Sick Sad Life – zur künstlerischen Reproduktion des Kapitals

„Auf der Photographie sozusagen, sieht das Kapital immer bloß wie Geld aus.“[1] Die Enttäuschung die in Alfred Sohn-Rethels Formulierung mitschwingt ist nur allzu verständlich. Sind doch Versuche, das Kapital künstlerisch gegenständlich zu fassen, und das in Sohn-Rethels Beispiel aus den frühen 1970ern im scheinbar vertrauenswürdigsten Bildmedium, zum kläglichen Scheitern verurteilt. Das Kapital ist als gesellschaftliches Verhältnis unser aller Reproduktion, allgegenwärtiges Formgesetz noch der Kamera, die die Aufnahme macht, und trotzdem, oder vielmehr gerade deshalb, bleibt es selbst bildlos. Es benennt eine Produktionsordnung, die sich in allem abbildet und genau deswegen kein eines Bild hat. Denn „in der Zirkulation G-W-G ... funktionieren beide, Ware und Geld, nur als verschiedene Existenzformen des Werts selbst, das Geld seine allgemeine, die Ware seine besondere nur verkleidete Existenzform.“[2] Geld also abzubilden bleibt, obwohl es allgegenwärtige Tauschform ist, nicht mehr als eine hilflose Geste, ein Verweis auf diejenige kapitalistische Wertform, die ohnehin alles betrifft, was noch im Bild ist. Die Enttäuschung liegt also letztlich darin, dass man doch nur wieder eine Vergegenständlichungsform des Wertes vor sich hat. Doch zu kritisieren wäre das Kapital ja nach seinen Zwecken, nicht nach seiner Äquivalentform, die letztlich nicht mehr als Ding unter Dingen ist. Was dieses Ding zum Problem macht, ist dass es einen Prozess vorantreibt an dessen Ende eben kein Ende steht, sondern die Reproduktion desjenigen Verhältnisses, das den Äquivalententausch zur Fortexistenz braucht: das Kapital.

„Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst, ist dies: daß das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt als Motiv und Zweck der Produktion erscheint; dass die Produktion nur Produktion für das Kapital ist und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße Mittel für die sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind.“[3] Die Waren sind also eben so sehr wie die Königin der Waren, das Geld, nur derjenige Punkt, an dem die Produktion sich für einen Moment materialisiert, zum Austausch auftaucht, um als Ergebnis des Tausches wieder Wert werden zu können. Was da fotografiert werden soll, ist also zuvorderst ein Reproduktionszusammenhang und das Geld kein besonders produktiver Ausgangpunkt für dessen Auftrennung. Es sind die Ebenen der Reproduktion in ihm, die Momente in denen das Geld, im Guten wie im Schlechten, mit Abwesenheit glänzt, an denen sich die Gewalt, die das Kapital ja bleibt, niederschlägt. In der Reproduktion des Kapitals ist diejenige der Menschen verborgen und in der unausgesetzten Fortsetzung der „sog. ursprünglichen Akkumulation“[4] werden nicht nur fortlaufend die Reproduktionsmittel des Kapitals intensiviert und erweitert, sondern gleichzeitig die Rolle der Menschen darin als Teilnehmer_innen an andauernden Serien aus Enteignungen und Abhängigkeiten bestimmt: „Der Prozeß, der das Kapitalverhältnis schafft, kann also nichts andres sein als der Scheidungsprozeß des Arbeiters vom Eigentum an seinen Arbeitsbedingungen, ein Prozeß, der einerseits die gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsmittel in Kapital verwandelt, andrerseits die unmittelbaren Produzenten in Lohnarbeiter. Die sog. ursprüngliche Akkumulation ist also nichts als der historische Scheidungsprozeß von Produzent und Produktionsmittel.“[5]

Wie Rosa Luxemburg und andere es in Marx’ Nachfolge argumentierten, handelt es sich bei diesem Prozess nicht lediglich um einen historischen Gründungsmythos in dem das Kapital die Welt nach seinem Vorbild erschuf, sondern dieser Prozess, die gewaltsame Urbarmachung unterschiedlicher Produktionsfelder, setzt sich stetig fort. In der Kunst könnte man das Fortschreiten solcher ursprünglicher Akkumulationen anhand der Erschaffung der Modernen und der Gegenwartskunst durch das Kapital verdeutlichen: Mit der „formellen Subsumption“[6] der Kunst unters Kapital im 19. Jahrhundert, wurde sie als vom künstlerischen Handwerk abgegrenztes Produktionsfeld etabliert, in dem jedoch die Produktionsbedingungen selbst zunächst unangetastet blieben (ein Umstand, der als ‚Autonomie’ bekannt wurde). Mit der hierauf aufbauenden „reellen Subsumtion“ der Kunst unters Kapital nach dem Zweiten Weltkrieg, der Institutionalisierung der Gegenwartskunst als einem Segment industrieller Massenkultur, deren Ausbildung, Produktion, Distribution und Repräsentation sich seither am Modell des kulturellen Dienstleistungssektors ausrichtet, wurde hiernach ein Standard geschaffen, der eine De-autonomisierung künstlerischer Produktion mit deren gleichzeitigen faktischen Politisierung verband. Als Industrie kam ihr die ungewollte gesellschaftliche Unzurechnungsfähigkeit der Autonomie abhanden. Ebensolche Modelle ließen sich ebenso auf mikrologischer Ebene verfolgen, mit der Professionalisierung des Galeriebetriebs nach dem Zweiten Weltkrieg, der Durchsetzung arbeitsteiliger Künstlerstudios u.v.m..

In der Gegenwartskunst ist also Kapital derzeit ebenso alternativlos und überpräsent wie in allen anderen Bereichen gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion. Alle bildnerischen Versuche, so viel Abstand von ihm zu gewinnen, dass es in den Rahmen passt, sind vergebens, denn sie müssten diejenige, die am Abzug ist, selbst als Kapitalgestalt mitabbilden. Künstler_innen sind zuvorderst Produzent_innen im Sektor Massenkultur und ihre Sonderstellung darin lässt in der heute fast hohnhaften Wiederholung pathetischer Autonomieformeln die Gewalt, mit der ihre Arbeitsbedingungen von Unterbezahlung, institutionellen und persönlichen Abhängigkeiten, mangelnder sozialer Vergesellschaftung und Organisierungsmöglichkeiten gekennzeichnet sind, ungefiltert zurückschlagen. Die Organisierungsformen, die Gruppen wie W.A.G.E. (Working Artists and the Greater Economy) dem entgegenstellen, tragen genau diesem Sachverhalt Rechnung, indem sie die Organisierungsfrage den Institutionen statt den Künstler_innen stellen. Letztere sind auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, ihre Autonomie als soziale Formel der eigenen Künstler_innenexistenz aufrecht zu erhalten. Ihre Organisierungsmöglichkeit liegt daher nicht zuvorderst in der direkten Ansprache, sondern vielmehr in der anonymisierten Verallgemeinerung und Offenlegung ihrer Produktions- und Reproduktionsbedingungen. 2008 gegründet, konzentriert sich W.A.G.E. seit 2010 auf dass Ziel, eine „regulierte Bezahlung von Künstler_innenhonoraren durch nicht kommerzielle Kunstorganisationen und Institutionen“ durchzusetzen. Hierfür erarbeiten sie derzeit ein Zertifikat, das von Institutionen als freiwillige Verpflichtung auf diese Praxis unterschrieben werden soll.

Unsere eigene Reproduktion innerhalb des Kapitals webt uns gerade durch ihre Alternativlosigkeit für die Einzelnen in einen Vorhang ein, den wegzureißen immer nur eine neue Aussicht auf G-W-G, Geld Ware Geld eröffnet. Damit will ich keinesfalls einer aussichtsbefreiten Totalen das Wort reden, nur die bildliche Wiederholung des Kapitals in seinem ‚natürlichen Umfeld’, verspricht wenig mehr als moralischen Naturalismus oder eben Ansichten eines allgemeinen Tauschmittels. Und die ist wohl kaum je besser gelungen als in Dagobert Ducks Geldspeicher. Künstlerische Versuche, dieses Verhältnis umzukehren und eben das Geld als Kapital zu zeigen, bleiben demgegenüber immer in der Tauschsphäre hängen: Lee Lozanos Real Money Piece zum Beispiel, von 1969, in dem sie ihren Gästen über einen Zeitraum von drei Monaten „Diät-Pepsi, Kaffee, Bourbon, ein Glass half-and-half,  Eiswasser, Gras und Geld“, anbot demonstriert nicht mehr als den gesellschaftlichen Umgang mit einem Tauschwert, der keinen Gebrauchswert mit sich bringt. Cildo Mereiles bedruckte in seinen Insertions Into Ideological Circuits von 1970 Geldscheine und Coca-Cola Flaschen, da beide in demselben Feld, innerhalb Brasiliens, fortlaufend zirkulierten und sich so in der markierten Bewegung gleichzeitig die Grenze und der Bewegungsradius der Zirkulation abzeichnete. Er versuchte, das Geld zu vergegenständlichen, eine notwendig scheiternde Unternehmung, die lediglich ein personalisiertes Antlitz der immer gleichen G-W-G-Form herstellt. Und genau deswegen ist Dagobert Ducks Geldspeicher so unvergleichlich: Er überträgt den Warenfetischismus der sich mühelos auf Pepsi, Gras, markierte Colaflaschen oder auf die oben erwähnte Kamera projizieren lässt, auf die einzige Ware, die gesellschaftlich als bloßes Medium firmiert, ohne sie scheinbar zu personalisieren. Unzählige Hollywoodfilme haben Dagoberts Geldbad wiederholt und Allan Kaprow legte 1987 bei der documenta 8 in Red Carpet for the Public das Geld aus, das für die Produktion seiner Arbeit bereitgestellt worden war. Aber alle diese momentweisen Umwidmungen von Geld, seine partielle Redistribution ebenso wie seine gezielte Fetischisierung scheiterten außerhalb von Entenhausen daran, dass es letztendlich wieder in Umlauf kommt, eben unausweichliches Tauschmittel bleibt. Die künstlerischen Attacken auf das Geld sind zahllos, doch ihre notwendige Beschränkung auf dessen symbolische Vernichtung, Ersetzung oder Qualifizierung bleiben Ansichten einer Abstraktion, aus denen keine Aussichten einer Konkretion werden.

Bei W.A.G.E. taucht Geld eben nicht als Punkt der inhaltlichen oder künstlerischen Auseinandersetzung auf, sondern als notwendiges Tauschmittel zur Sicherung der eigenen Reproduktion. Und es ist eben diese Reproduktion, die so künstlerisch und politisch ins Zentrum der Betrachtung gerät – die sozialen und materiellen Eckpunkte des eigenen Überlebens im Industriezweig Gegenwartskunst. Deren ökonomische Ausdifferenzierung schlug sich ebenso in der Organisierung solcher Künstler_innen wie Lee Lozano und anderer in Gruppen wie dem AWC (Art Workers Coalition) (1969) nieder, die für eine größere künstlerische Macht über die eigene Repräsentation kämpften und hierbei vor allem den weitgehenden Ausschluss weiblicher, afro-amerikanischer und puertorikanischer Künstler_innen in den großen New Yorker Kunstsammlungen angriffen. Es ist eben diese reelle Subsumtion der Künstler_innen als Gegenwartskunstproduzent_innen unters Kapital, die sich in den unzähligen künstlerischen Organisierungen dieser Zeit niederschlug, die die künstlerischen Produzent_innen in die Kämpfe ihrer Gegenwart einspannten, wie es z.B. in der breiten künstlerischen Beteiligung an der Anti-Vietnamkriegsbewegung deutlich wurde. Mit 1968 entwickelte sich ein neues Verständnis dieses eigenen gesellschaftlichen Eingebundenseins, eine Innensicht, die Gilles Deleuzes in einer Aktualisierung der traditionellen Figur der Ideologiekritik formulierte, in einer Ansicht statt einer Aussicht. „Denn wenn es hinter dem Vorhang nichts zu sehen gibt, dann deshalb, weil das Sichtbare oder eher das ganze mögliche Wissen eben die Fläche des Vorhangs ist und es ausreicht, ihr weit genug und eng genug, oberflächlich genug zu folgen, um seine Rückseite hervorzukehren, um aus der rechten die linke zu machen und umgekehrt.“[7]

Und genau darin ist die Enttäuschung des marxistischen Theoretikers über das scheinbar mangelnde Formvermögen künstlerischer Praxis zu Beginn der 1970er selbst reaktionär gegenüber der Lage der Kunst in seiner Zeit: Der modernistische Werkrahmen, der in Sohn-Rethels „auf der Photografie“ steckt, sieht die Kunst eben in derjenigen erzwungen ‚autonomen’ Isolation einer nur formellen Akkumulation unters Kapital, die die Vorkriegskunst bestimmt hatte. Er hofft, dass sie ‚den Vorhang wegreißt’, wo sie doch längst in ihn eingewebt wurde und eben hierdurch neue Politizität gewann. Im künstlerischen Sozialutopismus der 1920er ließ sich das Geld noch als externer Faktor, als Sinnbild des Kapitals abbilden, ohne dem bloßen Naturalismus zu verfallen, John Heartfields serielle Collagen zeigen das politisch zielgenau. Aber indem Sohn-Rethel den Einschluss der Gegenwartskunst in den Rahmen des Kapitals selbst, ihre Existenz als kulturindustrielle Industrie aus dem Blick fallen lässt, mutet er ihr eine irreale Aussicht zu und lässt die künstlerische Produktion eben nicht so nah und so genau an den Vorhang herantreten, dass in ihm die eigenen Reproduktionsmittel zu Produktionsmitteln werden können, das Kapital sich als das Geld zeigt, mit dem die künstlerische Arbeit als kapitalistische Produktionsweise entlohnt werden sollte.


Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Sommer 2012, „Übers Geld reden“.
 



[1] Alfred Sohn-Rethel, Die Formcharakter der Zweiten Natur, in: ders. Peter Brückner, Gisela Dischner Peter Gorsen u.a., Das Unvermögen der Realität, Berlin 1974, S.198.

[2] Karl Marx, Das Kapital, Bd.1, MEW Bd. 23. Berlin 1982, S.168/69.

[3] Karl Marx, Das Kapital, Bd. 3, MEW Bd. 25. Berlin 1990, S. 278.

[4] Karl Marx, Das Kapital, Bd.1, S.742

[5] Karl Marx, Das Kapital, Bd.1, S.742.

[6] Karl Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Archiv sozialistischer Literatur 17, Neue Kritik, Frankfurt a.M. 1968, S. 46ff.

[7] Gilles Deleuze, Logik des Sinns, Frankfurt a. M. 1993, S. 25.