Freilassungen im Neonaziterror-Verfahren

Holger G., Carsten Sch., Matthias D. und André E. vom Vorwurf der NSU-Unterstützung entlastet

Der wegen Terrorismusverdacht inhaftierte Holger G. (Jahrgang 1974), der vor seinem Umzug nach Niedersachen in Jena lebte, ist heute vom Bundesgerichtshof freigelassen worden. Der Gabelstaplerfahrer G. war am 13. November 2011 in Lauenau als Erster aus dem Umkreis des Trios Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe  (Nationalsozialistischer Untergrund) wegen des Verdachts der NSU-Unterstützung verhaftet worden. Noch im Juni 1999 geriet Holger G. gemeinsam mit seinem Bruder Dirk als einer der rund 250 Hochzeitsgäste von Thorsten Heise ins Visier des verfassungschutzes. Heise, ehemaliger Landesvorsitzender der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei, zog später nach Thüringen um dieweil G. im Jahr 2005 dem NSU-Trio eröffnet habe, dass er aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen sei, was auf Verständnis stieß: Er müsse sich nicht als Verräter fühlen.

Mit der heutigen Aufhebung des Haftbefehls ist festgestellt, dass G. nicht zum NSU gehörte. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs nach einem halben Jahr Haft und Ermittlungen könnte auch für andere NSU-Verfahren bedeutsam werden, insbesondere die der ebenfalls in Jena als Neonazis aktiv gewesenen Carsten S. und Ralf Wohlleben, wo es auch um Schusswaffenbeschaffung bald nach Untertauchen des Trios geht.

G. war der Beihilfe zu Mord, versuchtem Mord und besonders schwerem Raub sowie der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verdächtig. Er sei, so der BGH heute, „der ihm vorgeworfenen Straftaten nach derzeitigem Erkenntnisstand jedenfalls nicht dringend verdächtig“, so dass er aus der Untersuchungshaft zu entlassen sei.

Unstrittig ist auch für den BGH, dass G. aktives Mitglied der „Kameradschaft Jena“ war und irgendwann 2001/2002 eine Schusswaffe nebst Munition aus Wohllebens Jenaer Wohnung zur damaligen Zwickauer Wohnung des untergetauchten Trios brachte. Und dass er außerdem dem ihm ähnlich aussehenden Böhnhardt Führerschein, ADAC-Mitgliedskarte und für Zschäpe über eine Bekannte auch eine AOK-Krankenversicherungskarte besorgte. Jedoch ist nicht ersichtlich, dass jene von Wohlleben bzw. G. beschaffte Waffe für die dem NSU zugerechneten Taten von Bedeutung gewesen wäre. Auch gebe es keine Anhaltspunkte für die Annahme, damit hätten durch „psychische Beihilfe“ die Ziele des NSU unterstützt werden sollen.

Der BGH legt also, wie stets insbesondere von Liberalen und politisch Linksstehenden gefordert, den Tatbestand der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung restriktiv aus, so dass nicht jede Unterstützungshandlung automatisch als inkriminierte Unterstützung im Sinne des Terroristische-Vereinigung-Paragraphen anzusehen ist.

Zwar habe das Trio „während der ab 1996 geführten Strategiediskussionen“ für sich „ungeachtet des Widerspruchs von Ralf Wohlleben und des Beschuldigten“ (G.) auf Bewaffnung orientiert, aber Stand der Ermittlungen gelte: „Trotz der Übergabe der Waffe bot sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe danach keine Grundlage für die Annahme, der Beschuldigte stehe hinter künftigen Mordanschlägen und befürworte diese.“ Die Bundesrichter weiter: „Hiergegen spricht bereits, dass sich diese Gruppierung bei der Planung und bei der Durchführung ihrer Aktionen streng abgeschottet und - für eine terroristische Vereinigung ungewöhnlich - über mehr als zehn Jahre hinweg davon abgesehen hat, sich zu ihren Taten zu bekennen.“ Nicht von NSU-Unterstützung sei auszugehen - im Gegenteil: „Bei der Übergabe der Pistole hat sich der Beschuldigte unter anderem mit der Bemerkung distanziert, man könne sich nicht anmaßen, ‚mit fünf Leuten die Welt zu retten’“.

Selbstverständlich habe G. um ein – aber nicht um jenes –  illegale Daseins des Trios gewusst: „Wohl habe er vermutet, das sich die Drei, die stets über nicht unerhebliche Geldmittel verfügt hätten, ihren Lebensunterhalt durch Straftaten finanziert hätten.“ Später habe dann auch vom Wegfall des Grunds für das Untertauchen, „von der Aufhebung der Haftbefehle wegen der Vorfälle in Jena infolge Verjährung in der Zeitung gelesen“. Interessant, welchen Ermittlungsstand der Bundesgerichtshof zusammenfasst: „Für den Beschuldigten deutete, wie oben dargelegt, nichts darauf hin, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zwischenzeitlich den von ihnen vor ihrem Untertauchen befürworteten bewaffneten Kampf tatsächlich aufgenommen und Anschläge mittels Schusswaffen oder Sprengstoff verübt hätten.“ Hinsichtlich einer dann noch möglich bleibenden Unterstützung einer „kriminellen“ statt einer „terroristischen“ Vereinigung sieht der BGH keinen Haftgrund: Etliches sei verjährt, für das Übrigbleibende würde „keine derart hohe Strafe drohen, dass schon diese für sich einen hinreichend hohen Fluchtanreiz böte“.

 

Zuerst am 25. Mai 2012 für: www.jenapolis.de/jena/

post scriptum / 29.05.2012: Die am Anfang dieses Artikels vom 25.05.2012 geäußerte Vermutung hat sich inzwischen bestätigt - die Bundesanwaltschaft ordnete am 29. Mai die Freilassung von zwei weiteren Trio-Unterstützern an, und zwar von Carsten S. sowie Matthias D.

pps / 14.06.2012: Inzwischen wurde auf der Bahn-Card-Beschaffer und angebliche "Bekenner-Video-Produzent" André E. durch Beschluß des Bundesgerichtshofs aus der Untersuchungshaft entlassen, weil kein dringender Tatverdacht der NSU-Unterstützung vorliegt. Nachdem anfangs Viele sogleich vom angeblich "immer größer werdenden Unterstützerkreis" schwadronierten, ist jetzt festzustellen, daß - außer der zum Trio gehörenden Beate Zschäpe - im NSU-Verfahren nur noch Ralf W. in Untersuchungshaft sitzt.