch in den Kinderschuhen. Wie lange es dauern wird, sie nutzbar zu machen, weiß niemand. Die Geothermie weckt große Erwartungen, stößt aber auf Probleme, weil man so tiefe Bohrungen vornehmen muss, dass es manchmal zu kleineren Erdstößen kommt. Aber man sollte die technischen Innovationskräfte der Menschheit nicht unterschätzen. Wie in der Geschichte überhaupt, so kann auch in der Energiegeschichte das Unerwartete eine wichtige Rolle spielen.

Energieeffizienz: Da es unter den konkurrierenden Formen von alternativen oder Übergangs-Energiequellen keinen eindeutigen Sieger gibt, dürfte ein entscheidender Aspekt für den Energieverbrauch von 2042 in einem heute ungeahnten Maße die Effizienz sein – die Möglichkeit, aus möglichst geringem Energieverbrauch den größtmöglichen Ertrag zu ziehen. Die führenden Player dürften in 30 Jahren diejenigen Länder und Unternehmen sein, die es geschafft haben werden, aus möglichst wenig das meiste zu machen.

Wenn der Krieg zu Ende ist

In 30 Jahren wird sich die Welt, ob zum Besseren oder zum Schlimmeren, völlig verändert haben. Es wird wärmer werden, es wird mehr Stürme geben und (aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels) weniger Land. Es wird strengere Einschränkungen für CO2-Emissionen geben, und der Verbrauch fossiler Brennstoffe wird, außer unter besonderen Auflagen, durch negative Anreize eingedämmt. Erdöl wird es für die, die es sich leisten können, immer noch geben, aber es wird nicht mehr der weltweit wichtigste Brennstoff sein. Es wird neue, wirtschaftliche wie andere Mächte in einer Welt neuer Energieträger geben. Natürlich können wir nicht wissen, wer in dieser neuen Welt die Gewinner und die Verlierer sind. Aber der Weg dahin wird voll von Gewalt und Elend sein. Wir können auch heute nicht sagen, welche der konkurrierenden Energieformen im Jahre 2042 und danach vorherrschen wird.

Ich würde auf dezentralisierte Energiesysteme tippen, die sich leicht herstellen und einsetzen lassen und relativ geringe Vorausinvestitionen erfordern. Man vergleiche nur die heutigen Laptops mit den Großrechnern der 1960er und 1970er Jahre. Je näher der Energieversorger dem Laptopmodell kommt, desto größer wird, wie ich annehmen würde, der Erfolg sein. In dieser Hinsicht dürften riesige Atomreaktoren und Kohlekraftwerke auf lange Sicht schlechtere Karten haben, außer in Ländern wie China, wo immer noch autoritäre Regierungen die Spielregeln bestimmen. Viel erfolgversprechender werden, wenn die nötigen Durchbrüche kommen, erneuerbare Energiequellen und weiterentwickelte Biobrennstoffe sein, die sich mit geringeren Vorausinvestitionen im kleineren Maßstab herstellen lassen und dadurch in das Alltagsleben integriert werden können, auch auf kommunaler und Nachbarschaftsebene. Die Länder, die diese oder ähnliche Energiepotenziale am schnellsten erschließen, können im Jahre 2042 am ehesten mit einer boomenden Wirtschaft aufwarten – vielleicht gerade noch rechtzeitig, wenn man an den Zustand unseres Planeten denkt.

Aus dem Amerikanischen von Thomas Laugstien.

 

Erschienen in "Energiekämpfe", Luxemburg 1/2012, 16ff.