Nachruf auf J.J. Cale

John hat er geheißen. Man muss daran erinnern, für alle, die ihn rund um den Globus nur als „J.J.“ kennen: John Cale, geboren am 6. Dezember 1938 unter ärmlichen Verhältnissen in Tulsa, Oklahoma, USA.

 

Den Namen „J.J.“ bekam er in den sechziger Jahren in Los Angeles. Und wie fast alles in seinem Leben war der Grund für den Namenswechsel ganz einfach: John und seine Band, ein Trupp lebensfroher, aber immer einen Schritt vom Armenhaus entfernter Oakies, hatten plötzlich die Chance, einen regelmäßigen Gig in einem der verruchteren Schuppen am Sunset-Strip zu spielen: dem „Whiskey a Go-Go“.

Das Problem war nur: Es gab dort schon einen John Cale. Den Geiger und Gelegen­heits­pianist von „The Velvet Underground“. Eben jenen John Cale, der sich Jahrzehnte später vor den Kameras des Rockpalast allen Ernstes übergeben musste, als man ihn fragte, ob er sich vorstellen könne, ein Country-and-Western-Album aufzunehmen. Nicht eben der musikalische Gevatter, mit dem John und seine Jungs vom Lande damals hätten verwechselt werden wollen.

Also sagte der Veranstalter kurz entschlossen: „Dann nenne ich Dich eben ‘J.J.’“. Johns Antwort ist es wert, im Original zitiert zu werden: „Man, if you give me a gig, you can call me anything you wanna call me!“ [‘Hey, wenn Du mir ‘nen Gig gibt’s, kannst Du mich nennen wie immer Du willst!“]. So war er. Und so blieb er bis zu seinem Tod am 26. Juli 2013 im kalifornischen San Diego, im Alter von nicht ganz 75 Jahren.

 

John „J.J.“ Cale war der viel­leicht beste und einflussreichste weiße Blues-Songschreiber  der Vereinigten Staaten. Sein Stil war einmalig. Alle, die „Cocaine“ in der Version von Eric Clapton seit ihrer Schülerbandzeit nicht mehr hören können, sollten sich eilends um das Original bemühen, und bei der Gelegenheit, warum nicht, gleich noch einen Arm voll weiterer J.J. Cale-Alben mit nach Hause nehmen. Falsch machen können sie im Grunde wenig.

Man hat im Laufe der Zeit allerlei Begriffe ausprobiert, die seine Musik beschreiben sollten. Mal sprach man vom „Tulsa-Sound“, ganz so, als ob es genügen würde, dort geboren zu sein, um die Welt des Blues, Rock, Folk und Country auf den Kopf zu stellen, mal versuchte man es mit „laid-back“, um gleich wieder Probleme zu bekommen, wenn Cale, seine Jungs und Mädels (Christine Lakeland spielte ein halbes Leben lang in seiner Band Rhythmus-Gitarre) auf einmal loslegten wie die Feuerwehr. Nein, nein: J.J. Cale spielte, schlicht und ergreifend, J.J.Cale-Music. Und das war es, was ihn verband mit den großen Alten wie Big Bill Broonzy, Bukka White, Howling Wolf, Muddy Waters, John Lee Hooker und all den anderen: der eigene, persönliche, unverwechselbare Stil.

 

Und es war nicht nur das Song­writing. Cales Stil an der Gitarre, das, was Gitarristen überall auf der Welt den touch nennen, war mindestens ebenso einmalig wie seine Songs. 1992 veröffentlichte der US-Amerikani­sche Gitarrenbauer Danny Fer­rington ein Buch mit Hoch­glanzfotos einiger seiner eigenen Modelle: eines scheußlicher und unbrauchbarer als das nächste. Es hätte sich wohl niemand um den Größenwahn dieses Laubsägekaspers gekümmert, wenn er nicht, aus welchem Grund auch immer, gleich dutzendweise berühmte Musiker zu seinen Freunden gezählt hätte: Albert Lee, Elvis Costello, Pete Townshend, Henry Kaiser, Rosanne Cash, Richard Thompson... Wie um den ersten, garstigen Eindruck auszugleichen, fügte Ferrington also kurzerhand seinem Buch noch eine CD hinzu, auf der einige seiner erlauchten Kunden kleine Liedchen auf seinen Instrumenten spielten. Alles sehr locker, unaufwändig produziert und nicht besonders motiviert. Track Nummer 7 heißt „Dannys Song“. Man hört ein, zwei Töne – und weiß Bescheid.

Selbst aus einem Haufen grell lackiertem Sperrholz konnte J.J. Cale noch einen Sound herausholen, der einem Schauer über den Rücken laufen ließ. Im Grunde versuchte er Zeit seines Lebens, sich daran zu gewöhnen, mehr zu sein als ein gutes Bandmitglied. „Ich habe eine Zeit lang gebraucht, um damit klar zu kommen, dass die Leute auf mich guckten“, sagte er: „Ich wollte immer Teil der Show sein. Ich wollte nicht die Show sein“. Die Sparsamkeit seines Spiels, seine Kunst, nie einen Ton zu viel zu spielen und jeden Ton atmen und sprechen zu lassen, hat nicht nur Gitarrengrößen wie Eric Clapton beeinflusst. Cale konnte fuchsteufelswild werden, wenn er Lobreden auf Mark Knopfler hörte, der sich im Gegensatz zu Clap­ton nie mit einträglichen Coverversionen seiner Songs bei ihm für die „Inspiration“ bedankt hatte. Er fühlte sich mit Recht bestohlen. Es war wohl sein alter Keyboarder aus gemeinsamen Tagen in Tulsa Ende der fünfziger Jahre, der den Einfluss von Cales Gitarrenspiel am besten zusammenfasste: „Wenn große Musiker mit uns spielen, dann fangen sie früher oder später an zu spielen wie John“.

 

Was J.J. Cale aber endgültig zu einer Ausnahmeerscheinung der US-amerikanischen Popu­lärkultur machte, war die Art, wie er mit dem Musikbusiness umging. Genauer: nicht umging.

Als in den siebziger Jahren einer seiner Songs tatsächlich in die Charts kam, rief sein Agent ihn an: „John, Du hast einen Hit! Du solltest losziehen und ihn promoten“. Cale erwiderte: „Wenn es ein Hit ist, wozu soll ich ihn dann noch promoten?“. In Jörg Bundschuhs sehenswerter Dokumentation „On tour with J.J. Cale. To Tulsa and back“ [‘Auf Tour mit J.J. Cale. Nach Tulsa und zurück’, (DVD 2008)] muss Eric Clapton immer noch schallend lachen, als er diese Anekdote wieder hört: „Ist das nicht unglaublich?! Ich meine...jeder andere hätte doch versucht, noch erfolgreicher zu werden, noch mehr Geld zu verdienen. Aber er...“.

So blieb es ein Leben lang: J.J. Cale war das genaue Gegenbild eines Stars. Auf keiner seiner Platten war jemals sein Gesicht zu sehen. Und wenn doch - ausnahmsweise einmal - dann trug er auf dem Cover eine der­art riesige, unförmige Sonnenbrille, dass man sich fragte, ob dahinter nicht ein ganzes Stadtviertel Platz finden könne. Mitten in einer seiner erfolgreichsten Phasen verschwand er für acht Jahre, lebte in einem Trailer, reiste durch das Land und schrieb und spielte die Musik, die er schreiben und spielen wollte – völlig unabhängig von allen angeblich eisernen Gesetzen des Geschäfts.

Es war nicht so, dass er diese Gesetze brechen wollte. Sie interessierten ihn ganz einfach nicht. Als viele seiner Songs - „After midnight“, „Cocaine“, „Crazy Mama“, „Don’t cry Sis­ter“, „Call me the breeze“, „Sensitive kind“ - längst weltberühmt waren, hätte ihn auf der Straße wohl niemand erkannt, wie er so daher gewandert kam mit seiner Baseballkappe, seinem struppigen Drei- bis Fünf-Tage-Bart, seinem verschossenen T-Shirt und seiner alten Jeans, um im Laden an der Ecke einzukaufen oder, gleichsam als höchste Form der Dekadenz, al­te Freunde mit der Bemerkung: „Wird Zeit, dass ich endlich ‘was von dieser Clapton-Kohle ausgebe“ in irgendeiner Bar zum Bier einzuladen.

Wohl kaum jemand ist in den USA je so unaufgeregt, so ungerührt, so im besten Sinne ruhig und freundlich seiner Arbeit als Musiker nachgegangen wie J.J. Cale. Er wusste, was er konnte, und er wusste, was er tat. Solche Menschen haben Über­heblichkeiten und Blitzlichtge­witter nicht nötig.

Eine der schönsten Szenen in Bundschuhs Dokumentation spielt auf einem Platz in Tulsa: Cale sitzt auf einem Barhocker unter freiem Himmel, hinter ihm die Fassade seiner alten Schule und ein paar Wolkenkratzer, von denen der Putz abblättert. Er spielt eine seiner unnachahmlichen, schlichten Picking-Linien. Da hört man auf einmal die Schreie von Möwen, die sich in den Klang seiner Gitarre mischen. Cale schaut auf, lächelt und sagt: „They are sin­ging with me“ [‘Sie singen mit mir’]. Er spielt ein Weilchen weiter, die Möwen schreien, dann fliegen sie über ihn hinweg. Cale wendet den Blick, schaut ihnen über die Schulter hinweg nach und ruft ganz laut: „Thank you!“ [‘Danke!’].

Thank you, John! We will miss you.

 

Baxi

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 382, Oktober 2013, www.graswurzel.net