Rückfall in die Kriegstreiberei

„Blut für Öl“ titelte der Spiegel vor zehn Jahren (3/2003) und zierte sein Cover mit einer US-amerikanischen Fahne, in der die Sterne durch gekreuzte Maschinengewehre und Zapfhähne ersetzt waren. Es war schon damals offenbar, dass es dem Spiegel wohl mehr um einen plumpen Antiamerikanismus ging als um eine Kriegskritik: Denn im gesamten Jugoslawien-Krieg 1999 waren keine entsprechenden kritischen Töne aus dem Spiegel zu vernehmen. Und im November 2006 titelte er: „Die Deutschen müssen töten lernen“.

 

Klar: Im „Kosovo-Krieg“ ging es – vermeintlich – darum, einen bedrohlichen Nationalismus in die Schranken zu weisen. Außerdem wurde er von Parteien abgestimmt, denen viele Spiegel-MacherInnen offenbar durchaus nahestehen, der SPD und den Grünen.

Dabei bediente und bedient sich die auflagenstärkste Wochenzeitschrift einer Rhetorik, die zutiefst patriotisch ist. Dass es einen fließenden Übergang von einem als Patriotismus verbrämten „banalen Nationalismus“ zu einem „heißen Nationalismus“ á la z.B. Miloševic-Serbien gibt, war und ist dem Spiegel fremd.

Wenn die AutorInnen des Spiegel-Beitrags „Die zaghaften Deutschen“1  sich darin mit SPD und Grünen in einer Front sehen, dann ist das gar nicht so weit hergeholt: Dass auch die SPD den Zusammenhang zwischen einem „unverkrampften“ linksliberalem Partypatriotis­mus und einem mörderischen Nationalismus nicht sehen möchte, wurde in der Jubiläumsausgabe des Parteiblatts vorwärts vom Januar 2013 zum vermeintlich 150jährigen Parteijubiläum recht deutlich.

Die vorwärts-Redaktion beginnt diese Ausgabe mit einem Bildessay, der beim Hambacher Fest beginnt, über Streikge­mälde, Parteischule, Revolution 1918/19 bis zu Frauenbewegung und der Revolution von 1989 führt und dann erschrec­kenderweise mit dem „deutschen Sommermärchen“, der WM 2006, endet.

Ob das auch nur im Geringsten mit der Wahrnehmung der Par­teibasis übereinstimmt, sei dahingestellt, meiner Erfahrung nach tut es das nicht. Nichtsdestotrotz zeigt dies dennoch nicht ganz abwegig den Werdegang einer Partei, die – Burgfrieden und Noske hin oder her – einer Arbeiterklasse zunehmend entfremdet ist: Schröder-Blair-Papier („Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten“, 1999), Agenda 2010 und Hartz-Gesetze sind nun mal das Gegenteil einer Arbeiterbe­wegungspolitik, selbst einer staatstragend-reformistischen. Und mit einem Blick zurück in die Jahre 2004 – 2006 lässt sich die Parallelität von Sozialabbau und teilweise bewusst gefördertem „banalen“ Nationalismus erkennen.2  

Der zunehmende militärische Interventionismus, der intensivierte Klassenkampf von oben (Sozialabbau) und die gezielte Förderung der deutschen Identität gehören unmittelbar zusammen.

 

1998: Militaristische Wende

Ausgerechnet die dreiteilige ZDF-Reihe „Unsere Mütter, un­sere Väter“ [vgl. GWR 379] liefert nun dem Spiegel die Munition, um diese Diskursposition noch einmal zu unterstreichen: „Die Deutschen“, so das Grundargument des Beitrags, hätten das Trauma des Zweiten Weltkriegs immer noch nicht überwunden und seien daher militärisch so „zaghaft“.

Zum Glück, folgt man dem Spiegel, gab es in Deutschland eine „Wende“ – nicht 1989, sondern zehn Jahre später, im Herbst 1998, mit dem Beschluss für den Kosovo-Kriegseinsatz.

Das ist, so die AutorInnen weiter, offenbar ein Erfolg im „Kampf um die Normalisierung der deutschen Außenpolitik“ gewesen, der „einen neuen gesellschaftlichen Konsens möglich“ machte.

Ich würde es genau andersrum formulieren: Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg in der Tat einen breiten Konsens in der Bevölkerung, und der lautete „Nie wieder Krieg“. Und der Spiegel hat in seinen ekelhaften Formulierungen – Außenpolitik ist nur mit Krieg „normal“! – durchaus recht, wenn er feststellt, dass dies keinen Konsens mehr darstellt.

Die Teilnahme eines Kriegsministers auf einem DGB-Vorstandstreffen ist kein Skandal mehr, nicht mal eine Sensation, und löst selbst unter Gewerk­schafterInnen kaum noch Protest aus [vgl. GWR 377]. Der Antimilitarismus ist hierzulande keine breite gesellschaftliche Bewegung mehr.

 

Geschlechtsspezifische Aspekte

Dass es dennoch Kritik am Afghanistan-Einsatz gibt, hat profanere, pragmatische Gründe: Es will sich einfach kein Erfolg einstellen, stattdessen kommen mehr und mehr Zinksärge zurück.

Es ist legitim, nur aus diesen Gründen gegen einen Krieg zu sein. Illegitim dagegen ist es, auf­grund eines „moralischen Überbaus“ dafür zu sein: „… man kämpfe schließlich auch für Demokratie und Frauenrechte“.

Andrea Nachtigall hat in ihrer Studie „Gendering 9/11“ nachgezeichnet, dass diese „Frau­enrechte“ lediglich dann eine Rolle spielten und spielen, wenn sie von Soldaten geschützt werden müssen.3

Frauenorganisationen wie RA­WA spielten bzgl. des Afghanistan-Konflikts kaum eine Rolle, und die geringe, die sie spielten, verschwand, als es um politische Entscheidungsprozes­se ging.

Der Begriff der „FrauenundKin­der“, den Cynthia Enloe für die feministische Friedens- und Konfliktforschung geprägt hat, bringt es auf den Punkt: „Frau­enundKinder“ sind für den Diskurs immer nur dann relevant, wenn sie passiv und als Opfer dargestellt werden.4  

Das spricht auch gerade die gutbürgerlich-ethischen Werte von SozialdemokratInnen und Grünen an, im Kosovo-Krieg waren selbst die weiblichen Grünen als jene beschrieben, die unter den Schrecken des Krieges emotional fast zusammenbrachen.5  Und diese spezifische Kombination aus ethischen Werten dieser Parteimi­lieus, dem „banalen Nationalismus“ und dem nicht neuen, aber immer noch wirksamen „Frau­enundKinder“-Argument.

Der Spiegel-Beitrag ist perfide in seiner Argumentation von „Normalisierung“ und dem En­de eines „Sonderwegs“: Getreu dem politischen Geschlechterensemble macht er die konservativen und liberalen Politike­rInnen zu denen, denen der po­litische Pragmatismus abgeht.

Dieser vermeintlich für die Politik so wichtige Pragmatismus besteht eben auch in einer gewissen Kaltschnäuzigkeit: An die „blutige Realität eines Krieges“ müsse man sich eben „gewöhnen“ – erst dann ist Normalität erreicht. Der Spiegel impliziert, dass Grüne und Sozialdemokraten dies akzeptiert hätten, aber die schwarz-gelbe Merkel-Regierung offenbar dieser „blutigen Realität“ hin­terherhinke. Die rot-grüne Bundesregierung habe mit dem Kosovo-Krieg ihr ‚Stahlgewit­ter‘ durchstanden – illustriert wird dies mit dem Farbeiwurf auf Joseph Fischer auf dem Grünen-Parteitag im Mai 1999. „Es sind“, schreibt der Spiegel, „bezeichnenderweise Grünen-Politiker, die die zögerliche Haltung der Regierung am stärksten kritisieren. Die moralisch aufgeladenen Diskussionen um Kosovo und Afghanistan haben dazu geführt, dass einige führende Grüne militärische Einsätze aus humanitären Gründen propagieren“.

Diese Darstellung muss man nicht mal bezweifeln, lediglich die Bewertung ist schockierend.

 

„Wir müssen über eine friedenserhaltende Mission nachdenken“

Dass Grüne PolitikerInnen schnell mal bei dem Vorschlag einer militärischen Intervention sind, bewahrheitete sich z.B. auf der adopt a revolution-In­formationsveranstaltung, unterstützt von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, am 17. April 2013 in Heidelberg.

Adopt a revolution hatte unter widrigen Umständen die Men­schenrechtlerin Hervin Ose aus Damaskus, die Journalistin Ru­la Asad und Alan Hassaf, den Gründer der „Union Freier Syrischer Studierender“, aus Syrien hergeholt. Alle drei berichteten in Heidelberg von den demokratischen Bestrebungen und der Wiederaufbauarbeit der syrischen Bevölkerung, von neuen Räten, die die Versorgung, die Sicherheit, aber auch so etwas wie Kunst in lokalen Rahmen herstellen. Was in Syrien stattfindet, ist immer noch eine revolutionäre Situation, wenn auch unter den schlechtesten Bedingungen.

Nach diesen Darstellungen einer entstehenden Selbstverwaltung durfte dann die grüne EU-Parlamentarierin Franziska Brantner ihre Sicht der Dinge darstellen: Von einem demokratischen Prozess war nun nicht mehr die Rede, sondern ledig­lich von einem Krieg, unter dem – selbstverständlich – beson­ders die „FrauenundKinder“ zu leiden hätten.

Joseph Fischer hat für die Legitimierung des Kosovo-Kriegs noch „Auschwitz“ benötigt, Franziska Brantner reicht 14 Jahre später ein „schlimmer als in Bosnien“ – spätestens in diesem Moment war klar, worauf ihre Argumentation hinauslaufen würde. Und richtig: „Wir müssen über eine friedenserhaltende Mission nachdenken“, lautete das Fazit ihres Vor­trags, der so lang war, wie die Berichte der Oppositionellen gemeinsam – was an sich schon eine Frechheit ist.

Das Beispiel Franziska Brant­ners ist deswegen erwähnenswert, weil es so erstaunlich ist, dass sich in der Argumentation für Kriegseinsätze so wenig geändert hat, obwohl doch diese Position so furchtbar einfach zu durchschauen ist. Die syrischen Oppositionellen wurden nicht nach ihrer Meinung gefragt. Dennoch wurde im Verlauf der Diskussion deutlich: In der Tat wünschen sie sich ein internationales Eingreifen, offenkundig jedoch kein militärisches. Das Assad-Regime ist dermaßen verbohrt, dass es nicht einlenken wird ohne eine internationale Intervention.

Sollte diese aber – und etwas anderes ist kaum zu erwarten – militärischen Charakter haben, ist genauso klar, dass damit der demokratische Prozess in Syrien abgebrochen wird.

Der Moderator des Abends, Eli­as Perabo, vertritt übrigens deutlich ebenfalls diese letztere Position: „…wir und die Netzwerke lehnen eine ausländische militärische Intervention wie in Libyen ab. Ob es einen bewaffneten Arm des Widerstands geben soll, ist eine andere Frage. Da sind die Netzwerke auch unterschiedlicher Meinung. Aber wir denken, dass jede wei­tere Militarisierung des Konflikts den Organisierungspro­zessen, die gerade stattfinden und die sehr fruchtbar sind, entgegen wirkt. Leute aus den Basiskomitees sagen uns: Mehr Militarisierung bedeutet, dass unsere Bedeutung in diesem Widerstand abnimmt“, betonte er vor etwas über einem Jahr in einem Interview in der Jungle World6  und nimmt dabei das Leitbild eines der Initiatoren von adopt a revolution, medico international, auf: medico international bricht das humanitäre Engagement im Falle militärischer Intervention ab, da dann kein Weg mehr vorbeiführt an einer Zusammenarbeit mit dem Militär.7 

 

„Rückfall in den Pazifismus“

Was der Spiegel letztlich CDU und FDP vorwirft, ist die Berücksichtigung der demokratischen Meinung. „Die Bevölkerung“, so zitiert der Spiegel den Generalmajor Volker Halbauer, „hat diese Umdrehung [zu einer Akzeptanz internationaler Einsätze, Anm. T.B.] nicht mitgemacht“.

Das war offenbar, glauben wir dem Spiegel, schon mal anders. Der Beitrag gipfelt in der These „Deutschland erlebt einen Rückfall in den Pazifismus. Und die Politik passt sich an“.

Leider ist von diesem angeblichen „Rückfall“ nicht viel zu spüren.

 

Torsten Bewernitz

 

Anmerkungen:

 1 Hoffmann, Christiane u.a. Die zaghaften Deutschen. In: Spiegel 13/25.03.2013, S.21 – 26.

 2 Vgl. Webin, Teodor: Das Volk hört die Signale. Zur diskursiven Rekonstruktion einer „deutschen Nation“. Moers 2006.

 3 Nachtigall, Andrea: Gendering 9/11. Medien, Macht und Geschlecht im Kontext des »War on Terror«. Bielefeld 2012.

 4 Das erklärt übrigens tendenziell auch die befremdliche Aggression, die dem Entführungsopfer Natascha Kampusch entgegenschlägt: Sie benimmt sich nicht so, wie ein Opfer sich gefälligst zu benehmen hat, sondern wird selber aktiv, agiert und reflektiert ihre Situation. Wenn sich ein Opfer so verhält, kann der idealtypisch männliche Verteidiger nicht mehr in ihrem Namen handeln, sich nicht auf das Opfer berufen – also spricht man Kampusch das „Opfer-Sein“ lieber ab.

 5 Vgl. dazu Bewernitz, Torsten: Konstruktionen für den Krieg? die Darstellung von ‘Nation’ und ‘Geschlecht’ während des Kosovo-Konflikts 1999 in den deutschen Printmedien. Münster 2010.

 6 „Der Maßstab ist nicht Pazifismus“, : http://jungle-world.com/artikel/2012/08/44926.html

 7 Vgl. Seibert, Thomas und Alexander Schudy: Das Ende der Neutralität. Imperiales Gewaltmonopol, NGO und soziale Bewegung im Welt­ordnungskrieg. In: radikal global. Bausteine für eine internationalistische Linke. Berlin/Hamburg 2003.

 

Artikel aus Graswurzelrevolution Nr. 380, Sommer 2013, www.graswurzel.net