Occupy Biology

Mit einem zweijährigen Selbstversuch stiegen drei Wissenschaftsjournalisten in die Welt der Biohacker ein. Sie trafen die Pioniere dieser neuen Bewegung, die in Bürger-Laboren ihrem Hobby nachgehen: spielen, forschen und anderes - mit Bio- und Gentechnologien.Von Sascha Karberg, Richard Friebe und Hanno Charisius.

Mehr Infos: http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/

Bislang war Genforschung Profiwissenschaftlern vorbehalten. Diese Zeiten sind vorbei.  Das liegt nicht zuletzt an der Tatsache, dass Methoden für die Genanalyse, Werkzeuge und Geräte der Biotechnologie und Bausteine für synthetische Biologie immer billiger, einfacher, verfügbarer werden. Niemand kann die Biotech-Uhr zurückdrehen. Aus Angst vor Gefahren zu versuchen, Laien den Umgang mit dieser Technologie zu verbieten, wäre nicht nur falsch und antidemokratisch, sondern auch aussichtslos. Vielleicht wäre es noch ein paar Jahre möglich, zum Beispiel den Zugang zu Genbausteinen zu erschweren, und vielleicht wäre das im Kontext eines gesellschaftlichen Dialoges sogar sinnvoll. Doch aufhalten lässt sich damit nichts, denn die Techniken werden sich so entwickeln, dass man auch die Genbausteine irgendwann im Garagenlabor wird herstellen können. Denkt man dies konsequent zu Ende, wäre mittel- und langfristig nur eine extrem restriktive Regulation und Kontrolle geeignet, hier tatsächlich einen Effekt zu haben. Alles liefe auf einen Bio-Big-Brother-Staat hinaus, der im Grunde jede Küche, jedes Gewächshaus und jede Festplatte überwachen müsste.

Eine solche Politik stünde auf einer Stufe mit dem Verbot unzähliger Bücher oder einer umfangreichen Zensur von Web-Inhalten, sie würde die Öffentlichkeit beinahe komplett von Informationen über einen der wichtigsten Forschungs- und Technologiebereiche ihrer Gegenwart abhängen. Es gäbe „verbotenes“ Herrschaftswissen und eine zensierte Volksbildung. Es gäbe geheime Herrschaftstechnologie, die Gene manipuliert, neue Protein-Wirkstoffe in die Produktion schickt, künstliche Organismen erlaubt oder verbietet. Und die Frage, wer mit welcher Begründung Zugang zum Herrschaftswissen bekommt und wie man in diesem elitären Kreis dann Missbrauch verhindert, wäre damit noch ebenso wenig beantwortet wie jene, wie man kriminellen Zugriff von außen auf das geschützte Wissen überhaupt effektiv verhindern will. Wünschen wir Gentech-Eliten, die hinter verschlossenen Türen entscheiden, ohne der Öffentlichkeit auch nur zu sagen, welche Erbgutsequenzen und deren Nutzung sie gerade abgenickt haben, und die für uns über neue Kartoffelsorten, neue Therapien, neue Biotech-Sonnencremes entscheiden?

Pest oder Cholera

Man kann diese Vision als allzu düsteres Szenario abtun. Tatsächlich aber sind nur zwei Zutaten nötig, um sie wahr werden zu lassen: eine Fortsetzung des biotechnologischen, biowissenschaftlichen Fortschrittes einerseits und eine extrem restriktive Bio-Informationspolitik und Biopolitik andererseits. Allerdings ist auch die Befürchtung, dass billige, einfache Biotechnologie in den falschen Händen ziemlich unangenehme Folgen haben könnte, sicher nicht unbegründet. Haben wir also nur die Wahl zwischen Pest und Cholera?

Die Entwicklung des Internets und der Computertechnologie ist mehr als nur ein Beispiel dafür, wie eine neue Technologie trotz durchaus mit ihr einhergehender Gefahren ziemlich sicher und unterm Strich mit einer bisher überwältigend positiven Bilanz langsam, aber unumkehrbar, in die Hände von Millionen und Milliarden gelangen kann. Sie ist nicht nur ein Beispiel dafür, wie einst für Privatpersonen unbezahlbare und extrem kompliziert zu handhabende Geräte, Anwendungen, Dienstleistungen plötzlich erst erschwinglich und dann bald selbstverständlich werden. Sondern sie schafft auch die Voraussetzungen dafür, dass etwas Vergleichbares auch in ganz anderen Bereichen passieren kann: Die sozialen Netzwerke, getrimmt auf Alltags- oder auf berufs- und karrierebezogene Kommunikation, sind die derzeit prominentesten Beispiele dafür, wie das Internet zum Raum für Datenaustausch, Datenspeicherung und Datenauswertung für unzählige Nutzer - und sich diesen Nutzern andienende Dienstleister - schafft. Warum sollte das Netz nicht auch zum Trägermedium einer neuen wissenschaftlichen Revolution werden können - oder zumindest einer Evolution der bisherigen institutionellen, elfenbeintürmigen hin zu einer demokratischeren, mehr auf Beteiligung setzenden, von Beiträgen der Teilnehmer profitierenden, und den erzielten Nutzen auch teilenden Wissenschaft? Die Anfänge sind ja bereits gemacht. Projekte und Initiativen wie Galaxy Zoo, Herbaria@home, BioWeatherMap oder DIYbio.org sind ohne das Web nicht denkbar.

Was geht?

Tatsache ist bisher, dass Biohacker und Do-it-yourself-Biologen zwar eine Menge Spaß haben und eine Menge lernen, dass ihnen bislang aber noch kein großer wissenschaftlicher oder auch nur Anwendungs-Wurf gelungen ist. Das muss nicht so bleiben. Tatsache ist zudem, dass, wer per Biotech Schaden anrichten will, bislang eher schlecht beraten ist, wenn er oder sie sich auf die unsicheren Methoden von Gentechnik oder synthetischer Biologie verlässt. Denn die Natur ist auch allein - ohne komplizierte und eher unzuverlässige Manipulationen - voller biologischer Gefahren wie Anthrax oder Ehec, die sich gut für Verbrechen eignen würden. Allerdings stehen wir wahrscheinlich an der Schwelle zu einer Ära, in der mehr möglich sein wird - zum Guten wie zum Schlechten.

Bislang keine Hinweise auf Missbrauch

Den Diskussionen im Jahre 2012 darüber, ob die Informationen über ein in einem Labor in den Niederlanden molekularbiologisch gebasteltes, hochinfektiöses Vogelgrippe-Virus öffentlich gemacht werden sollten oder nicht, lag vor allem die Furcht zugrunde, sie könnten eventuellen Bioterroristen die Arbeit erleichtern.(1) Ein solches Szenario kann real sein, allerdings könnte es sich bislang nur in perfekt ausgestatteten staatlichen Labors oder mächtigen Terrororganisationen abspielen. Dass die Biohacker-Bewegung oder Teile von ihr entsprechende Absichten haben könnten, dafür gibt es bislang keinerlei Hinweise. Weder eine recht aufwändige Suche seitens des FBI noch die Abteilungen der UN, die sich um die Sicherung des Internationalen Biowaffenabkommens kümmern, stufen Biohacker derzeit als ernstzunehmende Gefahr ein. Das zeigt eine aktuelle Studie des unabhängigen US-amerikanischen Woodrow Wilson Centers, die zu dem Ergebnis kommt, dass die DIY-Biologie-Gemeinschaft derzeit keine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellt. Vielmehr würde die Bewegung einen wichtigen Kanal für die öffentliche Beteiligung an Wissenschaft öffnen und Chancen für wirtschaftliche und wissenschaftliche Innovationen bieten.(2)

Natürlich kann niemand ausschließen, dass es in Zukunft auch böswillige Biobastler geben wird, die das biotechnische Äquivalent einer Kalaschnikow konstruieren wollen. Man könnte angesichts möglichen Missbrauchs einfach Nicht-Profis alles, was Biotech heißt, verbieten. Das wäre ungefähr so sinnvoll und zöge in etwa vergleichbare Folgen nach sich wie einst die Alkohol-Prohibition in den USA: Die Werkzeuge, Zutaten und Methoden waren bekannt, die Nachfrage nach dem Produkt und das Interesse an seiner Wirkung vorhanden. Kein Gesetz setzte der Destillation ein Ende, sie wurde nur ins kriminelle Milieu verbannt. Sie war damit fast gar nicht mehr zu kontrollieren. Und es würde jene schon erwähnte „biological divide“ zwischen wissenden und Entscheidungen treffenden Bio-Eliten und dem mit Verboten belegten Rest erzeugen - ein System mit autoritär-totalitären Zügen.

Sinnvoll wäre etwas anderes. Es ist komplizierter als schlichte generelle Verbote. Es verlangt mehr Flexibilität und mehr Bereitschaft, mit der Zeit auf Entwicklungen zu reagieren, als Ein-für-allemal-Regelungen. Und es setzt Vertrauen in Menschen voraus. Es beruht auf der Grundannahme, dass die allerwenigsten von denen, die sich für DIY-Bio, Biohacking oder synthetische Biologie interessieren, potenzielle Bioterroristen oder schlampige Bio-Idioten sind. Und es setzt darauf, dass die Mehrheit gegen die möglichen Machenschaften jener wenigen mit genau denselben Werkzeugen wirksam wird reagieren können - ähnlich wie die Anti-Spam-Programmierer auf die Spam-Programmierer.

Bio-Bürgertum - Forschungsfreiheit für alle

Ein aufgeklärtes Bio-Bürgertum sollte zumindest eines der Ziele der Biopolitik der kommenden Jahre und Jahrzehnte sein - als Gegenstück und kompetente Kontrollinstanz zu den Bio-Eliten im akademischen, privatwirtschaftlichen und Verwaltungs-Sektor. Wie man mit den ersten umgeht, die heute bereits eine solche „Biological Citizenship“ für sich einfordern, wird wegweisend sein. Vorbeugende Verbote, ein alle Freizeit-Biotech-Freaks einschließender kollektiver Generalverdacht, ein von Angst bestimmtes Klima, in dem Forscherneugier außerhalb des Forscherestablishments per se als suspekt oder gar gefährlich gilt, all das wäre sicher der falsche Weg. Die durchaus auch individuell gemeinte Forschungsfreiheit im Grundgesetz sollte auch in der Praxis für alle gelten.

Wenn in Deutschland etwa offene Labore, in denen Laien mit Profis zusammenarbeiten und sich austauschen können, entstehen und auch unterstützt werden, zum Beispiel vom Staat oder von Stiftungen oder Spendern, dann wird es wahrscheinlich nicht nur weniger versteckte, unregulierbare Küchen-, Kleiderschrank- oder Garagenlabore geben. Diese Labore, wie es sie in New York, im Silicon Valley, in Amsterdam, Paris, Manchester und so weiter schon gibt und die besser ausgestattet sind als es sich die meisten daheim in der Garage leisten können, sind Kristallisationspunkte für Leute, die ansonsten einsam und abgeschottet basteln würden. Solche Gemeinschaftslabore stellen schon jetzt zumindest teilweise sicher, dass Laien arbeiten können, ohne sich selbst oder andere oder die Umwelt zu gefährden. Damit einher geht eine stetig steigende Kompetenz solcher Laien und damit auch eine in die Breite gehende spezifische Bildung und Fähigkeit zur Meinungsbildung angesichts anstehender wissenschafts- und biopolitischer Entscheidungen. Außerdem können dann die kreativen Impulse und Improvisationskünste der DIY-Bewegung positiv begleitet werden - mit gesellschaftlichem Mehrwert.

Damit das geschieht, müssen Profi-Forscher ihre nicht universal, aber doch weit verbreitete Nur-Gucken-Aber-Nicht-Anfassen-Attitüde bezüglich ihrer eigenen Forschung ändern. Wenn eine solche Öffnung bewusst und respektvoll geschieht, gezielt und mit echtem Einsatz jenseits der einmal im Jahr stattfindenden „Langen Nacht der Wissenschaften“, kann vielleicht auch mehr herausspringen als nur ein durch PR-Arbeit und ein wenig Volksbildung beruhigtes Gewissen gegenüber den Steuerzahlern, die nach wie vor den Hauptanteil der Forschungsfinanzierung tragen. Eine motivierte DIY-Biologin kann einer Uni-Arbeitsgruppe vielleicht auch nützlicher sein als ein Student, der nur irgendwie seine Laborpflicht abarbeitet. Warum muss jemand, der forscht, einen Uni-Abschluss haben? Forscher wird man nicht durch ein Dokument. Forscher ist, wer Fragen stellt und dann mit wissenschaftlicher Methodik nach Wegen sucht, sie zu beantworten.

Laien (griechisch: laikós: „zum Volke gehörig“), die Zeit, Bildung und Möglichkeiten genug haben, sich an Wissenschaft zu beteiligen, gibt es heute zahlenmäßig, aber auch relativ zur Gesamtbevölkerung, wahrscheinlich mehr als je zuvor. Sie sind, wenn man als Professor oder Laborleiterin ein wenig Mühe und immer mal wieder ein paar lobende Worte oder Erwähnungen in einer Veröffentlichung zu investieren bereit ist, eine viel versprechende Ressource und kein gesetzloser Bio-Mob.

Sascha Karberg, Richard Friebe und Hanno Charisius sind Wissenschaftsjournalisten. Sie haben zusammen das 2013 erschienene Buch Biohacking geschrieben - siehe dazu den Kasten auf dieser Seite.

Fußnoten:

(1) Siehe dazu zum Beispiel im GID 210 (Februar 2012, Seite 42) das Interview mit dem Forscher Gunnar Jeremias.

(2) www.synbioproject.org/events/archive/myths_realities_diybio_movement/