Kein Wort über die kapitalistische Produktionsweise

Rudi Schwab über Michael Wendls Versuche, Privatisierung zu verteidigen

in (09.07.2013)

Die Debatte über die politische Einschätzung der Privatisierung von Krankenhäusern geht weiter – in ver.di und in der Zeitschrift »Sozialismus« wie auch hier im express. Im »ver.di Infodienst Krankenhäuser« Nr. 60 vom März 2013 hatte Michael Wendl unter der Überschrift »Eine Krankenhausökonomie von Gut und Böse« eine Antwort auf die Kritiken an ihm von Günter Busch, Marc Kappler und Fabian Rehm geschrieben. Auf diese reagiert nun Rudi Schwab, der vor allem eine Diskussion der Auswirkungen der kapitalistischen Produk­tionsweisen auf die medizinische Behandlung in den Krankenhäusern bei Wendl vermisst.

 

Interessanterweise1 erscheint der Artikel von Michael Wendl: »Eine Krankenhausökonomie von Gut und Böse« mit dem ersten Punkt: »Der Erfolg der Rhön-Klinikum AG« zu einer Zeit, in der deren erstmaliger massiver Gewinneinbruch im Jahr 2012 bekannt wird und ihr völliges Versagen in dem Bestreben, ihre »Erfolgsmethoden« einer Univer­sitätsklinik überzustülpen. Nur weil eine Universitätsklinik mehr im Blickwinkel der Öffentlichkeit steht als andere, konnte so v.a. durch den Widerstand des Personals verhindert werden, dass der Konzern seine sonst übliche »innovative (?)« Methode der Personalreduzierung ausweitete, um die Verluste zu reduzieren (nach Insiderwissen war eine Stellenplanreduzierung um 500 Stellen geplant, die nach massiven öffentlichkeitswirksamen Protesten von Rhön in der Weise zurückgenommen wurde, dass man behauptete, man habe das ja gar nicht vorgehabt).

Noch etwas lässt sich am Beispiel Uniklinik Marburg/Gießen exemplarisch zeigen. Das Versprechen einer umfassenden Medizin zu bezahlbaren Preisen auf hohem Niveau gilt nur, solange damit Gewinn zu erwirtschaften ist. Noch 2006 wirbt der Konzern in seinem Geschäftsbericht stolz mit der Partikeltherapie, die auch vom Land Hessen – dem Verkäufer der Uni-Klinik – als »Leuchtturm« für das Land gepriesen wird. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Wie man hört, ist die Anlage an Siemens zurückverkauft. Es zeigte sich, dass sich die für einen profitablen Betrieb notwendige Patientenzahl aus technischen Gründen nicht durchschleusen ließ. Und so überlässt man es lieber der sonst so geschmähten öffentlichen Hand, in diesem Fall konkret der Universitätsklinik Heidelberg, das Verfahren zum Nutzen der Patienten anzuwenden und so Verluste zu erzeugen, auf die man dann bei passender Gelegenheit wieder mit dem Finger zeigen kann.

Dass es ein Fehler war, eine Universitätsklinik zu privatisieren, hat sich inzwischen auch in der Verkäufer- und Regierungspartei CDU herumgesprochen. In einem Papier der Stadtverordnetenfraktion Marburg der CDU liest man: »… geht es vor allem darum, sich der Strukturfehler der Privatisierung bewusst zu werden. Das ist zum einen der Umstand, dass die Renditeerwartungen eines börsennotierten Krankanhausunternehmens nicht mit den Aufgaben eines Universitätsklinikums kompatibel sind. Während Aktiengesellschaften die nachvollziehbare Aufgabe haben, Gewinne zu erwirtschaften und die Renditeerwartungen ihrer Aktionäre zu befriedigen, steht bei einem Universitätsklinikum die effektive Wahrnehmung von Forschung und Lehre sowie eine gesicherte maximale Krankenversorgung im Vordergrund«2.

Öffentliche Kritik kam von der Wissenschaftsministerin in Hessen. Sie drohte im vergangenen Jahr mit der Einforderung einer vertraglich vereinbarten Strafzahlung von über 100 Millionen Euro für den Fall, dass die Partikeltherapie nicht bis Ende 2012 am Laufen sei. Welcher Kungelei es zu verdanken ist, dass es nicht zur Durchsetzung dieser Forderung kam, ist nicht bekannt. Möglicherweise will man auch das Thema im Landtagswahljahr 2013 nicht zu hoch kochen, um nicht große Fehler der Vergangenheit eingestehen zu müssen oder den Widerstand der Bevölkerung gegen weitere anstehende Privatisierungen nicht noch mit selbst gelieferten Argumenten zu fördern. Im Gegenteil, man unterstützt jetzt die Universitätsklinik mit regelmäßigen Zahlungen von jährlich 13 Millionen Euro. Werden Krankenhäuser nicht deshalb verkauft, um die öffentliche Hand zu schonen? Aber das kennt man ja von Verkäufen anderer Krankenhäuser, dass die öffentliche Hand als Verkäufer sich vertraglich verpflichtet, auf Jahre hinaus die Verluste der verkauften Krankenhäuser zu übernehmen. Oder dass vorher mit öffentlichen Geldern komplett renovierte und sanierte Kliniken anschließend verkauft werden (z.B. Rhön-Krankenhaus Frankfurt/Oder). Wo liegt hier für wen der Vorteil der Privatisierung?

Unbestritten ist auch, dass die Konzerne genau kalkulieren, welche Krankenhäuser sie kaufen und welche nicht. Der Vorwurf der Rosinenpickerei gilt hier im vollen Umfang. Hier werden gezielt Krankenhäuser gekauft, die sich auf »ertragreiche« Krankheitsarten konzentrieren (etwa die von Michael Wendl angeführte Herzklinik Leipzig), die in strategisch günstiger Lage sind (Fallzahlen, schwache Wettbewerber im Umfeld) oder mit denen sich Synergien im Konzern besonders gut erzielen lassen. Im Geschäftsbericht 2007 des Rhön-Konzern lesen wir in dankenswerter Offenheit: »Im Übrigen treten wir bei Klinikübernahmen nur an, wenn unser finanzielles Engagement durch von uns gestaltbare Aktivität dauerhaft und ertragreich gesichert werden kann.«

Michael Wendl sieht einen Teil des wirtschaftlichen Erfolgs des Rhön-Konzerns bei der Anwendung des »Fließ- oder Flussprinzips«. Ich habe als mehrjähriger Mitarbeiter eines Rhön-Krankenhauses, Mitglied in Betriebsräten und zuletzt im Aufsichtsrat nie eine überzeugende Antwort erhalten, was man genau darunter zu verstehen hat, noch habe ich eine durchgängige Anwendung dieses Prinzips erlebt. Aber die mit diesem Wort verbundenen Assoziationen zur Fließband­arbeit können an die erlebte Wirklichkeit durchaus anknüpfen: der Patient als Werkstück, den man an auf einzelne Handgriffe reduziertem Personal vorbei laufen lässt und der am Ende gesund rauskommt. Dieses Aufgliedern der umfassenden Behandlung eines Patienten auf neu kreierte Spezialberufe und in einzelne Handgriffe wird von den privaten Konzernen vorangetrieben. Extrem-Beispiele hierfür wären der Phlebotomist (den es schon gibt), der nur Blutabnahmen vornimmt oder der »Exkrementeur« (eine Anregung, die noch umzusetzen wäre), der einmal am Tag bei Pflegebedürftigen die Windel wechselt, egal ob es gerade notwendig ist oder nicht. Eine Spielwiese für »innovative« Ideen, aber ein erschreckend menschenverachtendes Bild vom Patienten als rein somatischem Produkt, der ohne Zuwendung und psychische Betreuung in diesem System keinen zuständigen, vertrauten Ansprechpartner für seine Nöte und Ängste mehr findet.

Michael Wendl sieht die »Ineffizienz und die berufsständische Verkrustung der öffentlichen Krankenhäuser und die Orientierung der leitenden Ärzte an der Versorgung und Abrechnung der Privatpatienten, also an einer Strategie des Rent-seekings«. Die Vorstellung, durch einen »kapitalistischen Umbau« würde das Rent-seeking überwunden, ist etwas abenteuerlich.

Bestrebungen, durch kollektive Organisationsformen die zu Recht kritisierte strenge Krankenhaushierarchie zu überwinden, gibt es schon lange. Sie waren bis jetzt allerdings nirgends dauerhaft erfolgreich. Es verwundert nicht, dass keiner der privaten Konzerne solche Ideen aufgegriffen hat. Diktatorisch geführte Betriebe lassen sich eben leichter in die gewünschte Richtung treiben. Der Unterschied zu früher ist nur, dass der Chefarzt, der vormals oft de facto an der Spitze eines Krankenhauses stand, jetzt als alleiniger Statthalter unter der strikten Weisungsbefugnis eines Ökonomen in der Betriebsführung steht. Die Hierarchie für das nachgeordnete Personal ist unverändert.

Das beschriebene »Rent-seeking« konnte man früher beschränkt auf die zehn Prozent der Privatpatienten befürchten, nach dem Motto: Privatpatienten warten kürzer auf unnötige Diagnostik und Therapie, also in der Realität zwar unbestreitbar oft, aber nicht immer zu ihrem Nutzen. Jetzt wird bei Chefärzten das Recht zur Privatliquidation bei Privatpatienten zunehmend ersetzt durch Prämien bei Erreichung von vorgegebenen Erfolgs-Zielen. Unter den Bedingungen der Ökonomisierung und der Bezahlung der Krankenhausleistung nach DRG´s, also der Bezahlung nach gelieferter »Stückzahl« an Patienten und Prozeduren, wird das »Rent-seeking« jetzt auch auf die anderen 90 Prozent, d.h. die Kassen-Patienten ausgeweitet. Jeder, der etwas Einblick in die Krankenhäuser der privaten Betreiber hat, weiß, dass die nach außen deklamierte »Unabhängigkeit der medizinischen Entscheidungen« von leitenden Ärzten nur auf dem Papier steht. Die Ärzte stehen massiv unter Druck und Erfolgszwang in der Rekrutierung und Lieferung von »Fällen« und gut bezahlten Prozeduren.

Das Ergebnis ist eine völlig andere Medizin für alle, nicht mehr orientiert an den Bedürfnissen des Patienten zur Heilung von Krankheit und Verletzung, sondern an der Fall- und Behandlungsausweitung zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele. Die Zahlen über die Steigerung der Patientenzahlen im Krankenhausreport 2012 sprechen eine deutliche Sprache. Krankenhausbehandlung wird unter den Bedingungen der Ökonomisierung zunehmend abgekoppelt von medizinischer Indikation und entwickelt sich damit tendenziell zu einer Anleitung zur Körperverletzung zwecks Erreichung rein wirtschaftlicher Ziele. Innovativ zu wessen Nutzen?

In dem Artikel von Michael Wendl findet man kein Wort über die Auswirkungen dieser kapitalistischen Produktionsweisen auf die medizinische Behandlung in den Krankenhäusern. Man findet auch kein Wort – und das ist erstaunlich für einen sonst verdienten langjährigen Gewerkschaftssekretär – über die Auswirkungen auf das Personal, über unmenschliche Arbeitshetze, die Ausweitung von Leiharbeit, Zersplitterung der früher einheitlichen Patientenbehandlung, durchgehend schlechtere Bezahlung bei den privaten Konzernen.

Man kann hier nicht argumentieren – wie man es oft hört –, die Arbeitsbedingungen seien in den öffentlichen Krankenhäusern inzwischen genauso schlecht. Am Anfang steht die Ökonomisierung, d.h. erst die Möglichkeit, dann der Zwang, dass ein Krankenhaus Gewinn erwirtschaften muss und nicht mehr als alleinigen Zweck im Sinne der Daseinsvorsorge die Sicherung der stationären Krankenhausbehandlung zur Aufgabe hat. Mit den ökonomischen Erfolgen der privaten Betreiber wird aber diese Gewinnerwartung, zumindest die »schwarze Null« auch den anderen übergestülpt. Die privaten Betreiber spielen so die verhängnisvolle Rolle, den Takt vorzugeben, dem die anderen zu folgen haben. Ein schwacher Trost: Ganz werden sie in Bezug auf den Personalabbau von den öffentlichen Krankenhäusern trotzdem noch nicht erreicht, das zeigen eindeutig alle Zahlen des statistischen Bundesamts.

Was wir brauchen, ist nicht die Verherrlichung der Privatisierung von Krankenhäusern, sondern eine Umkehr zur Krankenhausversorgung als Teil der Daseinsvorsorge – finanziert, wenn sie sich nicht selber trägt, aus öffentlichen Mitteln und aus Krankenkassenbeiträgen.

Die politische Durchsetzung dieser Forderung verlangt große Anstrengungen. Sie wird erleichtert, wenn es gelingt, durch tarifliche und gesetzgeberische Bestimmungen die überproportionalen Gewinnmöglichkeiten der privaten Konzerne gegenüber den öffentlichen zu beschneiden:

 

  • ·         Sicherung einer ausreichenden Finanzierung durch die Bundesländer und der ausreichenden Investitionen aller Krankenhäuser im Bedarfsplan,
  • ·         Sicherung der realen laufenden Kosten des Betriebs durch die Krankenkassen,
  • ·         gesetzlicher Personalschlüssel, der dann für alle – unabhängig vom Betreiber  – zu gelten hat,
  • ·         gesetzliche Rückführung von Leiharbeit auf den ursprünglichen Zweck, die kurzfristige Abdeckung von Arbeitsspitzen
  • ·         gesetzlicher Mindestlohn
  • ·         ein flächendeckender, einheitlicher Tarifvertrag für alle Beschäftigten in den Krankenhäusern.

 

* Rudi Schwab ist Chirurg, hat lange in einem Krankenhaus der Rhönklinikum AG gearbeitet und ist jetzt Rentner in München

 

Anmerkungen:

1.  Für eine umfassende Kritik an den Ausführungen von Michael Wendl ist u.a. der ausgezeichnete Artikel von Thomas Böhm: »Nachholende Modernisierung oder neoliberaler Umbau? Über die fatalen Folgen von Privatisierung und Marktsteuerung im Gesundheitswesen« zu empfehlen. Ich möchte mich deshalb hier auf einige Randbemerkungen beschränken.

2. Vgl. Philipp Stompfe: «Genossenschaftsrechtliche Organisation des Universitätsklinikums Marburg«, Marburg 2012. Stompfe ist Partei- und Fraktionsvorsitzender der CDU Marburg.