„Getragen von Idealismus“

Editorial (Graswurzelrevolution Nr. 375, Januar 2013)

„Die GWR wird auch von 40 Jahren Idealismus getragen, der über Generationen reicht. Der Luxus, sich eine gewisse Sturheit in der politischen Haltung leisten zu können, macht gleichzeitig auch ihre Stärke aus. Auf die nächsten 40 Jahre.“ (Neues Deutschland, 08./09.09.2012)

 

Liebe Leserinnen und Leser,

 

am 9. Dezember 2012 hat der libertär-pazifistische Filmemacher Peter Lilienthal im GRIPS-Theater Berlin die Carl-von-Ossietzky-Medaille erhalten.

Mit dem zum 50. Mal von der Internationalen Liga für Menschenrechte vergebenen Preis wurde er für sein künstlerisches und politisches Lebenswerk geehrt. „Wer den Krieg erlebt hat, muss gegen ihn kämpfen. Die Sehnsucht nach Anpassung kann tödlich sein“, sagte Peter, der 1939 als Zehnjähriger mit seiner Mutter vor den Nazis nach Uruguay fliehen musste. Von ihm stammen u.a. die Filme „Es herrscht Ruhe im Land“, „Malatesta“. „David“, „Der Aufstand“ und „Camilo – Der lange Weg zum Ungehorsam“ (vgl. GWR 373 und GWR 374).

Fanny-Michaela Reisin, Vorsitzende der Internationalen Liga für Menschenrechte (1), protestierte in ihrer Rede dagegen, dass die Ossietz­ky-Medaille 2010 an Mordechai Vanunu immer noch nicht übergeben werden konnte. Dem israelischen Pazifisten wird nach wie vor die Ausreise aus Israel verwehrt.

Fanny-Michaela Reisin: „Vanunu wurde 2010 für seine Zivilcourage und herausragende Standhaftigkeit im Einsatz für die vollständige atomare Abrüstung und für transparente Demokratie ausgezeichnet. Er hatte 1986 als erster Israeli die internationale Öffentlichkeit über das Kernfor­schungszentrum informiert, welches Israel – unterstützt durch Frankreich und geduldet von den USA – während der 60er Jahre in der Negev-Wüste nahe der Stadt Dimona unterirdisch aufgebaut und unter Ausschluss der Öffentlichkeit betrieben hatte.

Das in der Atomanlage produzierte und verarbeitete Plutonium hat Israel befähigt, bis heute mehrere Hundert Atomsprengköpfe herzustellen. Vanunu wurde, noch bevor seine Informationen an die Öffentlichkeit gelangten, vom israelischen Geheimdienst 1986 nach Rom gelockt, dort überwältigt und per Schiff in die israelische Hafenstadt Ashdod verbracht. 1988 verurteilte ihn ein Militärgericht am Ende eines geheimen Verfahrens wegen Landesverrats und Spionage zu einer 18jährigen Freiheitsstrafe.

Am 21.04.2004 wurde Vanunu nach Verbüßung der Strafe – davon 11 Jahre Isolationshaft – aus dem Gefängnis entlassen. Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie im UN-Zivilpakt über bürgerliche und politische Rechte verbrieften Grundrechte auf Bewegungs- und Meinungsfreiheit bleiben ihm allerdings nach wie vor versagt: So darf er Israel nicht verlassen und keinen Kontakt mit ausländischen Botschaften und Journalisten aufnehmen. Er muss die Behörden über jeden geplanten Ortswechsel verständigen. Die Liga fordert die Regierung Israels (...) auf, Vanunu freie Ausreise zur persönlichen Entgegennahme der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2010 in Berlin zu gewähren. Die Liga fordert die Bundesregierung auf, gegenüber Israel die Einhaltung seiner Verpflichtungen als Unterzeichnerstaat des UN-Zivilpakts nachdrücklich anzumahnen und die volle Bewegungs- und Meinungsfreiheit für (...) Mordechai Vanunu zu verlangen.“

Die ZuhörerInnen im GRIPS-Theater hörten eine bewegende Laudatio auf Peter Lilienthal, gehalten von Michael Ballhaus, einem der weltweit bekanntesten Kameramänner, der u.a. seinen ersten Film 1960 mit Peter Lilien­thal gemacht hat. Musikalisch sorgten das Duo Contraviento und das I Felici Ensemble für gute Stimmung. Für mich war es eine Freude, dass ich die Veranstaltung moderieren durfte. Dabei habe ich mir eine politische Rede angesichts der realsatirischen Verleihung des Friedensnobelpreises am 10.12.2012 an den Waffenexportweltmeister EU nicht verkneifen können.

Tagesschau, Berliner Zeitung u.a. berichteten über die Medaillenverleihung. Die Filmwerkstatt Münster hat sie gefilmt und will einen Ausschnitt auf youtube.com stellen. 

 

CARO-Druck schließt

Seit 1988 wird die GWR von CARO-Druck gedruckt. Die Zusammenarbeit unserer Redaktion mit den CARO-DruckerInnen war immer freundschaftlich. Um so trauriger sind wir, dass CARO zum 1. Januar 2013 schließen wird.

Das Neue Deutschland berichtete am 7.12.2012:

„Hier entstanden seit drei Jahrzehnten verschiedenste Publikationen der linksalternati­ven Szene. Die untypische Geschichte von Caro-Druck ist eng verknüpft mit dem westdeutschen Maoismus der 1970er und der Öko-Bewegung der 1980er Jahre. ‚Caro’ war die Hausdruckerei des Kommunistischen Bunds Westdeutschland (KBW), die als finanzstärkste K-Gruppe geltende Kleinpartei. Nach der Auflösung des KBW in den frühen 1980er Jahren führten Teile der bisherigen Leitung die Nachfolge-Holding Kühl KG weiter. Ihren heutigen Standort ‚Ökohaus’ in Frankfurt-Bockenheim bezog die Druckerei nach einem Grundstückstausch mit der Com­merzbank. Die Großbank übernahm das alte, 1977 vom KBW für 2,7 Millionen DM erworbene Grundstück in attraktiver Lage unweit des Frankfurter Hauptbahnhofs und beglich dafür die wesentlich höheren Baukosten für das neue, nach ökologischen Prinzipien gebaute Gewer­behaus am Westbahnhof.

Seit den 1980er Jahren produzierte Caro-Druck eine Teilauflage der überregionalen ‚Tageszeitung’ (taz). Erst 2007 hatte Caro Druck die neue Zeitungsrotationsmaschine Solna D 380 (...) in Betrieb genommen. Nun wird die ‚taz’ dem Vernehmen nach ab 2013 in einer neuen Druckerei der ‚Gießener Allgemeinen’ gedruc­kt. Dieser mit­telhessische Betrieb hat in den letzten Monaten, so heißt es in Gewerkschaftskrei­sen, einen Großteil der Beschäftigten entlassen und eine neue Druckerei ohne Tarifbindung ge­baut.“

Mit Caro-Druck verschwindet eine linke Institution und 30 MitarbeiterInnen verlieren ihren Job. Wir wünschen unseren FreundInnen alles Gute und bedanken uns herzlich für die gute Zusammenarbeit und Solidarität.

 

adopt a revolution?

Eine Beilage gibt bekanntlich nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Und wir hatten in der Geschichte der GWR schon oft Beilagen oder (Austausch-)Anzeigen, die wir nur zähneknirschend akzeptiert haben.

Nun hat die Initiative „adopt a revolution“ angefragt, ob sie eine eigene Zeitung der GWR 375 beilegen lassen kann. Wir haben das nach einer Diskussion im GWR-HerausgeberInnenkreis abgelehnt, auch wenn wir noch nicht alle Inhalte kennen. Es gibt keinen Konsens für eine „adopt a revolution“-Beilage. Mein Eindruck ist, dass sich „adopt a revolution“ bisher nicht wirklich mit der antimilitaristischen und gewaltfreien Kritik auseinandergesetzt hat, die insbesondere auch von GWR-Autor Jürgen Wagner und der Informationsstelle Militarisierung (IMI) gekommen ist. Siehe dazu die kontroversen Artikel von Jürgen Wagner und Christine Schweitzer in der GWR Nr. 369 (Mai 2012, PDF: www.linksnet.de/de/artikel/27619).

Wir wollen gewaltfreie und libertäre AktivistIn­nen weltweit unterstützen, aber keine „Bürger­kriegspaten­schaft“ übernehmen. Wenn „adopt a revolution“ nicht ausschließen kann, dass die syrischen Gruppen, die sie unterstützt, an militärischen bzw. gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligt sind und lediglich das Austauschen einer Machtelite durch eine andere anstreben, möchten wir „adopt a revolution“ nicht unterstützen.

Ziel der Graswurzelrevolution ist eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, nicht das Ersetzen einer Staatselite durch eine andere, nicht der Austausch eines bestehenden Terrorregimes ge­gen ein neues.

In diesem Sinne wollen wir weitermachen und uns „eine gewisse Sturheit“ bewahren.

Wir wünschen unseren LeserInnen ein schönes Jahr 2013, Anarchie und Glück,

 

Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)

 

Anmerkung:

  1. Weitere Infos: www.ilmr.de

 

Editorial aus: Graswurzelrevolution Nr. 375, 42. Jahrgang, Januar 2013, www.graswurzel.net