Der Kampfhubschrauber „Tiger“ – oder: auf Sommerreifen ins Hochgebirge

Es gibt Zeitgenossen, die der Auffassung sind, der nachhaltigste Weg zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit in der Welt bestände in der globalen Abschaffung des Militärs. Ganz abgesehen davon, dass solch radikale Lösungen überwiegend zu jenen einfachen Dingen gehören, die schwer zu machen sind, ist diese Auffassung allerdings hierzulande offenbar auch nicht mehrheitsfähig. Der Souverän jedenfalls wählt immer wieder Parteien ans Ruder, für die letzten Endes nach wie vor der Grundsatz si vis pacem para bellum handlungsleitend ist, wenn dies auch heute in der Regel euphemistischer, also weniger martialisch, ausgedrückt wird. Peace keeping und nation building sind in diesem Kontext gern verwendete Anglizismen.
Mit welcher Chuzpe dabei jedoch zum Teil jahrzehntlang an Fehlentwicklungen festgehalten wird und Steuermilliarden versenkt werden, das sollte den Souverän als Hauptsteuerzahler schon interessieren. Einen solchen Fall hatte ich schon vor längerer Zeit aufgegriffen – siehe „Korvettenposse“ in der Ausgabe 15 / 2011. Nun sollen die besinnlichen Weihnachtstage dazu missbraucht werden, den Blick auf einen weiteren zu richten – den des so genannten Eurocopters (für die Ewiggestrigen unter uns: des Kampfhubschraubers) „Tiger“, ein deutsch-französisches Gemeinschaftswerk.
Die ersten zwei Maschinen dieses Typs sind Mitte des Monats zum deutschen Kontingent nach Afghanistan verlegt worden. Die Berliner Zeitung zitierte in diesem Zusammenhang einen Bundeswehr-Oberst mit der Einschätzung: Die schiere Präsenz des „Tigers“ schrecke mögliche Angreifer ab. Das wird auch nötig sein – angesichts der schieren Stückzahl: Noch vor Weihnachten sollten zwei weitere Maschinen verlegt werden. Eine Bestätigung für den Vollzug lag bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe allerdings nicht vor, was hier vorsichtshalber angemerkt werden soll. Denn wäre in den vergangenen Jahrzehnten bis in die unmittelbare Gegenwart hinein alles wie geplant verlaufen, dann flögen auch deutsche „Tiger“ – französische tun dies seit 2006 – bereits seit Jahren am Hindukusch …
Die Anfänge des Projektes reichen in eine Zeit zurück, die jüngere Semester, wenn überhaupt, nur noch aus den Erzählungen der Älteren kennen, in den Kalten Krieg. Damals stand östlich der deutsch-deutschen Grenze alles voller russischer Panzer, und die NVA (das war die Armee der DDR) steuerte auch noch einiges bei. Über 7.000 sollen es zu Hochzeiten zusammen gewesen sein. Dass man solche Stahlkolosse im Falle des Falles besonders effektiv aus der Luft, unter anderem mittels Hubschraubern, die man zu diesem Zwecke am Besten mit Lenkraketen und starren Bordkanonen armiert, bekämpft, galt militärtheoretisch und -praktisch als gesetzt, und so machten sich westdeutsche Stellen seit Mitte der 70er Jahre Gedanken über ein entsprechendes Waffensystem – erst gemeinsam mit den Italienern, dann mit den Franzosen. 1984 schließlich stellten die deutsche und die französische Regierung einen Anforderungskatalog für einen modernen Mehrzweck-Kampfhubschrauber zusammen. Das war quasi die Geburtsurkunde jenes Fluggerätes, das erst Panzerabwehrhubschrauber zwei, kurz PAH-2, hieß und seit 1989 den weit eindrucksvolleren Namen „Tiger“ trägt.
Bevor das Projekt aber so richtig Fahrt aufnehmen konnte, vergingen nicht nur weitere Jahre, es kam auch der Feind mit seinen Panzermassen abhanden: Die Sowjetunion holte nach 1990 ihre Truppen heim und zerfiel anschließend, der Warschauer Pakt war ihr in dieser Hinsicht vorausgeeilt. Da gab es Illusionisten, die gingen mit Wort Friedensdividende hausieren und meinten, dass Milliarden an Rüstungsausgaben nun gespart werden könnten – unter anderem durch Verzicht auf solche Großprogramme wie „Tiger“. Die Rüstungsindustrie, das Militär und nicht zuletzt die Regierungen sahen das anders. Nicht nur die Franzosen mit ihrer nie so recht aufgegebenen Praxis, immer dann rasch die Fremdenlegion oder auch reguläre Truppen nach Afrika zu schicken, wenn mal wieder ein Freund Frankreichs in der Bredouille ist. Auch in Bonn und später in Berlin blieb die Meinung vorherrschend: Kampfhubschrauber braucht’s immer – oder etwas allgemeiner und mit den Worten unseres derzeitigen Verteidigungsministers gesprochen, „das Politische kann eben manchmal nur mit Hilfe des Militärischen erfolgreich sein“. Und so erhob sich der Prototyp des „Tigers“ im Jahre 1991 in die Lüfte, und schon vier Jahre später führte man das Modell auch schon der Weltöffentlichkeit vor – in der James-Bond-Schmonzette „Golden Eye“.
Die Franzosen hatten die Zwischenzeit zumindest dazu genutzt, die Planungsvorgaben für ihre „Tiger“ dahingehend zu ändern, dass diese statt mit einer starren nun mit einer schwenkbaren Kanone ausgestattet werden sollten, die für einen Einsatz in unübersichtlichem Gelände besser geeignet und heute Standard bei Kampfhubschraubern ist. Die deutsche Seite hatte bis dahin keinen Grund für eine derartige Modifikation gesehen, und das tat sie auch später nicht.
Da gut’ Ding bekanntlich Weile haben will, wurde die Serienproduktion des „Tigers“ erst 2002 aufgenommen. Der größte Teil der von der Bundeswehr ursprünglich georderten 80 Maschinen sollte dann aber rasch – bis 2009 – ausgeliefert sein und schnellstens beim deutschen Kontingent in Afghanistan eingesetzt werden. Sollte, denn man hatte kein Glück: Wegen diverser Pannen beim Hersteller wurde die zeitliche Latte gerissen. Oder, wie es der Pressesprecher des Herstellers Eurocopter, einer Tochter des deutsch-französischen EADS-Konzerns, etwas nonchalanter formulierte: „Das lief nicht rund.“ Und dann kam auch noch Pech dazu: Anfang 2010 stoppte die Bundeswehr die Abnahme – das Kampfgerät sei „nicht flugtauglich“. Durch Vibration waren bei der Hälfte der Maschinen Scheuerstellen an Kabelsträngen aufgetreten. Die seien „nicht relevant für die Flugsicherheit“, meinte Eurocopter-Häuptling Lutz Bertling flugs, aber das half nichts. Es musste nachgebessert werden. Bis Dezember 2011 waren schließlich 22 „Tiger“ ausgeliefert, doch immer noch entsprachen elf davon nicht den vereinbarten Anforderungen.
Trotzdem hoffte das Verteidigungsministerium auf eine Verlegung nach Afghanistan für Sommer 2012, dann für den Herbst und gab diese Termine auch bekannt. Aber irgendwie hatten das Militär und der Hersteller zwischenzeitlich realisiert: Hoppla – Afghanistan, das ist ja nicht die norddeutsche Tiefebene; da müssen Sandfilter zum Schutz der Motoren her und andere Funkausrüstungen, sonst klappt die Kommunikation mit den Verbündeten nicht. Wieder musste nachgebessert werden. Nun aber sind die ersten zwei (oder vielleicht gar vier) „Tiger“ endlich am Hindukusch, und man darf gespannt sein, ob alles Notwendige beieinander ist.
Auf Kritiker wie Sarcasticus ist die Bundeswehr bei dieser never ending story im Übrigen nicht angewiesen. Die hält sie sich selbst – wie etwa Carlo Masala, Professor an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München. Der brachte es auf den Punkt: „Der Tiger ist wirklich ein dunkles Kapitel in der Geschichte der deutschen Rüstungsindustrie und in der Geschichte des Beschaffungssystems der Bundeswehr. Ein Hubschrauber, der für eine andere Konstellation eingekauft wurde […], der bis heute noch nicht da ist und der, wenn er denn kommt so wie er da ist, bestimmte Sachen nicht hat, weil man sie nicht haben will und an den alten Plänen festhält. Das ist – gelinde gesagt – ein Skandal. Wir hatten in der Tat ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit, was sozusagen die Rüstungsbeschaffung anbetraf.“
Dank diesem System ist es auch bei starren Bordkanonen geblieben. Da muss der Pilot quasi mit der ganzen Maschine zielen, was die Manövrierfähigkeit doch irgendwie einschränkt und das Team, also Maschine und Mannschaft, temporär zu einem besseren Ziel für den Gegner macht. Deshalb gilt diese Armierung Experten als wenig bis ungeeignet zum Einsatz in asymmetrischen Konflikten – das sind jene Kriege, in denen sich irreguläre feindliche Kräfte äußerst flexibel unter Ausnutzung des Geländes bewegen, vorzugsweise aus dem Hinterhalt zuschlagen und in denen High-Tech-Streitkräfte an einer eher primitiv ausgestatteten Guerilla zu scheitern pflegen. Halt wie in Afghanistan. Doch diese Aspekte darf man dem Hersteller zufolge auch nicht überbewerten, denn, so dessen Pressesprecher: „Die Diskussion springt zu kurz, wenn man die Leistungsfähigkeit eines Hubschraubers auf die Diskussion um eine Bordkanone reduziert. Das wäre in etwa so, als würden Sie die Leistungsfähigkeit ihres Autos daran festmachen, ob sie zwanzig Zoll oder neunzehn Zoll als Bereifung haben.“
Diese höchst anschauliche Metapher wurde kürzlich in der NDR-Hörfunkreihe „Streitkräfte und Strategien“ aufgegriffen und dahingehend fortgeschrieben, dass der „Tiger“ also quasi „auf Sommerreifen ins Hochgebirge soll“. Bundeswehr-Offiziere in Afghanistan meinen laut Spiegel, die Flugkatze sei aus diesem und anderen Gründen für eine Mission am Hindukusch „völlig unbrauchbar“. Ihren Chef jedoch, den erst kürzlich berufenen Heeres-Inspekteur Bruno Kasdorf, dem Range nach Generalleutnant, ficht das nicht an: „Der Tiger ist ein guter Hubschrauber. Also ich bin damit sehr zufrieden […].“ Und er schreckt ja auch allein durch „schiere Präsenz“ ab. Hoffentlich wissen die afghanischen Taliban das ebenfalls schon, denn Berliner Zeitung werden sie ja wohl kaum lesen …
Es erfordert zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine seherische Gabe mehr, zu prophezeien, dass der „Tiger“ am Ende eines ganz gewiss sein wird – ein Milliardengrab für den Steuerzahler. Bis Ende 2011 waren bereits 2,6 Milliarden Euro verausgabt worden, und zwölf Monate später sind daraus gemäß Bundeshaushalt 3,7 Milliarden geworden. Andererseits – soviel ist das nun auch wieder nicht: Im Finanzbereich könnte man mit diesen Peanuts allenfalls eine Kreissparkasse retten!