Ökologische Wirtschaftsentwicklung und soziale Teilhabe

Die Umstellung der globalen Energiesysteme auf erneuerbare Energien innerhalb der nächsten 50 Jahre ist sicher die größte sozialökonomische Herausforderung dieses Jahrhunderts. Davon wird auch abhängen, ob es gelingt, Wohlfahrtsstaaten auf einer neuen wirtschaftlichen Grundlage wiederherzustellen und weiter zu entwickeln – oder ob sie durch ökologische Krisen, den Sozialabbau und Finanzmarktkrisen weiter erodieren.

Bei der Energiewende geht es nicht nur um eine partielle Anpassung der (alten) Industrie an neue Umweltgegebenheiten, sondern um eine weitreichende sozialökonomische Transformation, die Herausbildung eines neuen Typs wirtschaftlicher Entwicklung, eine andere Art der Industrie – man könnte auch sagen, eine andere Produktionsweise, einen neuen Typ der Naturverhältnisse und der Produktivkräfte.

Die ökologischen Grenzen der fordistischen Massenproduktion

Der nach dem 2. Weltkrieg in den USA und den entwickelten Industrieländern entstandene Typ wirtschaftlicher Entwicklung beruhte auf der Kombination der fordistischen Massenproduktion mit der produktivitätsorientierten Lohnpolitik: sie ermöglichte die sozialstaatlichen Transfers und die sozialen und kulturellen Leistungen des Staates, sie war die Grundlage der Wohlfahrtsstaaten (vgl. Busch, Land 2009). Die Steigerung der Arbeitsproduktivität durch Massenproduktion war die entscheidende Quelle proportional steigender Arbeitnehmereinkommen und Sozialleistungen – bei ebenso proportional steigenden Kapitaleinkommen und Investitionsvolumina. Dabei stieg die Ressourceneffizienz (der Einsatz von Energie, Rohstoffen und Emissionen pro Einheit des Sozialprodukts) bis in die 1980er Jahre kaum.

Arbeitsproduktivität, Bruttoinlandsprodukt und Einkommen stiegen in der BRD (1950 bis 1990) preisbereinigt um etwa 500 Prozent, die Energieeffizienz als die wichtigste Komponente der Ressourceneffizienz um nicht einmal 100 Prozent. (Busch, Land 2009a:25, Land (2009a:6). Daher wurde immer mehr „Natur“ (stofflich) verbraucht. Zwangsläufig musste diese extensive Art der Nutzung von Naturressourcen lokal wie global auf Tragfähigkeitgrenzen stoßen. Die Erschließung neuer Rohstoffreservoirs wurde immer teurer, was sich wirtschaftlich in negativen Skaleneffekten niederschlug. Spürbar wurden diese in den 1970er Jahren – an den Ölkrisen, der Verteuerung der Energie- und Rohstoffpreise, den zunehmenden Umweltproblemen und der entstehenden Umweltbewegung. Zwar wurden einige der Umweltprobleme angegangen – vor allem aber lokal begrenzte wie Flussverschmutzungen und Versauerungsgase und lokale Luftverschmutzung. Zu einer grundsätzlichen ökologischen Neuorientierung der Innovationsprozesse und der wirtschaftlichen Entwicklung kam es nicht.

Die Kosten und Risiken der Umweltnutzung stiegen seit über 30 Jahren, und zwar tendenziell schneller als die Sozialprodukte – und dieser Anstieg der Kosten ist ungebrochen und trägt mit zur Verlangsamung des weltwirtschaftlichen Produktivitätswachstums und zur Senkung der Wachstumsraten bei. Die Grenzen des fordistischen Typs wirtschaftlicher Entwicklung werden seit den 1970er Jahren erkennbar. Dieser Reproduktionstyp funktionierte nur mit hohen Wachstumsraten der Massenproduktion, aber die dafür erforderlichen Zuwächse an Rohstoffen, Primärenergie, Emissionen und Abprodukten stoßen an unüberwindbare Grenzen der Tragfähigkeit der Ökosysteme.

Die globale Krise der Reproduktion der Naturverhältnisse wirkt direkt über Kostensteigerungen, Effizienzverluste und Unsicherheit auf die Dynamik wirtschaftlicher Entwicklung, noch größer aber scheinen die indirekten Wirkungen, die ihre Ursache in den Reaktionen der großen wirtschaftlichen Interessengruppen haben. Die Reaktionen auf die zunehmenden Energie-, Rohstoff- und Umweltprobleme waren nämlich in der Regel nicht darauf gerichtet, die ökologischen Probleme der Massenproduktion durch eine langfristige Strategie des Umbaus der fordistischen Produktionsweise zu lösen. Nur wenige haben schon in der 1970er Jahren erkannt, wie grundlegend und weitreichend die Veränderungen sein müssten (vgl. den Bericht des Club of Rome: Meadows u.a. 1973). Die überwiegenden Reaktionen waren nicht darauf gerichtet, eine andere (umweltkompatible) Rohstoff- und Energiebasis und eine von Emissionen und Abprodukten freie neue Industrie aufzubauen – diese grundlegende Einsicht ist ja bis heute noch kein gesellschaftspolitischer Konsens. Die Reaktionen gingen in drei Richtungen. Erstens versuchte man, die alte traditionelle Rohstoff- und Energiebasis zu sichern, indem man Druck auf die Ölstaaten ausübte, notfalls auch Kriege um Öl und Rohstoffquellen führte, das Welthandelssystem auf die Sicherung der Überlegenheit der Industrieländer über die Rohstoff-exportierenden Länder orientierte, Diktatoren stützte usw.

Zweitens wurde das fordistische Welthandelssystem1 sukzessive suspendiert und durch weitgehend deregulierte Interaktionen von Wettbewerbsstaaten (global und in der EU) ersetzt. Wettbewerbsstaaten versuchen, Ihre Marktanteile durch relativ zu anderen sinkende Lohnstückkosten, Deregulierung, niedrige Sozial- und Umweltkosten und unternehmensfreundliche Steuergestaltung zu vergrößern – uns zwar auf Kosten anderer Marktteilnehmer. Bei diesem System gewinnen zwar einige auf Kosten anderer, aber die Weltwirtschaft insgesamt verliert. Die ökologischen Probleme werden nicht gelöst, sondern auf andere abgewälzt. Spätestens die Eurokrise zeigt, dass diese Strategie nicht nur die Lösung der globalen Umweltprobleme verhindert hat, sondern das Welthandels- und Weltwährungssystem in die tiefste Krise seit dem 2. Weltkrieg gestürzt hat. Heute steht die europäische wirtschaftliche Integration vor dem Scherbenhaufen einer auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch Lohndumping und Exportüberschüsse gerichteten irrwitzigen Wirtschaftspolitik.

Drittens versuchte man die Verluste aus den negativen Skaleneffekten zurückbleibender bzw. sinkender Ressourcenproduktivität durch Umverteilung zu Lasten der Masseneinkommen, insbesondere der Arbeitnehmerlöhne, der Transfereinkommen und der Sozialausgaben zu kompensieren. Der kumulierte Rückstand der Löhne zur Produktivität seit der 1990er Jahren beträgt in Deutschland rund 25 Prozent; dementsprechend stiegen die Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Dieser Trend galt mehr oder weniger für alle entwickelten Industrieländer, wenn auch nicht ganz so extrem (Busch, Land 2009 a und b). Manche feiern die Stagnation der Masseneinkommen unter der Überschrift Postwachstumsgesellschaft. Mit Genügsamkeit und Suffizienz aber hat dies wenig zu tun. In Wirklichkeit hat die Stagnation der Masseneinkommen auch ökologisch verheerende Konsequenzen, weil sie den qualitativen Wandel der Konsumtionsweise, der Investitionen in neue, qualitativ hochwertige, rohstoff- und energieeffiziente Konsumgüter verzögert, zu einer wahren Orgie umweltschädlicher Billigprodukte geführt hat, also auf Kostensenkung statt auf ökologisch neue Qualität orientierte. Also auch hier eine Strategie der Kostensenkung und der Umverteilung ohne qualitativen Wandel der Konsummuster und der Innovationsstrategie für Konsumgüter.

Viertens ist auch die Deregulierung der Finanzmärkte, auf die hier ohne detaillierte Darstellung hingewiesen werden soll, darauf aus, die sinkenden Gewinne realwirtschaftlicher Investitionen durch Gewinne in Wettspielen zu kompensieren. Jedenfalls hat die Deregulierung der Finanzmärkte wenig bis nichts mit einer besseren Allokation von finanziellen Ressourcen für sinnvolle Investitionsstrategien zu tun. Vielmehr behindern die extremen Schwankungen der Kurse für Energie, Rohstoffe, Lebensmittel und Aktien die Herausbildung langfristig angelegter Innovations- und Investitionsstrategien.

Die Suspendierung der produktivitätsorientierten Lohnentwicklung, Lohnzurückhaltung, Sozialabbau, Standortwettbewerb und Umverteilung zu Lasten der Masseneinkommen waren und sind die falsche Reaktion auf die ökologischen Probleme des Wohlfahrtskapitalismus der 1950er bis 1970er Jahre. Auch die Veränderung des Globalisierungsmodus in den 1980er und 1990er Jahren – der Übergang von einem Welthandelssystem der komparativen Vorteile bei stark regulierten internationalen Finanzmärkten zu einem System der Wettbewerbsstaaten und der Konkurrenz um Standtortvorteile – muss man als destruktive Reaktion auf die Grenzen des fordistischen Wachstumstyps verstehen, als Fehlentwicklung. Wettbewerb, wenn institutionell richtig eingebettet, ist in der Regel ein geeignetes Verfahren, um Innovationen, Produkte, Methoden der Kostensenkung und der Effizienzsteigerung zu selektieren bzw. die dafür erforderlichen Ressourcenallokationen vorzunehmen. Wettbewerb zwischen Standorten oder gar zwischen Volkswirtschaften bzw. Staaten (mittels Steuervorteilen, Lohndumping2, Kostensenkung durch geringere oder fehlende Umwelt- und Sozialstandards u. ä.) ist dagegen kontraproduktiv, weil er Vorteile für Gewinner durch Nachteile für die Verlierer erreicht – also im Kern keine wirtschaftliche Entwicklung, sondern bloß Umverteilung zur Folge hat – ganz anders als bei einem Wettbewerb um Innovationen und komparative Vorteile. Die Weltwirtschaft unter den Bedingungen der Liberalisierung, der Wettbewerbsstaaten und des Finanzmarktkapitalismus führt nicht zu progressiven Entwicklungen, die die globalen Krisen des fordistischen Kapitalismus schrittweise überwinden könnten, sie kompensiert lediglich deren negative Effekte für den einen Teil der Weltmarktteilnehmer auf Kosten der anderen und der Allgemeinheit.

Die einzig Erfolg versprechende Art der Reaktion auf die Grenzen des fordistischen Typs wirtschaftlicher Entwicklung wäre eine Effizienzrevolution (Lovins u.a. 1995) gewesen, mit der ein neues Reservoire für Innovationen und nachhaltige, umweltverträgliche Produktivitätssteigerungen erschlossen worden wäre und mit dem der Wohlfahrtsstaat hätte erhalten und weiterentwickelt werden können. Und um diese Lösung geht es in gewisser Weise auch heute noch. Die erneuerbaren Energien, wenn ihre Durchsetzung global gelänge, wären der erste große und der entscheidende Schritt zu einem neuen Typ wirtschaftlicher Entwicklung, einer anderen Art von Industrie und einem neuen gesellschaftlichen Naturverhältnis.

Umweltkonsistenz (Huber 2000) bzw. Umweltkompatibilität würde zur Basis eines neuen gesellschaftlichen Naturverhältnisses, zu dem zentralen Selektionskriterium für Innovationen werden müssen. Die Erhaltung der Natur und der natürlichen Ressourcen wird Bestandteil des Innovationsprozesses und der Produktion.

Das Innovationsreservoir der Zukunft ist nicht mehr zuerst die Massenproduktion (Economies of Scale), sondern Umweltkompatibilität und Ressourceneffizienz. (Die Umweltkompatibilität aller einzelnen Innovationen würden die Grundlage der steigenden Ressourceneffizienz des Systems werden, des Reproduktionssystems insgesamt).

Die Dynamik wirtschaftlicher Entwicklung wird nicht mehr dominant durch das Tempo der Steigerung der Arbeitsproduktivität bestimmt (obwohl diese wichtig bleibt), sondern an erster Stelle durch das Tempo der Steigerung der Ressourceneffizienz. Die Ressourceneffizienz muss deutlich schneller steigen als Produktion und Verbrauch, auch bei wachsender Weltbevölkerung.

Mit dieser veränderten Art der industriellen Naturaneignung werden sich auch die Maßstäbe für Wirtschaftlichkeit verändern: Wirtschaftlich kann auf die Dauer nur sein, was keine Naturressourcen verbraucht bzw. genutzte Naturressourcen reproduziert. Erneuerbarkeit muss also nicht nur Prinzip der Energienutzung werden, es muss letztlich für alle Rohstoffe und alle Abprodukte und Emissionen gelten. Stoffstrommanagement wird zur Voraussetzung von Wirtschaftlichkeit werden.

Praktisch hat der Übergang zu einem anderen Typ der Naturaneignung, die Entwicklung eines neuen umweltkompatiblen Typs von Industrie noch nicht wirklich begonnen. Bei den meisten seit den 1970er Jahren entstandenen Umweltstrategien handelt es sich um Reparatur, Anpassung oder bestenfalls um lokale oder begrenzte Probleme. Erst mit dem Klimawandel beginnt eine erste – allerdings unzureichende – globale Umorientierung der Innovationsstrategien im Bereich der erneuerbaren Energien. Auch wenn die entscheidenden Technologien in den entwickelten Industrieländern entstanden sind – für die globalen Trends ist vor allem der Strategiewechsel solcher Länder wie China, Indien und Brasilien von Bedeutung. Zwar dominieren auch dort die alten fossilen Energien und die Atomkraft, aber parallel hat ein anschwellender Investitionsboom in Erneuerbare Energien begonnen. Zunehmend wird erkennbar, dass der Pfad der nachholenden Modernisierung nicht über den Nachvollzug der Technologiegeschichte der entwickelten Länder erfolgen kann, sondern auf den Aufbau einer postfossilen Energiewirtschaft hinauslaufen könnte, der vielleicht in einer anschließenden zweiten Welle die Entstehung einer neuen umweltkompatiblen Industrie in eben diesen Ländern folgen könnte. Der Grund ist simpel: auf den alten Pfaden der fordistischen Massenproduktion ist keine nachholende Entwicklung mehr möglich. Entweder Industrialisierung auf einem anderen, umweltkompatiblen Entwicklungspfad oder keine Industrialisierung. Neben den wohlstandsbasierten ökologischen Produktions- und Konsumstrategien der reichen Länder entsteht derzeit vielleicht noch eine andere ökologische Umbaustrategie, deren Logik aus der nachholenden Industrialisierung folgt, einer nachholenden Industrialisierung unter den Bedingungen weltweit bereits erreichter bzw. überschrittener Tragfähigkeitsgrenzen für Naturressourcen.

Ein neues Naturverhältnis erfordert ein verändertes Modell der Innovations- und Investitionsregulation

Mit der „4. Revolution“, dem Aufbau einer umweltkompatiblen Industrie, werden sich auch die Muster sozialer Teilhabe verändern müssen. Einer auf Umweltkompatibilität ausgerichteten Industrieentwicklung könnte ein Teilhabemodell nicht mehr entsprechen, dessen Zentrum wachsender Massenkonsum durch mit der Produktivität steigende Löhne und Transfereinkommen darstellt. Zudem sind die standardisierten Teilhabemuster der 1960er Jahre inzwischen kulturell wie lebensweltlich überlebt – sie kollidieren mit der Orientierung auf Teilhabe als Freiheit zu individueller Entwicklung und Selbstbestimmung (Land 2010a, Busch, Land 2009). Eine bloße Wiederherstellung des alten Wohlfahrtsstaates ist ausgeschlossen – und zwar sowohl aus ökologischen als auch aus lebensweltlich-kulturellen Gründen. Dies gilt auch, wenn es aktuell richtig ist, einen Ausgleich der wachsenden Ungleichheit durch Umverteilung zu fordern und staatlich finanzierte Maßnahmen gegen die Perspektivlosigkeit der „Überflüssigen“ zu verlangen.

Volkswirtschaftlich ist dabei allerdings ein Widerspruch zu lösen – und wir wissen noch nicht, wie eine mögliche und zugleich sinnvolle Antwort aussehen könnte. Erst eine Lohnregulation, bei der die Löhne im Maße der (Arbeits-)Produktivität steigen, ermöglichte eine halbwegs stabile welt- und volkswirtschaftliche Entwicklung, während das Zurückbleiben der Löhne hinter der Produktivität – wie u. a. schon von Rosa Luxemburg nachgewiesen – zu Überakkumulation, Kolonialismus und Krieg führen – und zu der Serie von Finanzmarktkrisen, mit denen wir es seit den 1990er Jahren zu tun haben, also seitdem die Lohneinkommen wieder dramatisch hinter der Produktivität zurückbleiben. An die Produktivität gebundene Lohnsteigerungen sind also eine volkswirtschaftliche Stabilitätsanforderung. Der Unterschied zu fordistischer Lohnregulation wäre zunächst nur, dass ein komplexerer Produktivitätsbegriff zu Grunde gelegt werden müsste, eben nicht nur die Arbeits-, sondern auch die Ressourcenproduktivität. Trotzdem wären mit der Arbeits- und der Ressourcenproduktivität steigende Masseneinkommen notwendig, um auch eine volkswirtschaftlich stabile Kapitalverwertung (also die Rentabilität realwirtschaftlicher Investitionen) zu regulieren. Andererseits ist global gesehen aus ökologischen Gründen eine Rückkehr zu Kopplung von Produktivität, Masseneinkommen und Massenkonsum in den entwickelten Ländern nicht ohne Weiteres möglich. Denn selbst wenn steigender Konsum bei sinkendem Ressourcenverbrauch erfolgt und dies durch andere Produkte und Dienstleistungen erfolgt, Massenkonsum also ökologisch unschädlich gemacht werden könnte, bleibt das Erfordernis überproportional steigender Investitionen in umweltkompatible Industrien weltweit, dabei insbesondere auch durch Kapitaltransfers in den Schwellen- und Industrieländern. Eine nur theoretisch mögliche Lösung wäre eine Lohnentwicklung unterhalb der Produktivität mit überdurchschnittlich wachsenden Kapitaleinkommen (wie wir sie seit mindestens 20 Jahren schon haben), die dann aber über Kapitalexporte zu umweltkompatiblen Industrieentwicklungen auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern führen. Diese theoretische Möglichkeit hätte aber die Kehrseite gewaltiger Vermögensungleichheiten: die neu entstehenden Industrien wären entweder im Eigentum der reichen globalen Kapitalexporteure oder sie wären mit gewaltigen Schulden verbunden, denen entsprechende Kapitalguthaben der Geldvermögensbesitzer in den reichen Ländern entsprechen. Zudem wissen wir, dass überproportional steigende Kapitaleinkommen nicht zu wachsenden Realinvestitionen führen (weder zu ökologisch progressiven noch zu ökologisch problematischen), sondern unter den gegebenen Bedingungen in die Kapitalmärkte fließen und dort zu Finanzmarktblasen und Krisen führen. Zurückbleibende Löhne und überproportional steigende Kapitaleinkommen sind aus regulationstheoretischer Sicht also kein praktikabler Weg, um überproportionale Investitionen in eine postfordistische bzw. ökokapitalistische Transformation der Industrie zu finanzieren. Dann scheint eine Regulation plausibler, die sichert, dass die Löhne (und natürlich auch die Kapitaleinkommen) proportional mit der Produktivität steigen, diese Steigerung aber ganz oder teilweise durch steigende Steuern oder Abgaben – z.B. eine Öko-Investitionsumlage – in einen staatlichen Fonds für Investitionen in den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft fließen. Die Devise wäre dann: Mehr Brutto, aber Nettoeinkommen, die langsamer steigen als die Bruttolöhne, weil sie die steigenden Umweltkosten und Umweltinvestitionen finanzieren. Mehr Brutto, aber anteilig weniger Netto vom Brutto – das wäre das Gegenstück zur bekannten FDP-Parole „Mehr Netto vom Brutto“, die in jedem Fall in eine Sackgasse führen muss.

Ist ein großer und wachsender staatlicher Investitionsfonds für den ökologischen Umbau, der durch wachsende Steuern finanziert wird, der richtige Weg? Es wird nicht verwundern, dass ich als ehemaliger DDR-Bürger diese Lösung nicht befürworte. Am Beginn meines Wegs als Wirtschaftswissenschaftler stand die Auseinandersetzung mit den Problemen einer nicht funktionierenden Planwirtschaft. So richtig es ist, dass es auch einen staatlichen Investitionsfonds für den ökologischen Umbau der Industrie, noch mehr der öffentlichen Infrastruktur, für die Grundlagenforschung und der Entwicklungshilfe geben muss (er tatsächlich ist unverzichtbar genau für die genannten Funktionen), so ablehnend stehe ich der Idee gegenüber, dass ein staatlicher Investitionsfonds funktional und dem Volumen nach die entscheidende Komponente für Investitionen in die neu entstehende Industrie sein könnte, die ja zu einem überwiegenden Teil nicht aus staatlichen Unternehmen besteht. Ich erspare mir, das hier zu begründen (vgl. Land 2010d, 1996). Wenn die Investitionen in den Aufbau eines neuen Typs von Industrie aber zielkonform weder allein bzw. überwiegend aus überdurchschnittlichen privaten Kapitaleinkommen finanziert werden sollen bzw. können (Teilhabe der Bevölkerungsmehrheit wäre nicht gegeben), noch allein oder dominant über einen steuerfinanzierten staatlichen Investitionsfonds – weil beides zu dysfunktionalen Entwicklungen führte – was dann? Wir haben noch keine institutionell komplexe Antwort auf diese Frage. Irgendwie könnte man sich vorstellen, dass wachsende Lohneinkommen nicht in wachsende Konsumtion, sondern in viele gesellschaftliche Investitionsfonds fließen, die Kollektiveigentum der Bürger sind und die insofern öffentlich, aber nicht staatlich, zumindest nicht allein oder dominant staatlich agieren. Sie würden weder den Konzernen gehören, weil diese kaum mit dem notwendigen Tempo neue Industrien aufbauen werden, um die alten abbauen zu können, noch allein den Machtkonstellationen der Staaten untergeordnet sein, aber auch nicht von der Disposition der einzelnen Verbraucherhaushalte abhängen. Wie so ein neues Modell öffentlicher nicht staatlich dominierter Investitionsfonds aussehen könnte, ist aber weitgehend unerforscht und undebattiert. M.E ist es ein Fehler vieler (nicht aller) Linker, wenn sie nach den Katastrophen des 20 Jahrhunderts, die überwiegend mit der Verselbständigung und Verkehrung staatlicher Macht zu tun hatten (Beispiele sind Hitlerdeutschland und die Sowjetunion), immer noch glauben, es sei praktikabel und zielführend, wenn Politik die Wirtschaft in die neue Richtung steuert – es müsste nur die richtige Partei an der Regierung sein. Ich halte diese Sicht der Dinge für vorsintflutlich (wenn man 1989 als Jahr der Sintflut nimmt), gebe aber zu, dass die Lösung dieses Widerspruchs intellektuell wie praktisch erst noch gefunden werden muss.

Ich könnte mir vorstellen, dass die Bildung von Investitionsfonds für den ökologischen Umbau der Industrie regional, überregional und global durch öffentlich-rechtlich verfasste und zivilgesellschaftlich basierte Ökokapitalgesellschaften vermittelt werden könnte. Dann würden die Investitionen in den ökologischen Umbau der Industrie, der Infrastruktur und der Konsumtionsweise nämlich von vornherein nicht als Umverteilung aus Gewinnen oder Löhnen, sondern als Kostenbestandteile erscheinen. Über solche Lösungen gibt es schon Forschungen und Überlegungen, aber auch hier sind wir intellektuell am Anfang und von praktischen Lösungen weit entfernt. Allerdings hat dieser Weg noch einen weiteren Vorteil: Für bestimmte Ressourcen mit lokalen Kreisläufen kann man regionale Ökokapitalverwertungsgesellschaften bilden und ihre Funktionsweise schrittweise erproben. (Vgl. Binswanger 2006, Barnes 2008. Vgl. Land 1994, 1995).

Ein neues Naturverhältnis erfordert ein verändertes Modell sozialer Teilhabe

Untersuchen wir nach der Investitionsregulation die andere Seite, das mit der Lohnregulation verbundene Modell der Teilhabe der Individuen an dieser anderen Art wirtschaftlicher Entwicklung. Der Wohlfahrtsstaat könnte vielleicht auf einer neuen industriellen Grundlage wieder hergestellt werden – aber eben nur in einer anderen, neuen Gestalt.

In der fordistischen Ökonomie der 1950er bis 1970er Jahre ging es um Teilhabe durch qualitativen und quantitativen Zuwachs mehr oder weniger standardisiertem Konsum und um mehr oder weniger standardisierte Mitbestimmungsrechte. Will man ökologische Modernisierung und soziale Teilhabe wirklich auf neue Art zusammenbringen und die für das Funktionieren einer Kapitalverwertungsökonomie essentielle produktivitätsorientierte Lohnentwicklung wiederherstellen, so müsste man soziale Teilhabe als Umbruch, als Revolution der Lebensweisen denken, nach einer zur ökologischen Modernisierung passenden Transformation des Sozialen fragen.

Auf den ersten Blick scheint es einfach: Nachhaltiger Konsum, andere Konsumgüter, mehr ideelle, weniger materielle Konsumtion: Bildung, Theater und Kommunikation statt viel Essen, Auto fahren und Fernreisen. So richtig dies scheint, es reicht als Antwort auf die Krise der fordistischen Wohlfahrtsökonomie wahrscheinlich nicht. Die Wiedergewinnung von Teilhabe durch Rückkehr zum Massenkonsum, nur eben ökologisch, löst das Teilhabeproblem m. E. nicht.

Teilhabe kann unter dem Paradigma einer ökologischen Modernisierung nicht in der Rückkehr zu einer standardisierten Massenkonsumtion bestehen. Darüber sind sich fast alle einig. Aber auch Askese und Genügsamkeit ist kein universelles Modell freier und selbst bestimmter individueller Entwicklung. Selbstbeschränkung beim Ressourcenverbrauch muss irgendwie einhergehen mit der Freiheit zu neuen Fähigkeiten und Genüssen, Arbeits- und Lebensinhalten, die die Inhalte eines neuen, mit freier Entwicklung von Individualität verbundenen Modells sozialer Teilhabe werden könnten. Sie zu finden, zu erproben und gesellschaftlich zu verbreiten, ist ein integraler Bestandteil der ökologischen Modernisierung.

Können Teilhabe und Individualitätsentwicklung positiv korrespondieren? Diese Frage ist bislang unbeantwortet und erst die Kämpfe um Deutungen und Perspektiven der kommenden Jahre werden zeigen, ob es zu einer Neuverfassung des Sozialen kommt und worin sie bestehen könnte.

Es lohnt sich aber, schon heute die praktischen Entwicklungen auf diesem Feld zu beobachten. In der Prignitz, dem Nordwesten Brandenburgs gibt es so viel Windräder wie kaum woanders. Hier wird Strom exportiert, man erzeugt viel mehr, als in der Region verbraucht wird. Zugleich hat Bandenburg die meisten und die aktivsten Bürgerinitiativen gegen Windkraftanlagen und – wie jeder weiß – eine in Teilen durchaus problematische Jugendkultur. Die Erklärung ist einfach: Fehlende Teilhabe und viele Jugendliche, die sich nicht nur überflüssig vorkommen, sondern die überflüssig sind, weil sie praktisch so behandelt werden. Die lokale Bevölkerung profitiert in keiner Hinsicht von dem Boom der erneuerbaren Energien vor ihren Fenstern. Sie hat die höchsten Strompreise, die Betreiber und Investoren sind nicht aus der Region, die Arbeitsplätze entstehen woanders und die Einkommen fließen in andere Taschen. Seit zwei Jahren fließt wenigstens ein Teil der Gewerbesteuer an die Standorte der Windkraftanlagen, allerdings zahlen die Betreiber meist erst Gewerbesteuer, wenn die Kredite abgezahlt sind. Diese Art, die Energiewende umzusetzen, kann sozialökonomisch nur scheitern (vgl. Thie 2006).

Dass es auch anders geht, das zeigen Gemeinden wie Feldheim oder Zschadraß. Hier haben Kommunen, Gemeinden und Bürger gemeinsam neue regenerative Energiesysteme aufgebaut und die Bürger partizipieren – durch günstige Energiepreise, durch Anteile am Vermögen und den Gewinnen, durch Arbeitsplätze und Erwerbseinkommen, durch Mitbestimmungsmöglichkeiten. In Zschadraß entscheidet ein Bürgerverein, was mit einem Teil der Gewinne geschieht: Sie werden für den Kindergarten, die Schulspeisung und die Sportvereine genutzt.

Die Energiewende ist nicht nur ein großes Experimentierfeld für Innovationen, Technologie und neue unternehmerische wie bürgerschaftliche Organisationsformen, auch die Modernisierung sozialer Teilhabe kann hier erprobt und neu erfunden werden. Der Transformationsprozess und auch ein neuer, überarbeiteter Wohlfahrtsstaat wird nicht das Ergebnis eines großen Masterplanes sein, wird nicht von Regierungen erdacht oder in Konferenzen vereinbart, sondern entsteht durch Evolution, durch viele Millionen kleine und große Experimente, deren Selektion und Rekombination erfolgen, die nicht ohne Fehler und Rückschläge ablaufen kann. Soziale Bewegungen, Kämpfe und Diskurse, Selbstorganisation sind das Feld, in dem diese Innovationen entstehen und Selektionen und Rekombination ablaufen. Offenheit, Lern- und Evolutionsfähigkeit sind überlebenswichtig.

Anmerkungen

1   Das fordistische Welthandelssystem basierte auf komparativen Vorteilen beim Austausch von Massenprodukten durch Herausbildung komplementärer Produktpaletten und entsprechend komplementärer Innovationsstrategien sowie restriktiver globaler Regulierung der Finanzmärkte entlang ihrer Funktionen für den realwirtschaftlichen Investitionsprozess. Eine hegemoniale US-Wirtschaft. war Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit. Die verschiedenen Industrieländer konzentrierten sich auf jeweils besondere Funktionen im globalen Wirtschaftssystem; Deutschland z.B. entwickelte das Produktionsmodell eines „diversifizierten Qualitätsproduzenten“ für Produktionsmittel, Anlagen und Kraftfahrzeuge (vgl. Trischler 2007).

2   Lohnsteigerungen, die regelmäßig unter der Rate der Produktivitätssteigerung liegen, wie in Deutschland.

Literatur

Barnes, Peter (2008): Kapitalismus 3.0. Hamburg, VSA.

Binswanger, Hans Christoph (2006): Die Wachstumsspirale. Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses. Marburg: Metropolis-Verlag.

Huber, Joseph (2000): Industrielle Ökologie. Konsistenz, Effizienz und Suffizienz in zyklusanalytischer Betrachtung. In: Kreibich, Rolf; Simonis, Udo Ernst (Hg.): Global Change. Berlin: Verlag Arno Spitz, 2000. S. 109-126.

Lovins, Armory B.; Lovins, L. Hunter; Weizsäcker, Ernst U. v. (1995): Faktor 4. Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch. München.

Meadows, Dennis; Meadows, Donella; Zahn, Erich; Millig, Peter (1973): Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Rowohlt.

Thie, Hans (2006): Potenziale einer nachhaltigen und selbst tragenden Entwicklung der Stadt Wittenberge und ihres Umlandes unter besonderer Berücksichtigung der energetischen und industriellen Nutzung nachwachsender Rohstoffe. Konzeptstudie. www.thuenen-institut.de

Trischler, Helmuth (2007): „Made in Germany“: Die Bundesrepublik als Wissensgesellschaft und Innovationssystem. In: Hertfelder, Thomas; Rödder, Andreas (2007): Modell Deutschland. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Die folgenden Texte auch auf www.rla-texte.de:

Busch, Ulrich; Land, Rainer (2009a): Kapitel 4: Der Fordistische Teilhabekapitalismus als Regime sozioökonomischer Entwicklung und der Umbruch. Deutschland 1950 bis 2009. In: Forschungsverbund Sozioökonomische Berichterstattung (Hrsg.): Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland. Teilhabe im Umbruch. Zweiter Bericht. Wiesbaden 2010: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Busch, Ulrich; Land, Rainer (2009b): Deutschland zwischen 1950 und 2009 – Wirtschaftsentwicklung und Teilhabe. (Der Teilhabekapitalismus und sein Ende, Entwurf Okt. 2009)

Land, Rainer (2009a): Anhang 3: Ressourceneffizienz und die Grenzen des fordistischen Typs sozioökonomischer Entwicklung. Ebenda.

Land, Rainer (2009b): Schumpeter und der New Deal. In Berliner Debatte Initial 20(2009)4, S. 49-61.

Land, Rainer (2009c): Die globale Energiewende als neues Paradigma wirtschaftlicher Entwicklung und die politische Agenda von Barack Obama. In: In Berliner Debatte Initial 20(2009)2, S. 62-66.

Land, Rainer (2010a): Zur Unterscheidung zwischen Wirtschaftswachstum und wirtschaftlicher Entwicklung. Teil I: Regime wirtschaftlicher Entwicklung. Teil II: Wachstumstypen, Indikatoren und Messprobleme. Eine Abhandlung.

Land, Rainer (2010b): Moderner Sozialismus als sozioökonomische Evolutionstheorie. Langfassung auf www.rla-texte.de. Gekürzte und bearbeitete Fassung in Luxemburg, Heft 2/2010.

Land, Rainer (2010c): Ökologische Wirtschaftsentwicklung und soziale Teilhabe. In: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 5/2010, S. 34-36. www.frankfurter-hefte.de

Rainer Land (2010d): Staatssozialistische Planwirtschaft und wirtschaftliche Entwicklung – Warum Planwirtschaft nicht innovativ sein kann. www.rainer-land-online.de

Land, Rainer (1996): Staatssozialismus und Stalinismus. In: Lothar Biesky, Jochen Czerny, Hernert Mayer, Michael Schumann: Die PDS – Herkunft und Selbstverständnis. Berlin: Dietz Verlag.

Land, Rainer (1994): Ökosteuer oder Ökokapital? Versuch einer Antwort auf Fragen von André Gorz. In: Andere Zeiten. Forum für politische Ökologie und soziale Emanzipation. Nr. 4/94, September 1994, Berlin, S. 3-12.

Land, Rainer (1995): Irrwege und Auswege der Ökokapital-Debatte. In: Andere Zeiten. Forum für politische Ökologie und soziale Emanzipation. Nr. 3/95, September 1995, Berlin, S. 3-10.

 

Dieser Artikel erschinen in: Berliner Debatte INITIAL 22 (2011) 3, S. 58-65