20 Jahre Oslo - Bilanz im Wassersektor

Die Oslo-Abkommen jährten sich diesen Herbst zum 20. Mal. Grund genug, sich den Fortschritt anzusehen – hier im Wassersektor der besetzten Gebiete.<--break->

What’s mine is mine – what’s yours is ours

 

Oslo – Erwartungen

Oslo war von Beginn an behaftet mit einigen grundlegenden Illusionen, die nur wenige schon frühzeitig so klar benannten wie z.B. Edward Said. Anstatt Autonomie, die schließlich irgendwie automatisch und kontinuierlich zu einer neuen Qualität, nämlich Souveränität, führen würde, war die Marschroute von vornherein, also seit der fehlgeschlagenen Befriedung bzw. Niederwerfung der ersten Intifada, lediglich eine “new form of domination” (Amira Hass). Technisch hat es sich als pure Illusion, als naiver Fehler herausgestellt, anzunehmen, die Interimsphase würde tatsächlich nur bis 1999, wie vertraglich in den beiden Oslo-Abkommen 1993 und v.a. 1995 (Oslo-II) festgelegt, andauern und würde dann selbstverständlich von einem ausgehandelten neuen Endstatus abgelöst, der wiederum meist als Vollstaatlichkeit, Souveränität, ja gar Befreiung unterstellt wurde. Stattdessen hat sich “interim” längst als permanent, die „Übergangsphase“ als gar nicht mehr so neuer Dauerzustand herausgestellt. Soweit bekannt.

Für den Wasserbereich wurden im Oslo-II Abkommen 1995 einige detaillierte Übergangsregelungen niedergelegt (Oslo-II, Art. 40). Eine weitere Illusion bestand darin, diesen vertraglichen Vereinbarungen zu glauben. So wurden etwa 80 Millionen Kubikmeter zusätzlichen palästinensischen Wasserzugangs in der West Bank durch das Bohren neuer Brunnen in Aussicht gestellt, zusätzlich zu den 1995 offiziell bestehenden 118 Millionen Kubikmetern unter palästinensischer Kontrolle. Überwacht werden sollte dies durch ein neu zu schaffendes und allseits gefeiertes Gremium, das Gemeinsame Wasserkomitee (Joint Water Committee, JWC). Hierzu später. In den Endstatusverhandlungen, sollten dann, wiederum gemäß Oslo-II, die palästinensischen Wasserrechte an den grenzüberschreitenden Wasservorkommen – v.a. Grundwasser 1 – ausgehandelt werden. Oslo-II gab keinerlei Anzeichen oder Auskunft über den Umfang dieser neuen Rechte.

 

Bestandsaufnahme 20 Jahre später

Stattdessen stellten sich die vertraglichen Vereinbarungen schon sehr bald als leere Versprechen heraus. Statt Dutzende neuer Brunnen jährlich zu bohren, wurden in den ersten Jahren nur eine Handvoll neuer Bohrgenehmigungen ausgestellt. Und selbst diese wenigen, hoffnungslos unzureichenden Fortschritte liefen ungefähr 1999/2000 aus. Seitdem wurde viele Jahre keine einzige Bohrgenehmigung vergeben oder bestenfalls einzelne, die noch dazu äußerst restriktiv gehalten waren, was Bohrort, Teufe oder Pumpraten betraf. Selbst die nicht unbedingt der übermäßigen Araberfreundlichkeit verdächtige Weltbank stellte 2009 in ihrem Bericht über “Restrictions on Palestinian Water Sector Development” fest, dass all die stolzen Geberprojekte unter der Besatzung einfach nicht vom Fleck kämen. Weniger als 2% der Gaza versprochenen Investitionen konnten implementiert werden (S. 41); die Investitionen in der West Bank betragen 1/10 des geplanten Levels (S.37); der Kläranlagenbau wurde eine Dekade lang blockiert (S.37); weniger als die Hälfte der in Oslo-II festgelegten “immediate needs” wurden entwickelt 2.

Das mit Abstand größte, produktivste und frischeste Grundwasservorkommen findet sich im sogenannten Westlichen Bergaquifer, der sich in den Bergen der West Bank durch Regen auffüllt und hydrologisch gen Westen, nach Israel hinein in die dicht besiedelte Küstenregion entwässert. Von Beginn seiner Militärbesatzung an (Military Orders Nr. 92/158 bereits im August/November 1967) legte Israel sein Hauptaugenmerk auf die Verhinderung palästinensischer Entnahmen aus diesem Becken. Die eine Zahl, die wie keine andere die gesamte israelische Wasserpolitik der Besatzung auf den Nenner bringt, ist die Zahl neu vergebener palästinensischer Bohrgenehmigungen. Diese lag von Juni 1967 bis Oslo bei exakt Null. Und in den letzten zwanzig Jahren seit Oslo - ebenfalls bei Null. 3

Was nun? Was ist die Bilanz von 20 Jahren Oslo und 18 Jahren Wasserkomitee? Heute, 20 Jahre später, kontrollieren die Palästinenser aus allen Brunnen und Quellen der West Bank – und zwar egal, ob private Anlagen, kommunale oder solche der Wasserbehörde – nicht 118 + 80 Millionen, sondern genau 8,5 Millionen Kubikmeter (MCM) 4, also in Absolutzahlen 20 Millionen weniger 5 als noch vor Oslo. Damit hat der 20-jährige Friedensprozess die West Bank jedes Jahr im Schnitt eine Million Kubikmeter Wasser gekostet. Wäre sie denn ein Staat, müsste sie in internationalen Statistiken als das mit Abstand trockenste Land der Erde aufgeführt werden 6. Und das, obwohl Ramallah mehr Regen hat als London 7.

Zum Vergleich, Israel verbraucht ca. 2.000 Millionen Kubikmeter jährlich 8, davon stabil über die Hälfte für den Luxus einer Landwirtschaft, die längst ökonomisch irrelevant ist (2% Anteil am BIP), und es leistet sich einen stetig wachsenden Trinkwassersektor von über 700 MCM pro Jahr. Zusätzlich verkauft Israel für teures Geld großzügig wachsende Mengen vorenthaltenen Wassers an die West Bank zurück, wofür die Besetzten sich tunlichst als dankbar erweisen sollten (siehe Zitate von Noah Kinarti). Die Siedler betreiben keine Landwirtschaft, außer einer extrem kleinen Anzahl von weniger als 10.000 Siedlern im Jordangraben – diese allerdings in astronomischem Pro-Kopf Umfang. Laut B’Tselem teilt der Staat Israel und seine Wasserfirma Mekorot diesen illegalen Siedlern 13.085 Liter pro Kopf und Tag zu (B’Tselem 2011: 39) 9, um Bananen, Datteln, Wein oder Paprika für den Export in die EU zu produzieren. Manche der am schlimmsten betroffenen arabischen Weiler neben solchen Siedlungen haben dagegen weniger als 20 Liter pro Kopf und Tag. 10

Hier stellt sich die Frage, wie das überhaupt möglich ist, wenn doch die großen Geberstaaten, allen voran Deutschland, angeblich Milliarden für den Wassersektor bewilligt (nicht ausgezahlt, s.o.) haben.

Lesen Sie die Fortsetzung in inamo 76, Heft 4 2013! (zur Bestellinfo klicken)

 

1 Die besetzten Gebiete Palästinas haben keine Seen und nur einen Fluss, den Jordan, den sich allerdings Israel am Tiberiassee bis zum letzten technisch möglichen Tropfen selbst aneignet. Von ehemals 1.350 Million Kubikmetern erreichen heute noch 20 Millionen das Tote Meer, weniger als 2%.

2 Und genau drei Brunnen unter “future needs” wurden gebohrt – keiner davon in Betrieb (S.33). World Bank (2009): Assessment of the Restrictions on Palestinian Water Sector Development. World Bank-47657-GZ, (28 March 2011). <http://siteresources.worldbank.org/INTWESTBANKGAZA/Resources/WaterRestrictionsReport18April2009.pdf>

3 So hat z.B. der gesamte Ramallah-Bezirk in diesem Becken exakt einen einzigen Brunnen, gebohrt noch unter jordanischer Herrschaft im Mai (sic!) 1967, und diesen müssen sich 5 Dörfer und drei Siedlungen teilen…

4 65.5 MCM aus Brunnen und 21.0 MCM aus Quellen; PWA (2013): Annual Water Status Report, 2011; S. 26,27

5 Im Pro-Kopf-Aufkommen wäre dies noch erheblich drastischer.

6 Sie ist aber kein Staat und taucht deshalb in den meisten einschlägigen Statistiken einfach nicht auf.

7 EWaSH Infographik, April 2013 – <www.VISUALIZINGPALESTINE.ORG>

8 Jährlich schwankend zwischen 1800 MCM (2001) und 2164 MCM (1998) – Hydr. Service of Israel, HIS (2013: 43) <www.iwa.gov.il>. Damit beträgt die jährliche Schwankung mehr als die Gesamtmenge der Palästinenser.

9 <http://www.btselem.org/English/Publications/Summaries/201105_Dispossession_and_Exploitation.asp>

10 Wir lesen oft, die Israelis verbrauchten fünfmal so viel Wasser wie die Palästinenser. Das mag in mancher Hinsicht stimmen, hängt aber immer davon ab, was womit verglichen wird. Im Vergleich zwischen Jordangraben-Siedlern und dem palästinensischen Durchschnitt in der West Bank, beträgt das Verhältnis 1:81.