Verführungen zwischen Kunst und Politik

Und was ist daran jetzt Kunst?

 

Auf der diesjährigen documenta konnten die BesucherInnen mitunter das Gefühl bekommen, auf einer Landwirtschaftsmesse zu sein. Ein GID-Redakteur sucht in den Äckern, beim Gärtnern und in der Auseinandersetzung mit dem US-Gentechkonzern Monsanto die Kunst.

 

Eigentlich bin ich von meinem Auftrag schon abgewichen, bevor es richtig losging. Der Auftrag lautet herauszufinden, was die Monsanto-Hearings der US-amerikanischen Künstlerin Claire Pentecost oder die Interventionen der Gruppe AND AND AND auf der documenta in Kassel zu suchen haben: Und was ist daran jetzt Kunst?

Wenn ich jetzt im Zug nach Kassel sitze und die angesammelten Informationen durchgehe, erliege ich der Verführung - denn das ist die Kunst für mich in jedem Fall: Verführung.

 

 

Überall Politik

 

Frauen aus der Westsahara wurden zum Kochen nach Kassel eingeladen. Kochen und Essen als Medium: Es geht um den Austausch und vor allem um den Versuch, die Öffentlichkeit auf das Schicksal der Menschen in der Westsahara aufmerksam zu machen. Dort spielt sich einer der langwierigsten Konflikte weltweit ab - weitgehend ungehört und unbeachtet. Zusammengefasst hat Marokko vor mehr als 30 Jahren weite Teile der Westsahara illegalerweise besetzt. Seit dieser Zeit sitzen tausende von Menschen in Flüchtlingslagern fest, ohne dass die Weltöffentlichkeit sich ihrer annehmen würde.

Die Konzeption der documenta dieses Jahres, der d13, ist nicht so ganz einfach zu erklären: Überall Politik. Konflikte werden zum Thema gemacht - wieder die Frage: Und was ist daran jetzt Kunst? Diese Frage werde ich morgen der Künstlerin Claire Pentecost stellen. Es könnte mein kürzestestes Interview der letzten zehn Jahre werden, denn: Eine andere Frage habe ich nicht. Vermutlich denkt sie, ich wolle sie ärgern, provozieren oder beleidigen. Und verlässt den Raum ohne ein Wort gesagt zu haben. Vielleicht reicht es sogar für eine schallende Ohrfeige ... die empfindliche KünstlerInnenseele ... man darf gespannt sein.

 

 

„In the middle of something"

 

Um das gleich an den Anfang meines Berichts über das Gespräch mit ihr zu stellen. Pentecost hat mich nicht geohrfeigt. Ganz im Gegenteil: Sie war ausgesprochen freundlich und hat sich bereitwillig meiner Frage zugewandt; nicht ohne darauf hinzuweisen, dass diese nahe an der Frage „Was ist überhaupt Kunst?“ liegt, an der sich schon seit Ewigkeiten Denkerinnen und Denker, aber auch Künstlerinnen und Künstler die Zähne ausbeißen.

Pentecost hatte im Kontext der documenta bereits im Frühjahr dieses Jahres im mittleren Westen der USA, der Kornkammer des Landes und der Welt, zu Anhörungen eingeladen. Dort konnten Anschuldigungen gegen den Branchenprimus der weltweiten Agro-Gentech vorgebracht werden. Öffentlich und ohne großartige formelle Hürden konnten Menschen zu Wort kommen, die unter dem System Monsanto und den damit zusammenhängenden Geschäftspraktiken zu leiden hatten oder haben. GID-LeserInnen kennen diese Dinge zur Genüge: Spionage auf den Feldern, Kontamination von Anbauflächen in der Nachbarschaft des Gentechnik-Anbaus und Kontamination von Produkten von Lebensmittelherstellern, die auf das gentechnisch veränderte Material in ihren Waren keinen Wert legen. Pentecost ist sich natürlich sehr wohl im Klaren darüber, dass das Format der Anhörungen, des Tribunals auch im politischen Raum genutzt wird. So etwas sei nichts Neues - „There is a long history of this“.

Sie selbst würde die Anhörungen nicht unmittelbar als Kunst einordnen. Pentecost: „Nun ja - es ist symbolisch. Kein Gericht dieser Welt hört den Menschen zu. Es ist ein Format, in dem Menschen offen sprechen können. Sie können sich dort ausdrücken. Sie können - aus einer extremen Machtlosigkeit kommend - trotzdem gemeinsam etwas tun. Ist es nur eine Illusion, wenn man sich dann weniger ohnmächtig fühlt? Ich weiß es nicht. Es sind diese kleinen Schritte. Wie kommt es, dass Menschen damit anfangen, etwas anderes zu wollen, etwas anderes zu fordern?“ Die Aktion ist nicht beendet: „We‘re still in the middle of something.“

 

 

Symbolische Resonanz

 

Zu hören, dass es im Monsanto-Land, in der Umgebung von St. Louis im US-Bundesstaat Missouri, Menschen gibt, die aus Angst vor den Schikanen des Konzerns nicht vor dem Tribunal sprechen wollen - obwohl es sich doch dabei nur um ein Kunst-Projekt handelt (oder etwa nicht?), gibt einen Hinweis auf die Tragweite, die die Konflikte um Gentechnik und Landwirtschaft in den USA heute erreicht haben.

Bei aller Kompromissbereitschaft in Bezug auf die Einordnung dieser konkreten Aktion, der Anhörung, ist deutlich zu spüren, dass Pentecost die Kunst auch in diesen interventionistischen Arbeiten nicht völlig aufgeben möchte: „Wenn wir sagen ‚Alles ist Kunst‘, dann ist diese Kategorie überflüssig. Warum also möchte ich die Kategorie beibehalten? Es geht mir um einen Raum, in dem die Dinge eine symbolische Resonanz bekommen können. Wenn wir Dinge oder Ideen in diesen Raum hineingeben, dann bedeutet dies auch, dass dort Werte debattiert werden. Wir können dort nach dem Wert der Dinge fragen. Ich glaube, dass unsere Gesellschaft einen solchen Raum dringend benötigt. Dort können wir die Dinge neu betrachten, nicht zuletzt mit der Frage konfrontieren, was wirklich zählt."

Die Chef-Kuratorin der diesjährigen documenta, die Spanierin Chus Martinez - rechte Hand der documenta-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev - gibt Einblick in die Hintergründe der diesjährigen Ausstellung: „Man muss mit der Kunst dahin gehen, wo die Konflikte real greifbar sind.“(1)

 

 

Kunst im 21. Jahrhundert

 

Claire Pentecost ist für einen Teil der diesjährigen documenta eingeladen worden, der unter dem Stichwort „seeds“ (Samen, Saatgut) zusammengefasst war. Hier waren unter anderem auch die Arbeiten der Gruppe AND AND AND zu bestaunen: „nicht-workshops“ genannte Treffen mit Bäuerinnen und Bauern, Studierenden, ForscherInnen der Uni Kassel/Ökologische Landwirtschaft (Witzenhausen) und anderen, ein nicht kapitalistischer Kräuter-Teegarten, Projekte zur Solidarischen Landwirtschaft und zum städtischen Gärtnern, ein Verkaufskiosk der Upländer Bauernmolkerei, Diskussionen und ein Kongress mit dem Titel „On Seeds and Multispecies Intra-Action: Disowning Life“ (2) - so verstehen And And And Kunst im 21. Jahrhundert.

Nach mehr als einer Stunde Gespräch fragt mich Pentecost, ob ich denn auch etwas über ihren Ausstellungsbeitrag wissen möchte? Sie hat eine „soil-erg“ genannte Währung mit nach Kassel gebracht, die sie in der Form von Goldbarren und überdimensionalen Münzen aus gepresster Erde präsentiert. Ergänzt wird soil-erg um eine Gruppe von drei Meter hohen Pflanz-Säulen aus Drahtgeflecht, mit Erde und Kompost gefüllt, aus denen, jetzt im Spätsommer, verlockende Gemüse - Brokkoli, Mangold, Kohlrabi, Mais oder Sonnenblumen - heraussprießen. Meine Antwort: „Eigentlich nur: Und was ist daran jetzt Kunst?“ geht in einem gemeinsamen schallenden Lachen unter...

 

 

Christof Potthof ist Mitarbeiter des Gen-ethischen Netzwerk und Redakteur des Gen-ethischen Informationsdienst.

d13 - Die documenta 13 (2012) im Internet unter www.documenta.de. Claire Pentecosts „Monsanto Hearings“ finden sich zum Beispiel unter www.midwestradicalculturecorridor.net/?cat=10, die Internetseite der Künstlerin unter: www.clairepentecost.org.

 

 

Fußnoten:

(1) Kunstforum 217, 08/12-09/12, S. 306.

(2) „On Seeds and Multispecies Intra-Action: Disowning Life“, im Netz zum Beispiel unter www.kurzlink.de/gid214_d13.