Ärztekorruptionsgesetz – Ein untauglicher Ansatz

 

Im März 2012 entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass niedergelassene Vertragsärzte der Krankenkassen und Pharmafirmen nicht wegen Bestechung strafrechtlich belangbar sind, wenn sie Schmiergelder annehmen oder zahlen, weil es sich bei diesen Ärzten nicht um angestellte Ärzte oder Amtsträger handele. Dies sei eine Gesetzeslücke, die der Gesetzgeber schließen müsse, um eine rechtliche Gleichbehandlung niedergelassener und angestellter Ärzten zu gewährleisten. Der zuständige Gesundheitsminister Bahr (FDP) reagierte jedoch mit Untätigkeit.
Auf vielfältigen Druck aus der Selbstverwaltung der Krankenkassen, der Öffentlichkeit und der Politik, einschließlich Vertretern der Regierungskoalition, sieht sich Bahr nun veranlasst, aktiv zu werden. Eigentlich wollte er das wohl nicht, denn damit hätte er am besten seine Klientel bei Ärzten und ärztlicher Selbstverwaltung bedienen können, die den BGH-Entscheid zunächst bejubelt hatte. Aber auch sein Versuch, sich durch Abschiebung der Zuständigkeit und Verantwortung auf die ärztliche Selbstverwaltung elegant aus der Affäre zu ziehen, misslang.
Entsprechend minimal bleiben die ministeriellen Vorschläge zur Sanktionierung. Nur schwere Fälle von Korruption sollen überhaupt bestraft werden, und nur dann mit bis zu drei Jahren Haft. Was schwere Fälle sein sollen steht nicht im Gesetzentwurf, auch nicht die Bestrafung der bestechenden Geldgeber. Zudem stehen die Strafandrohungen nicht im Strafgesetzbuch, sondern im Sozialgesetzbuch (SGB V). Das bedeutet, dass in jedem Einzelfall nachgewiesen werden muss, dass durch die Bestechung den Krankenkassen ein konkreter Schaden entstanden ist, wenn es zu einer Anklage gegen einen Arzt wegen Korruption kommen soll. Geld für den Kauf von Verordnung, also die Annahme von Bestechungsgeld allein reicht nicht zur strafrechtlichen Verfolgung eines Arztes. Das macht die Strafandrohung zum Papiertiger, denn bei Bestechung erfolgt bekanntlich keine Abrechnung pro Fall.
Der Vorschlag des Ministers lässt auch das Hauptproblem der Ärztekorruption völlig unerwähnt: die verbreitete Käuflichkeit medizinischer Experten und Meinungsbildner durch Warenanbieter und ihre oft professoralen Anstrengungen, den Geldgebern als vorgeblich unabhängige Redner auf Kongressen, Verfasser von Publikationen, Schreiber von Leitlinien oder Berater in medizinischen oder administrativen Entscheidungsgremien dienlich zu sein. Die Offenlegung solcher Verquickungen zwischen ärztlichen Experten und Pharmaindustrie erzwingt  in den USA der „Physician Payments Sunshine Act“ mit Veröffentlichung der Bestechungssummen. Das deutsche Ministerium tut bei diesem für die Ärztekorruption zentralen Thema nichts.
Aber nicht nur diese Modalitäten weisen darauf hin, dass es Bahr nicht um die effektive Bekämpfung der Ärztekorruption geht. Der Gesetzentwurf ist gar kein eigenständiges Antikorruptionsgesetz, sondern besteht nur aus einigen Textänderungen von Paragrafen des SGB V im Rahmen des Präventionsgesetzes. Dieses wird aber inhaltlich von Sachkennern und von der Opposition als kostspielige und ineffiziente Scheinaktivität der Regierung kritisiert. Das Präventionsgesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrats, und die ist angesichts der rot-grünen Mehrheit in der Länderkammer zweifelhaft. Bahrs Gesetzesvorschlag zur Bekämpfung der Ärztekorruption dürfte also im Bundesrat scheitern. Gewollt?
In Anbetracht der materiellen Bedeutung der Korruption im Gesundheitswesen, die mit über 20 Milliarden Euro bei einem Finanzierungsvolumen von etwa 290 Milliarden Euro angegeben wird, ist eine rechtlich einwandfreie Schließung der vom BGH festgestellten Gesetzeslücke zwingend erforderlich. Juristen und Strafverfolger, zum Beispiel von einer Arbeitsgruppe bei Transparency Deutschland, schlagen dafür vor, niedergelassene Vertragsärzte der gesetzlichen Krankenkassen, die dadurch eine besondere Verantwortung für Mittel aus den gesetzlichen Abgaben der Versicherten haben, nach dem Verpflichtungsgesetz Amtsträgern gleichzustellen. Dann gelten für sie die gleichen strafrechtlichen Vorgaben des Strafgesetzbuchs (StGB) wie für angestellte Ärzte oder Amtsträger. Darüber hinaus lassen sich so auch die Finanziers der Zuwendungen nach den entsprechenden Paragrafen des StGB erfassen.
Aber auch dieser Ansatz reicht nicht aus, um die durch neoliberale Wettbewerbs- und Profitorientierung ermöglichte Ausbeutung des solidaren Gesundheitswesens zu unterbinden. Zur Unterbindung von korrupten Fehlallokationen von Mitteln der Krankenversicherten zugunsten von Leistungserbringern sind neben der effektiven Bekämpfung der Käuflichkeit medizinischer Experten zusätzlich folgende Sanktionierungen oder Verbote erforderlich:

– Verbot von wissenschaftlich nutzlosen Anwendungsbeobachtungen der Pharmaindustrie (Ärztehonorare jährlich ein bis zwei Milliarden Euro)
– Verbot der therapeutisch nicht erforderlichen, also nutzlosen IGeL-Leistungen (Ärztehonorare jährlich ein bis zwei Milliarden Euro)
– Sanktionierung von Falschabrechnungen von Kliniken gegenüber den Krankenkassen (Zusatzkosten jährlich etwa zwei Milliarden Euro)
–Verbot von Rabattverträgen zwischen Pharmaindustrie und Krankenkassen insbesondere bei patentierten Arzneimitteln (Zusatzeinnahmen der Kassen ohne Rückerstattung an Versicherte jährlich etwa zwei Milliarden Euro)

Die Einführung der Rabattverträge zwischen Warenanbietern und Krankenkassen im SGB V hat sich darüber hinaus zu einem gefährlichen Instrument der Kartellbildung zwischen Herstellern und Kassen entwickelt, die bei patentierten Arzneimitteln den Herstellern erlaubt, hochpreisige Produkte mit Hilfe der Kassen ohne Gefährdung durch preiswertere Wettbewerber zu vermarkten, weil die Kassen ihre Versicherten an die Rabattverträge binden können. Das beste Beispiel für die damit ermöglichte Verteuerung ist die Behandlung der Altersblindheit (Makuladegeneration) mit Lucentis oder Avastin. Beide Behandlungen sind erwiesenermaßen gleich effektiv und gleich sicher. Aber eine Behandlung mit Lucentis kostet 1.363 Euro, die mit Avastin nur etwa 50 Euro. Trotz der 27fachen Preisdifferenz verpflichtet die AOK wegen des Rabattvertrags mit dem Hersteller Novartis ihre Versicherten auf die Behandlung mit teuren Lucentis. Übliche Rabattverträge mit den Herstellern bringen den Kassen um die 20 Prozent Nachlass, aber die Behandlung mit dem rabattierten Lucentis dürfte die Kasse und damit die Versicherten immer noch um 800 Euro kosten, anstatt etwa 50 Euro beim gleich wirksamen Avastin. Hier bewirken die Rabattverträge also keine Kostensenkung, sondern im Gegenteil eine Vermarktungssicherung für das überteuerte Produkt. Das Gleiche gilt für andere überteuerte Produkte von Novartis wie Rasilez oder den Grippeimpfstoff Begripal, für die die AOK ebenfalls Rabattverträge abgeschlossen hat. Die Pharmaindustrie nutzt also die Möglichkeit von Rabattverträgen mit GKV-Krankenkassen dazu, die Vermarktung teurer Produkte durch Kartellbildung mit den Kassen vor preiswerterer Konkurrenz abzusichern. Damit werden Rabattverträge auch zur Eintrittspforte für die Korrumpierung der GKV-Kassen und zum Hebel, um das Wirtschaftlichkeitsgebot des SGB V auszuschalten. So wird das einst solidare Gesundheitswesen zur profitorientierten Gesundheitswirtschaft – auf Kosten der gesetzlich Versicherten, die die überteuerten Therapien mit ihren Zwangsbeiträgen zu bezahlen haben.
Ein wirksames Gesetz gegen Ärztekorruption sollte alle diese Facetten abdecken.