Das Geschäft mit den Drogen

Brutale Verbrechen oder kapitalistischer Alltag?

in (17.10.2013)

Was macht die Produktion von Drogen und den Handel damit tatsächlich zu einem besonderen Geschäftszweig und was folgt ganz normalen marktwirtschaftlichen Regeln und Überlegungen? Wie kommen die einzelnen Menschen darin vor und welche Rolle spielen der Staat und sein Rechtssystem? Und was lässt sich anhand solcher Überlegungen ganz allgemein über bürgerlich-kapitalistische Ökonomie sagen?

Das Drogengeschäft gilt als eine der „dynamischsten“ Branchen der Weltwirtschaft. Der jährliche Gesamtumsatz wird auf über 400 Milliarden Euro geschätzt, vergleichbar mit dem der globalen Ölindustrie. Die Branche ist weltweit aufgestellt: Neben den klassischen Anbauregionen in Südamerika und Zentral-/Ostasien für organische Substanzen und den USA und Europa für synthetische Stoffe sind sowohl neue Produktionsstandorte als auch Absatzmärkte überall in der Welt entstanden. Durch das Drogengeschäft verdienen mehrere Millionen Menschen direkt oder indirekt ihren Lebensunterhalt: Angefangen von direkten Produzent_innen im Chemielabor oder den Bäuer_innen in den Anden über die Zwischenhändler_innen, Großhändler_innen, Einzelhändler_innen bis zu den Banker_innen, Rechtsanwält_innen und großindustriellen Lieferant_innen für die benötigten chemischen Stoffe. Nicht nur die Produktion und der Handel haben sich in den letzten Jahrzehnten weltweit ausdifferenziert, sondern auch die Produktpalette.

Allerdings wird das Drogengeschäft unter besondere Bedingungen gesetzt: Die meisten Nationalstaaten kontrollieren bzw. verbieten die Herstellung von und den Handel mit psychoaktiven Substanzen. Das weltweite Verbot führt jedoch nicht zur Einstellung des Geschäftes.

Drogen als Waren

Grundlegend funktioniert das Drogengeschäft nach denselben Prin- zipien wie jedes andere Geschäft innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft. Wie alle anderen Waren auch werden psychoaktive Substanzen verkauft: Man geht beispielsweise zu einer Dealerin, bezahlt mit Geld und erhält die Ware. Dabei treten sich zwei Charaktere gegenüber: Der eine, hier Konsument, will die Ware, die für ihn einen konkreten Gebrauchswert hat. Sie soll sein Bedürfnis nach Rausch, Leistungssteigerung, kleinen Glücksmomenten etc. befriedigen. Auf der anderen Seite steht die Dealerin. Sie interessiert an der Ware Droge nicht die Gebrauchswert-, sondern die Tauschwertseite, also die Eigenschaft aller Waren, gegen Geld austauschbar zu sein. Dass sich mit Drogen Geld verdienen lässt, ist der Grund dafür, dass sie verkauft werden. Das heißt auch: Nur wenn Geldvermehrung in Aussicht steht, wird eine Ware überhaupt hergestellt. Dass Menschen Bedürfnisse nach etwas haben, reicht allein nicht aus. Das menschliche Bedürfnis ist vielmehr nur das Mittel, um den eigentlichen Zweck – Geldvermehrung – realisieren zu können. Ist ein Bedürfnis in der Welt, welches nicht zahlungsfähig ist, dann wird dieses nicht befriedigt. Nur die Lust auf Rausch reicht nicht aus, dass Menschen an die entsprechenden Substanzen kommen. Das gleiche gilt für alles andere auch, was Menschen so benötigen: Essen, Kleidung, medizinische Versorgung etc. Erst wenn sie das Geld dafür haben, erhalten sie das Notwendige. Wenn nicht, verhungern sie eben, erfrieren oder sterben an Krankheiten. Andersherum: Wenn die entsprechende Summe Geld vorhanden ist, dann wird noch jedes Bedürfnis befriedigt. Dann werden eben Diamanten abgebaut, obwohl die Bevölkerung verhungert. Dann können die einen Urlaubsreisen ins Weltall buchen oder sich eine Sammlung teurer Autos in die Garage stellen, und andere leben auf der Straße. In der kapitalistischen Produktionsweise geht es nicht um die Bedürfnisse der Menschen, diese werden vielmehr ausgenutzt, um an Geld zu kommen.

Private Verfügungsmacht über allgemein Benötigtes

Um für etwas Geld verlangen zu können, was eine_r selbst nicht braucht, aber andere haben wollen, muss ein weiteres flächendeckendes gesellschaftliches Prinzip in der Welt sein: das Privateigentum.

Die Eigentümerin einer Ware hat selbst kein Interesse an ihrer Gebrauchswertseite, sie weiß jedoch um das Bedürfnis anderer Menschen danach. Über ihr Eigentum kann sie nach Belieben verfügen, alle anderen sind davon ausgeschlossen. Sie kann frei entscheiden, wem sie ihre Ware verkauft und wem nicht. Das Recht auf Privateigentum ist die Grundlage, um Menschen dazu zu bringen, für das, was sie brauchen, ganz „freiwillig“ Geld zu zahlen. In dieser Gesellschaft basiert jeder Tausch auf der wechselseitigen Abhängigkeit vom Privateigentum der anderen. Das, was eine_r besitzt, entscheidet dann darüber, ob und wie weit sie_er den Ausschluss von den Mitteln zu ihrer_seiner Bedürfnisbefriedigung überwinden kann. Dass einzelne Menschen über allgemein Benötigtes verfügen können, garantiert der bürgerliche Staat durch entsprechende Gesetze, die er mit Hilfe seines Gewaltmonopols tagtäglich durchsetzt.

Bei Drogen ist dies ein wenig anders. Der Dealerin wird die private Verfügungsmacht über die Ware durch den Staat abgesprochen. Sie kann sich nicht auf sein Gewaltmonopol zur Durchsetzung ihrer Interessen stützen, hat dieses vielmehr gegen sich. Geldvermehrung ist in dieser Gesellschaft der einzige Grund, etwas zu verkaufen und somit das einzige Kriterium, nach dem Geschäftsleute kalkulieren, und genau so sollen sie auch handeln. Das Privateigentum ist eine Voraussetzung dafür. Bisher zeigte der Vergleich, dass – noch bevor die besonderen Härten des Drogengeschäfts betrachtet wurden – schon Prinzipien in der Welt sind, die sich gegen den Menschen geltend machen.

Kapitalvermehrung durch das Geschäft mit Drogen

Viele der Produktionsmittel, die gebraucht werden, um Drogen herzustellen, sind für Geld auf dem Weltmarkt erhältlich. Legal operierende Konzerne liefern beispielsweise die benötigten Chemikalien, Transportmittel etc. Diese akzeptierten Geschäfte tragen zum Wirtschaftswachstum in den jeweiligen Ländern bei. Hat nun jemand alle nötigen Produktionsmittel eingekauft und einen Standort gefunden, braucht es noch die dazugehörigen Arbeitskräfte. Aus der Sicht der Geschäftsleute sind dies alles Kostenfaktoren, die es möglichst gering zu halten gilt. Das vorgeschossene Geld soll ja nicht weniger, sondern mehr werden. Da mit Drogen viel Geld zu verdienen ist, wird alles in Gang gesetzt, damit das Geschäft läuft. Die Rücksichtslosigkeit gegen Natur und Mensch im Arbeitsprozess mit eingeschlossen.

Und selbstverständlich wird in dieser Branche um das zahlungsfähige Bedürfnis konkurriert. Nicht nur die einzelnen Drogenunternehmen stehen sich als Konkurrenten gegenüber, sondern auch die legal produzierende Pharmaindustrie mit ihrem breiten Angebot an kunterbunten Pillen versucht, zahlungsfähige Bedürfnisse auf sich zu ziehen.

Auch von der Seite der Produktion her läuft das Drogengeschäft nach den Prinzipien der kapitalistischen Produktionsweise ab. Und da gilt nur ein ökonomisches Gesetz: Wenn sich damit Geld verdienen lässt, wird das Geschäft durchgesetzt. Mögliche Folgen der Geschäfte gehen die Geschäftswelt nichts an. Dann wird eben in einer Weise produziert, die rücksichtslos ist gegenüber dem Verschleiß von Mensch und Natur. Dann werden eben ganze Regionen abhängig von der Produktion von einzelnen Rohstoffen. Und wie bei jedem anderen Unternehmen auch fließen die Gewinne an die Gruppe von Geschäftsleuten, die durch die ausschließende Verfügung über Kapital und Produktionsmittel das Ganze in Gang setzen und andere für sich arbeiten lassen kann. Die für die Produktion und den Verkauf verwendeten Arbeitskräfte erhalten maximal die finanzielle Vergütung, die zur reibungslosen Abwicklung des Geschäftes aufgewendet werden muss.

Menschen, die nichts anderes besitzen als ihre Arbeitskraft, sind darauf angewiesen, dass Unternehmen sie für ihre Zwecke brauchen und ihnen dafür Geld zahlen. Hat jemand verschiedene Möglichkeiten, sein_ihr Geld zu verdienen, wird er_sie sich den_die Arbeitgeber_in suchen, der_die ihm_ihr das beste Angebot macht. So kann es sich für die Bäuerin in den Anden viel mehr lohnen, für ein Drogenkartell zu arbeiten als für die örtlichen Maishändlerinnen.

Anders bei den Menschen, denen durch die Einsortierung des Staates in Nicht-Staatsangehörige generell der Zugang zum Arbeitsmarkt verweigert wird. Sie werden auch zu einem geringen Preis und zu einem hohem Risiko bereit sein, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Das materielle Überleben ist flächendeckend davon abhängig gemacht, ob sie über Geld verfügen.

Die zusätzlichen Geschäftsbedingungen...

Die Illegalisierung einer Ware durch die Staaten bedeutet noch lange nicht, dass ein Geschäft eingestellt wird. Vielmehr stellen sich die Beteiligten auf diese besondere Situation ein. Neben den allgemein durchgesetzten Geschäftsbedingungen treten nun zwei zusätzliche hinzu: Erstens können alle Beteiligten nicht mehr auf die Gewalt des Rechtsstaats zur Durchsetzung ihrer gegensätzlichen Interessen zurückgreifen, sondern nehmen dies nun selbst in die Hand. Und zweitens versucht der jeweilige Staat mit seinen Repressionsorganen das Geschäft zu unterbinden. Auch dagegen müssen sie sich wappnen.

Auf der Seite der Drogenunternehmen bedeutet dies zunächst, dass sie ihre Aktivitäten vor den Staatsorganen abschirmen müssen. Die Bestechung von Polizei und anderen Staatsbeamt_innen ist dann ein Mittel, um das Geschäft zu schützen. Da nicht mehr das bürgerliche Rechtssystem mit seinem Vertragsrecht, seinen Handelsregistern, seiner Gerichtsbarkeit und seinen Gerichtsvollzieher_innen in Anspruch genommen werden kann, nehmen sie die Sache selbst in die Hand. Denn ohne Aufsichts- und Ordnungsinstanzen sind keine Geschäfte zu machen.

Alle Beteiligten verfolgen ja durchaus gegenteilige Interessen. Mangels der Möglichkeit einer Inanspruchnahme staatlicher Instanzen wird dann mit eigenen Waffen gegen Konkurrent_innen, zahlungsunfähige Zwischenhändler_innen oder Kund_innen vorgegangen. Gleichzeitig müssen sie ihre Produktionsstätten und Handelswege – auch mit Gewalt – gegenüber den Staatsorganen absichern. Es entstehen Strukturen, die parallel zur staatlichen Souveränität existieren. Der Drogenkrieg in Mexiko zeigt aktuell, wie blutig die Auseinandersetzungen zwischen Drogenunternehmen auf der einen Seite und dem Staat auf der anderen verlaufen können.

Ein Drogenunternehmen will, wie jedes andere Unternehmen auch, einen möglichst großen Marktanteil erreichen. Zur Erreichung dieses Ziels, welches den Niedergang von Konkurrent_innen voraussetzt, werden alle verfügbaren Mittel eingesetzt. Der Kampf ums Monopol wird so zum Bandenkrieg. Da auch hier ein Menschenleben nur insofern etwas wert ist, wie es zur Profitsteigerung beiträgt, sind andersherum Leben, die der eigenen Profitsteigerung entgegenstehen, schädlich fürs Geschäft und werden gegebenenfalls aus der Welt geschafft.

...und der vermeintliche Unterschied

Übrigens finden sich hier Hinweise, welche Mittel der Staat der legalen Geschäftswelt zur Verfügung stellt, um ihre Anliegen durchzusetzen. Hier sind es Gerichtsvollzieher_innen, die durchsetzen, dass fällige Schulden beglichen werden. Über Gefängnisse werden die Strafandrohungen bei Abweichungen vom gesetzlich Erlaubten umgesetzt. Ist der Güterverkehr auf internationalen Handelsrouten unsicher, wird auch Militär zur Sicherung des Warentausches eingesetzt, während nebenan Menschen unter elenden Bedingungen sterben. Während im Milieu der Drogenökonomie Gewalt als offensichtlich brutale Kriminalität erscheint, wird sie in staatlicher Form lediglich als Ausnahme des Normalvollzuges wahrgenommen, obwohl sie auch hier nicht nur ständig im Hintergrund steht, sondern grundlegende Bedingung ist.

Zurück zur Dealerin am Anfang. Sie kann nicht auf die Unterstützung des Staates zur Abwicklung ihres Geschäftes setzen. Im Gegenteil: Durch die Drangsalierung durch den Staat muss sie besondere Vorsichtsmaßnahmen treff en. Sowohl der Kauf beim Zwischenhändler als auch der Verkauf an die Endkonsument_innen dürfen den Staatsorganen nicht auffallen. Die ständige Bedrohungslage verstärkt das allgemeine Misstrauen und verschärft somit die Aushandlung der gegenläufigen Interessen, welche sich aus der Grundkonstellation ergibt, möglichst viel Geld für die Ware bzw. viel Ware für wenig Geld zu bekommen. Dieser Konflikt kann nicht wie üblich über den Kaufvertrag in eine Form gebracht werden, auf den sich die Vertragspartner_innen dann bei Streitigkeiten beziehen können. Wird die Dealerin von jemandem übers Ohr gehauen, hat sie oft Pech gehabt. Die Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen sind sehr beschränkt. In vielen Fällen sind ja gerade diejenigen mit dem direkten Verkauf von Drogen beschäftigt, die als Nicht-Staatsangehörige ausgeschlossen worden sind. Die Skandalisierung der Normalität Wenn über das Geschäft mit Drogen in den Medien berichtet wird, geschieht dies in der Regel mit Verweis auf allerhand skandalöse Eigenschaften dieses Geschäfts. Häufig wird hier die Feststellung, dass besonders viel Brutalität oder besonders viele Todesopfer zu verzeichnen seien, schon aus der Sache selbst erklärt. Der Drogenkrieg ist demzufolge so brutal, weil Drogengangster besonders gewissenlose Leute sind. Drogentote werden damit erklärt, dass Drogen nun einmal tödlich sind. Die staatlichen Verbote erscheinen nach dieser Logik nur als Reaktion darauf. Gezeigt wurde aber, dass Drogenkriminalität, mit der auftretenden mörderischen Brutalität, Konsequenz staatlicher Politik ist und nicht umgekehrt. Die Gewalt, die im Drogengeschäft herrscht, zeigt gerade, wie viel Gewalt notwendig ist, um eine Produktionsweise aufrechtzuerhalten, die allein auf Geldvermehrung beruht und nicht auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse ausgerichtet ist. Jede Bedürfnisbefriedigung ist abhängig gemacht von einer ausschließenden Verfügungsgewalt über allgemein Benötigtes. Auch die am Drogengeschäft Beteiligten machen sich dieses allgemeine Prinzip zu eigen, da auch für sie das zu verdienende Geld das Mittel darstellt, um auf die von ihnen getrennten Güter überhaupt zugreifen zu können. Die einem jeden Menschen rechtlich garantierte Freiheit, nur unter dieser Bedingung seine Bedürfnisse befriedigen zu dürfen, schließt jede andere Form aus. Dass Menschen auf die Idee kommen, Geschäfte zu betreiben, die ihnen viel Geld versprechen, trotz der Risiken, die damit verbunden sind, ist daher nicht weiter verwunderlich. Sie überschreiten zwar den durch den jeweiligen Staat gesetzten Rahmen ihrer ökonomischen Handlungsfreiheit, handeln ansonsten aber weiterhin nach allen durch ihn in die Welt gesetzten Prinzipien. Die Gewalt beginnt also nicht erst da, wo Geschäftsleute ihre Konkurrent_innen oder nicht zahlungsfähigen Kund_innen mit der Waffe erledigen, sondern im ganz normalen kapitalistischen Alltag.


Der Arbeitskreis Rausch aus Berlin fragt nach den ökonomischen Voraussetzungen und Zusatzbedingungen des Drogengeschäfts.