Politisch, korrekt, gut und menschlich?

in (22.05.2013)

Wer bin ich? Toleranz, Feminismus, Emanzipation, Gleichbehandlung und Solidarität gehören zu meinem Selbstverständnis. Vorurteile und Stereotype versuche ich in meinem Denken und Handeln aufzuspüren und loszulassen. Alltagsrassismen, sexistische Normalitäten und sonstiges arrogantes und abwertendes Verhalten sind mir zuwider. Ich bin eine weiße, inländische, akademisch gebildete Frau mittleren Alters und bürgerlicher Herkunft mit feministischen, antifaschistischen und antirassistischen Überzeugungen. Ich bin politisch – in meinem Denken und Handeln. Bin ich deswegen korrekt und gut? Sicherlich nicht. Denn ich bin kein Stereotyp.
Die aus der US-amerikanischen Antirassismus-Bewegung kommende und sich dort auf den Universitäten ausbreitende Kritik an der male white dominance wurde vor mehr als 20 Jahren als „Politische Korrektheit“ rezipiert und in den deutschsprachigen Raum importiert. Von Beginn an erfüllte hier der Diskurs die Funktion, emanzipatorische Forderungen pauschal zu diffamieren. Das Vorurteil „politisch korrekt“ und das Stereotyp „Gutmensch“ strukturieren seitdem einen Diskurs, dessen Vorläufer bis in das 19. Jahrhundert reichen und dessen Herkunft immer im rechten Lager zu finden war. Nur die Begriffe und Schlag-Wörter wurden über die Jahrzehnte ausgetauscht und modernisiert.
Die Initiatoren des deutschsprachigen Diskurses über die „Politische Korrektheit“ zählen gewiss zum bürgerlichen Lager, doch profitiert vor allem jenes ideologische Spektrum, das sich „Neue Rechte“ nennt, von der Existenz des Stereotyps „politisch korrekt“. Inspiriert wurden diese wiederum von einem Franzosen. Als Reaktion auf die 68er-Bewegung gründete Alain de Benoist, selbst aus dem rechtsextremen Spektrum stammend, eine Gruppe Intellektueller, JournalistInnen und WissenschaftlerInnen, genannt GRECE. Im Gegensatz zu ihrer rechtsextremen Herkunft wollten die GRECE-Mitglieder ihre ideologischen Ziele nicht mit Militanz und parteiförmiger Organisation erreichen, sondern durch theoretische Konzepte und intellektuelle Diskurse. Benoist sah in der rechtsextremen Theorienfeindlichkeit die größte ideologische Schwäche und wollte diese einerseits mit Rückgriffen auf Ideen der Konservativen Revolution der Weimarer Republik und der deutschen Präfaschisten sowie andererseits  auf das Konzept der „kulturellen Hegemonie“ des marxistischen Theoretikers Antonio Gramsci beheben. Mittels metapolitischer Strategien sollten diese Ziele erreicht werden. Diese würden Benoist zufolge begünstigt durch die „Anfälligkeit der öffentlichen Meinung für eine metapolitische Botschaft, wobei letztere unisono wirkungsvoller ist und umso besser aufgenommen wird, als ihr direktiver und suggestiver Charakter nicht klar als solcher erkannt wird und folglich nicht auf dieselben rationalen und bewußten Widerstände stößt, wie eine Botschaft mit einem direkten politischen Charakter.“ (Benoist 1985, S. 49f) Dieser „dritte Weg“ sollte sich sowohl aus rechten als auch linken Ideologieelementen zusammensetzen und als Synthese über die existierenden Systeme hinausgehen. In enger Anlehnung an Benoist definierte Jürgen Hatzenbichler die Strategie der „Neuen Rechten“ in Österreich: „Die Neue Rechte kennt keine Tabus. Sie liest linke Autoren ebenso wie liberale, weiß jedoch, was sie abzulehnen hat und was nicht. Sie versteht sich als eine Strömung im intellektuellen Diskurs, sie entwickelt kein geschlossenes Ideensystem, da ein solches immer auch etwas Totalitäres hat. Ihre Methode ist dabei nicht der Wahlkampf (…), sondern die Metapolitik, die man als positives Ergebnis des Lernens von der Linken bezeichnen darf.“ (Hatzenbichler 1995, S. 207) Während der Begriff der „kulturellen Hegemonie“ bei Gramsci zur Analyse der Bedingungen einerseits für den Erfolg der russischen Revolution und andererseits für die gescheiterten Revolutionen in Deutschland und Italien nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt wurde, konzentriert sich die „Neue Rechte“ darauf, dass Hegemonie – also die Herstellung und Aufrechterhaltung von Konsens und Herrschaft – nicht nur vom Staat, sondern ebenso von zivilgesellschaftlichen Institutionen wie Schule, Familie, Medien und kulturellen Einrichtungen ausgeht. Die „Neue Rechte“ funktionalisierte somit das Hegemoniekonzept in zwei Richtungen: Einerseits indem sie versucht, „Stellungskrieg“ an mehreren kulturellen Fronten durch die Besetzung von Feldern und die Etablierung einer  „vitalen Subkultur“ im vorpolitischen Raum zu führen (vgl. Terkessidis 1995, S. 37). Andererseits perfektionierte sie die Imagination einer dominanten „linken Hegemonie“ soweit, dass es selbst in linken Kreisen Anklang und Zustimmung findet, wie es in den vergangenen Jahren im Diskurs über die „Politische Korrektheit“ und die „Gutmenschen“ zu beobachten ist. Die Bezeichnung „politisch korrekt“ wurde von rechter Seite erfolgreich als ideologischer Code etabliert. Die Art und Weise, wie ideologische Codes Texte bzw. Diskurse organisieren und deren Inhalte regulieren, erscheint den DiskursteilnehmerInnen jedoch nicht als Zensur, obwohl es eine solche ist. Dass der ideologische Code „Politische Korrektheit“ Teil der Reaktion auf den Verlust der weißen-männlichen Vorherrschaft ist (vgl. Smith 1995, S. 31), zeigt sich schon in einem der ersten deutschsprachigen Artikel zum Thema. 1992 definiert Jörg Uthmann „Politische Korrektheit“ in der FAZ folgendermaßen: „Gemeint ist damit die vorschriftsmäßige ‚Sensibilität‘ gegenüber Minderheiten und anderen benachteiligten Gruppen, wozu auch die Dummen und Häßlichen gehören.“ (Uthmann 1992) Kurz nach Uthmanns FAZ-Artikel veröffentlichten auch die Süddeutsche Zeitung, der Spiegel und die tageszeitung Texte, in der die negative Darstellung der „Politischen Korrektheit“ reproduziert wurde (vgl. Huhnke 1999, S. 23). In der Folge widmeten sich v.a. die deutschen Elitemedien einem journalistischen Meta-Diskurs über die „PC“, der immer mit den Themen Frauen, marginalisierte und diskriminierte Gruppen sowie Trikont verknüpft wurde. Von einer publizistischen Debatte kann in diesem Zusammenhang allerdings nicht gesprochen werden. „Tatsächlich unterscheiden sich die Beiträge nach ihrem intellektuellen Niveau und der Differenziertheit ihrer Argumentation, aber die Unterschiede in der politischen Bewertung der ‚PC‘ sind kaum auszumachen: Die ist durchgängig kritisch.“ (Frank 1996a, S. 25) 1995 setzte parallel zum Feuilleton auf dem Buchmarkt ein wahrer Anti-PC-Boom von konservativen und „neurechten“ Autoren ein. 1997 war der Begriff schließlich in den öffentlichen Diskursen schon so geläufig, dass sich auch seine deutsche Übersetzung „Politische Korrektheit“ endgültig durchsetzte (vgl. Huhnke 1999, S. 24). Tatsächlich werden unter diesem stigmatisierenden Schlagwort pauschal jene Gruppierungen genannt, von denen sich der männlich, patriarchale, konservative oder rechtsextreme Teil des Ideologie- und Politikspektrums bedroht fühlt: Feminismus und Frauenbewegung, Antifaschismus, Antirassismus usw. Selbst so manche Linke fühlen sich von der „PC“ bedroht. Die österreichische Diskursentwicklung verlief zeitlich etwas versetzt, aber inhaltlich identisch. Den Beginn machte ein Artikel im Lifestyle-Magazin Wiener, in dem die Autoren Peter Hiess und Franziskus Kerssenbrock mit der „drohenden Diktatur der Halbgebildeten und Humorlosen über Sprache und Gesellschaft“ abrechnen (Wiener Nr. 191/April 1996). Aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung war es dann der rechtsextremen Aula ganz im Sinne der Querfrontstrategie möglich, diesen Artikel neben Konrad Paul Liessmanns Aufsatz Der gute Mensch von Österreich abzudrucken (Aula 7-8/96).
Charakteristisch für die „PC“-Rezeption in der BRD und Österreich ist das Fehlen einer real existierenden Gruppe oder Institution, die sich das Etikett „politisch korrekt“ selbst angeheftet hätte. Von Beginn an funktionierte der Begriff als Fremddefinition und Stigmawort. Und „das Konzept des Stigmawortes ist offenbar so dominant, daß es nahezu unmöglich ist, sich ohne Distanzierungssignale positiv auf ‚P.C.‘ zu beziehen“ (Frank 1996b, S. 209). Für die journalistische Inszenierung der „PC“ ist zudem charakteristisch, dass die Texte nicht auf die Reflexionsfähigkeit der LeserInnen abzielen, sondern Stereotype voraussetzen, bedienen und bestätigen. Gleichzeitig soll die Chiffre „PC“ möglichst offen und unklar bleiben. Ein Beispiel dafür ist Klaus Groths Darstellung, in der „PC“ als gesichtslose, anonyme, diktatorische Macht erscheint, die mit totalitären Methoden agiert. „Erst wenn das wahre Gesicht der Diktatoren erkennbar wird, werden auch die Absichten, die Helfer und die Hilfsmittel sichtbar. (…) Dieses Buch will helfen, die Strategien der Political Correctness zu erkennen.“ (Groth 1996, 9f) Ein Blick in LeserInnenkommentare beweist, dass sich das negative Image von „Politischer Korrektheit“ auch im Alltag durchgesetzt hat. „Political Correctness ist der Versuch Andersdenkenden das Denken, vor allem aber das Aussprechen, das argumentative Vertreten des Gedachten zu verbieten“, kommentiert etwa der Leser Knieriem den Artikel Die politische Korrektheit ist politisch nicht korrekt (Presse, 9.6.2008).
Gewöhnlich arbeitet die „Neue Rechte“ mit der Retorsion von Begriffen, indem die ursprüngliche Bedeutung ausgeblendet wird und der Terminus mit neuen Inhalten und Konnotationen aufgefüllt wird. Dies lässt sich an Begriffen wie „Identität“ oder „Ethnie“ verfolgen. Im Diskurs über die „Politische Korrektheit“ wurde allerdings keine begriffliche Retorsion vorgenommen, denn der Inhalt war im deutschen Sprachraum weder von Linken noch von Feministinnen o.a. zu irgendeinem Zeitpunkt bestimmt worden. Die „Neue Rechte“ erkannte einfach, wie diese Bezeichnung für ihre „Kulturkampf“-Diskurse funktionalisiert werden und im Gegenzug zur „linken Hegemonie“ einen Rechtsruck der Mitte forcieren konnte. Eine Retorsion des Begriffes „Politische Korrektheit“ erfolgte also nicht, allerdings kamen die übrigen „neurechten“ Strategien zur Anwendung. Die „PC“ wird diffamiert, verhöhnt und ihre vermeintlichen Inhalte delegitimiert. Neue „Opfer“ und „TäterInnen“ werden konstruiert und der „Tabubruch“ im „Widerstand“ gegen die „PC“ institutionalisiert. Es gelang den Rechtsextremen, die historisch erwiesenermaßen ideologische Feinde von Demokratie, Emanzipation und Pluralismus sind, sich als Verteidigungsbastion der Meinungsfreiheit zu inszenieren. Die gemeinsame Gegnerschaft und vermeintliche Abwehr der „Politischen Korrektheit“ fungiert zudem als ideologisches Scharnier zwischen Linken, Konservativen, neuen und extremen Rechten. Somit ist spätestens seit Mitte der 1990er Jahre das Funktionieren neurechter Diskursstrategien anhand des Anti-„PC“-Diskurses festzustellen (vgl. Auer 2002: 296f).

 

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 28, Frühling 2013, „Critical Correctness“.


Literatur:

Auer, Katrin 2002: „Political Correctness“ – Ideologischer Code, Feindbild und Stigmawort der Rechten. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft. Nr. 31. 291 – 303.

Benoist, Alain de (1985): Kulturrevolution von rechts. Gramsci und die Nouvelle Droite. Krefeld.

Frank, Karsta (1996a): PC-Diskurs und neuer Antifeminismus in der Bundesrepublik. In: Das Argument. Nr. 213/1996. S. 25–38.

Frank, Karsta (1996b): Political Correctness. Ein Stigmawort. In. Diekmannshenke, Hajo / Klein, Josef (Hg.): Wörter in der Politik. Analysen zur Lexemverwendung in der politischen Kommunikation. Opladen. S. 185–218.

Groth,  Klaus J. (1996): Die Diktatur der Guten. Political Correctness. München.

Hatzenbichler, Jürgen (1995): Querdenker. Konservative Revolutionäre. Engerda.

Huhnke, Brigitta (1999): „political correctness“ – ein Mantra nationaler Erweckung. In: ZAG. Antirassistische Zeitschrift Nr. 30. S. 20–27.

Smith, Dorothy E. (1995): „Politically Correct“. An Ideological Code. In: Richer, Stephen / Weir, Lorna (HgInnen): Beyond political correctness. Toward the inclusive university. Toronto. S. 23–50.

Terkessidis, Mark (1995): Kulturkampf. Volk, Nation, der Westen und die Neue Rechte. Köln.

Uthmann, Jörg (1992): Körper und Lehrkörper. Amerikas Universitäten straiten über „political correctness“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 42/19.2.1992.