Demokratische Biotechnologie?

„A thirteen-year-old kid in South Central Los Angeles has just as much of a right to investigate the world as does a university professor.“(1)

So fasst die US-amerikanische Biohackerin Meridith Patterson zusammen, was viele in der Do-it-yourself-(DIY)-Biotech-Szene denken. Und es ist tatsächlich ein bestechend klares Argument. Welchen Unterschied macht es, zu welchem Zweck jemand ein bio- oder gentechnologisches Labor einrichten will? Und wieso muss diese Forschung so teuer sein? Mehr Infos:  http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/221

Meines Erachtens muss man nicht für die Gentechnik sein, um DIY-Bio- beziehungsweise DIY-Biotech-Labore akzeptieren oder sogar gut finden zu können. Natürlich muss es Regeln geben, das steht außer Zweifel. Und die gibt es ja auch. Niemand geht davon aus, dass für die Labore der DIY-Biotech-Bewegung oder Gemeinschaftslabore andere Sicherheitsauflagen gelten sollen als für die Labore, die es schon heute in Firmen oder wissenschaftlichen Institutionen gibt.

Die Einrichtung von DIY-Biotech-Laboren wird regelmäßig mit einer Demokratisierung von Wissenschaft und Forschung in Verbindung gebracht. Für die Beteiligten ist es zunächst jedoch schlicht der niedrigschwellige Zugang zu dem Equipment eines möglichst weitgehend ausgestatteten Biotech-Labors, der sie interessiert. Prinzipielle Erwägungen, wie zum Beispiel die Demokratisierung sind auch wichtig, aber oft ist die treibende Kraft die Lust, sich mit Biologie oder eben Biotechnologien zu beschäftigen.

Vorbild CCC?

In Bezug auf die Frage, inwieweit die DIY-Biotech-Szene Teil eines politischen, gesellschaftlichen oder gar emanzipatorischen Engagements ist, liegt - wegen der Nähe zur Praxis der Technologie und auch personeller Überschneidungen - auch das Engagement des Chaos Computer Clubs (CCC) als Referenz nahe. Der Berliner Biohacker Rüdiger Trojok  bringt diese auch selbst ins Spiel.(2) So heißt es zum Beispiel in einem Beitrag in dem Wissenschaftsmagazin Zeit Wissen: „‚Wir haben schon darü̈ber nachgedacht, den Chaos Biologie Club zu grü̈nden‘, sagt Trojok in Anlehnung an den Chaos Computer Club, in dem Computerhacker Regierungen und Konzernen auf die Finger schauen. Biohacker seien das Pendant in der Biotechnik, so Trojok. Nicht nur Experten oder Firmen sollten bestimmen, was man von Gentechnik zu halten habe.“(3) Inwieweit ein solcher Bezug trägt, lässt sich zum Beispiel mit einem Blick auf die Website des CCC prü̈fen.(4) Die Präambel der Satzung stellt den „Kerngedanken des Vereins nach Transparenz staatlichen Handelns und entsprechender Infrastrukturen als Voraussetzung fü̈r eine demokratische Ausgestaltung klar in den Vordergrund. (...) Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen (...) hat sich der CCC einen Namen gemacht, soziale Auswirkungen technischer Entwicklungen anschaulich zu kommentieren“.

Die Motive der DIY-Bio-Bewegung sind mindestens so unübersichtlich, wie die Labore und die darin zu Werke gehenden Menschen selbst verschieden sind. Gemein ist den Laboren, dass sie zunächst (siehe unten) keine institutionelle Anbindung an Firmen oder Universitäten haben. Manche sind eigenständige Institutionen, zum Beispiel Vereine, oder sie haben überhaupt keine Form, das heißt, es handelt sich dann eher um einen Raum, in den sich ein paar an der Wissenschaft interessierte Leute begeben, um dort Experimente durchzuführen. Auch wenn in den letzten Jahren mehr und mehr über DIY-Biotech-Labore in den Medien gefunden werden konnte, so sind die Gemeinschaftslabore in Europa weiter selten. Vielleicht gibt es hier ein Dutzend, vielleicht ein paar mehr - genau weiß das wohl niemand. Es ist bekannt, dass es in Berlin eine Gruppe gibt - vermutlich die einzige in Deutschland. Auch in Paris und Kopenhagen sind Gruppen aktiv.

Bekannter sind die Gemeinschaftslabore in den USA.

Allen voran ist vielleicht Genspace in New York zu nennen. Genspace ist eine Non-Profit-Organisation und unterhält ein Labor der Sicherheitsstufe 1 im Stadtteil Brooklyn. In dem Labor werden Kurse und Workshops ausgerichtet, um Laien, die sich für Wissenschaft interessieren, praktische Erfahrungen zu vermitteln. Mitglieder können sich an verschiedenen Projekten von Genspace beteiligen, seien diese nun kommerziell, künstlerisch oder just for fun.

Genspace-Direktorin Ellen Jorgensen konnte 2012 an einer Anhörung der US PTO, der US-amerikanischen Patent- und Markenorganisation, teilnehmen. Jorgensen bringt sich als geschulte Konsumentin in die Debatte ü̈ber die Reichweite des Patentschutzes ein. In der Anhörung ging es um die so genannten BRCA-Patente des US-Biotech-Unternehmens Myriad Genomics und nicht zuletzt um die Frage, wer mit welchen Verfahren in welchen Genomdaten nach den BRCA-Genen suchen darf, die mit erblich bedingtem (familiären) Brustkrebs in Verbindung gebracht werden. Auch machte Jorgensen ganz konkret deutlich, dass in einem DIY-Labor - wie zum Beispiel das von Genspace eines ist - die Untersuchung dieser Gensequenzen zu einem deutlich geringeren Preis zu haben sein wird als 3.500 US-Dollar, dem Preis der Myriad-Untersuchung.(5) Meines Erachtens ist die Beteiligung von Jorgensen beziehungsweise Genspace insofern interessant, als dass die Laien-WissenschaftlerInnen - sei es schlussendlich als BürgerInnen, sei es als WissenschaftlerInnen - zu einer Stimme werden können, die in Bezug auf wissenschaftliche Fragen erhoben werden beziehungsweise gehört werden kann.

Brücke in den Elfenbeinturm?

Hanno Charisius, Richard Friebe und Sascha Karberg, Autoren des Buches Biohacking (6) und des Beitrags „Occupy Biology“auf Seite 13 in diesem Heft, sehen in den DIY-Laboren sogar Orte, in denen professionelle WissenschaftlerInnen und diejenigen, die Versuche als Laien- oder HobbywissenschaftlerInnen durchführen, zusammenarbeiten sollten, um so die Wissenschaft aus ihrem Elfenbeinturm herauszuholen. Das heißt, mögliche positive Effekte einer Kooperation ergäben sich nicht nur für die NutzerInnen des Labors, sondern auch für die Profis.

Eine der Grundlagen der Demokratisierung von Wissenschaften strebt die oben bereits erwähnte Meridith Patterson an. Sie nennt diese „scientific literacy“, also ein Wissenschafts-Verständnis analog der Fähigkeit, Lesen und Schreiben zu können. Es gehe nicht darum, Wissenschaft zu verstehen; scientific literacy im Sinne von Patterson versetzt die Menschen in die Lage, selbst wissenschaftlich tätig, selbst Wissenschaftlerin und Wissenschaftler zu sein. Der Autor Marcus Wohlsen zitiert Patterson wie folgt: „Scientific literacy empowers everyone who possesses it to be active contributor to their own health care, the quality of their food, water, and air, their very interactions with their own bodies and the complex world around them.“(7)

Bekannt geworden ist Patterson mit ihrem „A Biopunks Manifesto“, einem kurzen Aufsatz, den Patterson 2010 im Netz veröffentlicht hatte. Patterson verfolgt einen sehr regulierungskritischen Ansatz: In Bezug auf das Vorsorgeprinzip schreibt sie zum Beispiel in ihrem Manifest: „the precautionary principle, which is nothing more than a paternalistic attempt to silence researchers by inspiring fear of the unknown“.(8) Das ist natü̈rlich völlig inakzeptabel, nicht zuletzt haben Nichtregierungsorganisationen Jahrzehnte gebraucht, um dieses als wichtiges Recht zu etablieren, zum Beispiel auf internationaler Ebene in der Konvention über biologische Vielfalt unter dem Dach der Vereinten Nationen.

Radikal in etwas anderem Sinne positionierte sich das Critical Art Ensemble (CAE). Das Künstlerkollektiv blickt auf eine lange Tradition der Beschäftigung mit Biotechnologien  zurück. Seine Mitglieder hatten zum Beispiel auf die Mö̈glichkeiten hingewiesen, mit der Biotechnologie auch gegen den Einsatz der gentechnisch verä̈nderten Pflanzen des US-Gentech-Konzerns Monsanto ins Feld zu ziehen und dabei zielsicher die gentechnische Verä̈nderung der Pflanzen (das Roundup-Ready-Genkonstrukt für die Herbizidtoleranz) zum Schlü̈ssel des Zugangs für Protest zu nutzen. Aus dem Buch „Die Molekulare Invasion“ des Critical Art Ensembles stammt das folgende Zitat: „Das CAE fü̈hrt vor, was eine Amateurwissenschaft schaffen kann: Mit relativ geringem Aufwand lä̈sst sich ein Mittel herstellen, das, wenn es versprü̈ht wird, die Roundup-Ready-Gentech-Pflanzen von Monsanto einfä̈rbt, und zwar nur diese und keine anderen Organismen, die auf dem Feld vorkommen.“(9) Auch so könnte die Arbeit in einem DIY-Biotech-Labor aussehen.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es offen, ob - und wenn ja, in welcher Form - diese Orte einen Beitrag zur Demokratisierung von Wissenschaft und Forschung leisten werden.

Christof Potthof ist Mitarbeiter des GeN und Redakteur des GID. Die hier präsentierte Meinung ist nicht die Positionierung des GeN.

Fußnoten:

(1) Etwa: Ein 13-jähriges Mädchen im südlich-zentralen Los Angeles hat ein genau so großes Recht die Welt zu erforschen wie ein Universitätsprofessor. Das Original dieses Zitates setzt sich fort mit dem Aspekt der DIY-Hardware-Hacks, die sich explizit gegen die immensen Kosten wissenschaftlicher Gerätschaften richten, was vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es sich bei South Central um ein Stadtviertel mit sehr armen Menschen handelt, einen weitere Spielart von undemokratischer Wissenschaft abbildet.

(2) Siehe das Interview mit Rüdiger Trojok auf Seite 16 in diesem Heft.

(3) Sascha Karberg (2012): „Das Spiel mit den Bakterien“. Zeit Wissen, Oktober/ November 2012. Hamburg.

(4) http://ccc.de/de/club.

(5) Siehe dazu zum Beispiel den Eintrag „Dr. Ellen Goes to Washington“ im Internet-Tagebuch von Genspace unter www.genspace.org oder www.kurzlink.de/gid221_v (Eintrag vom 21.05.12). Siehe zu Genspace auch auf Seite 9 in diesem Heft. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich anmerken, dass ich mit diesem Votum nichts ü̈ber meine Meinung zur Aussagekraft einer Untersuchung der BRCA-Gene zum Ausdruck bringen wollte. Die Zusammenhänge zwischen Umwelt, Gesundheit, Krankheit und genomischen Daten sind an dieser Stelle nicht das Thema.

(6) Siehe dazu auch auf Seite 14 in diesem Heft.

(7) Etwa: Scientific literacy versetzt jeden, der sich ihrer ermächtigt, in die Lage aktiv zu seinem eigenen gesundheitlichen Wohlbefinden, zur Qualität von Nahrung, Wasser und Luft und den Interaktionen zwischen dem eigenen Körper und der komplexen Welt um ihn herum beizutragen.

(8) Etwa: Das Vorsorgeprinzip ist nichts weiter als ein paternalistischer Ansatz, um Forscher ruhig zu stellen, indem Angst vor dem Unbekannten geweckt wird.

(9) Critical Art Ensemble (2006): Die molekulare Invasion. Unrast-Verlag, Münster, Seite 8.

 

Mehr Infos: http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/