Ein Leben im Zeichen der Krake

Interview mit einer Produzentin von Beziehungskunststoff

in (17.11.2012)

(Dieser Artikel erschien ursprünglich in Queerulant_in Nr.2, Schwerpunkt CSD und Osteuropa. Ausgabe August 2012)

Polyamorie ist über Szenen hinaus ein vielfach diskutiertes Thema. Die "Polytanten" bieten zum Thema regelmäßige Veranstaltungen an: Workshops,  Vorträge, Lesungen und einmal im Jahr das Sommercamp "Schlampenau" [1]. Seit 2006 geben die Polytanten DIE KRAKE heraus - Ein Magazin das Beiträge über "künstliche Beziehungen" sammelt und verbreitet.
 
Queerulant_in: Gwendolin, Du bist eine der Herausgeberinnen des Heftes „DIE KRAKE – künstliche Beziehungen für unnatürliche Frauen.“ Was ist DIE KRAKE?  
Gwendolin: Die Krake ist ein feministisches Untergrundheft zum Thema alternative Beziehungsformen mit lesbischem Schwerpunkt, ein Forum für alle, die das Leben jenseits des Paares interessiert z.B. in Freundinnennetzen, nichtmonogamen Beziehungen, Kommunen, als glückliche Solistin, .... Die Krake als Wappentier symbolisiert dabei mit ihren vielen Armen die Vielfalt der Möglichkeiten, die wir haben, gleichzeitig mit welchen in Kontakt zu gehen. Und Kraken sind ja auch ein beliebtes Symbol für das Monster – und wenn Du Dich nicht an Beziehungsnormen hälst, wirst Du oft als Monster wahrgenommen, z.B. als Sexmonster oder als vertrocknete alte Jungfer. Deswegen ist es schön, sich mit diesem Monstertier anzufreundinnen.  
 
Queerulant_in: Was heißt Untergrundheft?
Gwendolin: Die KRAKE bezieht sich auf die Tradition der GRRRLzines*. GRRRLzines [2] sind Teil der Riotgrrrl-Bewegung, in der Selbermachen/Do-It-Yourself ein wichtiges Werkzeug ist, um sich vom dominaten Malestream zu emanzipieren und die Stimmen von Frauen und marginalisierten Positionen hörbar zu machen. D.h. wir machen das Heftchen selber, low-tech, non-profit, low-budget, “high-fidelity” = mit einfachsten Mitteln, nichtkommerziell, mit wenig Geld und viel Spass/sehr authentisch (um jetzt mal fidelity etwas freier zu übersetzen). Die KRAKE gibt’s nicht am Kiosk zu kaufen, aber wenn eine ein Heftchen hat, kann sie es kopieren und weiterverbreiten – so wird die Leserin zur Verkaufsstelle. Weil es ja darum geht, selber aktiv zu werden, sich zu beteiligen. Und nicht zu warten, bis etablierte Strukturen eventuell bereit sind etwas von unseren Ideen zu publizieren. Deswegen ruft die KRAKE auch unablässig dazu auf, Beiträge einzusenden – egal ob Du denkst, dass Du schreiben oder zeichnen “kannst” oder nicht, teile etwas mit von Deiner Lebensrealität! Ideen, die ja auch schon in der Frauenbewegung der 80er eine Rolle spielten. Und immerhin schwimmen pro Ausgabe inzwischen 300 Kraken aus unseren Händen in die Welt – und vermehren sich dort unkontrolliert...  
 
Queerulant_in: Was sind künstliche Beziehungen? Warum unnatürliche Frauen?
Gwendolin: Mit „künstlich“ und „unnatürlich“ beziehen wir uns auf die Vorstellung, die den Begriff „natürlich“ für eine bestimmte Beziehungsform beansprucht – nämlich die heterosexuelle monogame - und alles andere als „unnatürlich“ und pervers abwertet. Durch die Behauptung heterosexuelle Monogamie sei natürlich, wird verschleiert, wie viele Sanktionsmaßnahmen und Werbekampagnen täglich laufen, um die Normalität der traditionellen Geschlechterrollen und der komplementären Paarung ihrer TrägerInnen herzustellen. Wir nehmen einfach die abgewerten Begriffe, und füllen sie mit unseren Inhalten, und das ganz un-verschämt. Mit „künstlich“ wird außerdem angedeutet, welch kunstvolles Gewebe ein Beziehungsnetz darstellt, das über die klassische Zweierbeziehung hinausgeht. Deswegen bin ich auch eine Kunst-Stoff-Produzentin.  
 
Queerulant_in: Und mit welchen Kunst-Stoffen beschäftigst Du dich gerade?
Gwendolin: Mit Polyamiden (lacht) – das ist wieder eine Anspielung: auf Poly-Amorie, also Viele-Liebe –  wobei ich persönlich eher misstrauisch bin gegenüber allem, wo „Liebe“ draufsteht, das ist mit so vielen Idealisierungen überfrachtet... Ich halte es deswegen lieber mit der Schlamperei – dem von der Schlampagne entwickelten Ansatz, mein Beziehungsleben nicht festzulegen auf mono oder poly oder solo, sondern offen zu sein für das, was kommt und was passt. Und einen kritischen Blick auf die herrschenden Strukturen und ihren Einfluss zu werfen. Ganz praktisch bin ich im Moment in eine Beziehungssituation ver-strickt, wo meine Krakenarme in verschiedenen Richtungen mit welchen in Kontakt sind, und die Kontakte auch sehr unterschiedlich sind  - von bald 10jährig bis noch nichtmal einjährig, von dreimal im Jahr treffen bis zusammen wohnen, von die andere küsst sich weder mit mir noch mit anderen bis zu die andere küsst sich mit vieren (inklusive mir). Und dann mit jeder jeweils verschiedene Kombinationen von Kuscheln, Flirten, Sex, Singen, unsere Leben besprechen, Zusammenarbeiten (bezahlt & unbezahlt), gegenseitiger Unterstützung, Quatsch machen, und - Urlaub? Urlaub ist so eine typische Beziehungszutat, vor der ich ähnlich zurückscheue, wie vor der Liebe. Klassischer Urlaub kommt eigentlich in meinem Leben eher selten vor, aber letztes Jahr habe ich tatsächlich 2x welchen gemacht: einmal mit meiner Ältesten Freundin und deren Kindern, um die ich mich mal ein Jahr lang in Teilzeit mit-gekümmert habe (was für mich genauso substanziell schlampig ist wie sexuelle Mehrfachbeziehungen), und einmal mit meiner Kuschelfreundin. Wobei ich dabei nicht die Aufgabe bewältigen musste, Urlaub mit einer zu machen, mit der ich auch Sex habe.
 
Queerulant_in: Was muss ich tun, wenn ich DIE KRAKE lesen will?
Gwendolin: Entweder Du kommst ins "Gartenhaus" [3] - das Schwulen-Trans*- Queer-Referat hat alle Nummern der Krake als Leseexemplar! Oder Du bestellst Dir ein Heft unter:  
 
www.diepolytanten.de.tc oder polylogo@gmx.de
 

[1] Zum Sommercamp "Schlampenau" gibt es eine Dokumentation namens "Schlampenau, eine Schlampolygarchutopie". Ein Trailer und weitere Informationen unter: http://polygarchutopia.blogspot.de/

[2] Mehr über Grrrlzines und eine große Datenbank zu in Europa erscheinenden feministischen Untergrundheftchen unter www.grrrlzines.net

[3] Eie Wegbeschreibung zum Gartenhaus findet ihr unter http://www.uni-giessen.de/Frauenreferat/kontakt.htm oder htttp://www.schwulenreferat-gi.de/kontakt. Das Queerfeministische Frauenreferat hat Mittwochs von 16-18Uhr geöffnet, das Schwulen-Trans*Queer-Referat Mittwochs von 18-19Uhr. Beide Referate haben auch nach Vereinbarung geöffnet, beispielsweise um die Bibliothek nutzen zu können.

 

August 2012