Numerus clausus und das Recht auf Bildung

Ein Gerichtsurteil und seine Folgen

Vor genau 40 Jahren verkündete das Bundesverfassungsgericht mit seinem ersten Numerus-clausus-Urteil vom 18.07.1972 eine "Magna Charta" des Rechts auf Bildung. Dieser Entscheidung verdanken Tausende von Studienbewerbern ihren Studienplatz. Die Aktualität der Entscheidung beleuchtet der folgende Beitrag von Wilhelm Achelpöhler.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.1972 ist aus Sicht ihrer Kritiker Ausdruck einer "zeitgeistigen Dogmatik", so der frühere Präsident der Universität Frankfurt, Rudolf Steinberg1, sie stamme aus einer Zeit der "Aufbruch- und Reformstimmung der sozialliberalen Koalition gerade im Bereich der Bildungspolitik, die auf eine weitere Expansion des Bildungswesens und seiner Öffnung für bislang bildungsferne soziale Gruppen gerichtet war". Die vom Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung entwickelte Dogmatik passe so gar nicht zu den "neuen hochschulpolitischen und hochschulrechtlichen Rahmenbedingungen", die durch eine "Profilbildung der Hochschulen", "Zielvereinbarungen, Globalhaushalte und leistungsorientierte Budgetierungen" und das Bedürfnis der Hochschulen, sich ihre Studierenden selbst auszusuchen, gekennzeichnet sei. Dieser neuen Hochschulpolitik habe sich daher nun auch die verfassungsrechtliche Dogmatik anzupassen. Schon wegen der "generell gegenüber sozialen Grundrechten bestehenden Bedenken", sei "der bislang überdehnte teilhaberechtliche Gehalt des Art.12 Abs.1GG auf ein angemessenes Maß zu reduzieren." Mit anderen Worten: der heutige - vielfach als neoliberal bezeichnete - Zeitgeist müsse sich endlich auch im Verfassungsrecht niederschlagen.

Recht auf Teilhabe

Worum geht es bei dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts?

Die Zeit, in der die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erging, war eine Zeit, in der die Erhöhung der Studierendenzahlen das politische Ziel war und die Zahl der Studienberechtigten deutlich anstieg.

Das schulische Prüfungssystem "entdeckte" immer deutlich mehr junge Menschen, die eine "Begabung" für ein Hochschulstudium mitbrachten. Entsprechend stieg die Zahl der Studierenden von 1952 bis 1967 um 100%. 1967 begannen 50.000 Studierende ein Studium. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest: "Mit dieser Zunahme hielt der Ausbau der Hochschulen nicht Schritt." Die Folge war die Einführung eines Numerus clausus, insbesondere in den kostenintensiven Studiengängen wie der Humanmedizin. Im Wintersemester 1970/71 wurden 70% der Bewerber für einen Medizinstudienplatz abgelehnt. Den 11.000 Bewerbern standen nur 3.000 Studienplätze zur Verfügung. Das heutige Verhältnis von Studienbewerbern und Studienplätzen ist noch schlechter: Die Zahl der Studienanfänger hat sich zwar verzehnfacht, die Zahl der Studienplätze in Medizin aber nur verdreifacht. Für die 8.989 Studienplätze in der Humanmedizin bewarben sich zum Wintersemester 2012/13 42.726 Bewerber.

Anfang der 70er Jahre sah man ein solches Missverhältnis als eine allenfalls vorübergehend hinnehmbare Notsituation. Das Bundesverfassungsgericht konstatierte, dass sich der Numerus clausus "am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren" bewege. In seiner Entscheidung verabschiedete sich das Bundesverfassungsgericht von einer schlicht liberalen Grundrechtskonzeption. Danach sei ein Grundrecht zuallererst ein Abwehrrecht gegen Beeinträchtigungen der natürlichen Freiheit durch den Staat. Anders jetzt das Bundesverfassungsgericht: Im Sozialstaat erschöpfe sich das Recht des Bürgers nicht in einer Abwehr staatlicher Eingriffe, sondern stelle sich auch als ein Recht auf Teilhabe an staatlichen Leistungen dar. Wörtlich: "Die Berufsfreiheit verwirklicht sich gegenwärtig [...] vorwiegend im Bereich der privaten Berufs- und Arbeitsordnung und ist hier vornehmlich darauf gerichtet, die eigenpersönliche, selbstbestimmte Lebensgestaltung abzuschirmen, also Freiheit von Zwängen oder Verboten im Zusammenhang mit Wahl und Ausübung des Berufs zu gewährleisten. Dem gegenüber zielte die freie Wahl der Ausbildungsstätte ihrer Natur nach auf freien Zugang zu Einrichtungen; das Freiheitsrecht wäre ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos." Das Bundesverfassungsgericht warf sogar kurz die Frage auf, ob sich aus dieser Situation, der "nachhaltig nur durch Erweiterung der Kapazitäten begegnet werden kann", ein "objektiver sozialstaatlicher Verfassungsauftrag zur Bereitstellung ausreichender Ausbildungskapazitäten" folge. Das Gericht stellte diesen Gedanken allerdings gleichfalls zurück, da es einen solchen Anspruch auf Erweiterung der Ausbildungskapazitäten erst bei einer "evidenten Verletzung" des Verfassungsauftrags gebe.

Was bleibt, ist ein Anspruch auf Teilhabe an den vorhandenen Ausbildungsplätzen. Hier formuliert das Bundesverfassungsgericht zweierlei: Zum einen dürften Zulassungsbeschränkungen nur dort erfolgen, wo sie "wirklich notwendig" seien. Dies bedeutet, dass jeder vorhandene Studienplatz tatsächlich vergeben werden muss. Darauf folgt das verfassungsrechtliche Gebot der vollständigen Ausschöpfung der Ausbildungskapazität. Zweitens stellt sich die Verteilung der Ausbildungsplätze für das Bundesverfassungsgericht als ein Gleichheitsproblem dar: Alle Bewerber für den Studienplatz haben aufgrund der Hochschulzugangsberechtigung im Grundsatz einen gleichen Anspruch auf einen Studienplatz. Unter diesen mit dem Abitur in der Tasche grundsätzlich gleichermaßen geeigneten Studienbewerbern soll eine nicht für alle ausreichende Zahl von Studienplätzen verteilt werden. Ein Bewerber erhält mit dem Wunschstudienplatz "alles", der andere Bewerber erhält nichts. Darin liegt prinzipiell - so das Bundesverfassungsgericht - eine "krasse Ungleichbehandlung zwischen zugelassenen und abgewiesenen Bewerbern in der Verteilung von Lebenschancen"2.

Ungleichheit verbietet das Recht nicht, sie muss nur gerechtfertigt sein. Deshalb habe der Gesetzgeber selbst zu regeln, nach welchen Regeln die Studienplätze verteilt werden. Solche für die Verwirklichung von Grundrechten wesentlichen Fragen muss der Gesetzgeber selbst entscheiden und darf sie nicht den Hochschulen überlassen. In der Sache muss die Verteilung der Studienplätze nach objektiv sachgerechten und individuell zumutbaren Kriterien erfolgen, die jedem "hochschulreifen" Bewerber eine Chance auf Zulassung eröffnet. Dem Gesetzgeber kommt zwar ein Gestaltungsspielraum zu, nach welchen Kriterien die Studienplätze verteilt werden, er kann dabei durchaus mehrere Auswahlkriterien bestimmen. Wenn die Auswahlkriterien aber eine wesentliche Gruppe von Bewerbern von vornherein vom Studium ausschließen, bedarf es insoweit eines Ausgleichs durch ein anderes Kriterium, dass die Chancenoffenheit wieder insgesamt gewährleistet. Das seither geltende System, das sich am Leistungsprinzip (Abiturnote) und an der Wartezeit orientiert, hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich gebilligt, solange die Anforderung an Durchschnittsnoten und Wartezeit ein erträgliches Maß nicht überschreitet.

40 Jahre danach

Fast genau 40 Jahre später hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in mehreren Beschlüssen vom 26.04.2012 festgestellt, dass das heutige Vergabeverfahren diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht mehr genügt3.

Wie sieht das Vergabeverfahren heute genau aus? Nachdem eine gewisse Zahl von Studienplätzen für besondere Gruppen verteilt wird (Zweitstudienbewerber, ausländische Studierende), werden die übrigen Studienplätze zu je 20% nach Abiturnote und Wartezeit und zu 60% in einem Auswahlverfahren der Hochschulen verteilt. In der Abiturbestenquote werden die Studienplätze zunächst auf die Bundesländer verteilt und dann auf die dortigen Abiturienten. Das führt zu unterschiedlichen Abiturdurchschnittsnoten, die für eine Zulassung zum Medizinstudium erforderlich sind. In neun Bundesländern liegt die geforderte Note bei 1,0, in fünf Bundesländern bei 1,1 und in zwei Bundesländern bei 1,2 (Wintersemester 2011/12). In den vergangen Jahren sind die Anforderungen an die Abiturnote immer weiter gestiegen. Eine schwächere Durchschnittsnote als 1,5 hat seit dem Wintersemester 2006/07 nicht mehr zu einer Zulassung in der Abiturbestenquote geführt.

Das Auswahlverfahren der Hochschulen führt kaum zu einer wesentlichen Korrektur: Auch im Auswahlverfahren der Hochschulen muss die Abiturnote "maßgeblichen Einfluss" haben. So bestimmt es §32 Abs.3 Satz2HRG und der Staatsvertrag zwischen den Bundesländern. Die Kriterien für die Studienplatzvergabe legen die Hochschulen selbst fest. Manche Hochschulen orientieren sich gleich allein an der Abiturnote, andere Hochschulen führen Auswahlgespräche durch. Kriterien wie eine Berufsausbildung haben nur einen ganz marginalen Einfluss auf die Auswahlentscheidung, mit einer Ausbildung kann man beispielsweise an der LMU München die Note nur um 0,3 Punkte verbessern, durch Teilnahme an einem Test jedoch um 1,0 Punkte. Mit einer Durchschnittsnote von 2,1 oder schlechter konnte man, auch bei bestmöglicher Erfüllung aller sonstigen Auswahlkriterien, im Wintersemester 2011/12 lediglich an fünf der 34 medizinischen Hochschulen zum Zuge kommen. Bei einem Abitur von 2,5 oder schlechter war im Auswahlverfahren der Hochschulen zum Wintersemester 2011/12 nirgendwo eine Zulassung möglich. Die Note 2,5 ist die durchschnittliche Abiturnote.

Allein aufgrund der Wartezeit hat nur derjenige heute eine Zulassung zum Studium, der 13 Semester Wartezeit hat. Und die Studentenzahlen werden nicht sinken. Nach den Prognosen der Kultusverwaltung wird im Jahre 2013 mit 489.200 Studienanfängern ein Höchststand erreicht und danach soll die Zahl der Studienanfänger kontinuierlich sinken. Erst im Jahre 2025 wird dann das Niveau des Jahres 2009 erreicht.

Chancengleichheit? Mangelhaft.

Angesichts dieser Situation rechnete das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen vor, dass 60% der Abiturienten weder im Auswahlverfahren der Hochschule und erst recht nicht nach der Abiturbestenquote eine Zulassungschance gehabt haben. Weitere 17%, die ein überdurchschnittliches Abitur haben, hätten allenfalls eine Chance an fünf von 34 Hochschulen gehabt. Da sich jeder Bewerber maximal an sechs von 34 Hochschulen bewerben kann, sei es schwer, sich ausgerechnet dort zu bewerben, wo auch Bewerber ohne Spitzenabitur eine Zulassungschance hätten. Das Verwaltungsgericht stellte fest: "Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass rund 3/4 der erfolgreichen Abiturienten nach den Vergabeergebnissen des Wintersemesters 2011/12 selbst mit Zusatzkriterien einzelner Auswahlverfahren praktisch keinerlei ernsthafte Zulassungschance in Abiturbestenquote oder im Auswahlverfahren der Hochschulen hatten; mehr als die Hälfte der Abiturienten hat in den beiden genannten Hauptquoten nicht einmal eine theoretische Chance. Das Auswahlsystem lässt sich somit leicht überspitzt dahingehend beschreiben, dass die Abiturbestenquote faktisch fast 80% beträgt."

Diese überragend hohe Bedeutung der Abiturnote ist aus Sicht des Verwaltungsgerichts problematisch, da aus der Abiturnote die Einschätzung der Qualifikation eines Bewerbers nur bedingt ablesbar sei und die Noten eingeschränkt vergleichbar sind. Schon die Noten in den Bundesländern seien unterschiedlich. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb Abiturienten in Thüringen im Mittel eine bei rund 0,4 Punkte bessere Abiturnote erzielen als Schüler in Niedersachsen. Weil im Rahmen des Auswahlverfahrens der Hochschulen, anders als bei der Abiturbestenquote, nicht berücksichtigt wird, aus welchem Bundesland die Bewerber stammen, sei die letztlich ausschlaggebende Bedeutung der Abiturnote im Auswahlverfahren schwerlich zu begründen. Ein durchschnittlicher Abiturient der Jahrgänge 2006 bis 2010 aus Thüringen habe im Vergabeverfahren zum Wintersemester 2011/12 immerhin eine (geringfügige) Zulassungschance während ein durchschnittlicher Abiturient aus Niedersachsen und NRW von jeder Zulassungschance ausgeschlossen war. Hinzu kämen die ohnehin feststellbaren Unterschiede bei der Bewertung zwischen einzelnen Schulen innerhalb eines Bundeslandes. Die Möglichkeit der Zulassung über die Wartezeit führe nicht zu einer Korrektur dieser hohen Anforderungen an die Abiturnote. Denn die Wartezeit sei inzwischen genauso lang wie ein Medizinstudium.

Deshalb entspreche das gegenwärtige Verteilungsverfahren nicht mehr den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in dem Numerus-clausus-Urteil, auch wenn dieses inzwischen 40 Jahre zurück liege. Ausdrücklich wies das Verwaltungsgericht die Auffassung zurück, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe nach 40 Jahren an Bedeutung eingebüßt: "Die verfassungskräftige, vor allem aus dem Gleichheitssatz resultierende Forderung jedoch, die vorhandenen Studienplätze nach sachgerechten Kriterien zu vergeben und die Zuspitzung auf ein einziges, seinerseits nicht restlos zuverlässiges und gerechtes Auswahlkriterium zu vermeiden, lässt sich aus Sicht der Kammer nicht durch den Hinweis auf ein verändertes Verfassungsverständnis oder einen gewandelten Zeitgeist relativieren."

Während das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen also die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hochhält, wird in der Hochschulpolitik munter daran gearbeitet, die Voraussetzungen dieser Rechtsprechung zu untergraben. Wie sollen Hochschulen dem Leitbild einer am "Bildungsmarkt" konkurrierenden Hochschule gerecht werden, wenn sie ihre Kapazitäten stets voll ausschöpfen müssen, sich bei besonderen guten Ausbildungsbedingungen den kapazitätsrechtlichen Vorwurf einer "unzulässigen Niveaupflege" gefallen lassen müssen oder gar verschwiegene Studienplätze an jedweden Bewerber vergeben müssen?

Eingeschränkte Berufswahlfreiheit

Um die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auszuhebeln, setzt die Politik deshalb bereits am Ausgangspunkt an, wonach jeder Abiturient einen Anspruch auf Hochschulzugang hat. Mehrere Bundesländer ermöglichen es inzwischen den Hochschulen, den Zugang zum Studium nicht nur in den traditionellen Fächern Sport und Kunst, sondern auch in anderen Fächern von einer besonderen Eignungsprüfung abhängig zu machen. Die Eignung des Bewerbers wird dann nicht bereits durch das Abitur festgestellt, sondern erst durch die bestandene Eignungsprüfung. Erst dann gibt es überhaupt einen Anspruch auf Teilhabe an der vorhandenen Ausbildungskapazität. Die Gleichheit der Abiturienten ist Vergangenheit.

Bei grundständigen Studiengängen sind derartige Eignungsprüfungen selten. Für den Zugang zum Masterstudium sind sie allerdings die Regel. Der Zugang zum Masterstudium soll nicht jedem Bachelor-Absolventen offen stehen, sondern nur einem Teil, eben den besonders geeigneten Bewerbern. Inwieweit dies mit der grundrechtlich gewährleisteten Berufsfreiheit vereinbar ist, muss allerdings bezweifelt werden. Der Zugang zu zahlreichen Berufen hängt vom erfolgreichen Abschluss eines Masterstudiums ab wie etwa im Bereich der Psychologie. Ein Bachelorabschluss ist insoweit kaum geeignet, eine ausbildungsspezifische Tätigkeit auszuüben. Die Einschränkungen beim Masterzugang werden damit gerechtfertigt, das Masterstudium sei ein Zweitstudium. Zwar gibt es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Anhaltspunkte, dass sich derjenige, der bereits einen berufsqualifizierenden Abschluss erreicht hat, größere Einschränkungen bei der Zulassung zum Studium gefallen lassen muss, als derjenige, der noch keinen Abschluss erreicht hat. Diese Aussagen des Bundesverfassungsgerichts aus der Numerus-clausus-II-Entscheidung betreffen allerdings allein die Verteilungsentscheidung knapper Studienplätze zwischen Erst- und Zweitstudienbewerbern. Beim Zugang zum Masterstudium geht es in diesem Sinne stets um die Verteilung von Studienplätzen unter Bewerbern für ein Zweitstudium, haben doch alle Bewerber bereits ein Bachelorstudium absolviert.

Weshalb einem Bewerber für ein Masterstudium der Zugang zum Studium und damit etwa zu dem angestrebten Beruf des Psychologen oder Lehrers mit dem Hinweis darauf verweigert werden kann, er könne doch mit seinem Bachelor auf dem Arbeitsmarkt irgendwie unterkommen, erscheint im Hinblick auf die Berufswahlfreiheit des Art.12 Abs.1GG zweifelhaft. Bachelorabsolventen der Psychologie stehen in der Realität kaum Arbeitsplätze offen, in Ländern, in denen es diese Abschlüsse schon länger gibt, etwa in den USA, nennt die APA (American Psychological Association) als Berufsmöglichkeiten etwa "Animal-trainer" oder "Airline reservations clerk".

Daneben gibt es Überlegungen, das Kapazitätserschöpfungsgebot zu streichen. Der bereits zitierte frühere Präsident der Universität Frankfurt, Steinberg, träumte bereits 2006 davon, eine "neue kapazitätsrechtliche Dogmatik" zu begründen, in der die zu Grunde zu legende Ausbildungskapazität schlicht den zwischen Hochschulen und Bundesland festgelegten Studienplatzzahlen zu entnehmen sei. Auf Seiten der Hochschule führt er für eine solche schlichte Abschaffung des bisherigen Kapazitätsrechts die Wissenschaftsfreiheit ins Feld, wobei die Interessen der Studierenden weiterhin gewährleistet seien: "Durch die Beteiligung des zuständigen Landesministeriums an den Zielvereinbarungen wird auch die EURung der Belange von Studieninteressenten sichergestellt."4

Aktuell ist es insbesondere die Einführung von Modellstudiengängen, mit denen eine Einschränkung des Kapazitätserschöpfungsgebots erreicht werden soll.

Schließlich soll das Einklagen von Studienplätzen erschwert werden. Mehrere Bundesländer, wie etwa Baden-Württemberg haben Regelungen erlassen, wonach man sich nur dann an einer Hochschule einklagen kann, wenn man sich dort zuvor "regulär" beworben hat. Eine solche Bewerbung ist in Baden-Württemberg allerdings nicht an allen Hochschulen gleichzeitig möglich, da die Hälfte der Hochschulen eine Bewerbung nur dann zulässt, wenn man sie auf Platz 1 bei den gewünschten Studienorten setzt. Außerdem sollen die eingeklagten Studienplätze nicht unter allen Klägern verlost werden, sondern in der Rangfolge, die sich nach dem Auswahlverfahren der Hochschulen ergibt.

Doch trotz aller dieser Änderungen - die Grundlinien der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts haben nach wie vor Bestand. Umso spannender ist es, wie das Bundesverfassungsgericht auf den Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen reagiert. Sollte sich das Bundesverfassungsgericht allzu viel Zeit lassen, könnten die Kläger allein durch Zeitablauf einen Studienplatz erhalten...

Anmerkungen

1) Steinberg/Müller: "Art. 12, Numerus Clausus und die neue Hochschule", in: NVwZ 2006: 1113.

2) Beschluss vom 03.11.1981, Az. 1 BvR 632/90, BVerfGE 59, 1 (31).

3) Beschluss vom 26.04.2012, Az. 6 K 3656/11.

4) Steinberg/Müller, NVWZ 2006, 113 (119).

Wilhelm Achelpöhler arbeitet als Rechtsanwalt in Münster und ist insbesondere im Hochschulrecht tätig. Er berät mehrere Studentenschaften und führte mehrere Grundsatzentscheidungen zum Semesterticket, zu Studiengebühren und Zugang zum Masterstudium herbei.